Schweizerdeutsch

Bezeichnung für die alemannischen Dialekte der Deutschschweiz
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Schweizerdeutsch ist eine Sammlung von hoch-alemannischen (deutschen) Dialekten, welche in der Schweiz gesprochen werden. Sie besitzen eine einigermaßen einheitliche Grammatik, durch welche sie sich vom Hochdeutschen absetzen, und unterscheiden sich in der Aussprache und im Wortschatz teilweise so stark, dass die Verständigung gewisse Übung voraussetzt. Linguisten haben insgesamt hunderte von verschiedenen Deutschschweizer Mundarten unterschieden. Die relativ geringe räumliche Mobilität bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat dazu geführt, dass sich die Dialekte teilweise sehr stark voneinander unterscheiden, bisweilen sogar so stark, dass auch die Schweizer untereinander Verständigungsprobleme haben. So gilt das Walliserdeutsch als extremste Ausprägung. Neben der unterschiedlichen Aussprachen sind insbesondere Flurnamen, Bezeichnungen für Pflanzen, Werkzeuge, usw. stark regional geprägt.

Schweizerdeutsch wird in der Schweiz von allen sozialen Schichten als Umgangs- und Verkehrssprache verwendet. Hochdeutsch ist mündlich nur noch in wenigen Bereichen üblich (z.B. Fernsehnachrichten oder Kommunikation mit Angehörigen anderer Sprachregionen) und auch in der informellen schriftlichen Kommunikation, Email oder SMS, ist vermehrte Verwendung von Schweizerdeutsch zu beobachten. Zusätzlich werden in hochdeutsch geschriebenen Zeitungen immer öfter schweizerdeutsche Vokabeln verwendet (Töff für Motorrad, Büsi für Katze, Güsel für Müll).

Wenn Schweizer Hochdeutsch sprechen, haben sie oft einen ziemlichen Schweizer Akzent (dunkles a, singender Tonfall), den sie aber nicht als Fehler betrachten - ein Schweizer, der ein perfektes Bühnendeutsch spricht, wird von seinen Landsleuten eher skeptisch angeschaut. Dieses Hochdeutsch mit ausgeprägtem Schweizer Akzent wird oft von Deutschen irrtümlicherweise für Schweizerdeutsch gehalten. Faustregel: wenn die Konsonanten gleich sind wie im Deutschen, ist es Schweizer Hochdeutsch, nicht Schweizerdeutsch.

Spezialitäten

Rechtschreibung

Es gibt keine offizielle Rechtschreibung, man kann Schweizerdeutsch nicht wirklich falsch schreiben (möglicherweise wird Schweizerdeutsch auch deshalb für Emails vorgezogen). - Die Schweizer kennen übrigens auch kein ß und verwenden (auch im Gebrauch des Hochdeutschen) statt dessen immer ss (also Strasse statt Straße usw.).

Vokale

Die meisten Schweizer Dialekte haben die mittelhochdeutsche Lautverschiebung nicht mitgemacht. Hus ist Haus, Hüsli oder sogar Huisli ist Häuschen, Bauer Puur (auch Buur), weiter wiiter, etc. Ausnahmen gibt es z.T. in Basel, dort heißt Klein glai verglichen mit chli in der übrigen Schweiz.

Ein geschriebenes ue wird nicht ü sondern u-e ausgesprochen, der Schweizer Rudolf ist also Ru-edi nicht Rüdi. Achtung: Mus ist Maus, und Mues (oder Muos) ist Mus - zum Frühstück gibt es also Müesli und nicht Müsli.

Grammatik

  • nur zwei Zeiten: Präsens und Perfekt, Futur wird mit einer Zeitangabe gekennzeichnet oder geht aus dem Zusammenhang hervor ("ich gehe morgen arbeiten", "ich gehe einkaufen")
  • kein Akkusativ (i.e. Akkusativ hat die gleiche Form wie Nominativ)
  • Bildung von Relativsätzen immer mit "wo"
  • gewisse Verben, die eine Absicht kennzeichnen, tauchen oft noch ein zweites Mal im Infinitiv auf: "i gang go schaffe" - "ich gehe arbeiten"; "dä lonn (oder: lan) i loo stoo" - "den lasse ich stehen"
  • Syntax und Grammatik sind allgemein sehr frei, es existieren verschiedene Formen parallel, ohne dass eine richtiger ist als die andere. Beispiel
Jetzt bin i grad aneghocket... - jetzt habe ich mich gerade hingesetzt
... für es Buech z läse - um ein Buch zu lesen
... für es Buech läse
... es Buech z läse
... zum es Buech läse
... zum es Buech z läse
... für zum es Buech z läse
... für zum es Buech läse

