Auch im katholischen Italien ist der Islam seit fast 1.200 Jahren präsent und damit fast ebenso alt wie der päpstliche Kirchenstaat (Vatikan) selbst. Ein Vierteljahrtausend lang stand beispielsweise Sizilien unter muslimischer Herrschaft. Im 9. und nochmals im 13. Jahrhundert war aber auch Apulien ein Zentrum des Islam in Italien.
Heute machen besonders in Norditalien mindestens 1 Million Muslime etwa 1,7 Prozent der 58 Millionen Einwohner Italiens aus - relativ wenig im Vergleich etwa zu Großbritannien (2-3 Millionen), Deutschland (3-4 Millionen) oder Frankreich (über 5 Millionen). Mindestens 150.000 von ihnen leben ohne gültige Aufenthaltspapiere in Italien, Schätzungen kirchlicher und Menschenrechtsgruppen gehen von weiteren 250.000 "illegalen" muslimischen Immigranten aus. Etwa 50.000 Muslime in Italien haben die italienische Staatsbürgerschaft, hinzu kommen weitere 10.000 italienische Konvertiten. Einer der bekanntesten Konvertiten ist Torquato Cardeilli, Italiens ehemaliger Botschafter in Saudi-Arabien.
Geschichte
Schon im 7. und 8. Jahrhundert waren zahlreiche der Italien zuvor beherrschenden germanischen Langobarden vom arianischen Christentum zum Islam statt zum Katholizismus übergetreten. Sie dienten an der gegenüberliegenden Mittelmeerküste (vor allem im tunesischen Ifriqiya) zumeist als Söldner in arabischen Heeren und wurden von den arabischen Muslimen zunächst als al-Ankubarti bezeichnet, später dann kurzerhand den Saqaliba zugerechnet.
Araber im Mittelalter
Ein bekannter sizilianischer Saqaliba des 10. Jahrhunderts war Dschawar as-Siqilli, Heerführer der Fatimiden und Erbauer Kairos.
Islam in Sizilien
Um sich der ständigen Meutereien des Heeres zu entledigen, schickte der Aghlabiden-Gouverneur von Ifriqiya in den Jahren 827, 830 und 875 arabische, berberische und andalusische Rebellen zur Eroberung des byzantinischen Sizilien fort, 902 führte sein Nachfolger selbst ein Heer auf die Insel. Dort hatte der gegen Konstantinopel meuternde Gouverneur die Muslime zu Hilfe gerufen. Schon 831 fiel Palermo in ihre Hände (seitdem Hauptstadt), 843 dann Messina, doch erst 878 Syrakus (bis dahin byzantinische Hauptstadt), 902 Taormina und 964 mit Rometta auch der letzte byzantinische Stützpunkt).
Emirate in Apulien
Von Sizilien setzten die Muslime auf das Festland über, 835 hatte der Herzog von Neapel im Kampf gegen den Herzog von Benevent die Muslime gerufen. 840 fielen Tarent und Bari in ihre Hände, 841 auch Brindisi. Capua wurde zerstört, das unter fränkischem Schutz stehende Benevent wurde besetzt, doch arabische Angriffe auf Rom scheiterten 843 und 846. 847 erklärten sich Tarent, Bari und Brindisi zu von den Aghlabiden unabhängigen Emiraten. Jahrzehntelang beherrschten die Muslime das Mittelmeer und plünderten die italienischen Küstenstädte, 842-851 und 868-70 stand sogar Ragusa (Dubrovnik) in Kroatien unter arabischer Herrschaft.
Erst nach dem Fall Maltas 870 gelang den abendländischen Christen die Aufstellung einer gleichwertigen Streitmacht zu Lande. Der fränkisch-römische Kaiser Ludwig II. eroberte Brindisi und schlug die Araber 871 bei Bari, fiel aber dann in aghlabidische Gefangenschaft, und an seiner Stelle eroberten die Byzantiner 880 auch Tarent. Letzte arabische Festungen hielten sich im Süden noch bis 885, und schon 882 hatten die Muslime weiter nördlich, an der Mündung des Garigliano bei Neapel, eine neue Basis errichtet. Hundert Jahre später riefen die Byzantiner gegen einen Eroberungszug des deutschen Kaisers nochmals die sizilianischen Araber zu Hilfe, die Otto II. 982 vor Tarent schlugen.
