Posaunenchor

Ein Posaunenchor ist ein mehrstimmiges Laien-Blechbläserensemble, in dem alle Instrumente der Blechbläserfamilie zu finden sein können
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Ein Posaunenchor ist eine in den kirchlichen Verkündigungsauftrag (Kirchenmusik) eingebundene Laienmusikgruppe.

Allgemeines

Die Mitglieder spielen in der Regel Blechblasinstrumente wie Trompeten, Hörner und Posaunen. Oft ist eine Tuba vertreten und gelegentlich wird der Chor durch andere Instrumente ergänzt. Das Motto der Posaunenchöre ist Musizieren zum Lobe Gottes und den Menschen zur Freude (nach dem biblischen Auftrag „Lobet den Herrn mit Posaunen!“ - Psalm 150).

Die Posaunenchöre leisten auch eine musikalische Bildungsarbeit, die die Generationen zusammenführt. Nicht selten musizieren 10-Jährige neben 70-Jährigen im selben Chor nebeneinander. Trotz der fast unüberschaubaren Fülle der heutigen Bläserliteratur verschiedener Stilrichtungen bleibt die Choralmusik der Mittelpunkt der „Posaunenarbeit“. Das 1994 neu herausgegebene „Posaunen-Choralbuch“ verbindet alle Bläserinnen und Bläser in allen deutschen Posaunenwerken und -verbänden.

Posaunenchöre sind eine Besonderheit der evangelischen Kirche in Deutschland. In der katholischen Kirche sowie im Ausland – mit Ausnahme der ehemaligen Missionsgebiete – ist das chorische Musizieren (=mehrfache Besetzung einer Stimme) mit Blechbläsern nicht üblich und nicht stark verbreitet.

Geschichte

Die Entstehung der Posaunenchöre steht im Zusammenhang mit dem Pietismus. Die ersten Posaunenchöre gibt es im 18. Jahrhundert in der Herrnhuter Brüdergemeine. Im Zuge der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts werden in Ostwestfalen (Minden-Ravensberg) Posaunenchöre im heutigen Sinn gegründet, als ältester der von Jöllenbeck (1843). Pastor Eduard Kuhlo (1822-1891) und sein später berühmt gewordener Sohn, „Posaunengeneral“ und Reichsposaunenwart Johannes Kuhlo (1856-1941) gelten als die „Väter“ der westfälischen Posaunenchöre. Von Westfalen breiten sich die Posaunenchöre in ganz Deutschland aus. Organisatorisch gehören sie in den ersten Jahrzehnten den evangelischen Jünglingsvereinen (CVJM) an, die im „Reichsverband der evangelischen Jungmännerbünde Deutschlands“ zusammengeschlossen sind.

Man strebte eine Abgrenzung von den Militärblaskapellen an. Gleichwohl erfolgte eine „Anerkennung“ als Musik der Kirche teilweise unter großen Widerständen der tradierten Kirchenmusik. Das Hauptziel sah man zunächst in der Volksmission. Jahrzehntelang prägte Kuhlos Klangideal die Posaunenchöre, dass nämlich der Klang der Bläser einem Vokalchor möglichst nahe kommen soll. Deshalb wurden die Hörner (aller Art) bevorzugt, während Trompeten und Posaunen verpönt waren. In Reinkultur konnte man das beim berühmten Kuhlo-Horn-Sextett sehen und hören. Erst in der Nach-Kuhlo-Zeit (nach 1945) rückte man, unter Führung von Professor Wilhelm Ehmann und vom Neobarock beeinflusst, von dieser Auffassung ab.

Als Pioniere der „Posaunenarbeit“ sind außer den beiden Kuhlos besonders erwähnenswert: August Bernhard Ueberwasser (1866-1925), Hannover, CVJM-Nordbund; Fritz Fliedner (1874-1950), Schleswig-Holstein; Adolf Müller (1876-1957), Sachsen; Martin Schlee (1889-1961), Bayern; Walther Duwe (1895-1992), Westfalen, Mitarbeiter und Nachfolger Kuhlos in Bethel; Fritz Bachmann (1900-1961), Reichsobmann des VePD und des Posaunenwerks der EKD; Hermann Mühleisen (1903-1995), Jungmännerwerk Württemberg; Wilhelm Ehmann (1904-1989), Kirchenmusikschule Herford, Theoretiker und Praktiker der Bläserarbeit; Hans Mrozek (1906-1998), Sing- und Posaunenamt im CVJM-Reichsverband; und Richard Lörcher (1907-1970), CVJM-Westbund. Von den Anfängen der Posaunenchorbewegung im 19. Jahrhundert bis zum Jahr 1933 waren die Posaunenchöre ganz selbstverständlich Teil der evangelischen Jungmännerarbeit. 1934 wurden sie unter dem Druck der politischen Verhältnisse aus den Jungmännerbünden ausgegliedert und zum „Verband evangelischer Posaunenchöre Deutschlands“ (VePD) zusammengeschlossen (Reichsobmann Fritz Bachmann), womit eine Zwangsmitgliedschaft in der nationalsozialistischen Reichsmusikkammer verbunden war.

Nach 1945 spaltete sich die Posaunenarbeit in organisatorischer Hinsicht. In manchen Gebieten kehrten die Chöre zum CVJM bzw. Jungmännerwerk zurück (Württemberg und CVJM-Westbund unter Führung von Hermann Mühleisen, dem Vorsitzenden des Reichsbeirates Posaunenchöre im CVJM-Reichsverband, später: CVJM-Gesamtverband). In den meisten, vor allem norddeutschen evangelischen Landeskirchen wurden 1945 „Posaunenwerke“ gegründet mit dem Dachverband „Posaunenwerk der EKD“, später „Posaunenwerk in der EKD“, mit Fritz Bachmann als Reichsobmann (Nachfolger: Hans-Martin Schlemm und Günther Schulz). Daneben gab es auch selbständige Posaunenchorverbände (Bayern, Baden, Pfalz)). Durch die deutsche Teilung wurden nach dem Mauerbau 1961 die Posaunenwerke in der DDR organisatorisch von den westdeutschen getrennt.

