Eine Stadt liest ein Buch bezeichnet eine Form des lokalen Lese- oder Buchmarketings, bei der über mehrere Wochen möglichst viele Menschen einer Stadt ein bestimmtes Buch lesen und auf Veranstaltungen mit bekannten oder unbekannten Personen darüber sprechen. Vielfach ist das Lesen der Auslöser und das Buch Bezugspunkt für Vorträge zum Thema sowie weiterführende Begleitveranstaltungen und Arbeitsgemeinschaften. Bei der Auswahl des Buches geben jeweils unterschiedliche Gründe den Ausschlag. Ursprünglich für ein städtisches Lesepublikum konzipiert, hat sich die Bewegung im Lauf der Jahre auch auf ländliche Gebiete ausgeweitet. Veranstalter können lokale Buchhandlungen oder Büchereien in Verbindung mit Kultur- oder Bildungseinrichtungen sein.
Geschichte
Die Idee zu dem Projekt stammt aus den USA. So versetzten 1998 in Seattle die Initiatoren von If All of Seattle Read the Same Book die Leser von Nancy Pearls The Sweet Hereafter "wildfremde Menschen in ein wahres Lesefieber."[1] 2001 wurde erstmals in Chicago das Projekt One Book, One Chicago realisiert. Aus den Anfängen entwickelte sich OBOC zum Großprojekt, das heute unter dem Dach der CPL (Chicago Public Library) ein breitgefächertes Programm zu aktuellen Fragestellungen anbietet. Die Library of Congress hat eine Liste der Staaten von Amerika veröffentlicht, in denen das Projekt realisiert wurde.[2]
Wenige später gab es auch außerhalb der USA in einigen Ländern vergleichbare Projekte. Bereits 2002 hat in Kanada der Sender CBC Radio seine Hörer zu einem Projekt Canada Reads eingeladen. Im gleichen Jahr gaben die öffentliche Bücherei von Vancouver sowie die Buchhändler und Büchereien der Provinz Waterloo den Impuls zur Lektüre von Wayson Choys The Jade Peony bzw. Alistair McLeods No great Mischief. Wenige Jahre später machte der kanadische Dichter Herménégilde Chiasson aus dem Namen eine Wander-Installation und lud unter dem Namen Une ville, un livre die Stadtbesucher zum Lesen und Verfolgen der von ihm erstellten und als Ancrages [Ankerplätze] bezeichneten literarischen Texttafeln ein.[3] - 2002 forderte die Öffentliche Bücherei von Brisbane in Australien zur Lektüre von Peter Careys The History of the Kelly Gang auf. - In England steht die Stadt Bristol an der Spitze der Bewegung. 2003 regte der Arts Council England South West zur Lektüre von Robert Louis Stevensons Treasure Island an. In Brighton gibt es seit 2005 regelmäßig auf Initiative von Sarah Hutchings One City. One Book. - In Dänemark hat sich das Projekt unter dem Namen en by, en bog etabliert. Dort ist es die Stadt Horsens, wo 2017 die öffentliche Bibliothek zur Lektüre von De hængte hunde [In Deutschland: Das erste Opfer] vom Oxen-Autor Jens Henrik Jensen eingeladen hat.[4]
In Deutschland wurde es auch schon seit 2002 in mehreren Städten umgesetzt, darunter zuerst in Hamburg, Bad Hersfeld und Potsdam. In Wien ist seit 2002 eine vergleichbare Kampagne als Eine Stadt. Ein Buch. etabliert. In Köln findet seit 2003 die Aktion Ein Buch für die Stadt statt. In Frankfurt am Main findet seit 2010 alljährlich das Lesefest Frankfurt liest ein Buch statt.
Umsetzung
Eine Jury, bestehend aus Journalisten, Studenten, Germanisten usw. wählt ein Buch aus, welches dann von einer Stadt gelesen werden soll. Besonderen Wert legt die Jury auf eine interessante Geschichte und ein hohes sprachliches Niveau. Der Inhalt des Buches muss verschiedene Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und Lebensstils ansprechen. Der Inhalt des Buches wird so zum Gesprächsstoff einer Region. Das Projekt soll Spaß am Lesen, das Engagement des Einzelnen sowie die Kulturarbeit fördern. Es gibt Veranstaltungen (Leseabende, Theater, Ausstellungen und Vorträge), in denen das Thema des Buches behandelt wird. Idealerweise sollte der Autor für Veranstaltungen zu Verfügung stehen.
