Systembiologie
Die Systembiologie (Synonym: Systeomik, Englisch: Systems Biology) ist ein relativ junger Zweig der Biowissenschaften, der versucht, biologische Organismen in ihrer Gesamtheit zu verstehen. Das Ziel ist, ein integriertes Bild aller regulatorischen Prozesse über alle Ebenen, vom Genom über das Proteom, zu den Organellen bis hin zum Verhalten und zur Biomechanik des Gesamtorganismus zu bekommen. Wesentliche Methoden zu diesem Zweck stammen aus der Systemtheorie und ihren Teilgebieten. Da aber die mathematisch-analytische Seite der Systembiologie bis auf weiteres nicht perfekt ist, kommen als Forschungsmethoden sehr häufig Computersimulationen und Heuristiken zum Einsatz.
Geschichte
Als Pioniere der Systembiologie gelten die britischen Neurophysiologen und Nobelpreisträger Alan Lloyd Hodgkin und Andrew Fielding Huxley, die 1952 mit dem mathematischen Modell einer Nervenzelle die Grundlagen für die mathematische Simulation von Lebensprozessen auf Basis von Differenzialgleichungen legten. 1960 erregte Denis Noble mit der Publikation seiner Doktorarbeit in der Zeitschrift Nature Aufsehen; er präsentierte darin das erste mathematische Modell eines schlagenden Herzens, mit dem neue Medikamente und Defibrillationsgeräte am Computer getestet werden können. Der Durchbruch für das neue Fach kam um die Jahrtausendwende mit dem Abschluss des Humangenomprojekts und zahlreicher anderer Genomprojekte. Die Flut der dabei erhaltenen Daten für etwa drei Milliarden Basenpaare und über eine Million Proteine pro Zelle macht es unmöglich, alle theoretisch denkbaren und interessierenden Experimente im Labor durchzuführen. Deshalb ist die Modellierung am Computer zur Voraussetzung für die Auswahl der erfolgversprechendsten Ansätze geworden. Den aktuellen Stand der Wissenschaft von 2006 kann man in spezialisierten Fachzeitschriften, beispielsweise Molecular Systems Biology sowie auf zahlreichen internationalen Kongressen wie z.B. der ICSB verfolgen.
Methodische Ansätze
Grundsätzlich unterscheidet man einen Top-down-Ansatz, der komplexe, phänotypische Beobachtungen in immer detailliertere Teilprozesse zerlegt von einem Bottom-up-Ansatz, der biologische Basisprozesse zu komplexeren Einheiten zusammenfügt. Vor allem der zweite Ansatz erfordert wegen der großen Komplexität der erforderlichen Rechenprozesse in der Regel Hochleistungsrechner oder HPC-Cluster (HPC: high performance computing). Ob sich beide Wege irgendwann im Computermodell der „in-silico-Zelle“ treffen, ist noch offen.
Die Basis beider Ansätze sind Differenzialgleichungen, die die Veränderung von biologischen Phänomenen zu einem bestimmten Zeitpunkt t beschreiben. So ändert sich z.B. das Aktionspotenzial einer Nervenzelle nach dem Hodgkin-Huxley-Modell u.a. als Funktion der Ionenströme von Kalium und Natrium:
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Förderprojekte
Die Systembiologie und ihre Methodenentwicklung wird nachhaltig durch die EU im Rahmen des 6. und 7. Rahmenprogramms gefördert. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die Systembiologie seit 2004 im Rahmen des Forschungsprojekts HepatoSys (Kompetenznetz Systembiologie des Hepatozyten).
Literatur
- H. Kitano, Systems Biology: a brief overview, Science, 295:1662-1664, 2002
- E. Klipp et al., Systems Biology in Practice, Wiley-VCH, 2005, ISBN 3527310789
Siehe auch
- biochemische Zyklen, biomedizinische Kybernetik, Biokybernetik,
- Neuroinformatik,
- Grid-Computing, Netzwerktheorie, -omik,
- Partielle Differentialgleichung,
- Petri-Netz, Proteomik, Regelung, SBML (Systems Biology Markup Language)
Weblinks
- http://www.systembiologie.de/de/links1.html
- http://www.systems-biology.org/ (englisch)
- http://www.systemsbiology.org/ (englisch)
- http://www.sysbio.de/projects/glossary/Glossary.shtml kleines Glossar Systembiologie (englisch)