Unter Dividendenstripping wird börsentechnisch die Kombination aus dem Verkauf einer Aktie kurz vor dem Termin der Dividendenzahlung und Rückkauf derselben Aktie kurz nach dem Dividendentermin verstanden.
Inländischen Aktionären steht eine Steuererstattung zu, ausländischen nicht. Banken haben daraus ein Geschäft gemacht. Sie kaufen die Aktien ausländischer Kunden kurz vor Auszahlung der Dividende und verkaufen sie danach sofort zurück. Bei diesen als Cum-Ex bezeichneten Geschäften kam es in der Vergangenheit in großem Umfang zu bewusst herbeigeführter mehrfacher Erstattung von nur einmal abgeführter Kapitalertragssteuer. Ob hierbei der Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt wurde oder eine legale Steuergestaltung genutzt wurde, wird von den Beteiligten immer wieder als „umstritten“ dargestellt. Nach Ansicht der deutschen Bundesregierung sind die Geschäfte illegal. Sie sind Gegenstand zahlreicher staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren.[1]
Seit 1992 wissen deutsche Behörden, dass Banken und Investoren mit den Cum/Ex-Geschäften den Fiskus schädigen.[2]
Eine ebenfalls zu Lasten des deutschen Steuerzahlers gehende Form des Dividendenstrippings sind Cum/Cum-Geschäfte oder Cum-Cum-Trades zur Umgehung der Kapitalertragssteuer für ausländische Anleger.
2018 wurden die sogenannten CumEx-Files nach einer investigativen Recherche von 19 europäischen Medien unter Leitung des Recherchezentrums Correctiv veröffentlicht. Danach beläuft sich der Schaden für die Steuerzahler aus Deutschland und mindestens zehn anderen europäischen Ländern durch Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäfte auf mindestens 55,2 Milliarden Euro, davon mehr als 31 Milliarden Euro Schaden für die deutschen Steuerzahler. Auch habe es die deutsche Bundesregierung über Jahre hinweg unterlassen, ihre europäischen Partnerländer zu warnen, obwohl das Bundesfinanzministerium mindestens seit 2002 von den illegalen Machenschaften wusste.
Recherchen in der Finanzindustrie belegen, dass die Geschäfte bis heute weitergehen (Stand Oktober 2018).[3]
Aktienrechtliche Grundlagen
Beschließt die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft die Höhe der zu zahlenden Dividende, so erfolgt die Dividendenzahlung meist am Tag nach der Hauptversammlung, dem so genannten Ex-Tag. Die Aktie erhält dann auf dem Kurszettel den Kurszusatz „ex Dividende“ (abgekürzt auch „xD“, „exD“ oder „exDiv“). Anspruch auf Dividende hat ein Aktionär nur, wenn seine Aktie am letzten Tag vor dem Ex-Tag in seinem Depotkonto verbucht war. Dieser letzte Tag vor dem Ex-Tag wird auch Cum-Tag genannt. Bei Aktienerwerb am Ex-Tag selbst besteht kein Dividendenanspruch mehr. Am Ex-Tag erfolgt im Idealfall ein rechnerischer Abschlag vom Börsenkurs in Höhe der Bruttodividende. Mit dem Dividendenanspruch ist untrennbar der Steueranrechnungsanspruch für inländische Steuerpflichtige verbunden.
Steuerrechtliche Auswirkungen
Verkauft ein Aktieninhaber eine Aktie kurz vor dem Dividendentermin und kauft die Aktie kurz nach dem Dividendentermin wieder zurück, wandelt er einen Dividendenertrag in einen Kursgewinn um. Eine derartige Transaktion ist zwischen einem inländischen und einem ausländischen Investor sinnvoll. Da der Ausländer nicht dem deutschen Steuerrecht unterliegt, kann er nicht ohne Weiteres eine Steuergutschrift beantragen; die Bescheinigung für die bereits abgeführte Dividende bringt ihm keine Steuervorteile. Deshalb verkauft der Ausländer seine deutschen Aktien vor dem jeweiligen Ausschüttungstag an einen Inländer. Der Inländer vereinnahmt die Dividende nebst Steuergutschriftsanspruch und verkauft die Aktien danach zurück an den Ausländer zum niedrigeren Kurs – abzüglich der Dividende. Damit bezahlte der Inländer den ausländischen Anteilseignern über den Marktpreis der Anteile den Wert des Anrechnungsanspruchs. Statt einer Dividende realisiert der Ausländer einen Kursgewinn (höherer Verkaufskurs abzüglich niedrigerem Rückkaufskurs).
