Bielitz-Bialaer Sprachinsel

schlesische Sprachgemeinschaft
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Die Bielitz-Bialaer Sprachinsel war eine deutsche Sprachinsel innerhalb der polnischsprachigen Gebiete an der Grenze von Österreichisch-Schlesien und Galizien.

Die Sprachinsel im Brockhaus (1894)

Geschichte

Im Mittelalter

 
Bielitz-Bialaer Sprachinsel und (möglicherweise) deutsche Siedlungen in der Umgebung
 
  • „Maximalistische” Ausdehnung der deutschen Besiedlung im 15. Jahrhundert nach Kurt Lück
  • Die Sprachinsel entstand gegen Ende des 13. Jahrhunderts durch eine Besiedlungsaktion von Mesko I. von Teschen entlang des Flusses Biała im damals schwach von Slawen besiedelten Bereich (z. B. Slawischer Burgwall in Altbielitz). Die Siedler kamen aus Franken und anderen Regionen des Heiligen Römischen Reichs. Danach folgten andere Wellen der Ostsiedlung, wie im zweiten Quartal des 15. Jahrhunderts, als unter anderem in den slawischen Dörfern die Kolonien Konradiswalde (heute Międzyrzecze Górne bzw. Ober Kurzwald) oder Mazanczendorff (heute Mazańcowice bzw. Matzdorf) entstanden.

    Als ob „maximalistische” Ausdehnung der geschlossenen deutschen Besiedlung östlich von Bielitz im 15. Jahrhundert stellte Kurt Lück in seinem ausführlichen Werk im Jahr 1934 vor.[1] Seine Kriterien waren aber sehr weit und tendenz.[2]

    Laut dem modernen Forscher Gerhard Wurbs erstreckte sich die geschlossene Sprachinsel früher von Jasienica (Heinzendorf), Rudzica (Riegersdorf) und Landek (Landeck) im Westen bis Kęty (Liebenwerde), Nowa Wieś (Neudorf) und Nidek (Niedeck) im Osten.

    Politisch gehörte die Sprachinsel ursprünglich zum Herzogtum Teschen, dies bestand ab 1290 in der Zeit des polnischen Partikularismus. Im Jahre 1315 wurde das Herzogtum Teschen entlang des Flusses Biała geteilt, ebenso die Sprachinsel: Der Teil am linken Ufer blieb im Herzogtum Teschen, der Teil am rechten Ufer kam zum Herzogtum Auschwitz. Seit 1327 standen beide unter der Lehnsherrschaft des Königreichs Böhmen.

    Das 15. Jahrhundert war sehr unruhig, besonders nach dem Umbruch der Hussitenkriege.[3] Steigte die Aktivität der Raubritter. Das konnte eine Landflucht verursachen. Nach Józef Putek die deutschstämmige Eiwnohner, besonders das Rittertum, der Klerus und das städtische Patriziat, wurden damals vertreibt oder sogar vermordet sein.[4] Unter dieser Umständen wurde das Gebiet von Saybusch aus dem Herzogtum Auschwitz ausgegliedert und die Herzogtumer Auschwitz (1457) sowie Zator (1494) von Polen abgekauft. Nach dem Tod des Königs Ludwig II. gelangte die Krone Böhmen und damit auch Schlesien 1526 an die Habsburger.

    In der Neuzeit

     
    Die Sprachinsel auf der ethnographischen Karte der Österreichischen Monarchie von Karl von Czoernig-Czernhausen (1855)

