Wollastonit
Vorlage:Mineral Wollastonit (selten auch Tafelspat oder Tafelspath) ist ein häufig auftretendes Mineral mit der chemischen Zusammensetzung CaSiO3, genauer Ca3[Si3O9]. Chemisch gesehen ist Wollastonit ein Calcium-Salz der Kieselsäure und zählt daher zur Mineralklasse der Silikate. Obwohl es sich bei Wollastonit um ein Kettensilikat (Inosilikat) handelt, gehört er nicht zur Mineralgruppe der Pyroxene, sondern zu den Pyroxenoiden (Pyroxenähnliche), da die unendlichen (SiO3)2--Ketten in seiner Kristallstruktur einem anderen Verknüpfungsmuster folgen. Wollastonit ist farblos und kristallisiert im triklinen Kristallsystem. Er entsteht häufig durch Kontaktmetamorphose aus Kalkstein und ist ein gesteinsbildender Bestandteil des Skarn.
Modifikationen
Von Wollastonit existieren mehrere Modifikationen mit der gleichen chemischen Formel, aber unterschiedlichen Kristallstrukturen, von denen in der Natur nur zwei auftreten. Da alle Modifikationen chemisch identisch sind, werden sie auch als Polymorphe bezeichnet.
Der Name Wollastonit ohne Zusatz beschreibt in der Regel die weitaus häufigste Form, den triklin kristallisierenden Wollastonit-1T (1 steht hierbei für „die erste Form", T für triklin), der gelegentlich auch als Wollastonit-1A oder α-CaSiO3 bezeichnet wird. In englischer Literatur findet sich zudem die Bezeichnung Wollastonite-Tc. Diese trikline, natürlich auftretende Modifikation ist als einzige von der International Mineralogical Association (IMA) als Mineral anerkannt.
Die zweite natürliche Form ist der monokline Wollastonit-2M (2 = „die zweite Form", M = monoklin), der deutlich seltener als der trikline Wollastonit-1T auftritt. Synonyme für Wollastonit-2M sind Parawollastonit und, eigentlich inkonsequenter Weise, ebenfalls α-CaSiO3. Die Bezeichnung α-CaSiO3 wird für Wollastonit-1T und Wollastonit-2M verwendet, da beide als Tieftemperatur-Modifikation angesehen werden.
Die Hochtemperaturmodifikation wird als Pseudowollastonit (manchmal auch Wollastonit-4A) oder β-CaSiO3 bezeichnet und ist nur bei Temperaturen oberhalb 1120 °C stabil. Pseudowollastonit kristallisiert ebenfalls triklin, besitzt aber aufgrund der sehr nahe bei 90° liegenden Winkel eine pseudo-orthorhombische Struktur. Während Wollastonit-1T und Wollastonit-2M zu den Einfach-Kettensilikaten (Inosilikate) gehören, bilden die Silikate in Pseudowollastonit ringförmige Strukturen. Pseudowollastonit zählt damit zur Gruppe der Ringsilikate (Cyclosilikate), die Anordnung der SiO4-Tetraeder ist eher mit Benitoit (BaTi[Si3O9]) vergleichbar.
Weitere Modifikationen wurden in Hochdruckexperimenten aus Wollastonit-1T gewonnen, sie kristallisieren alle triklin, wobei sich wiederum Änderungen in den Kristallstrukturen ergeben. Zu den Hochdruckmodifikationen zählen Wollastonit-3T, Wollastonit-4T, Wollastonit-5T und Wollastonit-7T.
Geschichte

Der Name Wollastonit geht auf J. Léman zurück, der den Namen erstmals 1818 in Nouveau dictionnaire d’histoire naturelle appliquée aux arts à l’agriculture bei der Beschreibung von Gesteinen, genauer eines Skarn aus Dognecea im rumänischen Teil des Banat erwähnt. Die Erstbeschreibung des Minerals erfolgte jedoch bereits 1793 durch den österreichischen Mineralogen A. Stütz in Neue Einrichtung der k.-k. Naturalien-Sammlung zu Wien, der das Mineral Tafelspath nannte. Stütz hatte hierfür Handstücke (handgroße Gesteinsproben) aus dem Banat zur Verfügung, ob diese jedoch ebenfalls aus Dogeneca stammten ist nicht gesichert. Dogenecea gilt trotzdem heute als Typlokalität des Tafelspath beziehungsweise Wollastonit. Die Umbenennung des Tafelspath in Wollastonit durch Léman war als Anerkennung für die wissenschaftlichen Verdienste des berühmten englischen Naturforschers William Hyde Wollaston (1766-1828) gedacht.
