Am 19. Februar 1861 wurde auf Anregung der Polytechnischen Gesellschaft und einiger Liberaler der Gewerbliche Bildungsverein zu Leipzig gegründet.
Geschichte
Gewerblicher Bildungsverein
Schon bei der Gründung des Vereins gab es unterschiedliche Ansichten. Es war geplant den neuen Verein als Abteilung der Polytechnischen Gesellschaft und unter der Schirmherrschaft derselben zu gründen und die Bildung der Arbeiter zur Priorität zu erklären. Bekämpft wurde dieser Plan vehement vom ehemaligen Frankfurter Parlamentsmitglied Prof. Roßmäßler, sowie Julius Vahlteich und F. W. Fritzsche. Diese forderten sogar die volle Unabhängigkeit des Vereins und vertraten die Meinung, dass es nicht die Aufgabe eines Arbeitervereins sein könne, die Lücken der Volksschulbildung auszufüllen, sondern es müsste das Ziel sein, die Arbeiter in die Politik und das öffentliche Leben einzuführen. Die große Mehrheit der Teilnehmer konnte sich nicht für diese Anschauungen erwärmen und die Opposition war besonnen genug sich der Mehrheit zu fügen. Der Verein brachte es bei der Gründung auf beachtliche 400 Mitglieder.
Am 26. Februar 1861 fand die Wahl des Verwaltungsausschusses statt, es wurde ein Lehrplan aufgestellt, der am 5. März in Kraft trat. Vorsitzender des Ausschusses wurde der Architekt Oscar Mothes. Ab 9. März 1861 wurden Vorträge gehalten, Dozenten waren u. a. der Mediziner Carl Ernst Bock, der Naturwissenschaftler Roßmäßler und der Historiker Dr. Heinrich Wuttke. Ein Vortrag von Wuttke am 19. März über die Bauernunruhen im 16. Jahrhundert, schlug hohe Wellen bis in die obersten Etagen des sächsischen Staatsministeriums. Man drohte dem Verein mit Auflösung. Das zeigt, wie genau der Verein durch das Polizeiamt Leipzig überwacht wurde, um aufkeimende politische Tendenzen in eine demokratische Richtung, verfolgen zu können. Am 30 März bezog der Bildungsverein sein neues Domizil, ein gepachtetes Lokal den „Leipziger Salon“. Jeweils drei Mal die Woche fanden Unterrichtsstunden in Rechnen, Schönschreiben, Buchhalten, Zeichnen, Redeübungen und Gesang statt. Für die Turnstunden wurden verschiedene Turngeräte angeschafft, auf Antrag von Roßmäßler wurde die Gründung einer nuturhistorischen (Vorläufer des Leipziger Naturkundemuseums), auf Anregung von Mothes eine technologische Sammlung in Angriff genommen. Am Ende des Jahres wurden noch Unterrichtsstunden in der Gabelsberger Stenographie eingeführt.
Sein 1. Stiftungsfest feierte der Gewerbliche Bildungsverein am 22. Februar 1862 in der Centralhalle. Die Stitungsfestrede hielt Dr. Hirzel Vorsitzender der Polytechnischen Gesellschaft. Eine weitere Rede von Vahlteich, ließ die vorhandenen Gegensätze wieder aufbrechen und es standen sich beide Parteien gleichstark gegenüber. Die Neuwahl des Ausschusses fand am 9. März statt, bei der August Bebel als Leiter der Vereinsbibliothek und der Abteilung für Vergnügungen des Gewerblichen Bildungsvereins gewählt wurde, den Vorsitz gewann Mothes vor Roßmäßler. Am 2. April fand nochmals eine Neuwahl des Ausschusses statt. Wieder unterlag Roßmäßler mit einer Stimme, weil Mothes sich selber gewählt hatte.
Die Opposition trug jetzt den Kampf in die Generalversammlung, die am 18. April 1862 stattfand. Die Opposition stellte wieder ihre alte Forderung auf, den Verein zu einem rein politischen zu machen und den Unterricht aus demselben auszuschließen. Der Antrag von J. Vahlteich und F. W. Fritzsche wurde von der regierenden Seite und auch von August Bebel abgelehnt. Daraufhin spaltete sich der Verein, die Opposition gründete am 11. August 1862 im Hôtel de Saxe den „Verein Vorwärts“, der sich nur mit politischen und sozialen Fragen befasste. Infolge dieser Spaltung sackte die Mitgliederzahl des Gewerblichen Bildungsvereins von 463 auf 320 im Jahr 1862 ab.