Nach dem Sturz der Aghlabiden auch in Ifriqiya war Sizilien im 10. Jahrhundert an ihre fatimidischen Nachfolger gefallen, doch hatte sich nach Kämpfen zwischen Sunniten und Schiiten unter den Kalbiten bald ebenfalls für unabhängig erklärt.
Streifzüge in Piemont
Erstmals 729-765 hatten Araber und Berber nach der Eroberung des spanischen Westgoten-Reiches von Septimanien und Narbonne aus Raubzüge bis nach Oberitalien unternommen. Unabhängig vom Verlust Apuliens und Gariglianos (915) errichteten andalusische Muslime 888 auch wieder in der französischen Provence, in Fraxinetum bei Frejus, einen neuen Stützpunkt. Von Fraxinetum aus eroberten und plünderten sie 934 und 935 Genua und La Spezia. Im Hinterland Piemont stießen sie bis Asti vor und hielten über einige Jahrzehnte weitere Basen. Nach Siegen über Burgund eroberten die Muslime 942-965 Savoyen und 952-960 sogar die Schweiz, doch unter dem Druck deutscher Könige musste Fraxinetum 972 aufgegeben werden.
Vorläufiges Ende
Pisa und Genua verbündeten sich, um den arabischen Muslimen auch Korsika (850-1020 islamisch) und Sardinien (seit 760 islamisch) zu entreißen. Sardinien aber stand seit 1015 unter dem Schutz der Flotte des andalusischen Emirs von Denia in Spanien, der von den verbündeten Italienern 1016 und nach seiner erneuten Invasion 1022 nochmals geschlagen wurde. Erst 1027 konnten die Italiener die sardinischen Muslime endgültig besiegen.
Die auf Sizilien unter den Kalbiten begonnene kulturelle und wirtschaftliche Blütezeit war durch innermuslimische Kämpfe unterbrochen worden, in die 1027 tunesische Ziriden und 1059 schließlich auch süditalienische Normannen eingriffen. Schon 1061 fiel Messina in normannische Hände, eine Invasion der algerischen Hammadiden zur Rettung des Islam scheiterte 1063 an Genua und Pisa, der Verlust Palermos 1072 und Syrakus´ 1088 konnte nicht verhindert werden. Auch Noto und einige letzte muslimische Festungen auf Sizilien hielten sich nur noch bis 1091.
Obwohl Italien und das normannische Tarent ab 1095/99 zum Ausgangspunkt der Kreuzzüge wurden und die sizilianischen Muslime ihren Glaubensvorschriften entsprechend vor nichtislamischer Herrschaft hätten emigrieren müssen, blieb die muslimische Bevölkerung auch unter den Normannen im Land. Ihr König beheimatete z.B. den berühmten Geographen al-Idrisi. Die Muslime wurden zunächst toleriert, bald aber diskriminiert und verfolgt, ihre Moscheen wurden zerstört oder zu Kirchen umgewandelt. Die ersten sizilianischen Normannen beteiligten sich zwar nicht direkt an den Kreuzzügen, führten aber eigene Eroberungskriege gegen Ifriqiya, ehe sie dort 1147 den Almohaden erlagen.
Auf Sizilien zerbrach spätestens nach des "guten" König Wilhelms II. Tod 1189 das friedliche Nebeneinander, die muslimische Elite wanderte aus, die übrigen Muslime verschanzten sich in den Bergen und setzten von dort auch unter den Staufern, die die Normannen 1194 abgelöst hatten, ihren Widerstand fort. Um diesen zu brechen, betrieb der Staufer-Kaiser Friedrich II., selbst Kreuzfahrer, eine Politik der ethnischen und religiösen „Säuberung“. 1224-39 ließ er Tausende Muslime von Sizilien deportieren und errichtete mit ihnen eine militärische Strafkolonie im apulischen Lucera, etwa 150 Kilometer nordwestlich von Bari. Diese allerdings förderte er, gewährte Autonomie und verhalf dem Islam in Italien somit zu einer letzten Blüte. Friedrich umgab sich sogar mit einer muslimischen Leibwache, sprach Arabisch und ließ selbst sein Kaisergewand von Arabern schneidern.