    Bei der Ersten Teilung Polens kam der polnische Teil 1772 zum neuen Königreich Galizien und Lodomerien des habsburgischen Kaiserreichs (ab 1804). Die Sprachinsel gehörte damals zum Bezirk Bielitz bzw. Bezirk Biała. Infolge des Österreichisch-Ungarischen Ausgleichs 1867 wurde auch Galizien eine größere Autonomie eingeräumt. Bereits 1866 wurde Polnisch zur Amtssprache erhoben. Die sprachlichen Beziehungen im damaligen Biała waren komplizierter als im fast ausschließlich deutschen Bielitz. Etwa 1/3 der Einwohner waren bewusst nationaldeutsch, 1/3 polnisch, die übrigen, hauptsächlich slawischer Herkunft, deklarierten ihre Umgangssprache bzw. Nationalität aus konjunkturellen Gründen.[5] Die fortschreitende Polonisierung der Stadt bewegte die städtische Verwaltung zum Ablösungversuch der deutschen galizischen Gemeinden in den Jahren 1879 sowie 1916, um sie Schlesien anzugliedern.[6]

    Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bestand die Sprachinsel aus dreizehn Gemeinden:

    Gemeinden Anteil (%) der deutschsprachigen Einwohner bzw. Deutschen (1921)
    Name Provinz 1880[7] 1890[7] 1900[7] 1910[7] 1921[8] 1943
    Stadt Bielsko (Bielitz) Schlesien 86.5 80.7 84.3 84.3 61.9[p 1] 72
    Stadt Biała (Biala) Galizien 74.5 74.9 78.2 69.4 27.5 zu Bielitz
    Stadt Wilamowice (Wilmesau) Galizien 67.0 66.0 1.4 74
    Dorf Aleksandrowice (Alexanderfeld) Schlesien 84.4 77.3 87.3 86.2 70.9 zu Bielitz
    Dorf Bystra Śląska (Deutsch Bistrai) Schlesien 76.9 73.3 64.2 51.7 45.4 51
    Dorf Hałcnów (Alzen) Galizien 74.4 77.0 66.3 74
    Dorf Kamienica (Kamitz)
    mit Olszówka Górna (Ober-Ohlisch)
    Schlesien 90.0 89.5 87.1 92.3 76.4 keine Daten
    Dorf Komorowice Śląskie (Batzdorf) Schlesien 54.0 47.5 49.4 75.4 15.5 56
    Dorf Lipnik (Kunzendorf)
    mit Leszczyny (Nussdorf)
    Galizien 67.7 57.0 29.9 46
    Dorf Międzyrzecze Górne (Ober-Kurzwald) Schlesien 62.0 64.8 62.4 66.5 68.7 67
    Dorf Mikuszowice Śląskie (Nickelsdorf)
    mit Olszówka Dolna (Nieder-Ohlisch)
    Schlesien 85.9 79.4 83.6 82.9 73.7 keine Daten
    Dorf Stare Bielsko (Alt-Bielitz) Schlesien 86.2 84.7 89.4 91.9 81.3 81
    Dorf Wapienica (Lobnitz) Schlesien 90.2 66.1 75.1 77.6 82.3 82
    1. Überdies war die Mehrheit der Juden in Bielitz deutschsprachig.

    Derzeit sind alle mit drei Ausnahmen (Wilamowice, Międzyrzecze Górne und Bystra) Stadtteile von Bielsko-Biała. Drei andere Stadtteile am rechten Ufer des Flusses Biała – Komorowice Krakowskie (Mückendorf), Mikuszowice Krakowskie (Mikuschowitz) sowie Straconka (Drösseldorf) – waren ursprünglich wahrscheinlich auch deutsch, aber im 19. Jahrhundert polnisch. Größere deutschsprachige Minderheiten gab es zudem im Jahr 1910 in den überwiegend polnischen Dörfern Jasienica (Heinzendorf) (22,8 %), Dziedzice (Dziedzitz) (11,4 %), Jaworze (Ernstdorf) (10,4 %), Mazańcowice (Matzdorf) (9,1 %) und Czechowice (Czechowitz) (9 %).

    Die Sprachengemisch im Bezirk Bielitz spiegelte sich unter den Abgeordneten der Schlesischen Wahlbezirke wider. Acht deutschsprachige Gemeinden gehörten nicht zum Wahlbezirk Schlesien 14, sondern zum Wahlbezirk Schlesien 10.

