Unruhen in Osttimor 2006

Auseinandersetzungen und ethnisch motivierte Kämpfen
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Lage Osttimors.

Die Unruhen in Osttimor 2006 entzündeten sich am Protest von Soldaten, die aus dem Westen des Landes stammen. Vor allem in der Landeshauptstadt Dili kam es zu Morden und Plünderungen, weswegen mehrere Staaten über 2.000 Soldaten nach Osttimor schickten um die öffentliche Ordnung wieder herzustellen. Schließlich trat Premierminister Marí Alkatiri auf Druck der Öffentlichkeit zurück.

Hintergründe

Wirtschaftliche Probleme

In der Bevölkerung machte sich schon länger immer mehr der Unmut über die fehlenden Verbesserungen der Situation breit. Osttimor ist das ärmste Land Asiens und vollständig abhängig von ausländischer Hilfe. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, das Wirtschaftswachstum niedrig und die regierenden Politiker stehen in der Kritik. Die Reichtümer aus den Gas- und Erdölvorräten konnten bisher noch nicht ausgebeutet werden, um die leeren Staatskassen zu füllen.

Die kulturelle Spaltung des Landes

siehe auch: Artikelabschnitt Sprachen_und_Volksgruppen im Artikel Osttimor

 
Die kulturellen Regionen Osttimors: Loro Munu (rosa) und Loro Sae (rot).

Die Unruhen von 2006 haben, trotz der starken Nationalbewegung aus der das Land entstand, eine Teilung des Landes in einen Ost- und einen Westteil wieder hervortreten lassen, die seit der Kolonialzeit besteht und einen deutlichen Einfluss auf das alltägliche Leben in Osttimor hat. Die westliche Bevölkerung aus Loro Munu wird Kaladi, die östliche aus Loro Sae wird Firaku genannt. Der Osten besteht aus den Distrikten Lautém, Baucau, Viqueque und Manatuto. Die Firaku sehen sich als diejenigen, die durch ihren langen Widerstand die indonesische Besatzungsmacht besiegt haben. Zu den Firaku gehören wichtige osttimoresische Persönlichkeiten aus dem Militär und der Präsident Xanana Gusmão.

Loro Munu besteht aus den Distrikten Dili, Aileu, Ainaro, Same, Ermera, Bobonaro, Suai, Liquiçá und Oecussi-Ambeno. Dem Westen werfen die Firaku vor mit den Indonesiern sympathisiert zu haben. Viele der Polizisten, die die Indonesier rekrutiert haben, waren Kaladi. Die UN und das unabhängige Osttimor hat die meisten dieser Polizisten in ihren Dienst übernommen. Der schwellende Konflikt zwischen Polizei und Militär resultiert daraus. Dili als Schmelztiegel der verschiedenen Ethnien und Gruppen des Landes ist Schauplatz von regelmäßigen Straßenkämpfen zwischen Banden aus dem Osten und dem Westen.

Der Premierminister Alkatiri und Präsident Gusmão

 
Marí Bin Amude Alkatiri
 
Xanana Gusmão

Der damalige Premierminister Marí Bin Amude Alkatiri ist Muslim, was in weiten Teilen der mehrheitlich katholischen Bevölkerung Erinnerungen an die frühere indonesisch-muslimische Herrschaft weckt. Alkatiri stammt von jemenitischen Einwanderern ab. Während der Besatzungszeit (1975-1999) lebte er im Exil im sozialistischen Mosambik. Kritiker werfen ihn vor, dass er sich nicht dem Kampf gegen die Besatzer im Land ausgesetzt hat. Außerdem wird vermutet, dass dies der Grund für Alkatiris linksorientierte und tendenziell anti-westlicher Politik ist. Sowohl militärisch, als auch wirtschaftlich verstärkte er die Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China und den linksregierten Staaten Südamerikas. Damit stand er im Konflikt mit dem zur liberalen Mitte gehörenden Präsidenten Xanana Gusmão, obwohl beide zur Regierungspartei FRETILIN gehören.. Alkatiri gilt als kalter Technokrat, während Gusmão als Volksheld verehrt wird. Unterstützung hatte Alkatiri hauptsächlich durch die Polizei, während große Teile der Verteidigungskräfte Osttimors (FDTL) loyal zu Gusmão stehen, von denen die meisten ehemalige Kämpfer der Rebellengruppe FALINTIL sind, die Widerstand gegen die Indonesier geleistet hatten.

