Michailowski-Theater

Opernhaus in St. Petersburg
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 28. Januar 2018 um 23:09 Uhr durch Fiona B. (Diskussion | Beiträge) (Bild). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Das Staatliche Akademische Opern- und Balletttheater St. Petersburg M.P. Mussorgski - Michailowski-Theater (russisch Миха́йловский теа́тр) in Sankt Petersburg, im 19. Jahrhundert auch Théâtre Michel, im 20. Jahrhundert lange Kleines Opernhaus, ist neben dem Mariinski-Theater das bedeutendste Opernhaus der Stadt. 1833 erbaut wurde es im 19. Jahrhundert überwiegend von französischen Schauspiel- und Opernensembles bespielt, war in den 1920er Jahren eine wichtige Experimentierstätte für das sowjetische Musiktheater und verfügt seit 1933 über eine eigene Ballettkompagnie.

Michailowski-Theater, Sankt Petersburg

Geschichte

 
Historische Ansicht zwischen 1900 und 1917

Das Theatergebäude wurde aufgrund eines Dekrets von Zar Nikolaus I. nach einem Entwurf von Alexander Pawlowitsch Brjullowo im Stil des Neoklassizismus erbaut. Seinen Namen verdankt es dem Zaren-Bruder, Großherzog Michail, zu dessen Namenstag am 8. November 1833 es eröffnet wurde.[1][2] Bis zur Russischen Revolution bestritten deutsche, französische und italienische Schauspiel- und Opernensembles den Spielbetrieb. Französische Stücke wechselten sich mit russischen und deutschen Werken ab. Zwischendurch fanden musikalische Auftritte und Konzerte statt. Zu den renommierten Schauspielern, die im Michailowski auftraten, zählten Jeanne Sylvanie Arnould-Plessy, Rachel Félix, Lucien Guitry und Sarah Bernhardt. Das Theater galt als Haus der französischen Kultur.[2] Stücke von Molière, Victor Hugo, Victorien Sardou und Alexandre Dumas wurden auf französisch aufgeführt. Die Spielpläne erfreuten sich des Zuspruchs sowohl des Kaiserhauses als auch der russischen Intelligenzija, zu der Leo Tolstoi und die Brüder Pjotr Iljitsch und Modest Iljitsch Tschaikowski gehörten.

Nach der kompletten Renovierung der Innenräume, mit der Albert Cavos, der Architekt des Mariinsky Theaters, beauftragt war, um die Sitzplatzkapazität zu erhöhen, begann 1859 eine neue Epoche.[2] Opéra comique und Operette hielten Einzug im Michailowski-Theater. Besonderen Erfolg hatten die Werke von Jacques Offenbach, darunter 1859 sein Orpheus in der Unterwelt und am 9. April 1866 in Anwesenheit von Zar Alexander II. die russische Erstaufführung von La Belle Hélène. Die weiblichen Hauptrollen verkörperten französische Operettendiven wie Hortense Schneider und Anna Judic, die für ihre erotische Ausstrahlung berühmt waren. In den 1890er Jahren wurden zunehmend große Opern und Ballette gegeben, deren Stars Fjodor Schaljapin oder Matilda Kschessinskaja waren. Ab der Jahrhundertwende spielten auch Ensembles des Alexandrinski-Theaters und des Mariinski im Michailowski-Theater.

Nach der Machtübernahme der Bolschewiki war das Theater kurzfristig geschlossen. Die französischen Theaterensembles mussten das Land verlassen. Am 6. März 1918 wurde das Michailowski als Opernhaus mit einer Aufführung von Gioacchino Rossinis Il barbiere di Siviglia wieder eröffnet.

 
Prokofjew

Erst in den 1920er bekam das Theater ein eigenes Ensemble. Es entwickelte sich zu einer zentralen Experimentierstätte des sowjetischen Musiktheaters. Die ersten beiden Opern von Dmitri Schostakowitsch wurden hier uraufgeführt: 1930 Die Nase (dirigiert von Samuil Samosud) und 1934 Lady Macbeth von Mzensk (inszeniert von Nikolai Smolich, ebenfalls dirigiert von Samuil Samosud). Nach sechzehn Vorstellungen musste Die Nase auf politischen Druck vom Spielplan genommen werden. Die Vorwürfe gegen die Oper lauteten, ein positiver Held würde fehlen und die Komposition sei formalistisch.[3] Auch Inszenierungen von Wsewolod Meyerhold wurden in den 1930er Jahren von staatlicher Seite heftig kritisiert, ihm wurde „antisowjetische Propaganda“ zur Last gelegt. Seine Neuinszenierung von Tschaikowskis Pique Dame 1935 am Michailowski galt als Verbeugung vor dem von der Regierung verlangten Realismus und wurde dennoch stilbildend.[4] Vom gebildeten Publikum des Hauses gut aufgenommen, jedoch ebenfalls von der kommunistischen Kulturpolitik kritisiert wurde 1946 die Uraufführung von Sergei Prokofjews Monumentalwerk Krieg und Frieden. Der Komponist arbeitete bis zu seinem Tod im Jahr 1953 an den Änderungswünschen des Regimes.

