Synthetische Biologie

Fachgebiet im Grenzbereich von Molekularbiologie, organischer Chemie, Ingenieurwissenschaften, Nanobiotechnologie und Informationstechnik
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Synthetische Biologie ist ein Wissenschaftszweig der Biologie, der mit Hilfe künstlicher, chemischer und biologischer Systeme das Verhalten natürlicher, biologischer Systeme nachahmt, um ein vertieftes Verständnis der Funktion dieser Systeme und ihrer Evolution zu erlangen. In einigen Fällen ergeben sich auch praktische Anwendungen.

In der Synthetische Biologie arbeiten Biologen, Chemiker und Ingenieure zusammen, um abgewandelte biologische oder künstliche Systeme zu erzeugen, die in manchen Fällen zur Evolution fähig sind, mit dem Ziel

  • emergente Eigenschaften lebender Systeme zu reproduzieren (überspitzt als redisign life bezeichnet).
  • biologische Systeme in technische zu integrieren oder
  • biologische Systeme mit neuen Eigenschaften zu erzeugen.

Dabei werden verschiedene Strategien verfolgt:

  • Künstliche, biochemische Systeme werden in Lebewesen integriert, die dadurch neue Eigenschaften erhalten.
  • Entsprechend den biologischen Vorbildern werden schrittweise chemische System so aufgebaut, dass sie bestimmte Eigenschaften von Lebewesen aufweisen. (biomimetic chemistry, biomimetische Chemie)
  • Biologische, komplexe Systeme werden auf ihre wesentlichen Systemkomponenten reduziert, ohne dass sie ihre spezifischen Eigenschaften zu verlieren.

In der Regel werden dabei die Methoden der Gentechnik angewandt. Damit ergeben sich Systeme, die der Evolution unterworfen sind.

Geschichte

1978 schrieb Waclaw Szybalski in seinem Kommentar zum Nobelpreis in Medizin für die Arbeiten von Werner Arber, Daniel Nathans und Hamilton O. Smith [1] über Restriktionsenzyme: The work on restriction nucleases not only permits us easily to construct recombinant DNA molecules and to analyze individual genes but also has led us into the new era of synthetic biology where not only existing genes are described and analyzed but also new gene arrangements can be constructed and evaluated.[2]

1980 verwendete Barbara Hobom den Begriff bei der Beschreibung rekombinanter Bakterien als Synonym für die Anwendung gentechnologischer Methoden. [3]

2000 bezeichnete Eric Kool auf dem Jahrestreffen der American Chemical Society in San Francisco die Integration künstlicher chemischer Systeme in Lebewesen als „Synthetische Biologie“. [4] und etablierte damit das heutige Verständnis dieses Begriffs.

Konstruktion von DNA

Die Abwandlung des Konstruktionsprinzips der natürlichen DNA und ihr Verhalten in Bakterien führte einerseits zur Revision einiger Modellvorstellungen und ergab andererseits eine neue Diagnosemöglichkeit für Aids und Hepatitis (branched DNA diagnostic assay).

Ein neues Rückgrat

Um die Möglichkeiten zu erforschen, Gene mit Hilfe der Antisensetechnik gezielt auszuschalten, wurde in den 1980er Jahren mit modifizierter DNA experimentiert. Da das Rückgrat eines Polynukleotidstranges aus stark wasseranziehenden (hydrophilen) Bausteinen (Phosphat und Zucker (bei der DNA Desoxyribose) besteht, mussten diese durch fettanziehende (lipophile) Bausteine ersetzt werden, um die Moleküle durch die innere, lipophile Schicht der Zellmembran hindurchschleusen zu können. Man ging dabei davon aus, dass das veränderte Rückgrat keine Auswirkung auf die Erkennung der komplementären Basen durch die Polymerasen hat. Der Ersatz der Rückgratbausteine führte aber zu so vielen fehlerhafter Basenpaarungen bei der Verdopplung (Replikation) der DNA, dass die DNA-Doppelhelix nicht stabil war.

So ergab der Ersatz der Nukleotide durch PNAs (polyamide-linked nucleic-acid analogues, den natürlichen Nukleinsäuren analoge Moleküle, deren Basen durch Polyamide verknüpft sind) Ketten, die nicht mehr als 15 bis 20 Bausteine enthielten.

Der Ersatz der Ribose durch andere, weniger hydrophile Moleküle ergab ähnliche Ergebnisse. Allerdings verhielten sich Nukleinsäuren mit Threose besser als ihre natürlichen Vorbilder. (In natürlichen Systemen würde eine zu hohe Stabilität der Basenpaarungen die Variationsmöglichkeiten und damit die Anpassungsfähigkeit durch Evolution einschränken.)