Bis zur Einführung der Abgeltungssteuer war das Dividendenstripping auch für inländische Privatanleger vorteilhaft, da Kursgewinne außerhalb der Spekulationsfrist nicht der Einkommensteuer unterlagen.
Anwendbarkeit der Missbrauchsregelung des § 42 AO
Der Bundesfinanzhof (BFH) war Ende der 1990er Jahre von der Rechtmäßigkeit eines Dividendenstrippings ausgegangen.[4] Die Finanzverwaltung hat jedoch durch einen Nichtanwendungserlass diese Rechtsprechung auf den entschiedenen Fall beschränkt, so dass sie nicht auf vergleichbare künftige Fälle auszudehnen ist.[5] Der BFH hat dagegen noch 2007 seine Rechtsprechung zum Dividendenstripping bestätigt.[6] Danach erlange bei der Veräußerung von alten Aktien (Cum-Dividende) der Erwerber auch dann wirtschaftliches Eigentum an diesen, wenn er noch am selben Tag junge Aktien desselben Emittenten (Ex-Dividende) an den Veräußerer der alten Aktien verkauft. Gleiches gilt beim Ankauf von Aktien (Cum-Dividende) und anschließendem zeitnahen Rückverkauf gleicher oder gleichwertiger Aktien (Ex-Dividende).[7] Inzwischen hat auch der BFH in einem Urteil das wirtschaftliche Eigentum des Erwerbers abgelehnt.[8]
Der BFH hatte auch entschieden, dass beim Dividendenstripping die allgemeine Missbrauchsregel des § 42 AO nicht anwendbar sei und durch die speziellere verschärfte Missbrauchsregel des § 50c EStG („Börsenklausel“) überlagert werde. Trotz dieser Verschärfung der Börsenklausel blieb das Dividendenstripping insbesondere für ausländische Aktionäre attraktiv. Einerseits war die zehntägige Abstandsfrist des § 50c Abs. 10 EStG selbst bei volatilen Börsenkursen kein Hindernis für ein Kopplungsgeschäft. Andererseits wurde bei einem Verstoß nicht die Körperschaftsteueranrechnung versagt, sondern lediglich ein Sperrbetrag für zehn Jahre gebildet (§ 50c Abs. 1 EStG). Spätestens dann wirkte sich der Kursverlust in Höhe der Dividendenberechtigung in der Bilanz des Käufers aus.[9] Da die Börsenklausel des § 50c EStG vollständig entfallen ist, tritt jetzt wieder die allgemeine Missbrauchsnorm des § 42 Abs. 2 AO in den Vordergrund.
Cum/Ex-Geschäfte
War der Verkäufer der Aktie ein Leerverkäufer, der die Aktie erst nach Dividendentermin tatsächlich erwirbt, konnte es vorkommen, dass gleich zwei Aktionäre – nämlich der ursprüngliche Inhaber und der Käufer des Leerverkäufers – eine Bescheinigung und damit einen Anspruch auf eine Steuergutschrift erhielten. Als Konsequenz erstatteten die Finanzämter mehr Steuern, als sie zuvor eingenommen hatten.[10][11]
Beispiel: Leerverkäufer „LV“ veräußert vor dem Dividendenstichtag Aktien (Cum) zum Kurswert von 100 € an den Leerkäufer „LK“. Die Aktiengesellschaft beschließt, eine Bruttodividende je Aktie in Höhe von 10 € zu zahlen. Nach dem Dividendenstichtag erwirbt LV die Aktien ohne Dividende (Ex) von X zum geminderten Kaufpreis in Höhe von 90 € und überträgt diese an LK. Zusätzlich leistet er an LK eine Kompensationszahlung in Höhe der Nettodividende von 7,50 €. LK erhält genauso wie X eine Steuerbescheinigung in Höhe von 2,50 € und wird damit so gestellt, als habe er wie vereinbart die Aktie mit Dividendenanspruch erworben. Im Ergebnis macht LV einen Gewinn in Höhe der doppelt bescheinigten Kapitalertragssteuer. Hätte LK die Aktien direkt von X erworben, wäre durch einen Sperrvermerk im Depot von X die doppelte Bescheinigung verhindert worden. Im Fall des Leerverkaufs war aus Sicht der bescheinigenden Depotbanken die Dividenden-Kompensationszahlung nicht von einer Nettodividende zu unterscheiden.