Der Auslöser der Unruhen

Am 8.Februar 2006 desertierten 404 der etwa 1.600 Soldaten der FDTL. Weitere 177 Soldaten schlossen sich ihnen am 25. Februar an. Anführer der Gruppe war Leutnant Gastao Salsinha. Sie protestierten damit gegen die schlechten Arbeitsbedingungen und Beförderungsregelungen. Premierminister Alkatiri wurde beschuldigt, er würde Firaku aus dem Osten des Landes bei den Beförderungen bevorzugen. Im März verweigerten die Soldaten eine Aufruf zur Rückkehr in die Kasernen. Später schlossen sich noch einige Polizisten den Soldaten an. Premierminister Alkatiri entließ daraufhin die Deserteure aus den Streitkräfte.

Außenminister José Ramos-Horta kündigte Anfang April an, dass ein Ausschuss eingesetzt werden sollte, der die Beschwerden der ehemaligen Soldaten anhören sollte. Allerdings betonte er, dass „sie nicht mehr in die Armee zurückkehren könnten. Ausnahme sollen von Fall zu Fall entschieden werden, wenn die Verantwortung jedes Einzelnen bei diesem Vorfall geklärt ist“.


Dabei drohte deren Sprecher und ehemaliger Marinechef Major Alfredo Alves Reinado mit einem neuen Guerillakrieg, sollten keine Verbesserungen erzielt werden. Er forderte den Rücktritt Alkatiris, bezeichnet sich aber als loyal zu Präsident Gusmão. Zusammen mit 20 Militärpolizisten desertierte Reinado am 4. Mai und schloss sich den Rebellen an. Vier Menschen verloren bei den Protesten das Leben, viele wurden verletzt und Dutzende Häuser wurden verwüstet.

Ausbruch der Gewalt

Am 24. April demonstrierten die ehemaligen Soldaten mit zivilen Unterstützer (zumeist arbeitslose Jugendliche) in den Straßen von Dili. Insgesamt 3.000 protestierten gegen die Entlassung der Soldaten und forderten den Rücktritt Alkatiris. Der ursprünglich friedliche Protest schlug in Gewalt um, als die Soldaten einen Markt angriffen, der von Firaku geführt wurde.

Die Proteste gingen bis zum 28. April weiter bis es zum Zusammenstoß zwischen den Deserteuren und den FDTL kam, die in die Menge schossen.. In den darauf folgenden Ausschreitungen starben fünf Menschen, mehr als 100 Häuser wurden niedergebrannt und etwa 21.000 Bewohner Dili flohen aus der Stadt.

Am 4. Mai desertierte Major Alfredo Alves Reinado zusammen mit 20 in Australien ausgebildeten Militärpolizisten, vier Polizisten und zwei Lastwagen voller Waffen und Munition. Der aus dem Westen des Landes stammende ehemalige Chef der Marine schloss sich den Rebellen an und schlug im Ort Aileu südwestlich von Dili sein Hauptquartier auf. Hier kontrollierten seine Leute die Bergstraße.

Reinado forderte Präsident Xanana Gusmão auf, den Marí Bin Amude Alkatiri zu entlassen und vor Gericht zu stellen. Reinado behauptet, Alkatiri habe am 28. April befohlen auf die unbewaffnete Demonstranten zu schießen. Als Militärpolizist habe Reinado Colonel Lere Anan Timor, den Stabschef von Brigadegeneral Taur Ruak zu einer Besprechung mit Alkatiri begleitet. Danach habe der Colonel gesagt, er habe bereits den Befehl zum Einsatz erhalten. Falls Alkatiri nicht entlassen werden würde, drohte Reinado mit einem Bürgerkrieg. Gegenüber Präsident Xanana Gusmão nannte sich Reinado aber loyal.

