Geschichte der Juden in Hameln

Die Geschichte der Juden in Hameln begann in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 1878/79 wurde in Hameln die Alte Synagoge erbaut. Die Angehörigen der ehemaligen Jüdischen Gemeinde wurden während der Zeit des Nationalsozialismus vertrieben, deportiert und ermordet. Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich wieder jüdisches Leben in Hameln durch zwei Gemeinden. In der Stadt gibt es den Jüdischen Friedhof Hameln als früheren Bestattungsplatz, der nach dem Krieg wieder hergerichtet wurde. Heute erinnern Stolpersteine an die früheren jüdischen Bewohner.
Geschichte
Mittelalter
In der um das Jahr 1200 entstandenen Stadt Hameln werden Juden erstmals im Jahr 1277 urkundlich erwähnt. In anderen Städten des heutigen Niedersachsens sind sie ebenfalls in dieser Zeit nachzuweisen, wie in Helmstedt (1240), Hannover (1292) und Braunschweig (1296).
Die erste Erwähnung der Hamelner Juden findet sich im großen Stadtrechtsprivileg von 1277, mit dem Herzog Albrecht I. der Stadt Hameln umfangreiche Freiheiten und Rechte bestätigte. In dem Privileg überließ der Herzog der Stadt den Judenschutz und damit eine wichtige Finanzquelle. Das Judenregal lag sonst beim Landesherren. Jeder in Hameln wohnende Jude war von allen Diensten an den Herzog befreit, aber der Stadt gegenüber zu den „Diensten eines Bürgers“ verpflichtet, wie Wachdienst und Befestigugnsarbeit. Dadurch gehörten die Juden der Stadt und genossen ihren Schutz, wofür sie bezahlen mussten. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts wohnten mindestens sieben jüdische Familien mit insgesamt etwa 50 Familienangehörigen in der Stadt, die zu der Zeit etwa 2000 Einwohner hatte. Ein sogenannten Judenviertel wie in anderen Städten gab es in Hameln nicht.
Neuzeit
Der Rat der Stadt hatte Interesse an jüdischen Bürgern, weil sie als Kaufleute die Wirtschaft belebten. Beschränkende Bestimmungen gegen sie wurden nicht erlassen. Über landesherrliche Judenvertreibungen Ende des 16. Jahrhunderts setzte sich Hameln hinweg. Trotzdem verließen Juden die Stadt und 1596 lebte über Jahrzehnte nur ein Schutzjude mit seiner siebenköpfigen Familie in der Stadt.
Gegen Ende des 17. Jahrhundert stieg die Zahl jüdischer Bürger wieder zu. 1689 lebten drei jüdische Familien mit 25 Personen in der Stadt. Im 18. Jahrhundert nahm die jüdische Bevölkerung weiter zu und 1792 gab es 14 Familien. Die Anweisungen hannoverscher Behörden schränkten jüdische Händler zunehmend ein, so das die Mehrheit der Juden in sozialer Absonderung und Armut lebte. 1797 verfassten die 13 in Hameln lebenden Schutzjuden eine Petition an die Regierung in Hannover und baten um die Gewährung bürgerlicher Rechte.
19. und 20. Jahrhundert
In der Franzosenzeit Anfang des 19. Jahrhunderts wurden auch in Hameln Juden der übrigen Bevölkerung rechtlich gleichgestellt. Nach dem Sieg über Napoleon schaffte das Königreich Hannover 1815 nach dem Wiener Kongress die Gleichstellung der Juden wieder ab. Übernommen aus französischer Zeit wurde 1828 die Vorschrift, dass Juden feste Familiennamen führen mussten.
Erst 1842 besserte sich die Rechtsstellung der Juden durch das Hannoversche Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Juden, das sich an der liberalen Judengesetzgebung in Preußen mit dem Preußischen Judenedikt von 1812 orientierte. Ihre völlige Gleichstellung erhielten die Juden erst nach der Revolution von 1848 durch eine Änderung der Landesverfassung des Königreichs Hannover. Zu dieser Zeit (1845) lebten unter den 6400 Einwohner Hamelns 86 Juden. Durch Zuzug aus den umliegenden Dörfern stieg ihre Zahl im Jahr 1864 auf 129 Personen.