Nach dem Sturz der Staufer 1266 und der Niederlage in den Kreuzzügen 1291 wurde Lucera im Jahr 1300 auf Drängen des Papstes von den neapolitanischen Anjou zerstört und die muslimischen „Heiden“ massakriert oder versklavt.
Türken in der Renaissance
Erst 600 Jahre nach dem Untergang des Emirats Tarent, 400 Jahre nach dem Verlust Siziliens und rund 180 Jahre nach der Vernichtung Luceras geriet wieder ein Teil Italiens unter muslimische Herrschaft, und wieder sollte Apulien zum Ausgangspunkt einer geplanten Unterwerfung der Halbinsel werden.
Brückenkopf Otranto
Apulien gehörte zum Königreich Neapel und stand seit Mitte des 15. Jahrhunderts unter Herrschaft der Spanier, die auf ihrer eigenen Halbinsel 1481 die Schlussoffensive zur Eroberung Granadas starteten. Dieser letzte Stützpunkt des Islam in Spanien hatte verzweifelte Hilferufe an alle islamischen Staaten des Mittelmeerraums gesandt.
Das Reich der Osmanischen Türken, das 1453 bereits Konstantinopel, 1475 Genuas letzte Stützpunkte im Schwarzen Meer und 1479 die venezianische Insel Euböa in Griechenland erobert hatte, unternahm daraufhin 1480 einen halbherzigen Ablenkungsangriff auf die spanischen Besitzungen in Süditalien. Die apulische Hafenstadt Otranto (knapp 100 Kilometer südöstlich von Brindisi) wurde erobert und zum Brückenkopf ausgebaut, aber schon 1481 wieder aufgegeben.
Angriffe im 16. Jahrhundert
Ob Otranto tatsächlich als Ausgangspunkt für weitere Eroberungen gedacht war, ist umstritten. Ihren Anspruch, nach der Eroberung Konstantinopels auch in der alten Kaiserstadt bzw. Papstresidenz Rom das Christentum zu vernichten und eine islamische Universalherrschaft zu errichten, hatten die osmanischen Sultane zunächst jedoch nicht aufgegeben. Nach der Eroberung Ragusas und Ungarns 1526 und der Belagerung Wiens wäre mit einem Fall der österreichischen Hauptstadt bzw. deutschen Kaiserresidenz 1529 auch wieder Rom bedroht gewesen. Auch nach der Niederlage des türkischen Landheeres vor Wien griffen türkische Flotten wieder im Süden an. 1537 wurde kurz Reggio in Kalabrien erobert, im darauffolgenden Jahr die venezianische Flotte besiegt. Doch 1543 scheiterte ein türkisches Landungsunternehmen auf Sizilien ebenso wie die Belagerung Maltas 1565.
Den nach Spanien größten Anteil am Seesieg der christlichen „Heiligen Liga“ bei Lepanto 1571 hatte die Republik Venedig, die zwischen 1423 (intensiv seit 1463) und 1718 acht verlustreiche Türkenkriege gegen das Osmanische Reich führte.
Kolonialvölker in der Neuzeit
In den auf Lepanto folgenden 300 Jahren bis zum Abschluß der Einigung Italiens 1871 gab es kaum Berührungspunkte mit dem Islam. Doch ab 1885 hatte Italien mit Eritrea, 1905 mit Somalia, ab 1911 mit Libyen und 1939 mit Albanien islamische Kolonialgebiete erworben. Somalische Hilfstruppen in der italienischen Armee halfen 1931 bei der Vollendung der Eroberung Libyens und 1936 beim Sieg über Äthiopien. Auch nach dem Verlust dieser Kolonien wanderten von dort Muslime nach Italien ein. Bis heute leben z.B. muslimische (z.Z. christliche) Albaner in Süditalien und auf Sizilien, und es kommen weitere ins Land. Große Einwanderungswellen aber gibt es erst wieder seit den 1970er Jahren.