Seit der Gründung der International Mineralogical Association (IMA) 1958, ist Wollastonit der international anerkannte Mineralname für das natürlich auftretende CaSiO3.
Bildung und Fundorte
Wollastonit tritt häufig in Metamorphiten auf, die aus karbonathaltigem Gestein entstanden sind, und ist ein gesteinsbildender Bestandteil des Skarn. Er entsteht typischerweise bei der Kontaktmetamorphose durch den Kontakt von Kalkstein mit kieselsäurehaltigem Magma. Dabei kommt es zur so genannten Wollastonitreaktion:
Die Wollastonitreaktion ist ein klassisches Beispiel für die Metasomatose. Bei einer normalen Metamorphose ändert sich für gewöhnlich zwar das Gefüge und meistens auch der Mineralinhalt des Gesteins, die durch die Metamorphose entstandenen Minerale besitzen jedoch weitgehend die gleiche chemische Zusammensetzung wie die ursprünglich vorhandenen Minerale. Bei der Metasomatose, wie hier im Fall der Wollastonitreaktion, ändert sich auch der Chemismus des Gesteins.
Wollastonit kann Spuren bis hin zu größeren Mengen von Eisen und Mangan in Form von zweiwertigen Kationen auf den Plätzen der Ca2+-Kationen im Kristallgitter besitzen. Hohe Eisen- und Mangananteile machen sich vor allem durch höhere Brechungsindices bemerkbar. Seltener befinden sich auch Magnesium- (Mg2+), Aluminium- (Al3+) oder Natrium- (Na+) und Kalium-Kationen (K+) auf den Calcium-Positionen. Bei Eisengehalten von mehr als 10% (Ca0,9Fe0,1SiO3) beziehungsweise Mangangehalten von mehr als 25% (Ca0,75Mn0,25SiO3) kristallisiert Wollastonit in der Struktur von Bustamit ((Mn,Ca,Fe)[SiO3]).
Begleitende Minerale (Paragenesen) von Wollastonit sind typischerweise Diopsid, Granat (vor allem Grossular und Andradit), Tremolit, Vesuvian (Idokras), Mikroklin und Kalzit.
Wollastonit tritt weltweit an zahlreichen Fundorten auf. Dazu zählen:
- China (Hauptproduzent auf dem Weltmarkt)
- Sachsen (Deutschland)
- Banat (Rumänien)
- Vesuv und Monte Somma (Italien)
- Chiapas (Mexiko)
- Willsboro (New York, USA)
- Franklin (New Jersey, USA)
Die Wollastonite aus Franklin (New Jersey) zeichnen sich häufig durch eine blaue bis weiße Fluoreszenz unter Einwirkung von UV-Licht aus. Diese wird, wie auch die Fluoreszenz im Mineral Fluorit, durch sehr geringe Mengen von Eu2+-Kationen auf den Calcium-Positionen im Kristallgitter verursacht.
Kristallstruktur von Wollastonit-1T

In der Natur tritt Wollastonit normalerweise als Wollastonit-1T auf. Wollastonit-1T kristallisiert im triklinen Kristallsystem in der Kristallklasse beziehungsweise der Raumgruppe mit sechs Formeleinheiten in der Elementarzelle. Die kristallographischen Daten sind in der Tabelle angegeben. Das einzige Symmetrieelement in der Kristallstruktur ist ein Inversionszentrum (Punktspiegelung im Zentrum der Elementarzelle), daher enthält die Struktur drei kristallographisch unterscheidbare Calcium- und Siliziumatome sowie neun unterschiedliche Sauerstoffatome. Durch das Inversionszentrum werden diese verdoppelt, so dass sich insgesamt sechs Formeleinheiten (6 x CaSiO3) in der Elementarzelle befinden.
| Kristallographische Daten für Wollastonit-1T | ||
|---|---|---|
| Kristallsystem | ||
| Raumgruppe | ||
| Gitterkonstanten der Elementarzelle |
a = 794 pm b = 732 pm c = 707 pm |
α = 90,03° β = 95,37° γ = 103,43° |
| Formeleinheiten | ||
Koordinationsumgebung der Ca2+- und Si4+-Kationen

Wie in fast allen Silikaten wird das Silizium von vier Sauerstoffatomen in Form eines Tetraeders umgeben. Diese SiO4-Tetraeder liegen jedoch nicht isoliert in der Kristallstruktur vor, sondern sind zu Ketten verknüpft (siehe nächster Abschnitt). Die Sauerstoff-Silizum-Abstände liegen zwischen 157 und 166 pm, was den üblichen Abständen in Silikaten entspricht.
