Gertrud Kraus
Gertrud Kraus (hebräisch גרטרוד קראוס; geb. 5. Mai 1901 in Wien, Österreich-Ungarn; gest. 23. November 1977 in Tel Aviv) war eine österreichisch-israelische Tänzerin und Choreographin. Sie gilt als eine der Pionierinnen des Expressionistischen Tanzes in Wien, später in Israel.
Leben und Werk
Gertrud Kraus wuchs als zweites von vier Kindern in einer jüdischen Familie in Wien auf. Ihr Vater, Leopold Kraus, war 1870 im damaligen Königreich Böhmen geboren worden, ihre Mutter, Olga Kraus (geborene Neubauer), um 1876. Ihre Eltern heirateten in Prag.
Kraus studierte Klavier an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Nach dem Abschluss schrieb sie sich erneut ein, diesmal für das Fach Tanz. 1921 war sie Schülerin von Gertrud Bodenwieser und wurde Tänzerin in deren Kompagnie. Wenige Monate später eröffnete sie ihr eigenes Tanzstudio in Wien. Sie begann Soli zu komponieren und einzustudieren. Ihre erste eigene Tanzperformance vor Publikum war ein großer Erfolg. Sie choreografierte im Stil des expressionistischen oder Freien Tanzes, der von Gefühlen und dem eigenen Erleben ausgeht, und etablierte sich in den zwanziger Jahren als eine der führenden Ausdruckstänzerinnen Wiens. Einige ihrer „komisch-grotesken“ Solokreationen wie Wodka oder Guignol wurden zur Grundlage ihres Repertoires, das sie bis Mitte der 1930er Jahre in ganz Europa und auch in Palästina bzw. Israel aufführte.
Kraus interessierte sich für soziale und politische Fragen. Sie wurde Zionistin und vertrat zugleich fortschrittliche sozialistische Ansichten. Beides brächte nach ihrer Auffassung die Gesellschaft den Idealen von Freiheit und Gerechtigkeit näher. Ihre Choreografien verband sie mit gesellschaftspolitischen Aussagen und traditioneller jüdischer Kultur.
Bei den Wiener Festwochen 1929 war sie Chefassistentin von Rudolf von Laban für die Inszenierung des Festzugs der Gewerbe. 1930 nahm sie mit ihrer Gruppe an einem internationalen Tanzkongress in München teil, bei dem auch die großen Künstler des modernen Tanzes vertreten waren, darunter Laban und Mary Wigman, und führte ihren Zyklus Ghettolieder nach Musik von Joseph Achron auf. In der Nacht der Machtergreifung am 30. Januar 1933, nachdem Hitler zum deutschen Kanzler ernannt worden war, traten Gertrud Kraus und ihre Tänzer mit der Uraufführung des Tanztheaterstücks Die Stadt wartet nach der Erzählung Musik der Großstadt von Maxim Gorki und zur Musik von Marcel Rubin auf der Freilichtbühne des Burgtheaters auf. Kraus präsentierte in dem Werk eine moderne Metropole als faszinierenden, aber gefährlichen Ort und sah den Holocaust voraus. Der Wiener Tänzer Fritz Berger (1911-1980) gestaltete darin in Anspielung auf Hitler einen ägyptischen Pharao als Tyrann. Es war die letzte Choreografie, die Kraus in Wien aufführte.
Während eines zionistischen Kongresses 1933 in Prag stellte sie bei der Jewish Agency for Israel einen Antrag für die Einwanderung nach Palästina. Nach dem nationalsozialistischen Putschversuch in Österreich 1934 emigrierte sie und kam 1935 nach Tel Aviv. Sie eröffnete bald darauf ihr eigenes Studio und gründete die G. K. Dance Group, die während des Zweiten Weltkriegs zur ständigen Modern Dance Compagny der Volksoper in Tel Aviv wurde. 1949 verbrachte sie ein Ausbildungsjahr in den USA und begründete danach, orientiert am amerikanischen Modern Dance, das Israel Ballet Theatre, das 1951 wieder aufgelöst wurde.
Gertrud Kraus, die eine interdisziplinäre Künstlerin war, schuf auch Gruppenchoreografien, mit denen sie Partituren der klassischen Musik realisierte, wie 1940 Des Dichters Traum zum 1. Satz aus Franz Schuberts Unvollendeter Symphonie.
In den 1950er Jahren zog sich Kraus als aktive Tänzerin zurück, konzentrierte sich darauf zu unterrichten und wandte sich der Bildhauerei zu. Sie wurde die erste Leiterin der Tanzabteilung der Jerusalem Academy of Music and Dance. Ihre eigene Tanzgruppe, mit der sie auch in Kibbuzen auftrat, führte sie bis 1973. Bis zum ihrem Tod 1977 suchten junge israelische Tänzer und Choreografen ihren Rat.
Choreografien (Auswahl)
Soli
- 1927: Tanz zu Bachs Arie in G-Dur
- 1929: Guignol
- 1930: Wodka
Gruppenchoreografien
- 1930: Ghettolieder (Musik: Joseph Achron)
- 1933: Die Stadt wartet (basierend auf einer Erzählung von Maxim Gorki, Musik: Marcel Rubin)
- 1940: Des Dichters Traum (Musik: Erster Satz aus Franz Schuberts Sinfonie in h-Moll)
Auszeichnung
- 1968: Israel-Preis für ihr Lebenswerk
Quellen
- Giora Manor: Gertrud Kraus, in: Jewish Women: A Comprehensive Historical Encyclopedia. 1. März 2009. Jewish Women's Archive (abgerufen am 14. April 2018)
- Gunhild Oberzaucher-Schüller: Kraus, Gertrud, in: Österreichisches Musiklexikon online (abgerufen am 14. April 2018)
Personendaten | |
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NAME | Kraus, Getrud |
KURZBESCHREIBUNG | österreichisch-israelische Tänzerin und Choreografin des expressionistischen Tanzes |
GEBURTSDATUM | 5. Mai 1901 |
GEBURTSORT | Wien |
STERBEDATUM | 23. November 1977 |
STERBEORT | Tel Aviv |