Familie
Unter Familie versteht die Soziologie eine engere Verwandtschaftsgruppe. (Im weiteren Sinn umfasst sie auch Schwiegerfamilien.)
Das Wort entstammt dem Lateinischen familia, wo es freilich den Großhaushalt einer hochgestellten Familie bezeichnete; vgl. noch die alte Redensart "ein Mann ohne Familie", was bedeutete, dass er 'von unten' herkam.
Funktionen der Familie
Die Familie bündelt biologisch und sozial viele Funktionen:
Ob die biologische Reproduktions-Funktion der Spezies "Mensch" der Institution "Familie" bedarf, ist bereits umstritten. Zur biologischen Basis gehören jedoch die Gebärfähigkeit der Frau und die Zeugungsfähigkeit des Mannes, das Zusammenleben von mindestens zwei Generationen und die extreme Dauerpflegebedürftigkeit der Säuglinge.
Als soziale Funktionen sind zu nennen:
Für in ihr geborene Kinder erbringt sie rechtlich eine legitime Platzierung in der jeweiligen Gesellschaft. Bei mächtigen Familien besonders auffällig ist die politische Funktion (z. B. die Bündnisfunktion im Adel). Sie hat auch religiöse Funktionen, was in modernen Kleinfamilien wenig auffällt (Beispiele: Vater spricht das Tischgebet; er schmückt den Weihnachtsbaum), früher aber in vielen Bräuchen verdeutlicht wurde (Beispiele: Der Vater bestimmt, ob ein Neugeborenes lebensfähig ist oder ausgesetzt wird; die Aussaat mit der Hand darf nur der Bauer selber vornehmen). Ihre wirtschaftliche Funktion ist hingegen deutlich, so erbringt sie Schutz und Fürsorge (auch materielle) für Säuglinge, aber auch für kranke und alte Familienangehörige. Ihre erzieherische Funktion wird durch ihre Fähigkeit zur sozialen Kontrolle, zur Erleichterung der Sozialisation und der Formierung von Motivationen und Fähigkeiten von Heranwachsenden erleichtert.
In modernen Gesellschaften werden rechtliche, politische, religiöse, wirtschaftliche und erzieherische Funktionen der Familie oft auf andere gesellschaftliche Institutionen (z. B. Staaten, politische Gemeinden, Versicherungsanstalten) weitgehend übertragen und treten in ihrem Alltag dann stark zurück, was sich in Notzeiten durchaus rasch ändern kann.
Einzelterminologie
Unterschieden wird, ob ein junges Ehepaar nach der Hochzeit zur Familie der Frau zieht (Uxorilokalität) oder zu der des Mannes (Virilokalität), oder ob es sich an einem dritten Wohnort niederlässt (Neolokalität). Auch wird unterschieden, ob materielle, kulturelle und spirituelle Ressourcen in einer Familie vom Vater auf den Sohn übergehen (Patrilinearität), oder ob sie über die Mutter laufen (Matrilinearität), was nicht ausschließen muss, dass Männer in der Familie herrschen (dann vererbt ein Mann auf die Männer seiner Töchter [vgl. dazu auch den Beitrag Stiefmutter ] oder auf die Söhne seiner Schwester). Diese Begriffe sind nicht mit den Bezeichnungen für (inner- oder außerfamiliären) Formen der Herrschaft von Frauen bzw. Männern zu verwechseln - vgl. dazu Matriarchat und Patriarchat, auch Paternalismus.
Kernfamilie und Großfamilie
Im Alltag wird heute unter "Familie" meist die so genannte Kernfamilie verstanden, d. h. Vater, Mutter und deren Kinder. Die Kernfamilie erscheint in der Tat in den meisten modernen Gesellschaften, selbst wenn die Quellen nur - wie oft - von Großfamilienformen (der Oberschicht) sprechen. Begrifflich darf die "Kernfamilie" in diesem Sinn nicht mit der "Kleinfamilie" verwechselt werden, die wenig Mitglieder umfasst; eine "Kernfamilie" mit 12 ehelichen Kindern ist keine "Kleinfamilie".
Bei Großfamilien gibt es erhebliche Variationen, sowohl, was die Zahl der Partner, die einbezogenen Generationen oder Seitenlinien, als auch, was den Einbezug Nicht-Blutsverwandter (Mündel, Gesinde, Haussklaven) angeht. Auch die Interpretation von "Abstammung" unterscheidet sich (vgl. z. B. die Institution der Adoption).
Wandel der Familienstruktur in jüngerer Zeit
Mit dem Wachstum der Städte und der Entwicklung des Bürgertums und der Verbürgerlichung des Industrieproletariats in Europa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entsteht auch die Vorstellung der sogenannten 'Normalfamilie'. Diese wandelt sich ihrerseits und hatte in den 1950er Jahren etwa folgendes Bild: Verheiratet mit eigenen Kindern, beide leibliche Eltern im Haushalt, lebenslange Ehe (auch Monogamie und natürlich heterosexuelle Ehe), der Mann als Haupternährer, die Frau mit hausfraulichen Pflichten belastet. Heute (2004) kennt die Familiensoziologie mehrere typische Formen.
Zwar hat die Familie nach wie vor eine hohe Wertigkeit und gehört fest in den Lebensplan vieler junger Menschen, doch die Formen der Familie entsprechen immer seltener dem Familienideal der bürgerlichen Familie. Empirisch ist der Wandel der Familienstrukturen an einer Schrumpfung der Haushaltsgröße, einem Rückgang der Eheschließungen (nicht notwendig aber der Paarbindungen), der Zunahme der Scheidungen, einem Rückgang der durchschnittlichen Geburten pro Frau und einer Zunahme der Frauenerwerbsarbeit feststellbar.
Familienbezogene Wissenschaften
Wegen ihrer Funktionenvielfalt befassen sich zahlreiche Wissenschaften mit der Familie. Zu nennen wäre - ein offener Katalog - :
- die Soziologie (besonders die Familiensoziologie) und die Ethnologie
- die Rechtswissenschaft (besonders im Familienrecht)
- die Volkswirtschaftslehre (besonders innerhalb der Sozialpolitik die Familienpolitik)
- die Pädagogik
- die Medizin (besonders im Rahmen der Psychiatrie die Familientherapie)
- die Geschichtswissenschaft (besonders im Rahmen ihrer "Hilfswissenschaften" Genealogie, Familienforschung und Heraldik).
An familienbezogene Berufsspezifikationen, wie z. B. in der Sozialarbeit, ist zu erinnern.
Literatur
- Michel Foucault : Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I, Frankfurt a.M.: Suhrkamp-Verlag
- Max Horkheimer:Studien über Autorität und Familie
(Besser i. e. S. familiensoziologische Quellen hinzufügen)
Weitere Stichworte zu Familienformen
Weblinks
siehe auch: Ehe, Familie (Recht), Klan, Phratrie, Sippe, Verwandtschaft (auch als Kontrastbegriff zur Verschwägerung)