Die Calciumatome werden jeweils von sechs Sauerstoffatomen in Form von verzerrten Oktaedern umgeben, die Calcium-Sauerstoffabstände liegen zwischen 227 und 255 pm.
Verknüpfungsmuster der Silikatketten


Obwohl Wollastonit zu den Einfach-Kettensilikaten (Inosilikate) gehört, unterscheidet sich das Verknüpfungsmuster der SiO4-Tetraeder innerhalb der Silikatkette von dem der weitaus häufigeren Pyroxene. Der Unterschied wird im Vergleich von Wollastonit mit dem Pyroxen Enstatit (MgSiO3) deutlich.
Die Verknüpfung der SiO4-Tetraeder erfolgt in allen Kettensilikaten über gemeinsame Tetraederecken, also über gemeinsame Sauerstoffatome. Damit eine Kette entsteht, muss jedes Silizium zwei der Sauerstoffatome seines Tetraeders mit den benachbarten Siliziumatomen teilen, diese Sauerstoffatome „gehören" ihm also nur zur Hälfte. Damit ergibt sich in der Kette ein Silizium-Sauerstoff-Verhältnis von 1:3, was sich auch in der chemischen Formel der Kettensilikate widerspiegelt (Wollastonit: CaSiO3, Enstatit: MgSiO3). Da diese Ketten praktisch unendlich sind, sie werden nur von der Größe des Kristalls begrenzt, werden sie folgendermaßen beschrieben:
Die Ketten können nun durch die Orientierung der SiO4-Tetraeder zueinander weiter unterschieden werden. Während sich im Enstatit und allen anderen Pyroxenen das gleiche Motiv nach zwei Tetraedern wiederholt, wird das Kettenmuster im Wollastonit durch drei Tetraeder vorgegeben. Vereinfacht ausgedrückt zeigen im Enstatit die Tetraeder mit einer Spitze abwechselnd „nach oben" und „nach unten", während im Wollastonit ein Tetraeder mit der Spitze „nach unten" zeigt, die nächsten beiden jedoch „nach oben". Im Fall der Pyroxene spricht man daher auch von einer „Zweierkette", Wollastonit besitzt eine „Dreierkette". Da das zugrunde liegende Motiv der Ketten in Wollastonit aus drei Tetraedern besteht, wird die chemische Formel auch häufig verdreifacht, Ca3[Si3O9], angegeben. Die kompliziertere Anordnung der Tetraeder im Wollastonit erfolgt aufgrund des erhöhten Platzbedarfs der Ca2+-Kationen (Ca2+ ist größer als zum Beispiel Mg2+ oder Fe2+) in der Kristallstruktur.
Gesamtstruktur
Die oben beschriebenen unendlichen (SiO3)2--Ketten verlaufen in der Kristallstruktur von Wollastonit in Richtung [010], das heißt in Richtung der kristallographischen b-Achse. Die [CaO6]-Oktaeder bilden ihrerseits über gemeinsame Kanten ebenfalls Ketten in Richtung der b-Achse. Die Oktaederketten verknüpfen die Silikatketten über gemeinsame Sauerstoffatome in Richtung der a- und c-Achse, wodurch eine dreidimensionale Struktur entsteht.
Verwendung
Wollastonit wird vor allem als Baustoff verwendet. Er wird häufig als Füllstoff oder, aufgrund seines hohen Schmelzpunktes (1540 °C), als Asbest-Ersatz eingesetzt. Wollastonit wird auch technisch durch die Reaktion von Calciumoxid (Branntkalk, CaO) mit Siliziumdioxid (Quarz, SiO2) hergestellt:
Handelsnamen sind neben Wollastonit unter anderem Kemolit, Hycon und Tremin.
Siehe auch
Literatur
- N. L. Bowen, J. F. Schairer, E. Posnjak (1933): The system CaO-FeO-SiO2. American Journal of Science, Series 5, 26, 193-283. (englisch)
- M. J. Buerger, C. T. Prewitt (1961): The crystal structures of wollastonite and pectolite. Proceedings of the National Academy of Sciences, U.S.A., 47, 1884-1888. (englisch)
- W. A. Deer, R. A. Howie, J. Zussman: An Introduction to the Rock Forming Minerals. Prentice Hall, Harlow 1992, ISBN 0582300940 (englisch)
- R. I. Harker, O. F. Tuttle (1956): Experimental data on the P(CO2)-T curve for the reaction: calcite + quartz ↔ wollastonite + carbon dioxide. American Journal of Science, 254, 239-256. (englisch)
- U. Müller: Anorganische Strukturchemie. Teubner, Stuttgart 2004, ISBN 3519335123
- M. Okrusch, S. Matthes: Mineralogie. Springer, Berlin 2005, ISBN 3540238123