Damit wurde deutlich, dass das Phosphat-Ribose-Gerüst eine wichtige Rolle für das Erkennungssystem der Polymerasen spielt.

Erweiterung des Genetischen Codes

Der Genetische Code beruht auf vier verschiedenen Basen von denen jeweils zwei zueinander komplementär sind. Basis des Komplementarität sind Zahl und räumliche Ausrichtung funktionellen Gruppen, welche die Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Purin- und Pyrimidin-Basen ermöglichen. Dabei fungiert ein Wasserstoff der Aminogruppe (-NH2) oder der Wasserstoff des Stickstoffs im Heterozyklus als Donor (D), Carbonylsauerstoff oder heterozyklischer Stickstoff mit einem nichtbindenden Elektronenpaar als Accpetor (A):
Datei:Base pair hydrogen bonding.jpg
Wasserstoffbrückenbindungen bei einem komplementärenBasenpaar

Theoretisch ergeben sich für die Kombination von Purinen (pu) mit komplementären Pyrimidinen (py) 12 Kombinationsmöglichkeiten für drei Wasserstoffbrückenbindungen:

py pu py pu
AAD DAA DAA AAD
ADA (wie bei Thymin) DAD (wie bei Adenin) DAD ADA
ADD DAA DAA (wie bei Cytosin, hier allerdings DA-) ADD (wie bei Guanin)

Damit ist es möglich, den Genetischen Code um vier neue Basenpaare zu erweitern. Mit einer modifizierten Polymerase lässt sich eine DNA, die auch diese Basenpaare enthält, replizieren.

Untersuchungen mit diesem modifizierten Replikationsystem haben gezeigt, dass die DNA-Reparaturenzyme nicht, wie das bis dahin gültige Modell vorschlug, die kleine Furche der DNA-Doppelhelix entlangwandern und den Nukleotidstrang nach nichtbindenden Elektronenpaaren der Wasserstoffbrücken-Donatoren absuchen.

Konstruktion von Enzymen

Bereits 1983 begann Kevin Ulmer die Aminosäuresequenzen von Enzymen zu verändern, um neue katalytische Eigenschaften erzeugen zu können. Ziel war es bestimmte, in verschiedenen Enzymen immer wieder vorkommende, Domänen wie α-Helix oder β-Faltblatt als Grundbausteine zu isolieren und sie so zu modifizieren, dass sie als Module wie bei einem Baukastensystem zu verschiedenneuen Enzymen mit vorbestimmten Eigenschaften zusammengesetzt werden können [5]. Da die Wechselwirkungen vor allem zwischen weiter entfernten Aminosäureresten zur Zeit kaum bekannt sind, konnte dieses Ziel nicht erreicht werden. Allerdings wurden bei diesen Forschungen Enzyme entwickelt, die als Polymerase für die DNA-Sequenzierung, als reverse Transkriptase für die Vermehrung künstlicher genetischer Systeme und als Enzyme in Waschmitteln Verwendung finden.

Konstruktion von Stoffwechselwegen

Mit Hilfe der Rekombinationstechnik können transgene Organismen bestimmte Stoffe synthetisieren, die sie mit ihrer natürlichen Genausstattung nicht hätten herstellen können. Dabei wird in der Regel ein Strukturgen mit dem entsprechenden Promotor und Steuergenen in das Wirtsgenom integriert. Mit Hilfe des vorhandenen Stoffwechselweges wird dieses Gen exprimiert, der gewünschte Stoff hergestellt (Beispiel: Synthese von Insulin durch das Bakterium Escherichia coli).

Die Synthetische Biologie geht bei der Konstruktion neuer Stoffwechselwege noch einen Schritt weiter. Ziel ist ein modulares System von exprimierbaren Genen, die in einem Wirtsorganismus je nach Bedarf zusammengefügt werden und nicht nur die vorhandenen, natürlichen Stoffwechselwege nutzen, sondern auch neue in der Zelle etablieren.

Da auch hier die zahlreichen Wechselwirkungen zwischen den zahlreichen Stoffwechselwegen und ihrer Regulation nur unzureichend bekannt sind, konnte bis jetzt ein Modulares System nicht aufgebaut werden.

Datei:Amorphadien.png
Amorphadien

Es konnte aber in einem Escherichia-coli-Stamm der Stoffwechselweg von Acetyl-CoA zu Amorphadien eingerichtet werden. Dieser Stoff ist eine Vorstufe zu Artemisinin, das als Medikament gegen Malaria eingesetzt werden kann. Für diesen Stoffwechselweg wurden Gene aus der Blutregenalge (Haematococcus pluvialis) und Hefe (Saccharomyces cerevisiae) verwendet.