Nach dem Ende des Königreichs Hannover von 1866 und der neuen Zugehörigkeit Hamelns zu Preußen gelang den Juden in der prosperierenden Stadt schnell der berufliche und gesellschaftliche Aufstieg. Es gab jüdische Unernehmer in der Teppichbranche sowie jüdische Ärzte und Rechtsanwälte. Die meisten Juden waren patriotisch gesonnen und beteten in der Synagoge für Kaiser und Reich. Trotzdem waren sie Ende des 19. Jahrhunderts einem zunehmenden Antisemitismus ausgesetzt.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs meldeten sich 1914 zahlreiche Juden zum Militärdienst. Nach dem Krieg gründeten sie in Hameln eine Ortsgruppe des Reichsbunds jüdischer Frontsoldaten, der 30 Mitglieder umfasste.
Zeit des Nationalsozialismus
In der Zeit des Nationalsozialismus wurden 101 Personen jüdischer Herkunft, die in Hameln lebten oder geboren wurden, ermordet. Zum Zeitpunkt der Machtergreifung 1933 lebten unter den 20.000 Einwohnern Hamelns 160 Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Danach sank die Zahl der Gemeindemitglieder auf 44 Personen im Jahr 1939. Zu dieser Zeit hatten nur zwei Mitglieder der Gemeinde als Kaufleute Einkünfte aus Erwerbstätigkeit, während die übrigen von Ersparnissen, Renten oder Mieteinnahmen lebten.
Zu einem erster Übergriff kam es am 6. März 1933 durch das versuchte Inbrandsetzen der Synagoge mittels brennender Benzinkanister. Am 13. März 1933 standen erstmals SA-Männer mit Schildern vor jüdischen Läden, die zum Boykott aufforderten. Am 1. April 1933 kam es wie in ganz Deutschland auch in Hameln zu Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte. Die örtliche Zeitung Dewezet veröffentlichte den Boykottaurfuf als Anzeige, in der 29 jüdische Geschäfte, Ärzte und Rechtswanwälte genannt wurden.
Beim Novemberpogrom 1938 setzten Männer der Hamelner SA- und SS unter Mithilfe von Feuerwehrangehörigen die Synagoge in Brand, während die Nachbarhäuser von der Feuerwehr geschützt wurden. Der jüdische Friedhof war von Schändungen durch das Umstürzen und Zerschlagen von Grabsteinen betroffen. Darüber hinaus kam es am 9. November 1938 in Hameln zu Plünderungen von Läden jüdischer Eigentümer. 10 jüdische Männer wurden in der Stadt in Schutzhaft genommen und in das KZ Buchenwald verschleppt.
Das durch die Brandstiftung niedergebrannte Synagogengebäude wurde auf Anordnung der Stadt nach kurzer Zeit abgetragen. Noch 1938 kaufte die Stadt das Grundstück der Synagogengemeinde ab. Dabei drückte sie den Kaufpreis im ersten Angebot von 9800 auf 6000 Reichsmark, obwohl der Einheitswert 32.500 Reichsmark betrug.
Die Umsetzung des im April 1939 erlassenen Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden durch die Stadt Hameln führte zu einer Ghettoisierung. 1940 waren die Wohnungsumsetzungen von fast 20 jüdischen Personen, meist älteren Frauen, in zwei Judenhäuser in Hameln abgeschlossen.
Die Deportation der letzten jüdischen Bewohner erfolgte durch zwei Transporte, darunter eine Deportation von 14 Personen Ende März 1942 in das Warschauer Ghetto. 13 weitere Personen, die alle über 65 Jahre alt waren, wurden im Juli 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert.
Neubelebung jüdischen Lebens
In Hameln leben heute (2018) eine Reihe von Menschen jüdischen Glaubens. Es handelt sich überwiegend um Menschen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, die nach 1989 kamen. In den späten 1990er Jahren wurden zwei jüdische Gemeinden gegründet, von denen eine die neu entstanden Synagoge nutzt. Dabei handelt es sich um die 1997 gegründete liberale Jüdische Gemeinde Hameln und die 1998 gegründete Jüdische Kultusgemeinde im Landkreis Hameln-Pyrmont.