Am 2. Stiftungsfest den 21. Februar 1863 hielt, wie im Vorjahr in der Centralhalle, die Stiftungsfestrede Dr. Hirzel, Vorsitzender der Polytechnischen Gesellschaft. Als neuer Vorsitzender wurde der Schuhmachermeister Christian Friedrich Heinrich Rudloff gewählt, er hielt Rückschau auf das vergangene Vereinsjahr. Dann ergriff der damals 23jährige Bebel das Wort. In seiner Rede blieb er bei seiner Meinung, die Politik aus dem Bildungsverein herauszuhalten, um sich ganz auf die Fortbildung der Arbeiter zu konzentrieren. Bebel schloss mit dem Wunsch, dass man überall, namentlich aber an maßgebender Stelle die Überzeugung gewinnen möge, dass der Arbeiterstand nicht nach Revolutionen, sondern nach Fortbildung strebe. Außer den fachkompetenten Vorträgen, die regelmäßig stattfanden, wurden weitere Unterrichtsfächer wie Gewerbliche Geschäftskunde, Orthographie und Stilistik, sowie Französisch eingeführt.
Um aus der Vormundschaft der Polytechnischen Gesellschaft zu entkommen, kam man zu dem Beschluss, die Trennung von derselben anzustreben. Die „Muttergesellschaft“ war nur allzu gern bereit, sich von der Obrigkeit aufgezwungenen Aufsichtspflicht gegenüber dem Gewerblichen Bildungsverein, zu entledigen. Die Eingabe der Trennung erfolgte am 19. August 1863, am 14. Dezember stimmte das Ministerium des Innern dem Antrag zu.
Das 3. Stiftungsfest des Gewerblichen Bildungsvereins fand am 27. Februar 1864 wieder in der Centralhalle statt. Als Vorsitzender wurde Dr. med. Karl August Oscar Reyher gewählt. Am 01. April 1864 lief der Pachtvertrag über den „Leipziger Salon“ aus. Nach längerem Suchen fand man eine neue Unterkunft im Hôtel de Bavière. Alle Versuche ein eigenes Haus für den Bildungsverein zu bauen, scheiterten an der Finanzierung. Mit Verlusten, musste ein schon gekauftes Grundstück wieder verkauft werden.
Arbeiterbildungsverein
Im Jahr 1865 kam es zu Vereinigungsverhandlungen zwischen Gewerblichen Bildungsverein und „Verein Vorwärts“. Vertreter des Vorwärts erklärten sich bereit die Satzungen und die Verwaltung des Gewerblichen Bildungsvereins anzuerkennen, verlangten aber die Erhaltung ihrer Spar- und Kreditkasse sowie des Konsumvereins und sie forderten eine Namensänderung. Die Bezeichnung „Arbeiterverein“ wurde wegen Verwechslung verworfen und stattdessen als neuer gemeinsamer Name Arbeiterbildungsverein angenommen. Die 4. Stiftungsfeier des Gewerblichen Bildungsvereins verband man mit der Feier der Vereinigung mit dem „Verein Vorwärts“. Die offizielle Verschmelzung beider Vereine fand am 20. März 1865 statt.
An unsere deutschen Brudervereine
die erfreuliche Mittheilung, daß sich der seiner Zeit hier bestandene
„Gewerbl. Bildungsverein“ und „Verein Vorwärts“ unter dem Namen
„Arbeiterbildungsverein zu Leipzig“
vereinigt haben.
Wir bitten daher, von jetzt ab alle Zusendungen an den unterzeichne-
ten Vorstand gelangen zu lassen.
Leipzig den 20. März 1865.
Der Vorstand des Arbeiterbildungsvereins
Dr. Reyher, Vorsitzender.
M. Germann, Schriftführer.
Der Vorstand des Gewerblichen Bildungsvereins wurde de facto zum Vorstand des Arbeiterbildungsvereins. Das traf auch auf den 2. Vorsitzenden August Bebel und den Hauptkassierer Max Epstein zu. Bebel wurde im Sommer 1865 zum 1. Vorsitzenden gewählt, diese Funktion übte er bis 1872 aus. Im selben Jahr wurde er im Leipziger Hochverratsprozess zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt.
Wie seine beiden Vorläufer war der Arbeiterbildungsverein (ABV) vorbildlich organisiert. Er bot ein umfangreiches wie niveauvolles Unterrichts- und Vortragsprogramm, verfügte über eine gut sortierte Bibliothek und ein umfangreiches Zeitungsangebot. Hinzu kam die vom Verein gegründeten Institutionen, wie der Sparkasse des Konsumvereins und der Kreditgenossenschaft.
Die Räumlichkeiten im Hôtel de Bavière waren zu beschränkt, nach längerer Suche konnte der Arbeiterbildungsverein ein geeignetes Vereinslokal in der Ritterstr. 43 anmieten. Der aufwendige Umzug fand Anfang Januar 1866 statt. Hier fand der Arbeiterbildungsverein bis 1877 eine feste Heimstatt. Wie jedes Jahr fand das 5. Stiftungsfest, dieses Mal am 24. Februar 1866 im größten Leipziger Saal, der Centralhalle statt. Der Vorsitzende August Bebel gab einen Überblick über die Vereinstätigkeit , er verwies auf 77 Vorträge die von 22 Referenten gehalten wurden, ebenso konnte er von einem durchnittlich guten Besuch der Unterrichtsstunden berichten. Am 9. April heiratete Bebel seine Julie Otto im Arbeiterbildungsverein, er lernte sie am 2. Stiftungsfest des Gewerblichen Bildungsvereins 1863 kennen.