Anfang der 1930er Jahre baute der russische Choreograph Fyodor Lopukhov eine Balletttruppe am Michailowski auf. Die erste Premiere, Harlequinade (Die Millionen des Harlekin) nach einer Komposition von Riccardo Drigo und choreographiert von Lopukhov fand am 6. Juni 1933 statt.[5]

Gegenwart

2007 wurde der Geschäftsmann Wladimir Kechman zum Generaldirektor ernannt, Faruch Rusimatow zum Ballettdirektor und Jelena Obraszowa zur künstlerischen Leiterin. Mikhail Tatarnikov ist musikalischer Direktor und Chefdirigent des Michailowski-Theaters.[6] Mariss Jansons steht dem Theater beratend zur Seite.[1]

Seit 2009 ist Michail Messerer Ballettmeister. Von 2011 bis 2013 übernahm der Spanier Nacho Duato die künstlerischer Leitung des Balletts mit 140 Tänzern. Beide choreographierten eine Reihe von Neuproduktionen, darunter Schwanensee, Don Quichotte, Le Corsaire und Dornröschen. 2011 wechselten die Tanzstars Iwan Wassiljew und Natalja Ossipowa vom Bolschoi-Ballett zum Michailowski.

Das Michailowski-Ballett gastierte 2008, 2010 und 2013 in London. Nach dem letzten Gastspiel erhielt es 2014 den National Dance Award in der Kategorie beste Ballettkompagnie, und Natalja Ossipowa wurde als beste Tänzerin für ihre Auftritte mit dem Michailowski-Ballett ausgezeichnet.[7] 2013 zeigte die Truppe Nacho Duatos Choreographie von Dornröschen an der Bayerischen Staatsoper in München.[8] Mit der Aufführung von Flames of Paris (Пла́мя Пари́жа), eine Choreografie von Vasily Vaynonen aus dem Jahr 1932 zur Musik von Boris Assafjew, hatte das Michailowski-Ballett 2014 im David H. Koch Theater in New York City sein Debüt in den USA. Das Stück ist eine Allegorie, die die Französische Revolution als Analogie zur Russischen verwendet. Natalja Ossipowa und Iwan Wassiljew tanzten die Hauptrollen.[9]

Das Opernensemble gastierte 2013 bei den Opernfestspielen von Savonlinna.[10]

Name

Nach der Russischen Revolution wurde der Name des Hauses mehrfach geändert, zuerst auf Ex-Michailowski, dann auf Maly Operny Teatr und Kleines Opernhaus im Unterschied zum größeren Mariinski. In der Literatur wird es oftmals verkürzt als Maly Theater bezeichnet und mitunter mit dem Moskauer Maly-Theater verwechselt. Im Jahr 1989 wurde es ein weiteres Mal umbenannt, diesmal nach dem berühmten russischen Komponisten Modest Mussorgsky. 2001 tauchte der vorrevolutionäre Name wieder auf. Im Jahr 2007 erhielt es seinen ursprünglichen Namen mit „Michailowski-Theater“ im Vordergrund zurück und der Ergänzung Staatliches Akademisches Opern- und Balletttheater St. Petersburg M.P. Mussorgski.[2]

Galerie

Commons: Michailowski-Theater – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Joachim Lange: Theater in Sankt Petersburg. Der Anfang von etwas, Frankfurter Rundschau, 14. Juli 2009
  2. a b c d History of the Mikhaylovsky Theatre, offizielle Website (engl.), abgerufen am 28. Januar 2018
  3. Sigrid Neef: Handbuch der russischen und sowjetischen Oper. 1. Auflage. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, DDR-Berlin 1985, ISBN 3-362-00257-9, S. 533.
  4. Manfred Hildermeier: Geschichte der Sowjetunion, 1917-1991, Entstehung und Niedergang des ersten sozialistischen Staates, C.H.Beck 1998, S. 568
  5. Михайловский театр - Театр Оперы и балета им. Мусоргского, Классицизм, Архитектор Брюллов А. П., Росси К. И., Кавос А. К., Искусств пл., 1, Инженерная ул., 1. In: Citywalls.ru. 28. Oktober 2012, abgerufen am 8. August 2016 (russisch).
  6. Mikhail Tatarnikov. Staatsoper unter den Linden, Berlin
  7. National Dance awards honour Natalia Osipova and Rambert's Dane Hurst, The Guardian, 27. Januar 2014
  8. Haus: Bayerische Staatsoper. In: Bayerische.staatsoper.de. Abgerufen am 8. August 2016.
  9. Brian Seibert: By Turns Restrained and Rowdy, in a Playful Revolutionary Tale. Mikhailovsky Ballet Performs ‘Flames in Paris’ in U.S. Debut, The New York Times, 16. November 2014
  10. Archived copy. Archiviert vom Original am 9. November 2013; abgerufen am 9. November 2013.

Koordinaten: 59° 56′ 16,3″ N, 30° 19′ 44,9″ O