Synagogen

Eine erste Synagoge gab es bereits 1341, deren Standort nicht mehr lokalisiert werden kann. Es handelte sich um ein von Stadt gemietetes Steinhaus mit Hof und zwei Buden. Ab dem 17. Jahrhundert diente ein angemieteter Raum mit Mikwe in einem inzwischen abgerissenen Haus in der Alten Marktstraße als Synagoge. Im 19. Jahrhundert genügte dies nicht mehr den Bedürfnissen der größer und wohlhabender gewordenen jüdischen Gemeinde nach Platz und Repräsentation.
Als die Stadt Hameln 1875 der jüdischen Gemeinde die leer stehende Garnisonskirche zur Einrichtung einer Synagoge verkaufen wollte, erzeugten evangelische Pfarrer ein antijüdisches Klima. Die Stadt stoppte den Verkauf und bot der jüdischen Gemeinede ein Grundstück zum Bau einer Synagoge an. Darauf entstand 1878/79 die Alte Synagoge Hameln nach Plänen des Architekten Edwin Oppler als monumentaler Bau im neuromanischen Stil, der 300 Gottesdienstbesuchern Platz bot.
2011 entstand auf dem Grundstück der früheren Synagoge durch die liberale Jüdische Gemeinde Hameln ein Synagogenneubau.
Gedenkstätte und Mahnmal
Das Grundstück, auf dem die 1938 niedergebrannte und abgerisssene Synagoge stand, und auf dem sich noch ein weiteres Gebäude befand, blieb lange Zeit unbebaut. Zunächst diente es als Gemüsegarten. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es Bemühungen zur Aufstellung eines Gedenksteins oder Einrichtung einer Gedenkstätte, was ergebnislos verlief. 1951 machte die Jewish Trust Corporation Ansprüche auf Rückerstattung oder Entschädigung geltend, die die Stadt Hameln mit rund 14.000 DM beglich. Im vorderen Bereich des Grundstücks richtete die Stadt einen Kinderspielplatz ein, an desen Rand sie 1963 einen Gedenkstein zur jüdischen Gemeinde Hameln aufstellte. 1980 wurde die Stelle durch eine mit Sandstein verkleidete Mauer würdevoller gestaltet. 1995 riefen Bürger zu einer Neugestaltung des Mahnmals auf, die durch Spenden und Finanzmittel der Stadt getragen wurde. Das zweiteilige Mahnmal schuf der Künstler Hans-Jürgen Breuste. Es besteht zum einen aus fünf Namenstafel, auf denen 99 Personen aus Hameln mit ihrem Alter und ihrem Deportationsschicksal genannt sind. Darüber hinaus besteht es aus einer mächtigen geborstenen Stahlsäule, die auf dem Boden liegt.
Friedhof

Auf dem Jüdischen Friedhof Hameln befinden sich heute 173 Grabsteine für jüdische Verstorbene aus Hameln und Umgebung. Der älteste Grabstein stammt aus dem Jahr 1741, der jüngste aus dem Jahr 1937. Der frühere Bestattungsplatz ist ein geschütztes Kulturdenkmal.
Erinnerungsorte
Stolpersteine

In Hameln wurden seit 2013 bis heute (2018) 68 Stolpersteine im Rahmen der Aktion des Künstlers Gunter Demnig verlegt. Die 10 × 10 × 10 cm großen Betonquader mit Messingtafel sind in den Bürgersteig vor jenen Häusern eingelassen, in denen die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft damals wohnten. Darunter ist eine Vielzahl jüdischer Bürger.
Siehe auch
Literatur
- Bernhard Gelderblom: Sie waren Bürger der Stadt. Die Geschichte der jüdischen Einwohner Hamelns im Dritten Reich. Ein Gedenkbuch, Hameln, 1996
- Bernhard Gelderblom: Die Juden von Hameln von ihren Anfängen im 13. Jahrhundert bis zu ihrer Vernichtung durch das NS-Regime, Holzminden, 2011
Weblinks
- Die Stadt Hameln und ihre Juden, umfassende Darstellung durch den Hamelner Historiker Bernhard Gelderblom
- Die Hamelner Juden in der Zeit von 1933-1945 bei Hamelner-Geschichte.de