Vitale Falier

Doge von Venedig
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Vitale Falier (* 1. Hälfe 11. Jahrhundert in Venedig; † Dezember 1096 ebenda), auch genannt Vital Faliero de' Doni, regierte von Dezember (?) 1084 bis Dezember 1096 als Doge von Venedig. Nach der historiographischen Tradition, wie die staatlich gesteuerte Geschichtsschreibung Venedigs genannt wird, war er der 32. Doge. Während seiner Regierungszeit festigte sich Venedigs politische und wirtschaftliche Macht in der Adria, die Expansion der süditalienischen Normannen wurde vorläufig aufgehalten. Der Doge versuchte sich im Streit zwischen Kaiser Heinrich IV. mit dem Reformpapsttum unter Papst Gregor VII. neutral zu verhalten. Die Grabeskirche des Apostels Markus wurde 1095, im Jahr nach der Weihung, vom in Bedrängnis geratenen römisch-deutschen Kaiser besucht, der eine Tochter des Dogen aus der Taufe hob und Venedig ein weitreichendes Privileg für seinen Handel ausstellte.

Wappen dess „Vidal Falier“ nach Vorstellungen des 17. Jahrhunderts

Herkunft und Familie

Die Falier waren eine der ältesten Familien Venedigs. Schon in der ältesten Liste der adligen Häuser Venedigs, die Mitte des 10. Jahrhunderts entstand, zählen die Falier zu den „antiquiores et nobiliores Veneticos“. Wie zahlreiche andere Angehörige des Clans trug er den Beinamen Dedoni oder Dedonis. So trägt ein dogales Dokument von 1094 die Unterschrift „Giovanni Faletro Dedonis“, Consigliere des Dogen, oder auch „Dominicus Faletro Dedonis“, „Dominicus Faletro“ und „Costantin Faletro“. Dieser Beiname kennzeichnete einen bestimmten Zweig der Familie. Die älteste Geschichtsschreibung Origo civitatum, Andrea Dandolo) belegt, dass Ordelaffo Falier, der spätere Doge, Sohn des Falier war. Das einzige, was zu seiner Familie als gesichert gilt, ist eine Tochter, die von Heinrich IV. aus der Taufe gehoben wurde. Von seiner Tätigkeit vor 1084 ist nichts weiter bekannt. Wahrscheinlich war er Consiliarius, gehörte also zum engsten Beraterkreis des Dogen.[1]

Dogenamt

Falier, der laut Andrea Dandolo die treibende Kraft bei dem Aufstand gegen seinen Vorgänger Domenico Selvo gewesen war, wurde wahrscheinlich im Dezember 1084 zum Dogen gewählt. Seine Herrschaft war sowohl durch außenpolitische Erfolge als auch durch schwere innenpolitische Probleme gekennzeichnet, die in seinen letzten Jahren zunahmen.

Vom Beginn seiner Regierung an war Falier wie sein Vorgänger in militärische Auseinandersetzungen mit den Normannen unter der Führung Robert Guiscards verwickelt, der gegen Byzanz bis 1071 um die Vorherrschaft in Süditalien und ab etwa 1080 in der Adria kämpfte, und der plante, das Reich zu erobern. Zudem hatte er sich mit Papst Gregor VII. verbündet, der wiederum mit Kaiser Heinrich IV. im Investiturstreit stand. Venedig kämpfte auf Seiten des byzantinischen Kaisers, der Venedig im Mai 1082 ein überaus weit reichendes Handelsprivileg eingeräumt hatte.[2] Doch 1084 wurde Faliers Vorgänger nach einer schweren Niederlage der Flotte gestürzt, nach Andrea Dandolo auf Betreiben Faliers. Die Politik seines Vorgängers änderte der neue Doge jedoch in keiner Weise. Die Normannen, geschwächt von einer Epidemie, an der im Dezember 1084 Roberts Sohn Bohemund so schwer erkrankte, dass er nach Süditalien heimkehren musste, setzte Robert Guiscards Leben im Juli 1085 ein Ende. Noch 1085 gelang Vitale Falier bei Butrint ein entscheidender Sieg gegen die Normannen.

