Bewusstsein

erlebbare Existenz mentaler Zustände und Prozesse
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Bewusstsein ist die Fähigkeit zu erleben, im engeren Sinne zu erkennen und damit auch sich selbst zu erkennen (siehe dazu auch: Selbstbewusstsein), sich als Individuum zu verstehen und die Umwelt in Beziehung zu sich selbst zu setzen. Es ist ferner die Instanz, in der mentale Zustände (Qualia) wie beispielsweise Schmerz, Wut und Farbempfindung repräsentiert werden. Eine allgemein anerkannte präzise Definition von Bewusstsein liegt nicht vor.

Allgemeines

Das Phänomen des Bewusstseins zählt zu den größten ungelösten Problemen von Philosophie und Naturwissenschaft überhaupt. Aus naturwissenschaftlicher Sicht stellt sich die Frage, wie es prinzipiell möglich sein kann, dass aus einer bestimmten Anordnung und Dynamik von Materie Bewusstsein entsteht. Selbst eine lückenlose Aufklärung sämtlicher physiologischer Gehirnprozesse scheint diese Frage nicht beantworten zu können. Würde das physiologische Geschehen vollständig kausal unser Verhalten determinieren, dann wäre Bewusstsein funktionslos und überflüssig. Verhalten wäre kein Tun, sondern ein Geschehen. Es bleibt offen, warum ein Mensch nicht einfach funktionieren kann, ohne dass er es bewusst erlebt. Bei genauerem Hinsehen erweist sich sogar die Frage als offen, worin das Rätsel des Bewusstseins eigentlich besteht. Und schließlich ist es anders als bei anderen Problemen völlig ungeklärt, anhand welcher Kriterien eine Lösung des Problems überhaupt als solche erkennbar sein könnte.


Emil Du Bois-Reymond, einer der Begründer der experimentellen Physiologie, stellte 1872 im Rahmen eines berühmten Vortrages mit dem Titel "Über die Grenzen des Naturerkennens" fest:

"Ich werde jetzt, wie ich glaube, in sehr zwingender Weise dartun, dass nicht allein bei dem heutigen Stand unserer Kenntnis das Bewusstsein aus seinen materiellen Bedingungen nicht erklärbar ist, was wohl jeder zugibt, sondern dass es auch der Natur der Dinge nach aus diesen Bedingungen nicht erklärbar sein wird."

Diese pessimistische Prognose ist trotz aller informationstheoretischer und gehirnphysiologischer Erkenntnisse in der jüngeren Vergangenheit bis heute nicht widerlegt.

Die Frage, inwieweit andere Primaten, Wale und Delphine, oder Graupapageien ([1]) Bewusstsein haben, wird kontrovers diskutiert.

In der Vergangenheit wurde der Ursprung des Bewusstseins in einer vom Körper separaten Seele gesucht. Diese Idee entstand in vielen Kulturen. Die im antiken Griechenland entwickelten Vorstellungen haben, angepasst an christliches Gedankengut, die Ansichten des Abendlandes entscheidend geprägt.

Heute wird das menschliche Bewusstsein als eine Funktion des Gehirns verstanden. Diese Erkenntnis beruht auf der Beobachtung, dass sich das Bewusstsein durch im Gehirn wirkende chemische Substanzen beeinflussen lässt, und dass Geisteskrankheiten oft bewusstseinsverändernd wirken.

Ob das Bewusstsein einen evolutiven Vorteil darstellt wird diskutiert. Dass es nämlich einen Unterschied ausmacht, ob man ein Bewusstsein hat oder nicht, zeigt sich daran, dass der Mensch erkennen kann, dass er es besitzt.

Im Gegensatz zu Maschinen, die über Sensoren Veränderungen wahrnehmen und entsprechend reagieren, registriert der Mensch beispielsweise Schmerz zusätzlich als eine bewusste Wahrnehmung dieses Reizes. Lichtwellen werden beim Menschen nicht nur als Wellen registriert, sondern vom Gehirn als Farben dargestellt und damit erlebt.

Menschliches Verhalten wird von bewussten und unbewussten Vorgängen (verdrängten Bewusstseinsinhalten und Instinkten) beeinflusst, wobei die Trennlinie schwer zu ziehen ist. Experimentelle Psychologie und Entwicklungspsychologie, die sich mit dem Lernverhalten von Kleinkindern befassen (zum Beispiel Elizabeth Spelke, Stephen Pinker), deuten auf ein sich früh entwickelndes Bewusstsein hin.

