Als Zinsstruktur bezeichnet man die Abhängigkeit des Zinssatzes von der Bindungsdauer einer Anlage. Typischerweise erhält ein Anleger für Geld, das für einen langfristigen Zeitraum fest angelegt wird, einen höheren Zinssatz als für Geld, das nur kurzfristig angelegt wird - der Zinssatz steigt also mit der Bindungsdauer. Eine solche Zinsstruktur wird deshalb als steigend (bzw. normal) bezeichnet.


Die Zinsstruktur wird als flach bezeichnet, wenn der Zinssatz von der Bindungsdauer unabhängig ist. Dies ist jedoch die Ausnahme. Selten sind inverse (bzw. fallende) Zinsstrukturen. Sie treten auf, wenn für langlaufende Titel weniger Zinsen bezahlt werden als für kurzfristige Titel.
Die Zinsstruktur wird grafisch in der so genannten Zinskurve (auch Zinsstrukturkurve) veranschaulicht. Eine ähnlicher Indikator ist der Zinsspread.
Bedeutung
Die Zinsstruktur hat für Wirtschaftsforscher eine große Bedeutung zur Abschätzung der zukünftigen Entwicklung der Finanzmärkte und der Wirtschaft. Portfolio-Manager, die z. B. für Versicherungen oder Pensionskassen Geld anlegen, schätzen damit Risiken und Anlagestrategien ab.
Erklärungsmodelle für die Zinsstruktur
Es gibt drei Erklärungsmodelle, warum die Höhe des Zinssatzes von der Bindungdauer abhängig ist. Diese drei Zinsstrukturhypothesen ergänzen sich teilweise, teilweise konkurrieren sie miteinander.
Die (reine) Erwartungshypothese
Die reine Erwartungshypothese folgt aus der Annahme der vollständigen Informationseffizienz des Marktes und der Annahme der vollständigen Risikoneutralität der am Markt handelnden Subjekte.
Dann ergibt sich folgendes Bild:
- Werden steigende Zinsen am Markt erwartet, so investieren die Anleger vorzugsweise in "Kurzläufer", d. h. die Nachfrage am sog. kurzen Ende der Zinskurve steigt. Dies schmälert folglich die Renditen für Titel kurzer Laufzeit und die Zinskurve steigt (normale Zinsstruktur).
- Werden am Markt fallende Zinsen erwartet, so tritt das Gegenteil ein: Anleger wollen ihr Kapital lieber langfristig zu höheren Zinssätzen anlegen. Durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage entwickelt sich dann die inverse Zinsstruktur, zu der es oft vor Rezessionen kommen kann.
Die Erwartungshypothese liefert die gedankliche Grundlage für die Berechnung von forward rates bzw. impliziten Terminzinssätze die den erwarteten Spotzinssätzen entsprechen.
Seit Fama ist bekannt, dass Forward Rates die Richtung, aber nicht das Ausmaß von Zinsänderungen prognostizieren.
Die Erwartungshypothese erklärt, warum in Hochzinsphasen die Zinsstruktur häufig invers ist und warum in Niedrigzinsphasen die Zinsstruktur in der Regel steigend ist. Sie erklärt jedoch nicht, warum steigende Zinsstrukturen die Regel und inverse Zinsstrukturen die Ausnahme sind. Darüberhinaus vernachlässigt sie, dass langlaufende Anlagen ein höheres Risiko aufweisen als kurzfristige.
Die Liquiditätspräferenzhypothese
Die Liquiditätspräferenzhypothese ergänzt zur Erwartungshypothese den Umstand, dass Investoren ihre zukünftigen Pläne nicht genau kennen und deshalb ihre Mittel lieber kurzfristig anlegen. Dies wird durch die Furcht begründet, dass man langfristig angelegte Mittel nur zu sehr ungünstigen Bedingungen wieder flüssig machen kann.
Um die Investoren zu langfristigen Anlagen zu motivieren, wird daher eine Liquiditätsprämie bezahlt. Dies erklärt, warum die Zinsstruktur in aller Regel steigend ist. Kombiniert man die Aussagen von Erwartungshypothese und Liquiditätspräferenzhypothese, so kann man aus der Zinsstruktur die vom Markt erwartete Zinsänderung ableiten, zum Beispiel:
- Eine schwach steigende Zinsstruktur bedeutet somit, dass für langlaufende Titel lediglich die Liquiditätsprämie bezahlt wird und der Markt somit keine Zinsänderung erwartet.
- Eine stark steigende Zinsstruktur bedeutet, dass der Markt steigende Zinsen erwartet: Es wird für langlaufende Titel im Vergleich zu kurzfristigen Bindungen mehr als die Liquiditätsprämie gezahlt.
Die Liquiditätspräferenzhypothese allein kann inverse Zinsstrukturkurven nicht erklären.
Die Marktsegmentierungshypothese
Die Marktsegmentierungshypothese beruht auf der Erfahrung, dass es keinen einzigen einheitlichen Anlagemarkt gibt, sondern dass die Marktteilnehmer in einem Segment operieren und dieses selten verlassen. Somit gibt es Angebot/Nachfrage-Situationen in jedem einzelnen Segment, was zu verschiedenen Zinssätzen in den einzelnen Segmenten und damit einer nicht-flachen Zinsstruktur führt.
Die Marktsegmentierungshypothese ist in der Lage zu erklären, warum es auch (aber selten) zu unregelmäßigen Zinsstrukturen kommt (z.B. buckelige Zinsstrukturen).