     
    Grabstein in Międzyrzecze Górne (Ober Kurzwald)

    Am Ende des Ersten Weltkriegs hoffte die deutsche Bevölkerung auf Verbleib in Deutschösterreich, wurde aber Teil Polens. In der Zwischenkriegszeit blieb Bielitz ein wichtiges Zentrum des polnischen Deutschtums und wurde klein Berlin genannt. Die polnischsprachigen Straßenzeichen erschienen erst im Jahr 1929. Eine ganz andere Stimmung herrschte in Wilamowice, wo die Einwohner oft ihre Eigenständigkeit betonten.

    Nach dem Zweiten Weltkrieg, der u. a. die Flucht und Vertreibung Deutscher aus Mittel- und Osteuropa 1945–1950 zur Folge hatte, ist die Bielitz-Bialaer Sprachinsel untergegangen. Die vertriebenen Deutschen aus Bielitz-Biala und Umgebung haben in Lippstadt, Braunschweig, Hannover, Oldenburg sowie Donauwörth Heimatverbände gegründet.[9] Ein Teil der Deutschen blieb in Polen, besonders in Wilamowice, wo derzeit Wilmesaurisch ungefähr 100 Muttersprachler, mehrheitlich ältere Leute, hat.

    Literatur

    • Gerhard Wurbs, Die deutsche Sprachinsel Bielitz-Biala. Eine Chronik in Eckartschriften (79), Wien, 1981
    • Walter Kuhn, Geschichte der deutschen Sprachinsel Bielitz (Schlesien), 1981
    • Erwin Hanslik, Biala, eine deutsche Stadt in Galizien: Geographische Untersuchung des Stadtproblems, 1909
    • Grzegorz Wnętrzak: Stosunki polityczne i narodowościowe na pograniczu Śląska Cieszyńskiego i Galicji zachodniej w latach 1897–1920 [Politische und nationale Beziehungen im Grenzgebiet von Teschner Schlesien und Westgalizien in den Jahren 1897–1920]. Wydawnictwo Adam Marszałek, Toruń 2014, ISBN 978-83-7780-882-5 (polnisch).

    Einzelnachweise

    1. Deutsche Besiedlung Kleinpolens und Rotreußens im 15. Jahrhundert. Bearbeitet u. gezeichnet von Kurt Lück, 1934.
    2. Wojciech Blajer, Uwagi o stanie badań nad enklawami średniowiecznego osadnictwa niemieckiego między Wisłoką i Sanem [Bemerkungen zum Stand der Forschungen über die Enklaven der mittelalterlichen deutschen Besiedlung zwischen Wisłoka und San], [in:] Późne średniowiecze w Karpatach polskich, Rzeszów 2007, S. 64–65.
    3. Krzysztof Rafał Prokop: Księstwa oświęcimskie i zatorskie wobec Korony Polskiej w latach 1438–1513. Dzieje polityczne. PAU, Kraków 2002, ISBN 83-8885731-2, S. 80–81 (polnisch).
    4. Józef Putek: O zbójnickich zamkach, heretyckich zborach, i oświęcimskiej Jerozolimie: szkice z dziejów pogranicza Śląsko-Polskiego. Drukarnia Przemysłowa, 1938, S. 44–47.
    5. G. Wnętrzak, 2014, S. 169
    6. G. Wnętrzak, 2014, S. 241–255
    7. a b c d Kazimierz Piątkowski: Stosunki narodowościowe w Księstwie Cieszyńskiem [Nationale Beziehungen im Herzogtum Teschen]. Macierz Szkolna Księstwa Cieszyńskiego, Cieszyn 1918, S. 276–277 (polnisch, Online).
    8. Główny Urząd Statystyczny: Skorowidz miejscowości Rzeczypospolitej Polskiej. Województwo krakowskie i Śląsk Cieszyński. Warszawa 1925 (online – polnisch).
    9. Zweiggruppen, Heimatgruppe Bielitz-Biala e.V