Während des Schlafes geht meist ein Großteil des Bewusstseins verloren, respektive ist das im Traum erlebte normalerweise nicht steuerbar. Jedoch gibt es die Möglichkeit, im sogenannten Klartraum das Bewusstsein mit Hilfe so genannter Realitychecks innerhalb eines Traums wieder aktivieren und diesen dann zu steuern.

Zur Bedeutung des „Bewusstseins“ in den Wissenschaften

Das „Bewusstsein“ ist für unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen bedeutsam. Zu nennen sind hier vor allem die Philosophische Anthropologie (siehe etwa Handeln), die Biologie (siehe etwa die kognitive Neurobiologie), die Informatik (siehe unten), der Maschinenbau (siehe etwa Robotertechnik), die Philosophie (siehe etwa Kybernetik, Reflexion, Subjekt), die Psychologie (siehe etwa Lernpsychologie, Neuropsychologie, Wille), und die Soziologie (siehe etwa Soziales Handeln).

Bewusstsein in der Informatik

Aus Sicht der Informatik und der kognitiven Neurobiologie kann Bewusstsein auch wie folgt definiert werden:

Ein System verfügt über Bewusstsein, wenn es selbstständig aufgrund von Informationen aus dem Umfeld fähig ist, sich zwischen verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten zu entscheiden, bevor eine davon umgesetzt wird. Voraussetzung für den Entscheidungsprozess ist, dass das System einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit über seine Sinne wahrnimmt und sich daraus ein Bild dieser Welt – ein Modell - konstruiert, das das System selbst enthält. Umgangssprachlich schlägt sich das in der Formulierung „sich seiner selbst bewusst sein“ nieder (Hofstadter, Dennett). In diesem Modell wird die Auswahl getroffen, das heißt eine der möglichen Verhaltensweisen wird bestimmt, bevor diese dann realiter umgesetzt wird. Bewusstsein ermöglicht damit vorausschauendes Denken.

Gemäß dieser Definition verfügen Säugetiere, Vögel, Fische und sogar einige Wirbellose über Bewusstsein. Die Definition ist nicht beschränkt auf biologische Wesen; die Frage, ob sie über Bewusstsein verfügen, kann auch bezüglich Maschinen (zum Beispiel Computer mit neuronalen Netzen und hochentwickelte Roboter) gestellt werden. Siehe dazu auch: Künstliche Intelligenz (KI).

Bewusstsein und Sprache

Die Tatsache, dass Menschen sich (tradidtionellerweise im Gegensatz zu allen anderen Tieren) durch Sprache ausdrücken können, verleitet dazu, Sprachvermögen und Bewusstsein gleichzusetzen. Es gibt jedoch sprachlose Menschen (Kleinkinder, Kaspar Hauser, Unfallopfer), denen man trotz noch nicht erworbener oder verlorener Sprache Bewusstsein zuspricht. Auch ändert sich das Bewusstsein nicht durch den Erwerb einer neuen Sprache. Bewusstsein ist daher eine der Voraussetzungen für den Spracherwerb; fehlende Sprachfähigkeit ist jedoch kein Hinweis auf fehlendes Bewusstsein.

Hier muss zwischen Sprachvermögen und Sprachkompetenz unterschieden werden: Sprachkompetenz und Sprachvermögen ist beispielsweise bei Gehörlosen vorhanden (vergleiche Gebärdensprache).

Sprache ist das wesentliche Mittel des Menschen, seinem Bewusstsein Ausdruck zu geben. Andere Formen sind gestalterisch und künstlerisch zum Beispiel: Musik, Tanz, Malerei und Skulptur.

Wenn wir beim Sprechen oder Schreiben bewusst über dieses Produkt unseres Gehirns "nachdenken", reflektieren wir den "Geist" - oder das, was dahinter steht. (-rvn310104)

Um den offensichtlich nicht-ontologischen Charakter des Bewusstseins herauszustellen (obgleich das Bewusstsein genauso offensichtlich gehirnbasiert ist: ohne Gehirn kein Bewusstsein), mag es von Interesse sein, an einen Ausspruch von Leibniz (Gedächtniszitat) zu erinnern:Könnte man durch ein Gehirn gehen, wie durch eine Maschinenhalle, man sähe vieles, nur eines sähe man nicht: Bewusstsein.