Mehrfache Steuerbescheinigung
Die mehrfache Bescheinigung der Kapitalertragssteuer resultiert aus § 45a Abs. 3 S. 1 EStG auf Seiten der depotführenden Bank des ursprünglichen Aktieninhabers und aus § 45a Abs. 3 S. 2 EStG auf Seiten der Depotbank des vom Leerverkäufer Erwerbenden. Die doppelt bescheinigte Kapitalertragssteuer sollte die depotführende Bank des Leerverkäufers ab 2007 gemäß der Neuregelung des § 44 Abs. 1 S. 3 EStG bei diesem einziehen und an das Finanzamt weiterleiten. Diese Regelung konnte der Leerverkäufer umgehen, indem er sich einer ausländischen Bank, die nicht zum inländischen Kapitalertragsteuereinbehalt verpflichtet ist, bediente.
Mehrfache Anrechnung
Rechtlich unklar ist, ob der vom Leerverkäufer Erwerbende die Erstattung der ihm ebenfalls bescheinigten Kapitalertragssteuer beim Finanzamt beantragen durfte. Gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG ist die erhobene Kapitalertragssteuer anrechenbar, soweit sie auf Einkünfte entfällt, die im Rahmen der Veranlagung erfasst wurden oder nach bestimmten Steuerbefreiungsvorschriften (§ 3 Nr. 40 EStG oder § 8b KStG) außer Ansatz bleiben. Zur Anrechnung muss somit nicht nur eine Bescheinigung vorliegen. Weitere Voraussetzung ist auch die Erhebung der Kapitalertragssteuer und die Zurechnung zu Einkünften, die in der Veranlagung erfasst werden. Nach der Rechtslage bis 2007 stellte die Dividendenkompensationszahlung keine Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 EStG, sondern lediglich eine Schadenersatzzahlung dar. Demnach entfiel die bescheinigte Kapitalertragssteuer auch nicht auf Einkünfte, die in der Veranlagung berücksichtigt wurden. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass der Leerkäufer auch wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien (§ 39 AO) zum Dividendenzeitpunkt war und ihm deshalb auch nach der Rechtslage vor 2007 die Dividenden als Kapitaleinkünfte zuzurechnen sind. Ab 2007 ist die Dividendenkompensationszahlung durch den neu eingefügten Satz 4 im § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzurechnen. Damit entfiel die Kapitalertragssteuer ab 2007 grundsätzlich auf Einkünfte, die auch in der Veranlagung erfasst wurden. Ob die weitere Voraussetzung des § 36 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 EStG, die Erhebung der Kapitalertragssteuer, aus Sicht des Leerkäufers erfüllt ist, bleibt allerdings auch für Zeiträume ab 2007 fraglich.[12]
Seit 2012 sind nicht mehr die Aktiengesellschaften selbst, sondern die depotführenden Banken zur Abführung der Kapitalertragssteuer verpflichtet, sodass eine Übereinstimmung zwischen Bescheinigung der Kapitalertragssteuer und tatsächlicher Erhebung gewährleistet ist.