Artemisin wird vom Einjährigen Beifuß (Artemisia annua), allerdings nur in ungenügenden Mengen, hergestellt.

Konstruktion von biochemischen Signalwegen

Grundlage ist die [Genregulation|Regulation der Genexpression]], bei der zum Beispiel ein Signalmolekül ein die Transkription blockierendes Eiweißmolekül (Repressor) dergestalt verändert, dass es den Weg für die RNA-Polymerase und damit für die Enzymsynthese eines bestimmten Stoffwechselweges freigibt. Dieser Stoffwechselweg produziert wieder Moleküle, die ihrerseits als Signalmoleküle für Induktion oder Repression der Expression bestimmter Gene dienen können.

Die erste Kombination von zwei verschiedenen Signalwegen gelang mit der Verknüpfung von zwei in der Natur nicht voneinander abhängigen Mechanismen: So konnte durch ein Signal, das eigentlich Wachstum fördert, der Zelltod ausgelöst werden. [6]

Im Laufe der Forschung vor allem von Drew Endy (MIT Cambridge, USA) konnten modulare Einheiten aus Genen und Regulatorproteinen, sogenannte „BioBricks“ („biologische Bausteine“), konstruiert werden, die, in Bakterien kombiniert ein definiertes Verhalten analog den technischen Schaltkreisen, wie sie in Computern zu finden sind, bewirkten (natural computing).

Endy konstruierte einen genetischen Schaltkreis, der Bakterien periodisch aufleuchteten ließ. Dieser sogenannte „Repressilator“, besteht aus drei verschiedenen BioBricks, die sich gegenseitig hemmen. Ein Baustein produziert auch ein Fluoreszenz-Protein. Die zeitliche Verzögerung bewirkt in diesem Schaltkreis eine Oszillation:

 
Schaltkreis des Repressilators (R1, R2, R2 sind die von den entsprechenden Genen codierten Repressormoleküle, A ist ein Aktivatormolekül)

Zwar ahmen diese genetischen Schaltkreise technische nach, es bestehen aber grundsätzliche Unterschiede, die eine technologische Anwendung erschweren:

  • Genetische Schaltkreise sind in das Genom von Lebewesen integriert, die sich vermehren und mit der Umwelt in Wechselwirkung stehen. Die Fremdgene sind damit der Evolution ausgesetzt. So konnte man beobachten, dass nach einer Stunde bereits 58 % der manipulierten Zellen nicht mehr das gewünschte Verhalten zeigten.
  • Die Bausteine stellen Fremdkörper in den Wirtsorganismen dar, sie entziehen für ihre Funktion den Zellen Nährstoffe, so dass die Vitalität der Wirte vermindert ist.
  • Die Bausteine erhöhen die Komplexität der Wirtszelle. Diese Komplexität erlaubt in der Regel keine exakten Voraussagen wie in den entsprechenden einfachen, ausschließlich auf Naturgesetzen beruhenden technischen Systemen.
  • In technischen Systemen können Signale auf Grund der Verdrahtung gezielt an ihren Bestimmungsort gebracht werden. In biologischen Systemen wirkt sich ein Signalmolekül auf alle Systemelemente aus, die den entsprechenden Rezeptor aufweisen. Wenn also die gleichen Module an verschiedenen Stellen eines Schaltkreises oder in verschiedenen Schaltkreisen verwendet werden, kommt es zu unerwünschten Wechselwirkungen. Dieses Problem wird dadurch umgangen, dass für jeden Schaltkreis in einem Organismus verschiedene BioBricks für die selbe Funktion eingebaut werden müssen. Dies führt zu einer unerwünschten Vervielfachung der Zahl der Module. In manchen Systemen wird deshalb statt eines Signalmoleküls die Transkriptionsrate der Module (TIPS, transcription initialisings per second) benutzt.
  • Die Entwicklung des „Repressilators“ dauerte zwei Jahre. Für die Entwicklung eins E.-coli-Stammes mit einer Flip-Flop-Schaltung benötigte James J. Collins ein Jahr.

Die Nachahmung elektronischer Schaltkreise erscheint zunächst wie eine Spielerei. Neben dem Erkenntnisgewinn über intrazelluläre Informationswege bestehen aber auch Möglichkeiten zu technologischen Anwendungen. So ist es denkbar, dass mit entsprechenden genetischen Schaltkreisen versehene Bakterien die Anwesenheit von Landminen anzeigen, wobei das Signal eine bestimmte Konzentration von TNT im Boden und die Reaktion ein Aufleuchten in von der Konzentration des TNT abhängigen Farben ist.