Man wird durchaus die Ansicht vertreten können, daß es sich bei dem (vom ontologischen Gehirn aus betrachtet) nicht-ontologischen Phänomenen "Bewusstsein","Seele", "Geist", "Vernunft", "Verstand","Vorstellung", "Anschauung", "Denken", "Empfindung", "Gefühl" und dergleichen, - grob gesprochen - um das Gleiche, wenn auch nicht um dasselbe handelt. Die aufgezählten Termini wären dann vielleicht "Bewusstseinsprovinzen" zu nennen, die alle als Begriffe oder Zeichen auf Bewusstsein (als Oberbegriff) designieren, die aber in ihrer Bedeutung nicht deckungsgleich sind, das hieße: sie haben neben dem Oberbegriff Bewusstsein einen jeweils eigenen und anderen Konnotationsbereich.

In einem dem Systemtheoretiker Peter Fuchs gewidmeten Gedicht von Rudi Sander mit dem Titel "Vergleich" heißt es:
Wenn dann du gingest / Durch den Ganglienwald / Und wolltest ihn vergleichen / Einer Maschinenhalle / Erkenne und begreife: / Im Hallenhirn du sähest / Vieles, gewiß, nur eines nicht: / Bewußtsein!, denn dieses / Verhält sich zum Gehirn / Gleich wie der Tanz zum Tänzer.

Bewusstseinsverändernde Chemikalien

Das menschliche Bewusstsein lässt sich durch Medikamente beeinflussen. Schlafmittel (zum Beispiel Midazolam = Dormicum) werden benutzt, um das Gehirn vom wachen Zustand (bewusst) in den Schlaf (unbewusst) zu bringen. Aufwachmittel (zum Beispiel Anexate) kehren diesen Prozess um.

Viele Drogen (Heroin, Kokain, LSD) haben eine bewusstseinsverändernde Wirkung (→Rauschmittel).

Tod und Traum

Die moderne Gehirnforschung und die Rechtssprechung gehen davon aus, dass mit dem (Gehirn-)Tod das Bewusstsein erlischt.

Im Schlaf ist das Bewusstsein abgeschaltet. Der Traum zählt zum unbewussten Teil des Denkens, auch wenn uns beim Aufwachen noch Teile des letzten Traumes bewusst werden können.

Bewusstsein und Erinnerung

Bewusstsein ist eng mit der Fähigkeit des Erinnerns verbunden, da nach zeitweiligem Bewusstseinsverlust die Identität des Individuums erhalten bleibt. Siehe auch: Störungen des Bewusstseins


Literatur

  1. The Alex Studies: Cognitive and Communicative Abilities of Grey Parrots, Irene M. Pepperberg, 1999.
  2. How the Mind Works, Stephen Pinker.
  3. Intelligenz und Bewusstsein, Reihe Geo Wissen 1992 Gruner und Jahr (lit 48)
  4. Gehirn und Bewusstsein, Ernst Pöppel, VCH Verlag Weinheim
  5. Spektrum der Wissenschaft Spezial: Gehirn und Geist;
    (Reproduktion des Novemberheftes 1992 der Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft, 11/1992)
  6. P. Bieri: "Was macht das Bewusstsein zu einem Rätsel?", Spektrum der Wissenschaft, 10, 1992, S. 48-56.
  7. Arzt,Volker und Birmelin,Immanuel: Haben Tiere ein Bewusstsein?
  8. Bertelsmann Verlag, Wenn Affen lügen, wenn Katzen denken und Elefanten traurig sind.
    (Das Denken und Fühlen bei Tieren.)
  9. K. R. Popper, J. Eccles: Das Ich und sein Gehirn, 2000 Piper
  10. Daniel C. Dennett: Spielarten des Geistes, 1996, ISBN 3-570-12007-4
  11. Gerhard Roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit – Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen, 1997, ISBN 3-518-28875-X
  12. Dietrich Dörner: Bauplan für eine Seele, Rowohlt Taschenbuch, 2001, ISBN 3-499-61193-7


Siehe auch: Geist, Seele, Leib-Seele-Problem, Selbstbewusstsein, Ich,