Situation in Deutschland
Die umstrittene Praxis war jahrelang üblich und ist auch mit Hilfe von Gutachten großer Anwaltskanzleien abgesichert worden. Die HypoVereinsbank, Deutsche Bank, HSH Nordbank, Citi Deutschland und möglicherweise weitere Kreditinstitute haben Presseberichten zufolge in großem Volumen Dividendenstripping im Eigenhandel und im Kundengeschäft betrieben und sind deshalb seit 2011 in den Fokus der Steuerbehörden geraten.[13][14][15] Aufgrund von Steuernachforderungen, die aus Cum- und Ex-Geschäften resultierten, ist die Maple Bank durch die BaFin im Februar 2016 geschlossen worden; anschließend wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet.[16]
In diesem Zusammenhang wurde daraufhin vereinzelt in der Literatur auf strafrechtliche Risiken hingewiesen.[17] Es kam dabei zu Hausdurchsuchungen bei den beteiligten Banken. Allerdings blieb dieses Vorgehen, insbesondere im Hinblick auf die langjährige Duldung von Seiten der Legislative, nicht ohne Kritik.[18] Bei diesen Hausdurchsuchungen ging es um Altgeschäfte bis 2011, da seitdem die Steuervorteile bei den umstrittenen Transaktionen wegen des Zusammenfallens von bescheinigendem Institut und abführendem Institut nicht mehr so einfach zu erzielen sind.
Der Spiegel kam 2014 zu dem Schluss, dass das Finanzministerium durch jahrelange Untätigkeit die Nutzung des Dividendenstripping in Cum-Ex-Fonds möglich machte. Erst am 24. Mai 2013 stellte die deutsche Regierung in einer Antwort auf eine Parlamentarische Anfrage klar, es bestehe „generell kein Anrechnungs- oder Erstattungsanspruch“ beim Dividendenstripping und erklärte die „betriebenen Modelle sind illegal“. Dabei stellte die Regierung klar, dass es keine Gesetzeslücke gebe. 2014 veröffentlichte Der Spiegel die Namen einiger deutscher Prominenter, die Geld mit Cum-Ex-Fonds verdient haben.[19]
Am 15. Februar 2016 beschäftigte sich eine ARD-Sendung unter dem Titel Milliarden für Millionäre – Wie der Staat unser Geld an Reiche verschenkt mit den Cum-Ex-Fonds.
Situation im europäischen Ausland
Im Oktober 2018 wurde bekannt, dass nicht nur in Deutschland, Dänemark und Österreich Fiskus und Steuerzahler geschädigt wurden, sondern auch in Belgien und Norwegen. Die Staatsanwaltschaft Köln hat im Juni 2018 ein Ermittlungsverfahren gegen die spanische Großbank Santander eröffnet. Sie soll im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften als sogenannter Leerverkäufer agiert haben. Auch gegen die australische Macquarie-Bank wird ermittelt.[20] Eine Medien-Kooperation aus zwölf Ländern unter der Leitung des Recherchezentrums Correctiv hat unter The Cumex Files (www.cumex-files.com) Ergebnisse veröffentlicht.[21]
Untersuchungsausschuss des Bundestages
Am 19. Februar 2016 beschloss der Deutsche Bundestag auf Betreiben von Grünen und Die Linke einen Untersuchungsausschuss zu Cum-Ex-Geschäften. Bei der Abstimmung über die Einsetzung enthielten sich die Abgeordneten von SPD und Union. Der Ausschuss soll die Verantwortung von Regierung, Finanzverwaltung und Finanzaufsicht für das Dividendenstripping klären. Ebenfalls soll geklärt werden, ob es – und falls ja, von wem – Einflussnahmen mit dem Ziel gab, das Modell des Dividendenstrippings nicht oder nicht gänzlich abzuschaffen. Die Grünen und die Linken schätzen, dass der Fiskus 12 Milliarden Euro durch Cum-Ex-Geschäfte verlor.[22]
Ausschussvorsitzender ist der Abgeordnete Hans-Ulrich Krüger (SPD). Die Obleute der Fraktionen sind: Christian Hirte (CDU/CSU-Fraktion), Andreas Schwarz (SPD), Richard Pitterle (Die Linke) und Gerhard Schick (Bündnis 90/Die Grünen). Weitere ordentliche Ausschussmitglieder sind Philipp Graf Lerchenfeld (CSU), Fritz Güntzler (CDU) und Sabine Sütterlin-Waack (CDU). Stellvertretende Ausschussmitglieder sind für die CDU/CSU Matthias Hauer, Anja Karliczek, Bettina Kudla und Hans Michelbach, für die SPD Metin Hakverdi und Sarah Ryglewski, für Die Linke Axel Troost und für die Grünen Lisa Paus.