Aussprache

  • Die Betonung ist praktisch immer auf der ersten Silbe (oder sogar auf der nullten - ein Name wie von Allmen wird auf dem von betont).
  • ch wird immer rauh wie in "Bach" ausgesprochen (wenn es nicht wie z.B. im Bündnerdialekt als ck wie im Hochdeutschen ausgesprochen wird)
  • Harte Explosivlaute wie P und T werden ohne folgendes H ausgesprochen (wie z.B. auch im Französichen), das K mit einem nachfolgenden ch.
  • das a ist gewöhnlich sehr offen und dunkel, fast o (oder in deutschen Ohren sogar ganz o)
  • das ä entspricht in den meisten Mundarten unserem gewöhnlichen a und wird auch so buchstabiert.
  • das y wird als langer i-Laut gelesen, also "Schwiiz" und nicht "Schwüüz" für den Urkanton Schwyz

Wortschatz

  • spezielle Wörter (zuerst schweizerdeutsch, allgemein gibt es sehr viele französische Lehnwörter)
    • Trottoir - Gehsteig
    • Perron - Bahnsteig
    • Billet (ausgesprochen bile) - Ticket
    • Glace (gesprochen glaßee) - Eiscreme
    • poschtä - einkaufen
    • mmä od. mme - nicht mehr
    • äxgüsi (excusez) - Entschuldigung
    • merci - danke


  • Wörter mit anderer Bedeutung, die zu Missverständnissen führen können (in Klammern die dem Wortstamm entsprechende Übersetzung)
    • laufä - gehen
    • springe - laufen
    • wüschä (wischen) - fegen
    • schmöckä (schmecken) - riechen, schmecken
    • Bodä ufnäh (Boden aufnehmen) - wischen
    • i[ch] mag mich nümä erinnerä (ich mag mich nicht mehr erinnern) - ich vermag mich nicht mehr zu erinnern
    • Pepperoni - Gemüsepaprika
    • Pepperoncini - Gewürzpaprika
    • Kessel - Eimer
    • Pfanne - Kochtopf (eine Bratpfanne ist eine "Bratpfanne")
    • Estrich - Dachboden
    • Depot - Pfand bei Mehrwegflaschen


Wer spricht Schweizerdeutsch

Bei der Volkszählung von 1999 betrug der Anteil der deutschsprachigen Schweizerinnen und Schweizer 63.6% der Gesamtbevölkerung. Von diesen gaben 93.3% an, im Alltag Dialekt zu sprechen. 66.4% davon geben sogar an, nur Dialekt und kein Hochdeutsch zu sprechen.

So wird die Hochsprache zwar in der Verfassung als eine der vier offiziellen Landessprachen definiert, bleibt aber für den Großteil der Bevölkerung praktisch eine Fremdsprache (siehe auch Diglossie).

Historische Entwicklung des Schweizerdeutschen

Bis ins 20. Jahrhundert hinein blieb der Gebrauch des Dialektes auf den Bereich des Privatlebens beschränkt. Im öffentlichen Leben wurden, vor allem seit der Reformation, Hochdeutsch vorgezogen. Die gehobenen Klassen (Patrizier) und die Familien der Großbourgeoisie "präferierten" Französisch und "parlierten" dieses auch im Alltag. Viele französische Leihwörter zeugen heute noch davon. Schwyzerdütsch galt allgemein als Sprache der Bauern und des gemeinen Volkes.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gab es immer wieder Bewegungen mit dem Ziel, Schwyzerdütsch salonfähig zu machen und es zu einer Schriftsprache zu normalisieren. Diese Versuche, sich von der deutschen Kultur durch die Entwicklung einer eigenständigen, "vollwertigen" Sprache zu emanzipieren, wurde durch den Anti-Nazismus im 20. Jahrhundert zusätzlich verstärkt.

Erst Ende des 20. Jahrhunderts machte sich langsam eine Gegenströmung zu dieser Entwicklung bemerkbar: Durch die Entwicklung der audiovisuellen Medien und durch die erhöhte Mobilität der Bevölkerung werden die Dialekte, ausgehend von den städtischen Gebieten, immer mehr von Ausdrücken der Hochsprache und des Englischen durchzogen. Auch die Aussprache ist im Begriff, sich bis zu einem gewissen Grad zu normalisieren.

Literatur

  • Georges Lüdi: Die Sprachenlandschaft der Schweiz - Eidgenössische Volkszählung 1990. Bundesamt für Statistik. Bern, 1997.
  • Schweizerisches Idiotikon Schweizerdeutsches Wörterbuch in 17 Bänden (z.B. in Universitätsbibliotheken)