Neben diesen Zinsstrukturtheorien bzw. -hypothesen, die den Verlauf der Zinsstruktur durch Faktoren erklären wollen, die im Grunde außerhalb der Finanzmärkte liegen (Erwartungen, Präferenz für möglichst liquides Vermögen und feststehende, meistens institutionell bestimmte Bevorzugung ganz bestimmter Laufzeiten), gibt es die sogenannten Zinsstrukturmodelle im engeren Sinne. Diese haben den viel bescheideneren Anspruch, die Zusammenhänge innerhalb der Zinsstrukturkurve, d.h. die Zusammenhänge zwischen Zinssätzen unterschiedlicher Restlaufzeiten zu erklären.
Spot rates und forward rates
Die Zinsstruktur ist eine Abfolge von spot rates, das heißt, von Zinssätzen gültig ab dem heutigen Tag, zu ihrer Bindungsdauer.
Die Zinsstruktur wird jedoch auch zur Berechnung von forward rates benutzt, das sind Zinssätze, die ab einem bestimmten Datum in der Zukunft zu einer bestimmten Bindungsdauer gelten.
Ermittlung der Zinsstruktur
Mit der Ermittlung der Zinsstukturkurve beschäftigt sich unter anderem die stochastische Analysis. Eine wichtige Quelle für Rohdaten sind hier die Renditen von erstklassigen Nullkuponanleihen mit verschiedenen Restlaufzeiten, aber auch Kuponanleihen, z.B. die Preise von Staatsanleihen, werden genutzt. Die kupontragenden Anleihen bringen das Problem der Kuponverzerrung (Der Kupon hat eine andere Laufzeit als die gesamte Anleihe) mit sich. Daher ist die Berechnung sehr schwierig. Grundsätzlich müssen natürlich alle anderen Variablen, wie z. B. die Bonität des Schuldners, konstant sein. Gegebenenfalls wird die Zinsstrukturkurve durch die Sätze der Swapmärkte oder Marktzinssätze (LIBOR, ...) ermittelt.
Swapmärkte
Hier wird sich zu Nutze gemacht, dass Swapsätze identisch sind mit Kupons von Anleihen, die zu pari notieren. Es verursacht jedoch auch Sonderprobleme.
Auf unvollkommenen Märkten kann die Wahl des Referenzzinssatzes die Bewertungszinssätze beeinflussen. Es ergeben sich Dispositionserträge durch die Ausnutzung kurzfristiger Preisdifferenzen.
Statistische Verfahren
Es werden diskrete von stetigen Verfahren unterschieden. Stetige Verfahren umfassen das Spline-Verfahren, das Nelson-Siegel-Verfahren und das von der Bundesbank verwendete Nelson-Siegel-Svenson-Verfahren.
Die Bundesbank nutzt die durchschnittliche Effektivverzinsung von laufenden Kuponanleihen (insbes. Bundesanleihen) um Zinsstrukturkurven zu ermitteln. Alternativ verwendet sie das anspruchsvolle Nelson-Siegel oder das Svenson Verfahren.
Grafische Darstellung
Die Zinskurve kann folgende Ausformungen haben:
Normale (steigende) Zinskurve
Die Zinskurve ist meist steigend, d.h. für längere Bindungsdauern werden höhere Zinsen bezahlt. Das kann der Ausdruck dafür sein, dass der Markt höhere Zinsen in der Zukunft erwartet; ebenfalls wird die längere Bindungsdauer mit einer Liquiditätsprämie und einer Risikoprämie abgegolten.
Flache Zinskurve
Dies bedeutet, dass die Zinsen von der Bindungsdauer unabhängig sind. Unter der Annahme, dass der Markt eine Liquiditätsprämie und Risikoprämie zahlt, bedeutet dies, dass fallende Zinsen erwartet werden.
Inverse (fallende) Zinskurve
Für langfristige Anlagen werden weniger Zinsen bezahlt als für kurzfristige Anlagen. Dies bedeutet, dass der Markt für die Zukunft stark fallende Zinsen erwartet (z.B. durch Leitzinssenkungen der Notenbank) und die Akteure folglich lieber in längfristigere Anlagen investieren. Die dadurch entstehende Nachfrage "am langen Ende" drückt die entsprechenden Zinssätze.
Dies war in der Vergangenheit oft ein Vorzeichen für Wirtschaftskrisen. Aber es gibt auch außerordentliche wirtschaftliche Umstände, die eine inverse Zinskurve bedingen. Kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands war die Zinskurve beispielsweise invers.
Unregelmäßige Zinskurve
Unter den unregelmäßigen Zinskurven ist die "buckelige" (wie abgebildet) die häufigste.
Anwendungen
Die Zinsstrukturkurve lässt sich einsetzen bei der Bewertung von festverzinslichen Titeln. Es lässt sich der theoretische Preis und Kurs berechnen. Auch die Sensitivität des Kurses und Preises des festverzinslichen Titels gegenüber Zinsänderungen lässt sich erfassen.
Außerdem eignet sich die Zinsstrukturkurve auch für die Berechnung von impliziten Terminzinssätzen, Szenarioanalysen und für die Bewertung von Zinsderivaten.
Weblinks
- Tägliche Zinsstruktur am Rentenmarkt (pdf) (Deutsche Bundesbank)
- Zinssturkturkurven bei yahoo
- Erklärungen bei riskglossay (engl.)
- Zinsstrukturkurven im Zeitvergleich (engl.)