Arnold Ramackers, ein ehemaliger Finanzrichter aus Düsseldorf, sagte im Untersuchungsausschuss aus. Ramackers soll im Sinne führender Banken Gesetzestexte formuliert haben. Ramackers war unter anderem an dem Gesetz von 2007 beteiligt, das Cum-Ex-Geschäfte legalisierte und Banken und Anlegern ermöglichte, mit Hilfe der Cum-Ex-Geschäften Milliarden von Euro am Staat vorbei zu schleusen. Er hatte Zugang zu Dokumenten, die Parlament und Öffentlichkeit nicht erhalten durften, und hat sie an Banken weitergereicht, so dass diese die neuen Regelungen gleich wieder umgehen konnten.[23] Auch im Ruhestand soll Ramackers noch Einfluss ins Ministerium gehabt, sich an der Formulierung von Gesetzen beteiligt und an Sitzungen teilgenommen haben. Später nahm Ramackers einen Beratervertrag beim Bundesverband deutscher Banken an.[24][25]
Die Beschlussempfehlung und der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses wurden am 21. Juni 2017 vorgestellt (BT-Drs. 18/12700).[26]
Cum/Cum-Geschäfte
Ein Cum/Cum-Geschäft oder Cum-Cum-Geschäft (von lateinisch cum ‚mit‘ für Wertpapiere mit Dividendenausschüttungsanspruch) ist eine steuerrechtlich problematische Kombination aus dem Verkauf einer Aktie kurz vor dem Dividendentermin und Rückkauf derselben Aktie kurz nach dem Dividendentermin.
Geschäftsmodell
Cum/Cum-Geschäfte werden wie folgt durchgeführt: Wenn deutsche Unternehmen eine Dividende ausschütten, müssen ausländische Anleger darauf normalerweise etwa 15 % Kapitalertragsteuer abführen. Um das zu umgehen, verleihen sie ihre Aktien (Wertpapierleihe) vorübergehend kurz vor dem Dividendenstichtag an einen in Deutschland ansässigen Finanzdienstleister, der sich die Kapitalertragsteuer vom Staat erstatten lassen kann. Kurz nach dem Dividendenstichtag werden die Aktien an den bisherigen ausländischen Besitzer zurückgegeben. Die Kursrisiken werden währenddessen abgesichert, die Partner teilen sich die gesparte Steuer. Nur der deutsche Fiskus wird dabei umgangen.[27]
Berichterstattung 2016
Am 2. Mai 2016 veröffentlichte ein Rechercheverbund[28] seine Untersuchungen zu Cum/Cum-Geschäften, mit denen Banken ihren Kunden halfen, Kapitalertragssteuern in Millionenhöhe zu vermeiden. Diese Geschäfte „sind in der Bankenwelt seit Jahren ein offenes Geheimnis“[29] und wurden von vielen deutschen Banken praktiziert. Besonders häufig soll die Commerzbank an den Cum/Cum-Geschäften beteiligt gewesen sein.[30][31]
Bereits im Mai 2011 wurde das Bundesfinanzministerium vom Münchener Oberbürgermeister Christian Ude über Cum/Cum-Geschäfte der DekaBank informiert. Das Ministerium sah jedoch zu diesem Zeitpunkt keinen Handlungsbedarf.[32]
Juristische Bewertung und Gesetzgebung
Um die Steueranrechnung in Anspruch nehmen zu können, muss der inländische Finanzdienstleister bei Dividendenbezug zumindest wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien sein. Der Bundesfinanzhof stellte in einem Urteil vom August 2015 klar, dass bei einem Wertpapierleihgeschäft das „wirtschaftliche Eigentum“ an einer Aktie nicht auf den Entleiher übergeht, sondern nur eine „zivilrechtliche Eigentumshülle.“[33][34]
Die Unwirksamkeit der Cum/Cum-Geschäfte könnte sich auch auf § 42 der Abgabenordnung (AO) stützen. Danach sind rechtsmissbräuchliche Steuergestaltungen steuerlich nicht anzuerkennen. Für Christoph Spengel, Professor für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität Mannheim und Mitherausgeber des Fachmagazins Steuer und Wirtschaft, ist klar: „Selbst wenn man das wirtschaftliche Eigentum in Deutschland bejaht, dann ist weiterhin zu fragen, was denn der wirtschaftliche Zweck dieser Geschäfte war. Und wenn der es ausschließlich war, die Kapitalertragsteuer in Deutschland zu sparen, dann werden diese Geschäfte steuerlich nicht anerkannt.“[29]