In den einzelnen Städten kommt es je nach örtlichen Voraussetzungen und Zielvorstellungen zu den unterschiedlichsten Realisationsformen. In der Hansestadt Hamburg war schon die erste Aktionswoche Eine Stadt liest ein Buch „auf große Resonanz gestoßen“ und dank der Ausstrahlung des Autors Siegfried Lenz und seines Buches Der Mann im Strom „ein voller Erfolg“,[5] und auch 2003 waren alle Veranstaltungen, die dem Buch Die Erfindung der Currywurst von Uwe Timm gewidmet waren, „bestens besucht“.[6] In Potsdam haben 2002 Tausende von Interessenten per Mausclick über die Auswahl „ihres“ Buches entschieden und mit Bernhard Schlinks Buch Der Vorleser ein zugkräftiges Stück Literatur in den Mittelpunkt gerückt.[7] In Augsburg wurde 2014 Der Trafikant von Robert Seethaler gelesen.[8] Die Veranstalter von Würzburg liest ein Buch hatten mit der Wahl von Büchern wie Die Jünger Jesu von Leonhard Frank (2014) und Der Aufruhr um den Junker Jörg von Jakob Wassermann (2016) hingegen darauf gesetzt, mit der Lektüre von Büchern und Autoren mit Lokalbezug Impulse zur politischen Vergangenheitsbewältigung zu geben. Erfolgreich wurden hierfür Schulwettbewerbe ausgelobt, ein Modell, welches auch 2018 im Zusammenhang mit dem Buch Nicht von jetzt, nicht von hier von Yehuda Amichai Anwendung finden wird.[9] Ähnliche Motive gaben den Ausschlag dafür, dass 2015 im Kreis Stormarn (Schleswig Holstein) Amon - Mein Großvater hätte mich erschossen von Jennifer Teege als Lektüre ausgewählt worden war. Der Initiativkreis "Stormarn liest ein Buch" beabsichtigte, mit der Lektüre der "ergreifenden Familienbiografie" die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Gang zu bringen.[10] In Bad Hersfeld hat Peter Handke als Juryvorsitzender im Lutherjahr 2017 die Lektüre der Bibel mit den Worten verantwortet: „Es gilt zu entdecken, wo die Botschaft der Bibel das Leben heute trifft,“[11] während im selben Jahr die Initiatoren von Stuttgart liest ein Buch die Iranerin Shida Bazyar und somit ein politisches Problem in den Mittelpunkt gerückt haben.[12] Ebenfalls politisch orientiert ist das Projekt Die ganze Stadt liest ein Buch der Stadt Kiel, bei dem des Kieler Matrosenaufstands von 1918 in Form einer Beschäftigung mit dem Buch Der Kaiser ging, die Generäle blieben von Theodor Plievier gedacht werden soll.[13] 2018 steht in Puchheim das Buch Das Glückskind von Steven Uhly im Fokus,[14] während Regensburg das Augenmerk auf Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer von Alex Capus lenkt.[15] In Bingen haben sich die Veranstalter für 2018 auf das Buch Die Geschichte der Bienen von Maja Lunde geeinigt. Zahlreiche Begleitveranstaltungen umrahmen das Leseprojekt.[16]
Weblinks
- Homepage der Chicago Public Library [1]
- Library of Congress [2]]
- One City, one Book [3]
- Leitfaden zur Umsetzung des Projektes vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels (PDF)
- Artikel auf www.lesen-in-deutschland.de
- Homepage von Buchmarkt.de [4]
- Homepage von Würzburg liest.de [5]
- Homepage der Stormarner Zeitung [6]
- Homepage von Augsburg liest ein Buch.de [7]
- Homepage der Stadt Bad Hersfeld [8]
- Homepage der Stuttgarter Nachrichten.de [9]
- Homepage der Universität Kiel („Einfach gute Lehre“) [10]
- Homepage von Regensburg.de [11]
- Homepage der Stadt Bingen [12]
- Homepage von Acadienouvelle.com [13]
- Homepage der Öff. Büchereien Horsens (Dänemark) [14]
Einzelnachweise
- ↑ Berliner Morgenpost 3.5.2002.
- ↑ "One Book" Reading Promotion Projects (s.u. Weblinks); vgl. auch die englischsprachige Seite "One City, One Book" (s.u. Weblinks)
- ↑ Homepage von Acadienouvelle.com (s.u. Weblinks)
- ↑ Homepage der Öff. Büchereien Horsens (s.u. Weblinks)
- ↑ Dana Horáková in: DIE WELT 9.11.2002.
- ↑ Homepage von Buchmarkt.de (s.u. Weblinks)
- ↑ Berliner Morgenpost 3.7.2002; Der Tagesspiegel 4.7.2002.
- ↑ Homepage von Augbsburg liest ein Buch; (s.u.Weblinks)
- ↑ Homepage von Würzburg liest ein Buch (s.u. Weblinks)
- ↑ Homepage der Stormarner Tageszeitung (s.u. Weblinks)
- ↑ Homepage der Stadt Bad Hersfeld; (s.u. Weblinks)
- ↑ Stuttgarter Nachrichten: Stuttgart liest ein Buch (s.u. Weblinks)
- ↑ Homepage der Universität Kiel.de „Einfach gute Lehre“ (s.u. Weblinks)
- ↑ Süddeutsche Zeitung 21.7.2017
- ↑ Homepage der Stadt Regensburg (s.u. Weblinks)
- ↑ Flyer der Stadtbibliothek Bingen (s.u. Weblinks)
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