Der byzantinische Kaiser Alexios Komnenos, an dessen Hof Falier nach seiner Wahl drei Gesandte geschickt hatte, zeichnete den neuen Dogen für seine Hilfe mit dem Titel eines protosebastos (proto=primo/der erste, sebastos = augustus) aus und wenig später mit dem eines dux Venetiarum atque Dalmaciae, wenn auch nur ein schmaler Küstenstreifen Dalmatiens der Herrschaft der Venezianer unterstand, während der größte Teil des ehemals kroatischen Territoriums von Ungarn annektiert worden war. Wahrscheinlich erreichten die drei Gesandten auch die Bestätigung des Privilegs von 1082, das bald seine Wirkung auf den Handel entfaltete. Der Titel des protosebastos taucht 1089 in einer Urkunde auf, als der Doge dem Kloster Ss. Secondo ed Erasmo Salinen schenkte – eine Möglichkeit der Gewinnung von Meersalz, das wiederum für die Wirtschaft Venedigs von erheblicher Bedeutung war und staatlich monopolisiert wurde. Den besagten Titel eines Dogen von Venedig und Dalmatien trug, wie Vittorio Lazzarini nachweisen konnte, in keiner einzigen Urkunde, wohingegen den vollständigen Titel sein Nachfolger beanspruchte.

Im Investiturstreit versuchte sich Falier nach dem Normannenkrieg neutral zu verhalten. Im März 1095 erschien jedoch Kaiser Heinrich IV. in Padua, im Juni im nahe gelegenen Mestre, wo er dem venezianischen Frauenkloster San Zaccaria ein Privileg ausstellte. Kurz zuvor war eine Verwandte des Dogen, Maria Falier, dort Äbtissin geworden. Im Mai hielt sich der Kaiser in Treviso auf, wo er Gesandte des Dogen empfing. Diese luden ihn wohl nach Venedig ein. Der Kaiser hob dort eine namentlich nicht genannte Tochter des Dogen aus der Taufe und kehrte nach Treviso zurück, wo er die Privilegien der Stadt erneuerte, die seit karolingischer Zeit von den meisten Herrschern des Römisch-deutschen Reiches bestätigt worden waren. In dieser Urkunde betonte Heinrich die engen Beziehungen zu Falier in der Rolle des Taufpaten seiner Tochter. Heinrich war auf der dringenden Suche nach Verbündeten, was möglicherweise der Grund war, warum er den Venezianern sehr weitgehende Konzessionen machte. Waren aus dem Reich mussten nunmehr in Venedig gelagert werden (Stapelzwang), bevor sie ostwärts weiterverkauft werden durften. Es dürfte kein Zufall sein, dass der Doge den Ausbau und die Befestigung von Loreo, nahe der Etsch gelegen, im Jahr 1094 neu organisierte. Das Privileg Heinrichs ergänzte das Privileg Alexios' von 1082 und brachte dem Handel Venedigs enorme Vorteile.

Die von seinen Vorgängern Domenico I. Contarini und Domenico Selvo betriebene Ausstattung von San Marco mit Mosaiken war inzwischen vollendet, und die Kirche konnte 1094 geweiht werden. Da die Reliquien des Evangelisten Markus seit dem schweren Brand von 976 verschollen waren, baten Doge, Klerus und die Gemeinde mit Fasten und Beten um das Wiedererscheinen des Stadtpatrons. Auf wundersame Weise öffnete sich, so die Geschichtsschreibung, eine Marmorsäule neben dem Altar und der bronzene Sarkophag des Heiligen kam zum Vorschein. Er wurde jedoch sofort wieder an einen geheimen Ort gebracht, nämlich am 8. Oktober 1094, einen Ort, der nur dem Dogen und den Prokuratoren von San Marco bekannt war. Das Grab blieb für die nächsten Jahrhunderte verborgen. Erst 1811 entdeckte man bei Ausgrabungen in der Krypta zufällig ein Skelett sowie eine Bleitafel mit der Zahl 1094, dem Jahr, in dem die Basilika geweiht worden war. Die legendenhaften Ereignisse um das Wiedererscheinen des Apostels trugen entscheidend zur Festigung des Markuskults in Venedig bei.

Die letzten Jahre des Dogen boten eher Anzeichen einer Krise. Die Geschichtsschreiber berichten von Erdbeben, Überschwemmungen, Teuerungen und Hungersnot, und infolgedessen von Aufständen. In der Stadt wuchs die Unzufriedenheit mit dem Dogen, dem man die Schuld an allem Unheil zuschob, ähnlich wie seinem Vorgänger. Als Falier an Weihnachten starb, war er nur knapp seiner Entmachtung entgangen. Er wurde zu Weihnachten im Atrium von San Marco begraben, wahrscheinlich im Jahr 1096. Roberto Cessi datiert sein Todesjahr allerdings auf 1095. Die älteren Chronisten geben nur die Dauer seiner Herrschaft an, und zwar mit einigen Abweichungen, nämlich elf Jahre und drei Monate nach den Annales Venetici breves, elf Jahre, sieben Monate und zehn Tage nach der Origo civitatum, hingegen zwölf Jahre nach Andrea Dandolo. Spätere Chroniken berichten davon, dass das Volk Vitale Falier die Schuld an der Hungersnot gegeben habe, und so hätte es sein Grab geschändet. Dieses ist das älteste erhaltene Dogengrabmal in Venedig, seine heutige Form gehört aber wahrscheinlich dem 13. Jahrhundert an.