Um diese fragwürdigen Geschäfte zu verhindern, beabsichtigt die Bundesregierung laut einem Gesetzentwurf von Ende Februar 2016 rückwirkend zum 1. Januar 2016 eine Mindestzeit festzulegen, die eine Aktie gehalten werden muss, damit ihre Dividende bei der Kapitalertragsteuer angerechnet werden kann.[35] Um sich die bereits von der Aktiengesellschaft abgeführte Kapitalertragsteuer auf die Dividende erstatten zu lassen, müssen die Anleger die Papiere künftig 45 Tage vor und nach dem Stichtag im Besitz haben.[36] Damit Anleger mit geringen Aktienbeständen von der Regelung nicht getroffen werden, will die Bundesregierung eine Mindestgrenze einführen, z. B. nur für Dividenden aus inländischen Aktien mit mehr als 20.000 Euro pro Jahr.[35][37]
Aufarbeitung
Bisher zahlten die Hypo-Vereinsbank, die Landesbank Baden-Württemberg und die HSH Nordbank insgesamt knapp 500 Millionen Euro (Stand: September 2016) an den Staat zurück – teils vorläufig, weil die Ermittlungen noch andauern.
In den ersten Monaten des Jahres 2017 haben mehrere Insider nach Recherchen des Rechercheverbunds NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung über ihr Wissen in Bezug auf umfangreiche mutmaßlich strafbare Cum/Ex-Geschäfte ausgesagt. Dieser Ermittlungserfolg der Staatsanwaltschaft Köln und einer speziellen Ermittlungsgruppe des Landeskriminalamts Düsseldorf kann als einer der größten Erfolge bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in Deutschland gelten. Die Vorwürfe betreffen Steuerhinterziehung in zahlreichen besonders schweren Fällen; den Beschuldigten drohen Haftstrafen zwischen fünf und zehn Jahren. Im Zentrum des Geschehens stünden neben zahlreichen Banken etwa zehn bis 15 internationale Börsenhändler. Sie sollen sich auf Kosten des Fiskus mit jeweils mehreren hundert Millionen Euro an den Cum/Ex-Geschäften bereichert haben. Der Steuerschaden in Deutschland soll insgesamt 31,8 Milliarden Euro betragen. Die Insider, die ausgesagt haben, können für ihre Mithilfe bei der Aufklärung mit Strafnachlass rechnen (Kronzeugenregelung). [38]
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) schickte im Juli 2017 allen rund 1800 deutschen Banken und Sparkassen Fragebögen, die sie bis spätestens Ende Oktober beantworten mussten. Die Bafin wollte wissen, mit welchen Rückzahlungen die Banken rechnen, ob ihre Stabilität dadurch gefährdet sein könnte und was sie in diesem Fall zu tun gedenken. Sie befürchtete offenbar, dass insbesondere kleinere Banken in Schwierigkeiten geraten können und dann dringend frisches Kapital benötigen.[39][40]
Die erste Anklage wegen Dividendenstripping wurde im Oktober 2017 gegen den Steueranwalt Hanno Berger sowie gegen mehrere ehemalige Aktienhändler der Hypovereinsbank wegen Steuerhinterziehung erhoben.[41][42]
Siehe auch
Weblinks
- Das Erste/ARD:
- "Wir sind die Genies, und ihr seid alle doof. Und wer zahlt diese Rendite? Der Staat!" - Erstmals spricht ein Insider vor der Kamera über Cum-Ex und andere "steuergetriebene Aktiengeschäfte". In: Das Erste/Panorama vom 18. Oktober 2018
- Milliarden aus der Staatskasse: Die Steuerräuber. In: Das Erste/Panorama vom 8. Juni 2017 (mit Video 29 min).
