Dornröschen

Märchen (ATU 410)
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Dornröschen ist ein Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm. Die französische Fassung, La belle au bois dormant von Charles Perrault, erschien allerdings schon viel früher im Druck, nämlich 1697.

Dornröschen und der Prinz - Zeichnung von Adrian Ludwig Richter

Inhalt

Weil die Eltern einer Prinzessin zu deren Taufe nicht alle weisen Frauen des Landes einladen können – es sind dreizehn an der Zahl –, sondern nur zwölf, weil das Geschirr nicht ausreicht, rächt sich die dreizehnte, indem sie im Gegensatz zu den guten Wünschen der anderen einen Fluch ausspricht: Wenn die Prinzessin fünfzehn Jahre alt ist, soll sie sich an einer Spindel stechen und sterben. Glücklicherweise hat noch eine der zwölf weisen Frauen einen Wunsch frei, und so mildert sie das harte Urteil ab in einen hundertjährigen Schlaf, in den die Prinzessin fallen soll. Der König lässt daraufhin alle Spindeln im Königreich verbrennen. Doch an ihrem 15. Geburtstag, als die Eltern gerade nicht zuhause sind, schlendert die Prinzessin durch das Schloss und gelangt schließlich zu einem alten Turm. Dort trifft sie eine alte Frau, die am Spinnen ist. Als die Prinzessin es auch einmal probiert, sticht sie sich in den Finger und so erfüllt sich die Prophezeiung. Tatsächlich geschieht es genau so, dass die Prinzessin mit ihren gerade zurückgekommenen Eltern und dem gesamten Hofstaat in einen hundertjährigen Schlaf fällt, und eine riesige, undurchdringliche Dornenhecke wächst im selben Moment um das Schloss, als sich die Prinzessin an der Spindel sticht. Nach genau hundert Jahren verwandeln sich die Dornen in wunderschöne Blumen. Erst jetzt kann ein Prinz kommen und Dornröschen mit einem Kuss aus dem hundertjährigen Schlaf erlösen.

Rezeption

Märchenforschung und Psychologie

Die Brüder Grimm erfuhren aus verschiedenen Quellen von Dornröschen, zum einen von einer "Marie", womit die Haushälterin der Sonnenapotheke zu Kassel gemeint sein kann oder eine Jugendfreundin namens Marie Hassenpflug. Zum anderen brachte ihnen der Dichter Clemens Brentano die Fassung von Giambattista Basile nahe.

Der Stoff begegnet in seiner schriftlichen Fassung auch in zwei Werken des 14. Jahrhunderts, dem Roman de Perceforest (um 1330, altfranzösisch) und der Novelle Frayre de Joy es Sor de Plaser (um 1350, katalanisch), in denen das schlafende Mädchen geschwängert wird. Giambattista Basile nimmt in seinem Märchen Sonne, Mond und Talia das vollständige Thema auf, während bei Perrault die Schwangerschaft nicht mehr auftaucht.

„Dornröschen“ gilt manchen Forschern als eine entmythisierte Fassung der Figur der Brunhild (vgl. die Nibelungen). Zu beachten sind hier folgende Topoi: Das herangewachsene Mädchen wird (in der Sage von Wotan) mit dem „Schlafdorn“ (vgl. die Spindel) gestochen und dadurch in einen langen Schlaf versetzt. Ihre Burg wird in der Sage von einem Feuer (der „Waberlohe“ - vgl. die rote Rosenhecke) gegen Zugang gesichert. Siegfried (vgl. ‚ein Prinz‘) durchdringt sie dennoch und (er)weckt die Schlafende (vgl. den andeutenden „Kuss“).

Für die Deutung der Weisen Frauen oder Feen ist jedoch auch auf ältere Traditionen zu verweisen. In den weisen Frauen spiegeln sich Druidinnen, Hexen und Beginen, die als unabhängige, unverheiratete Frauen einen Gegenpol zu verheirateten Frauen wie der Königin oder der Jungfrau Dornröschen bilden. Wenn die dreizehnte Fee ausgeladen wird, reflektiert sich darin nach Meinung etlicher Forscher der Übergang vom Mondkalender (z.B. bei den Kelten üblich) zum Sonnenkalender (bei Griechen, Römern und Christen üblich), verbunden mit einem Aufschwung des Patriarchats über das Matriarchat.

Das Spinnen als typisch weibliche Kunstfertigkeit spielt in vielen Märchen eine Rolle (Frau Holle, Die drei Spinnerinnen, Rumpelstilzchen u.a.).

Ausführliche und wichtige psychologische Deutungen finden sich bei Bruno Bettelheim (Kinder brauchen Märchen, 1975), Marie-Louise von Franz (Das Weibliche im Märchen, 1977) oder Eugen Drewermann (Dornröschen). Bettelheim interpretiert den Dornröschenschlaf als typisches Adoleszenz-Phänomen bei Mädchen und Jungen: Bei größeren Veränderungen im Leben wie bei der Adoleszenz sind für ein erfolgreiches Wachstum sowohl aktive wie geruhsame Perioden nötig. Zu einem Sich-nach-innen-Kehren, das nach außen wie Passivität (oder Verschlafenheit) wirkt, kommt es dann, wenn sich in dem Betreffenden innere Prozesse von solcher Wichtigkeit abspielen, dass er keine Energie mehr für nach außen gerichtete Aktivitäten aufbringt. (...) Der glückliche Ausgang gewährleistet dem Kind, dass es nicht dauernd im scheinbaren Nichtstun verhaftet bleiben wird." (Kinder brauchen Märchen, S. 262)

Belletristik

  • Der Roman "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz", von DDR-Autorin Irmtraud Morgner 1974 veröffentlicht, varriert in der Spielfrau Beatriz de Diaz das Schlaf-Motiv.
  • In "Da fielen auf einmal die Sterne vom Himmel" behandelt der Dichter Ludwig Harig 2002 ausführlich "Dornröschen", wobei er besonders den Prinzen berücksichtigt, der den Kairos (glücklichen Moment) beim Schopf zu packen weiß.

Ballett

Zu dieser Geschichte schrieb Pjotr Iljitsch Tschaikowski eine Ballettmusik, für die nicht die Brüder Grimm, sondern Charles Perrault die Vorlage lieferte: siehe Dornröschen (Ballett).

Eine weitere Bearbeitung des Stoffes für Ballett stammt von Jean-Pierre Aumers nach der Musik von Ferdinand Hérold, die 1829 in Paris uraufgeführt wurde.

Film

  • 1959 kam die Geschichte von Dornröschen als Disney-Zeichentrickfilm in die Kinos. Der Film kostete 6 Millionen Dollar, spielte aber nur 3 Millionen Dollar ein. Er brachte die Firma an den Rand des Ruins. Heute gilt er als Klassiker der Filmgeschichte. Das Schloss der „Sleeping Beauty“ ist ein fester Bestandteil der Disney-Themenparks.
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