Marokkaner in der Gegenwart
Etwa 40 Prozent aller Immigranten mit oder ohne Aufenthaltspapieren sind Muslime. Mehr als die Hälfte aller muslimischen Immigranten kommen aus dem Maghreb, davon wiederum die meisten aus Marokko, weshalb aus Sicht der Italiener alle arabischen und nordafrikanischen Muslime einfach „Marokkaner“ sind. Die nächstgrößten Muslimgruppen sind Tunesier und Albaner. Zudem hatten und haben zahlreiche exilorientalische Parteien und Politiker Asyl in Italien gefunden, so z.B. Iraker, Iraner, Somalier, Libyer, Kurden und 1973-2002 sogar der afghanische Ex-König Mohammed Sahir Schah. Das Einwanderungs- und Staatsbürgerschaftsgesetz von 1991 unterteilt die Muslime in muslimische Italiener mit italienischem Paß, länger als fünf Jahre in Italien lebende fremde Staatsbürger und später eingewanderte Ausländer.
Blieben die muslimischen Einwanderer früher vorwiegend im Süden Italiens, so ziehen sie heute von ihren ersten Ankunftsorten Sizilien (Maghrebiner) oder Apulien (Albaner) meistens nach Norditalien weiter und tragen als Gastarbeiter dort nicht unwesentlich zum Wirtschaftswachstum „Padaniens“ bei. Mehr als 55% der Muslime Italiens leben und arbeiten heute in den norditalienischen Industriezentren Turin, Mailand, Verona, Mantua und Modena, wo muslimische Zentren entstanden sind. Weitere 25% leben in Rom und Umgebung, und nur noch 20% arbeiten z.B. im Fischereisektor Palermos und Siziliens.
Italienischer Islam
Der Islam in Italien ist zum Teil eine Sonderform, die stark vom Euro-Islam beeinflusst und von der italienischen Regierung bevorzugt bzw. gefördert wird. Die Mehrheit der Muslime in Italien sind keine regelmäßigen Moscheebesucher. Zahlreiche Muslime folgen aber auch rivalisierenden Richtungen, die einen übertriebenen Laizismus und Italiens Verwicklungen in den US-Krieg gegen die irakischen Muslime ablehnen. Das führte bislang einerseits z.B. zu einer stillschweigenden Duldung der Kopftücher, andererseits aber trotzdem zu Konfrontationen vor allem unter der Regierung Berlusconi, dessen Abwahl die Muslime Italiens einig unterstützten.
Während Berlusconi die Furcht vor einem islamischen Fundamentalismus manipulierte, die islamische Welt als „minderwertig“ bezeichnete und das christliche Wesen des Abendlandes beschwor, war demgegenüber das Verhältnis zum Papsttum zumindest unter Johannes Paul II. von der Suche nach Dialog bestimmt. Die Kirche bemühte sich bislang um Integration der Immigranten, Anfang der 1980er entstand eine Moschee in Palermo, 1995 wurde mit saudischen Geldern sogar eine „Große Moschee“, in Rom eröffnet, die bis 2005 größte Moschee Europas. Papst Benedikt XIV. verfolgt heute statt dessen das vorrangige Ziel einer christlichen Einheit.
Wichtigste Organisation der Muslime Italiens ist das Islamische Zentrum (Centro Islamico) in Mailand (Milano), das einen politischen Islamismus betreibt. Weitere kleinere, zumeist nach Zuwanderernationen getrennte Moslemorganisationen (z.B. das von den Saudis geförderte Islamische Zentrum in Rom) beschäftigen sich eher mit religiösen und soziokulturellen Alltagsfragen wie Traditionspflege, Speisevorschriften und Religionsfreiheit.
Siehe auch
Literatur
- Günter Kettermann: Atlas zur Geschichte des Islam. Darmstadt 2001
- Burchard Brentjes: Die Mauren. Leipzig 1989
- Ulrich Haarmann: Geschichte der Arabischen Welt. C.H. Beck München, 2001 ISBN 3406381138