- Milliarden für Millionäre – Wie der Staat unser Geld an Reiche verschenkt, Sendetermin 15. März 2016 im Gemeinschaftsprogramm der ARD in der Sendereihe Die Story im Ersten, 44 Min., Reportage von Jan Schmitt, eine ARD/WDR-Produktion.
- Teurer Lobbyismus: Milliardengeschenke für Superreiche, Monitor (29. September 2016)
- sueddeutsche.de:
- Wer jetzt nicht auspackt, ist geliefert (19. April 2017)
- Mitwisser packen aus – Ring von Bankern und Börsenhändlern aufgeflogen (18. April 2017)
- ZEIT:
- Beschlussempfehlung und Bericht des 4. Untersuchungsausschusses (Bundestag 20. Juni 2017; PDF; 7 MB)
Einzelnachweise
- ↑ Angriff auf Europas Steuerzahler, Tagesschau.de, 18. Oktober 2018
- ↑ Anne Seith, Martin Hesse: Abzocke war schon 1992 bekannt. In: Der Spiegel. 26. November 2016, S. 70 ([1]).
- ↑ Manuel Daubenberger, Karsten Polke-Majewski, Felix Rohrbeck, Christian Salewski, Oliver Schröm: „Cum-Ex-Files“-Recherche: Angriff auf Europas Steuerzahler. In: tagesschau.de. ARD, 18. Oktober 2018, abgerufen am 19. Oktober 2018.
- ↑ BFH, Urteil vom 15. Dezember 1999, Az: I R 29/97
- ↑ BMF-Schreiben vom 6. Oktober 2000, Az: IV C 6 – S 2189 – 11/00
- ↑ BFH, Beschluss vom 20. November 2007, Az: I R 85/05
- ↑ Thomas Otto, Die Besteuerung von gewinnausschüttenden Körperschaften, 2006, S. 51 ff.
- ↑ BFH, Urteil vom 16. April 2014, Az.: I R 2/12, https://openjur.de/u/686342.html
- ↑ Praxis Internationale Steuerberatung, Ausgabe 05/2000, S. 104
- ↑ Cum-Ex-Geschäfte: Das Prinzip Goldesel das-parlament.de 2016
- ↑ Wirtschaftskrimi Cum/Ex-Geschäfte: Wenn die Verfassung die Steuer überholt Legal Tribune Online , am 13. April 2017
- ↑ Hessisches Finanzgericht, Beschluss vom 8. Oktober 2012, Az: 4 V 1661/11
- ↑ Razzia bei der HypoVereinsbank n-tv.de , am 29. November 2012
- ↑ HSH Nordbank, HSH Nordbank trifft Vorsorge für Cum-Ex-Geschäfte der Jahre 2008–2011 ( vom 16. Februar 2016 im Internet Archive), 17. Dezember 2013
- ↑ Cum-Ex-Deals: Citigroup streitet mit Finanzamt. In: Wirtschaftswoche. 22. März 2015, abgerufen am 23. März 2016.
- ↑ Aufsicht befragt alle Banken zum Dividendenstripping. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 27. Februar 2016, abgerufen am 23. März 2016.
- ↑ Felix Podewils: Neues zum „Dividenden-Stripping“ aus Finanzverwaltung und Rechtsprechung – steuer- und strafrechtliche Risiken am Horizont. In: Finanz-Rundschau Ertragsteuerrecht. Band 93, Nr. 2, April 2013, S. 69–75, doi:10.9785/ovs-fr-2011-69.
- ↑ Felix Podewils: Cum-ex-Geschäfte („Dividendenstripping“)— steuerliche und strafrechtliche Implikationen. In: Finanzrundschau. Heft 11, Juni 2013, S. 481–490. ; online verfügbar (25. April 2013).
- ↑ Martin Hesse, Gerald Traufetter: Ex Und Hopp Der Spiegel 39/2014 , am 22.September 2014
- ↑ Österreich betroffen: Cum-Ex-Skandal um Steuertricks zieht Kreise derstandard.at , am 18. Oktober 2018
- ↑ Immer mehr Banken im Fadenkreuz der Ermittler FAZ.net , am 18. Oktober 2018
- ↑ Cum-Ex-Geschäfte: Bundestag untersucht Dividendentrick Spiegel-Online 19. Februar 2016, abgerufen am 20. Februar 2016.