Am Abend des 5. Mai veröffentlichten die ehemaligen Soldaten unter der Führung von Leutnant Salsinha eine Erklärung, in der sie von Präsident Gusmão eine Entlassung Alkatiris und die Auflösung der FDTL innerhalb der nächsten 48 Stunden forderten. Zuvor hatte Salsinha einen Kontaktversuch Gusmãos mit den Worten beantwortet, es sei jetzt „zu spät“.

Unter den Bewohnern von Dili kam es zu einer Panik. 75 % der Bevölkerung floh in die nahen Berge, als sich Gerüchte von neuen Kämpfen über SMS verbreiteten. Diese blieben jedoch zunächst aus. Die Regierung rief zur Ruhe auf und die Flüchtlinge begannen einige Tage später wieder in die Stadt zurückzukehren. "Die Demokratie in unserem Land ist noch jung", so Außenminister José Ramos-Horta, "die Menschen reagieren ängstlich auf Geschehnisse". Ausländische Botschaften gaben Sicherheitswarnungen heraus und zogen ihr Personal ab. Premierminister Alkatiri kündigte Untersuchungen der Vorwürfe der Desertierten an und bot ihnen an, rückwirkend ab März wieder Gehälter an sie auszuzahlen, wenn sie einlenken würden.

Am 8. Mai wurde ein Polizist getötet, als etwa 1.000 Menschen das Büro eines regionalen Staatssekretärs außerhalb Dilis stürmten. Am 9. Mai bezeichnete Premierminister Alkatiri die Gewalt als Staatsstreich, der die demokratischen Institutionen behindern wolle bis die einzige Lösung die Auflösung des Parlamentes durch den Präsidenten wäre, wodurch die Regierung gestürzt werden würde. Am 10. Mai gab Alkatiri aber bekannt, dass die Regierung offizielle Verhandlungen mit den Rebellen führen würde. Den ehemaligen Soldaten wurde angeboten, dass sie eine Unterstützung für ihre Familien entsprechend des vorherigen Soldes bekommen würden.

Die Friedenstruppen der Vereinten Nationen hatten Osttimor am 20. Mai 2005 nach sechs Jahren verlassen. Zurück blieben nur einige Verwaltungsbeamte und UN-Polizei des United Nations Office in Timor Leste (UNOTIL), die ursprünglich am 20. Mai 2006 das Land verlassen sollten. Am 11. Mai wurde ihr Abzug aber auf Juni verschoben. Die Entscheidung folgte einer Anfrage durch Außenminister Ramos-Horta an den Hohen Kommissar für Menschenrechte. Die UN sollte Menschenrechtsverletzungen durch die osttimoresischen Polizeikräfte untersuchen, die Human Rights Watch und das United States Department of State angeblich beobachtet hatten.

Mitte Mai eskalierte die Gewalt erneut. In den folgenden Wochen blieben die Rebellen in den Hügeln bei der Hauptstadt, wo sie sich immer wieder mit FDTL-Truppen heftige Feuergefechte lieferten. Diese forderten viele Tote und Verletzte. Major Reinado verübte mehrere Angriffe auf die Hauptstadt Dili, darunter eine am 23. Mai bei der ein Soldat getötet und sechs weitere verletzt wurden. Zusätzlich erschwerten nun plündernde Banden in Dili und ausbrechende ethnische Konflikte die Situation. Die Bevölkerung floh in Kirchen in und Flüchtlingslager außerhalb der Stadt. Eine Kirche allein nahm 7.000 Flüchtlinge auf.

Da die Regierung Osttimors die Lage nicht mehr unter Kontrolle bringen konnte, musste sie erneut um internationale Hilfe bitten. Am 25. Mai traf ein australisches Vorauskommando in Dili ein, um den internationalen Flughafen abzusichern. Australien entsandte in der Operation Astute drei Kriegssschiffe und über 2.000 Soldaten mit vier Black Hawk-Hubschraubern und gepanzerten Fahrzeugen. Auch aus Malaysia (500 Mann), Neuseeland (160) und Portugal (120) wurden Soldaten und Polizisten nach Osttimor geschickt. Während die revoltierenden Soldaten unter Major Agosto De Araujo am 29. Mai Friedensgespräche angeboten haben, plündern bewaffnete Jugendbanden in Dili weiter trotz internationaler Truppen.