Am 23. Februar 1867 hatte Bebel als frisch gewählter Reichstagsabgeordneter den Tätigkeitbericht des Arbeiterbildungsvereins auf dessen 6. Stiftungsfestes vorgetragen. Er konnte darauf verweisen, dass im Jahre 1866 nicht weniger als 76 Vorträge von 20 Dozenten gehalten wurden. Als neues Unterrichtsfach wurde Englisch eingeführt.
Das 7. bis 9. Stiftungsfest fand immer in der „Centralhalle“ statt, das 10. Stiftungsfest im „Tivoli“. Vorsitzender war jeweils August Bebel.
Am 24. Februar 1872 fand das 11. Stiftungsfest im „Tivoli“ statt. Die traditionelle Festrede hielt Wilhelm Liebknecht. Er stellte sie unter das Motto „Wissen ist Macht – Macht ist Wissen“. Diese brillante Rede hielt er zuvor auf dem Stiftungsfest des Arbeiterbildungsvereins zu Dresden, am 5. Februar 1872, sie wurde eine der großen Reden des 19. Jahrhunderts. Als Nachfolger von August Bebel wurde der Xylograph Otto Heidemann gewählt.
Am 22. Februar 1873 fand das 12. Stiftungsfest in der Tonhalle statt. Zum Vorsitzenden wurde der Xylograph Otto Richter gewählt. Die Festrede hielt Robert Schweichel, die in der Zeitschrift „Der Volksstaat“ im vollen Umfang wiedergegeben wurde. Das 13. Stiftungsfest fand am 21. Februar 1874 wiederum in der Tonhalle statt. Den Vorsitz behielt Otto Richter, die Festrede hielt August Geib. Am 27. Februar 1875 fand das 14 Stiftungsfest in der Tonhalle statt. Festredner war Wilhelm Liebknecht, als Vorsitzender wurde wieder Otto Richter gewählt. Das 15. Stiftungsfest fand am 19. Februar 1876 in der Tonhalle statt. Festredner war August Bebel. Zum Vorsitzenden wurde der Schneider Ludwig Witt gewählt. Das 16. Stiftungsfest fand am 10. Februar 1877 in der Tonhalle statt. Vorsitzender wurde wieder Ludwig Witt.
Im Frühjahr 1877 wurde dem Arbeiterbildungsverein das langjährige Domizil in der Ritterstraße gekündigt. Dem Vorstand viel es schwer ein neues Vereinslokal zu finden, es sollte wie das „Alte“ zentral gelegen und ebenso geräumig sein. Quasi im letzten Moment fand sich eine Möglichkeit in der Querstraße 24. Zwischenzeitlich fanden Veranstaltungen in Ausweichquartieren statt, auf denen auch Liebknecht und Hasenclever Vorträge in einem Restaurant hielten.
Zum 17. Stiftungsfest am 23. Februar 1878, in der Tonhalle, hielt Julius Motteler die Festrede. Als Vorsitzender wurde wieder Ludwig Witt gewählt. Am 26. Oktober 1878, noch nicht einmal eine Woche nach Inkrafttreten des Sozialistengesetzes ordnete die Kreishauptmannschaft Leipzig die Unterdrückung des Leipziger Arbeiterbildungsvereins an. Vorsorglich hatte man aus der Vereinsbibliothek die wichtigsten Werke der sozialistischen Literatur entfernt. Beschwerden gegen das Verbot des Arbeiterbildungsvereins blieben ohne Erfolg. [1]
Literatur
- August Bebel: Aus meinem Leben: Erster Teil.
- Wolfgang Schröder: Leipzig – die Wiege der deutschen Arbeiterbewegung. Wurzeln und Werden des Arbeiterbildungsvereins 1848/49 bis 1878/81.
Einzelnachweise
- ↑ Wolfgang Schröder: Leipzig - die Wiege der deutschen Arbeiterbewegung. Wurzeln und Werden des Arbeiterbildungsvereins 1848/49 bis 1878/81. Seite 120 ff.
Weblinks
- ZeitOnline, Von Volker Ullrich: Trotz alledem und alledem. Der Briefwechsel zwischen August Bebel und seiner Frau Julie. digital
- Kammerchor Leipziger Volkssingakademie e.V. Unsere Geschichte
- NDR: Die Gründung des Gewerblichen Bildungsvereins in Leipzig. digital
- Brigitte Beier: Die Chronik der Deutschen. digital