- ↑ "Richtige kriminelle Netzwerke". In: Rhein Neckar Zeitung. Abgerufen am 26. November 2016.
- ↑ Banken bezahlten „Maulwurf“ im Finanzministerium. In: Berliner Morgenpost. Abgerufen am 26. November 2016.
- ↑ Deutscher Bundestag – Zeuge spricht von Cum/Ex-Industrie. In: Der Bundestag. Abgerufen am 26. November 2016.
- ↑ Bundestag-Drucksache 18/27000. Abgerufen am 29. Juni 2017.
- ↑ Fragwürdige Geschäfte der Commerzbank: Millionen-Deals zur Steuervermeidung? Tagesschau.de, 2. Mai 2016.
- ↑ Veröffentlichung durch den Rechercheverbund aus Handelsblatt, Bayerischem Rundfunk, Washington Post und der US-amerikanischen Non-Profit-Stiftung ProPublica
- ↑ a b Legal oder illegal? Umstrittene Deals. So funktionieren Cum/Cum-Geschäfte br.de , am 2. Mai 2016
- ↑ Steuern: Commerzbank wieder im Zwielicht. Deutsche Welle, 2. Mai 2016, abgerufen am 2. Mai 2016.
- ↑ Millionendeals zur Steuervermeidung? tagesschau.de, 2. Mai 2016
- ↑ Cum/Cum-Geschäfte der Deka-Bank: Steuertricks unter staatlicher Aufsicht br.de , am 21. April 2017 , abgerufen am 21. April 2017
- ↑ Bundesfinanzhof – Urteil vom 18. August 2015, I R 88/13. Zurechnung von Aktien bei einer Wertpapierleihe. Bundesfinanzhof, 18. August 2015, abgerufen am 9. Mai 2016: „Das wirtschaftliche Eigentum an Aktien, die im Rahmen einer sog. Wertpapierleihe an den Entleiher zivilrechtlich übereignet wurden, kann ausnahmsweise beim Verleiher verbleiben, wenn die Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles ergibt, dass dem Entleiher lediglich eine formale zivilrechtliche Rechtsposition verschafft werden sollte.“
- ↑ Dr. Rudolf Mikus: Wertpapierleihe – BFH kassiert erneut steuergetriebenes Finanzprodukt. Handelsblatt, 18. Januar 2016, abgerufen am 9. Mai 2016: „Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 18. August 2015 – I R 88/13 (DB 2016 S. 82) entschieden, dass eine Wertpapierleihe noch keinen Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an Aktien bewirkt, wenn sie dem Entleiher lediglich eine formale zivilrechtliche Rechtsposition verschafft.“
- ↑ a b Cum-Cum-Geschäfte: Regierung stoppt Dividenden-Trick. Ein neues Gesetz soll Cum-Cum-Geschäfte mit Aktien, bei denen der Staat um Steuern geprellt wird, rückwirkend untersagen. Süddeutsche Zeitung, 24. Februar 2016.
- ↑ Investmentfonds: Neues Gesetz soll Steuerschlupflöcher stopfen. Gesetz soll auch Cum/Cum-Geschäfte verhindern. Handelsblatt, 24. Februar 2016.
- ↑ Cum-Cum-Geschäfte. „Handelsblatt“: Deutsche Banken helfen bei Steuervermeidung. Der Tagesspiegel, 2. Mai 2016.
- ↑ Mitwisser packen aus – Ring von Bankern und Börsenhändlern aufgeflogen sueddeutsche.de, 18. April 2017
- ↑ Cum-Cum-Geschäfte Bafin sorgt sich um Stabilität vieler Banken sueddeutsche.de , am 18. Juli 2017
- ↑ bafin.de: Cum/Cum-Geschäfte: BaFin startet Abfrage bei allen deutschen Kreditinstituten , am 18. Juli 2017
- ↑ Erster Strafprozess um größten Steuerbetrug Deutschlands. Abgerufen am 1. Oktober 2017.
- ↑ Klaus Ott: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen Milliarden-Raubzugs. In: Süddeutsche Zeitung. 4. Oktober 2017, abgerufen am 5. Dezember 2017.