Pragmatische Sanktion
Als Pragmatische Sanktion bezeichnete das römisch-byzantinische Staatsrecht allgemein ein Reskript des Kaisers, das in besonders feierlicher Form erging. In diesem Sinne bezeichnete sich etwa auch der Westfälische Frieden von 1648 selbst als "perpetua lex et pragmatica Imperii sanctio".
Im Besonderen wird unter "Pragmatischer Sanktion" eine am 19. April 1713 von Kaiser Karl VI. veröffentlichte Urkunde verstanden, die die Unteilbarkeit und Untrennbarkeit aller habsburgischen Erbkönigreiche und Länder festlegte und zu diesem Zweck eine einheitliche Erbfolgeordnung, und zwar nach dem Grundsatz der Primogenitur mit subsidiärer weiblicher Erbfolge für diese Länder einführte.
Nach dem Tode Karls VI. 1740 trat dessen älteste Tochter Maria Theresia unter Berufung auf die Pragmatische Sanktion die Nachfolge in den habsburgischen Ländern an. Die vielfach anzutreffende Behauptung allerdings, Karl VI. hätte die Pragmatische Sanktion zugunsten seiner Tochter erlassen, kann schon deshalb nicht richtig sein, weil Maria Theresia erst nachher, nämlich 1717, geboren wurde.
Die Pragmatische Sanktion geht unmittelbar auf die im Zuge des Spanischen Erbfolgekriegs abgeschlossenen habsburgischen Hausverträge vom 12. September 1703, namentlich auf das pactum mutuae successionis, zurück, welches im Wesentlichen denselben Inhalt wie die Pragmatische Sanktion, zusätzlich aber noch ein wechselseitiges Erbrecht der Nachkommen der damaligen kaiserlichen Prinzen Joseph und Karl vorgesehen hatte und - im Gegensatz zur feierlich verkündeten Pragmatischen Sanktion - geheim gehalten worden war. Die Bedeutung der Pragmatischen Sanktion liegt also nicht zuletzt in ihrer Veröffentlichung der schon seit zehn Jahren geltenden Bestimmungen.
Vor allem aber war die Pragmatische Sanktion im Gegensatz zum pactum mutuae successionis nicht nur ein Hausgesetz, sondern wurde entsprechend dem Staatsrecht der einzelnen habsburgischen Erbkönigreiche und Länder in jedem dieser Länder formell in Kraft gesetzt. Als letzter gab der ungarische Landtag durch die Gesetzesartikel I, II und III aus 1723 seine Zustimmung zur Pragmatischen Sanktion, wenngleich mit einigen Abweichungen, die jedoch praktisch keine Bedeutung haben sollten. Die diplomatischen Bemühungen Karls VI. mit Unterstützung seines engsten Beraters Freiherr von Bartenstein um die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion durch die auswärtigen Mächte gelang nur bedingt: Nach dem Tode des Kaisers wurde Maria Theresias Erbrecht insbesondere von Karl Albrecht von Bayern, der mit einer Tochter Kaiser Josephs I. verheiratet war, bestritten, und es begann der Österreichische Erbfolgekrieg. Im Frieden von Aachen 1748 wurde die Pragmatische Sanktion allgemein anerkannt, und sie blieb bis zum Untergang der Monarchie 1918 in Geltung.
In der österreichischen Historiographie (insbesondere vor 1918) galt die Pragmatische Sanktion und ihre Anerkennung durch die Länder als eigentlicher Gründungsakt der Habsburgermonarchie, weil die Länder damit ihren Willen zum Aufbau eines gemeinsamen Staatswesens bekundet hätten. Tatsächlich gab es bis zur Pragmatischen Sanktion keine Verfassungsurkunde, die die Zugehörigkeit der Kronländer zu einem gemeinsamen Staat festgelegt hat. Auch berief sich der Österreichisch-Ungarische Ausgleich von 1867 ausdrücklich auf die Pragmatische Sanktion als Grundlage der Verbindung zwischen den "Ländern der ungarischen Krone" und den "übrigen Königreichen und Ländern Seiner Majestät". Insofern war die Pragmatische Sanktion bis 1918 von hoher verfassungsrechtlicher wie auch symbolischer Bedeutung für den Bestand der Donaumonarchie und deren regierender Dynastie.
Literatur
- Brauneder, Wilhelm: Die Pragmatische Sanktion als Grundgesetz der Monarchia Austriaca von 1713 bis 1918, in: Brauneder, Wilhelm: Studien I: Entwicklung des Öffentlichen Rechts, Frankfurt 1994, 85 ff.
- Lentze, Hans: Die Pragmatische Sanktion und das Werden des österreichischen Staates, in: Der Donauraum 9 (1964) 3 ff.
- Turba, Gustav: (Hrsg.): Die pragmatische Sanktion. Authentische Texte samt Erläuterungen und Übersetzungen, Wien 1913 (Quellentexte).
- Turba, Gustav: Geschichte des Thronfolgerechtes in allen habsburgischen Ländern bis zur pragmatischen Sanktion Kaiser Karls VI. 1156 bis 1732, Wien, Leipzig 1903.
- Turba, Gustav: Die Grundlagen der pragmatischen Sanktion, 2 Bde.: I. Ungarn, II. Die Hausgesetze, (Wiener staatswissenschaftliche Studien 10,2 u. 11.1), Wien 1911 und 1912.
- Winkler, Arnold: Die Grundlage der Habsburger Monarchie. Studien über Gesamtstaatsidee, Pragmatische Sanktion und Nationalitätenfrage im Majorat Österreich, Leipzig, Wien 1915.