Quellen

  • Henry Simonsfeld (Hrsg.): Annales Venetici breves, in: Monumenta Germaniae Historica, Scriptores, XIV, hgg. v. G. Waitz, Hannover 1883, S. 70.
  • Dietrich von Gladiß, Alfred Gawlik (Hrsg.): Diplomata Henrici IV, in: Monumenta Germaniae Historica, Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, VI, 1–3, Berlin, Wien 1941–1978, n. 417, 442, 445.
  • Marco Sanudo: Le vite dei dogi, hgg. von Giovanni Monticolo, (= Rerum Italicarum Scriptores XXII,4), 2. Aufl., S. 156–161.
  • Ester Pastorello (Hrsg.): Andrea Dandolo, Chronica per extensum descripta aa. 460-1280 d.C., (= Rerum Italicarum Scriptores XII,1), Nicola Zanichelli, Bologna 1938, S. 217–220, 224, 255.
  • Gottlieb Lukas Friedrich Tafel, Georg Martin Thomas (Hrsg.): Urkunden zur älteren Handels- und Staatsgeschichte der Republik Venedig, Wien 1856, in: Fontes Rerum Austriacarum, Abt. II. Diplomataria et Acta, 3 Bde., Bd. 1: 814–1205, Wien 1856, n. XXIII–XXV, S. 43–63 (Digitalisat).
  • Roberto Cessi (Hrsg.): Origo civitatum Italiae seu Venetiarum (Chronicon Altinate et Chronicon Gradense), Rom 1933 (= Fonti per la storia d'Italia, LXXIII), S. 29, 47, 120, 143, 147, 158.
  • Luigi Lanfranchi (Hrsg.): Famiglia Zusto, Venedig 1955, n. 1, 3.
  • Eva Malipiero Ucropina (Hrsg.): Ss. Secondo ed Erasmo, Venedig 1958, n. 1.
  • Bernard Leib (Hrsg.): Anna Comnène, Alexiade, 3 Bde., Bd. II, Paris 1967, S. 54 f.
  • Luigi Lanfranchi (Hrsg.): S. Giorgio Maggiore, Bd. II, Venedig 1968, n. 69.

Literatur

  • Irmgard Fees: Falier, Vitale, in: Dizionario Biografico degli Italiani 44 (1994) (bildet die Grundlage für den darstellenden Teil).
  • Giorgio Cracco: Venezia nel Medioevo dal secolo XI al secolo XIV. Un altro mondo, Turin 1986, S. 34 f.
  • Roberto Cessi: Politica, economia, religione, in Storia di Venezia, Bd. II, Venedig 1958, S. 319, 325–331.
  • Cinzio Violante: Venezia fra Papato e Impero nel secolo XI, , in: La Venezia del Mille, Florenz 1965, S. 45–84.
  • Silvano Borsari: Il crisobullo di Alessio I per Venezia, in Annali dell'Istituto italiano per gli studi storici II (1969–70) 111–131.
  • Vittorio Lazzarini: I titoli dei dogi di Venezia, in: Scritti di paleografia e diplomatica, Padua 1969, S. 203–209.
  • Ernesto Sestan: La conquista veneziana della Dalmazia, in: La Venezia del Mille, Florenz 1965, S. 87–116.
  • Otto Demus: Zwei Dogengräber in S. Marco, Venedig, in: Jahrbuch der Österreichischen Byzantinischen Gesellschaft V (1956) 41–59.
Commons: Vitale Falier – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Andrea Da Mosto: I dogi di Venezia, ND, Giunti, Florenz 2003, S. 54.
  2. Roman Deutinger: Vom toten Winkel auf die Bühne. Heinrich IV. in Venedig, in: Romedio Schmitz-Esser, Knut Görich, Jochen Johrendt (Hrsg.): Venedig als Bühne. Organisation, Inszenierung und Wahrnehmung europäischer Herrscherbesuche, Regensburg 2017, S. 67–78.
VorgängerAmtNachfolger
Domenico SelvoDoge von Venedig
1084–1096
Vitale Michiel I.