Konstruktion von Interzellularen Wechselwirkungen

Genom-Komplettsynthese

  • 2002 setzte Eckard Wimmer infektiöse Pockenviren in vitro zusammen. [7]
  • 2003 gelang Hamilton O. Smith und J. Craig Venter die Komplettsynthese des Bakterophagen X174 mit 5386 Basenpaaren.
  • 2005: Teilsynthese des Influenza-Virus, welches um 1918 für die als Spanische Grippe bekannte Pandemie verantwortlich war (Tumpey T. M., et al. (2005): Science, 310. 77 - 80.).

Dies führte zu einer heftigen Diskussion ob und wie die Synthese pathogener Genome eingeschränkt werden könnte um einen Missbrauch zu verhindern. Wiederholte Warnungen in Zeitungsartikeln (siehe z.B. im kürzlich erschienen Artikel in "The Guardian") sorgten durch Warnung vor Bioterrorismus für eine Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit, auch wenn es sich dabei nicht um eine realistische Einschätzung der Gefahren handelt (vgl. z.B. Kommentar zum Artikel in "The Guardian".

Die Kenntnis der Basensequenz genügt aber nicht, um die Funktion eines Genoms zu verstehen.

Genom-Reduktion

Endy zerlegte mit seinem Team das Genom des Bakteriophagen T7 in seine bekannten funktionellen Einheiten, die stückweise wieder zusammengefügt wurden. Jede Kombination wurde auf ihre Funktion im geprüft. Dadurch erhoffte man sich, die essentiellen Bestandteile von den überflüssigen, redundanten zu unterscheiden und damit zu erfahren, welches Minimalgenom für den Übergang von unbelebten, chemischen Systemen zu Lebewesen notwendig sind und damit Erkenntnisse über die frühe Evolution der Lebewesen zu erlangen.

Experimente in silico

Kapazitäten und Rechnerleistungen sowie spezielle Algorithmen ermöglichen die Simulation komplexer biologischer Netzwerke im Computer. Dadurch werden die Methoden in vivo (im lebenden Organismus) und in vitro (im Reagenzglas) um die Möglichkeit in silico (wörtlich „im Silizium“) erweitert.

Mit dem Computer können Selbstorganisationsprozesse, wie die Bildung von Membranen aus amphiphilen Molekülen in Wasser oder die Faltung von Eiweißmolekülen untersucht und mit den Beobachtungen an natürlichen Systemen verglichen werden.

Ein weiteres Anwendungsgebiet ist die Erforschung der Bedeutung der Basensequenzen des menschlichen Genoms (siehe Humangenomprojekt). Dabei werden isolierte Basensequenzen der DNA mit Hilfe des Computers in Aminosäuresequenzen übersetzt. Diese werden mit Sequenzen bereits bekannter Proteine von Modellorganismen wie Taufliege, (Drosophila melanogaster), Fadenwurm (Caenorhabditis elegans) oder Darmbakterium (Escherichia coli) verglichen. An Hand der gefundenen Eiweißstruktur wird im Computer das menschliche Proteinmolekül in seiner räumlichen Gestalt konstruiert und untersucht. So lassen sich zum Beispiel noch im Computer Wirkstoffe und Medikamente finden und konstruieren, welche die Funktion dieses Proteins beeinflussen können.

Einen großen Zuwachs an neuen Fragestellungen, Hypothesen und Erkenntnissen erwartet man sich von der Simulation regulatorischer Netzwerke einer Zelle im Computer. So ist es bereits gelungen, das Kammerflimmern des Herzens an Hand von vier Genen, die dabei ihre Aktivität ändern, im Computer zu reproduzieren.

Referenzen

  1. siehe [1]
  2. Gene 1978, 4, p 181)
  3. Barbara Hobom, Surgery of genes. At the doorstep of synthetic biology, in Medizin. Klinik 75, 14-21 (1980)
  4. R. Rawls, ‘Synthetic Biology’ makes its debut, in Chem. Eng. News, 49-53 (24. April 2000)
  5. Kevin M. Ulmer, Protein engineering, in Science 219m S. 666-671
  6. T. Pawson et al., Redirecting tyrosine kinase signaling to an apoptotic caspase pathway through chieric adaptor proteins, in Proc. Natl Acad. Sci. USA 100, S. 11267-11272 (2003)
  7. Science, Bd. 297, S. 1016

verwendete Literatur

  • W. Wayt Gibbs, Künstliche Biomaschinen, in Spektrum der Wissenschaft, Oktober 2004, S. 68ff; ISSN 0170-2971
  • Steven A. Benner, A. Michael Sismour, Synthetic Biology, in Nature Reviews / Genetics, volume 6, Juli 2005, S. 533 – 543 (siehe [2])
  • Michael Petter in Laborjournal, Ausgabe 03, 2004 (siehe [3]

weiterführende Literatur

Siehe auch

  • BioBricks-Datenbank [4]