Machtkampf zwischen Premierminister und Präsident

Präsident Gusmão rief am 30. Mai den nationalen Notstand aus und übernahm das Oberkommando über Polizei und Streitkräfte. Er rief in einem verzweifelten Appell zur Ruhe auf: „Setzen Sie keine Häuser in Brand, üben Sie keine Gewalt aus!“. Premierminister Alkatiri widersetzte sich der Übernahme und betonte, dass Verteidigung und innere Sicherheit immer noch Angelegenheit der Regierung ist. Beobachter sprachen von einem Machtkampf zwischen Präsident und Premierminister. Inzwischen forderten hunderte Demonstranten den Rücktritt von Premierminister Alkatiri, den sie für das Chaos verantwortlich machen. Der ehemalige Unabhängigkeitskämpfer Gusmão ist dagegen weiterhin sehr beliebt.

In Maubisse kam es am 11. Juni 2006 zu weiteren Unruhen. Der Ort gilt als eine Hochburg der aus den Streitkräften entlassenen rebellischen Soldaten. Hunderte Menschen gingen auf die Strassen. Als ein Mann unter zunächst ungeklärten Umständen eine Stichwunde erlitt, begannen zwei rivalisierende Gruppen von Demonstranten sich Strassenkämpfe zu liefern. Polizisten feuerten in die Luft und drohten mit dem Einsatz einer Granate. Gleichzeitig fielen auch in der Menge Schüsse, so dass die Demonstranten schliesslich in Panik flohen.

Am 20. Juni beschloss der Weltsicherheitsrat erneut eine Friedenstruppe nach Osttimor zu schicken, die die ausländischen Truppen bis zum 20. August ablösen soll.

Am Tag darauf eskalierte der Machtkampf. Präsident Gusmão forderte Premierminister Alkatiri auf bis zum Abend des 27. Juni zurückzutreten. Alkatiri soll Todesschwadronen auf politische Gegner gehetzt haben. Gusmão verwies dabei auf einen Bericht des autralischen Fernsehsenders ABC, der Alkatiri beschuldigt in Waffenverteilungen an Zivilisten verwickelt zu sein. Auch den ehemalige Innenminister und Vertraute Alkatiris Rogerio Lobato wurde in diesen Zusammenhang beschuldigt. Gegen ihn erging Haftbefehl. Der oberste Staatsanwalt Longuinhos Monteiro betonte, gegen Alkatiri gäbe es keine Beweise. Die Anschuldigungen wurden von Colonel Railos, dem Chef der durch Lobato bewaffneten Miliz erhoben, nachdem bekannt wurde, dass der oberste Polizeichef Osttimors Paulo Martins Alkatiri über die Bewaffnung der Zivilisten durch den Innenminister informierte. Diese sei, laut Staatsanwaltschaft, auch durch Beweise dokumentiert. Alkatiri seien keine Vorwürfe zu machen, dass sein Polizeichef ihn darüber informiert habe. Staatsanwalt Monteiro drohte aber Colonel Railos, dass ihm und seiner Miliz weitere Strafen drohen würden für den Besitz von illegale Waffen.

Am 25. Juni traten Außenminister und Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta und der Minister für Transport, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit Ovidio Amaral von allen ihren politischen Ämtern zurück. Damit protestierten sie gegen die Entscheidung der FRETILIN an Premierminister Alkatiri festzuhalten. Einen Tag später gab Alkatiri auf, nahm die Verantwortung für die Unruhen auf sich und erklärte seinen Rücktritt. Auf den Straßen Dilis kam es zu Freudenbekundungen.

Seit Ausbruch der Unruhen sind mindestens 30 Menschen ums Leben gekommen, 130.000 sind auf der Flucht

Quellen

Deutschsprachige Quellen:

Englischsprachige Quellen:“