Unter Militäreisenbahnwesen versteht man die Verwendung der Eisenbahn für militärische Zwecke. Die Eisenbahn kann dabei für logistische Belange (Truppen- und Nachschubtransporte) oder auch für direkte militärische Operationen (Eisenbahngeschütz, Panzerzug) genutzt werden.
Geschichte
Sobald die Eisenbahn als Transportmittel begann, interessierte sich auch das Militär für sie. Schon 1836 wurde eine Kommission aus preußischen Offizieren und Beamten gebildet, die die Bedeutung der Eisenbahn für militärische Zwecke untersuchen sollte und die am 4. Juli 1836 ihren Bericht vorlegte. Es wurde festgestellt, dass die Eisenbahn „in militärischer Beziehung alle Beachtung“ verdiene und es wurden einheitliche Normvorschriften hinsichtlich Dimensionierung und Belastbarkeit gefordert. Die Anlage von militärisch gewünschten Eisenbahnen zu fördern, wenn keine wirtschaftlichen Interessen vorlägen, wurde vom Staatsministerium 1836 noch abgelehnt. In einer Kabinettsorder vom 13. August 1837 wurde dann vom König befohlen, „im militärischen Interesse auf die Feststellung der Konstruktion des Handelsverkehrs dahin ein(zuwirken), dass letztere unbeschadet ihrer eigentlichen Bestimmung, den militärischen Bedürfnissen möglichst angepasst werden soll.“
Schon 1839 wurden in Preußen die ersten Truppentransporte durchgeführt. 8.000 Mann Garde-Infanterie wurden in 10 Zügen von Potsdam nach Berlin transportiert. Der erste Eisenbahntransport in Kriegszeiten in Deutschland fand 1849 statt, als zur Niederschlagung badischer und pfälzischer Revolutionäre die preußischen Truppen mit der Eisenbahn durch Südwestdeutschland transportiert wurden.
Die erste nur aus militärischen Gründen gebaute Eisenbahn entstand während des Krimkriegs. 1855 wurde zwischen dem Hafen von Balaklawa und dem Lager der britisch-französischen Belagerungsarmee vor Sewastopol eine etwa neun Kilometer lange improvisierte Feldbahn gebaut. Dies war allerdings keine strategische Bahn im eigentlichen Sinn. Der Nachschub wurde von britisch-französischer Seite ausschließlich durch Schiffe bewerkstelligt.
Auch als die technischen Voraussetzungen in Bezug auf die Infrastruktur vorhanden waren, fehlten die praktischen Erfahrungen in der Logistik. Dies zeigte sich in der Olmützer Krise im Herbst 1850. Die preußische Mobilmachung ging in Chaos unter, die Österreicher konnten zwar 75.000 Soldaten und 8.000 Pferde an die schlesische Grenze mit der Bahn transportieren, aber in einer Zeit, die man auch zu Fuß gebraucht hätte. Die Schnelligkeit der Fußmärsche wurde zwar nicht übertroffen, allerdings wurden der Truppe die Strapazen und hohen Marschverluste erspart.
Im Feldzug Frankreichs und Piemonts (Sardinischer Krieg) 1859 gegen Österreich wurden weitere Erfahrungen im Eisenbahnaufmarsch gewonnen. Der Truppentransport war etwa sechsmal schneller als Fußmärsche. Pro Tag wurden von der französischen Eisenbahn 8.500 Soldaten und über 500 Pferde in das Aufmarschgebiet verlegt. Auch hier wurden Fehler gemacht: Der Nachschub war nicht organisiert, es fehlte schnell an Verpflegung, Decken und Medikamenten. Herrenlose Güterwagen verstopften massenhaft die Bahnhöfe. Dies war der erste Krieg, in dem Eisenbahnen eine taktische und operative Bedeutung erlangten.
Im amerikanischen Sezessionskrieg (1861–1865) wurde die Eisenbahn systematisch als strategisches Element in der Kriegsführung eingesetzt. Damit wurde die Eisenbahn auch Ziel der Kriegsführung. Es war die Geburtsstunde der Eisenbahnpioniere, die zerstörte Strecken und Brücken wieder aufbauen mussten. Hier wurden zum ersten Mal Eisenbahngeschütze und gepanzerte Transportzüge eingesetzt; aber auch die Nachteile des privat entwickelten Eisenbahnnetzes traten zutage. So gab es bei Ausbruch des Krieges sechs verschiedene Spurweiten, die Strecken wurden aus wirtschaftlichen und nicht nach militärischen Gesichtspunkten angelegt.
Das internationale Geschehen wurde von der deutschen Militärführung aufmerksam beobachtet. In Deutschland war wesentlich Helmuth Karl Bernhard von Moltke (seit 1857 an der Spitze des preußischen Generalstabs), der die strategische Bedeutung der Eisenbahn erkannte und im Generalstab 1864 eine eigene Eisenbahnsektion einrichtete. Diese hatte, entsprechend der politisch-strategischen Lage, ständig die Zeittafeln für den Bahntransport fortzuschreiben. Ging man 1859 noch von 42 Tagen von der Mobilmachung bis zur Operationsbereitschaft der Truppen aus, so konnte 1866 die Zeitdifferenz auf 25 Tage verringert werden. Erstmals Bedeutung bekam dies im Deutsch-Österreichischen Krieg. Für den Aufmarsch in Böhmen standen den Österreichern eine einzige Eisenbahnlinie zur Verfügung mit einer Einsatzbereitschaft nach 45 Tagen, den Preußen aber fünf Linien. Dies hatte allerdings den Nachteil, dass die Ausgangsfrontlinie auf über 300 Kilometer ausgedehnt wurde, was sie sehr verwundbar machte. Hierfür wurde Moltke von seinen Fachkollegen heftig getadelt. Der schnelle Eisenbahnaufmarsch der Preußen machte aber diesen Nachteil wieder wett. Moltke prägte hierfür dann den Begriff „Getrennt marschieren – vereint schlagen“. So waren die preußischen Truppen schon im Einsatz, als die Österreicher noch im Aufmarsch waren. Die Umfassung der Österreicher bei Königgrätz war unter anderem durch den schnellen Aufmarsch erst möglich.
Durch die taktisch operative Bedeutung der Eisenbahn entwickelte sich auch ein eigener Automatismus, der bei späteren Kriegen wichtig wurde. Die Eröffnungsphase eines Krieges und die strategische Ausgangslage bekamen ein ganz neues Gewicht. Sobald der erste Schritt der Eskalationsleiter, die Mobilmachung, durchgeführt wird, muss schnell zugeschlagen werden, um die Zeitvorteile zu realisieren. Die Möglichkeiten zur Deeskalation auf politischer Ebene, z. B. durch Diplomatie, sind nur noch sehr gering. Die taktisch operative Bedeutung der Eisenbahn wurde am deutlichsten im russisch-japanischen Krieg von 1904/05 sichtbar. Er brach aus, weil Japan „klare Verhältnisse“ schaffen wollte, bevor Russland die transsibirische Eisenbahn vollenden und damit seine Stützpunkte an der pazifischen Küste beliebig verstärken konnte.
Auch im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 hatte der Eisenbahnaufmarsch entscheidende Bedeutung. War man in der Planung 1869 noch von 24 Tagen Zeitdifferenz von der Mobilmachung bis zur Operationsbereitschaft ausgegangen, waren es zu Kriegsbeginn nur noch 20 Tage. Die Franzosen brauchten sechs Wochen.