Erst nach Jahrzehnten, 1994, gelang es, einen einheitlichen Dachverband für alle 30 Posaunenwerke und -verbände im wiedervereinigten Deutschland zu gründen, den „Evangelischen Posaunendienst in Deutschland e. V.“ (EPiD) mit knapp 7.000 Posaunenchören und rund 120.000 Bläserinnen und Bläsern. Dessen Leitender Obmann ist seit 2005 Pfarrer Friedemann Schmidt-Eggert.

Aufgaben und Einsätze

  • Das Blasen bei Gottesdiensten und Gemeindefeiern, mit dem die Freude am Lob Gottes und am Evangelium gefördert werden kann.
  • In Krankenhäusern, Altenheimen und anderen Einrichtungen als Teil der Verkündigung und Ausdruck der Lebensfreude. Dieser Dienst spricht gerade die einsamen und kranken Menschen an.
  • Zur Unterstützung auf öffentlichen Veranstaltungen, bei Gottesdiensten im Grünen, auf Friedhöfen, auf öffentlichen Plätzen und Straßen.
  • Zur Freude des Menschen auf Hochzeiten, Geburtstagen und Feierstunden.
  • Bei Konzerten und als Ausdruck der Freude am Musizieren, zur eigenen Erbauung und Freude, sich mit anderen für andere zu engagieren.

Die Bläserinnen und Bläser sind in der Regel Laien, die die Möglichkeit genießen, in Gemeinschaft mit anderen und für andere Musik zu machen. Die Leitung liegt in vielen Fällen bei Personen, die Kirchenmusik studiert haben, oft sind es jedoch Laien, die sich durch Schulungen Kenntnisse in der Leitung eines Posaunenchores erworben haben.

Die einzelnen Posaunenwerke und -verbände werden von hauptamtlichen Landesposaunenwarten geleitet; beim CVJM-Westbund und beim Bund Christlicher Posaunenchöre heißt diese Position „Bundesposaunenwart“. Da sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Posaunenchöre auch für weibliche Mitglieder öffneten, gibt es heute auch in manchen Verbänden schon Landesposaunenwartinnen. Die Posaunenchöre treffen sich regelmäßig zu Posaunentagen auf Kreis- oder Bezirksebene und zu Landesposaunentagen. Zahlenmäßig der größte ist der württembergische Landesposaunentag, wo alle zwei Jahre 8.000 bis 9.000 Musikanten in der Münsterstadt Ulm zusammenkommen: Der „größte Posaunenchor der Welt“ unter dem „höchsten Kirchturm der Erde“, wie die bescheidenen Schwaben sagen.

Für 2008 ist ein „Deutscher Evangelischer Posaunentag“ aller Posaunenchorverbände in Leipzig, der heimlichen „Hauptstadt der Musik“, geplant. Hier war bekanntlich einst die Wirkungsstätte von Johann Sebastian Bach, Johann Pezelius, Gottfried Reiche, Johann Hermann Schein, Felix Mendelssohn Bartoldy und Max Reger.

Werke und Verbände

Im EPiD sind 30 deutsche Posaunenwerke und -verbände zusammengeschlossen. Die größten von ihnen sollen hier (mit der Anzahl der aktiven Bläserinnen und Bläser) genannt werden:

  • Verband Evang. Posaunenchöre in Bayern e. V. (19.000)
  • Evang. Jugendwerk in Württemberg (ejw) (18.000)
  • Posaunenwerk der Evang.-Luth. Landeskirche Hannover (14.000)
  • Bläserarbeit im CVJM-Westbund (8.000)
  • Sächsische Posaunenmission (6.500)
  • Landesarbeit der Evang. Posaunenchöre in Baden (6.000)
  • Posaunenwerk der Evang. Kirche von Westfalen (5.500)
  • Posaunenwerk der Evang. Kirche von Kurhessen-Waldeck (5.000)
  • Posaunenwerk der Evang. Kirche in Hessen und Nassau (4.000)
  • Nordelbische Posaunenmission (3.600)
  • Posaunenwerk der Föderation Evang. Kirchen in Mitteldeutschland (3.000)
  • Gnadauer Posaunenbund (Chöre der landeskirchlichen Gemeinschaften) (2.900)
  • Posaunenwerk der Evang. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (2.800)
  • Posaunenwerk der Evang. Kirche im Rheinland (2.500)
  • Bund Christlicher Posaunenchöre Deutschlands (bcpd) (Freikirchliche Chöre) (2.300)
  • Posaunendienst in der Lippischen Landeskirche (1.250)
  • Posaunenwerk der Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig (1.000)

Literatur

  • Posaunen-Chor. Magazin für Bläserinnen und Bläser; hg. vom Evangelischen Posaunendienst in Deutschland e.V.; München: Strube, ab 1988; vierteljährliche Zeitschrift
  • Vivace. Offizielles Organ des Verbandes Schweizerischer Posaunenchöre; Bern: VSP, ab 2005; monatliche Zeitschrift
  • Fries, Erhard: Handbuch für Posaunenchorleiter; EJW-Service, 2003; ISBN 3-922813-38-0
  • Schnabel, Wolfgang: Die evangelische Posaunenchorarbeit. Herkunft und Auftrag; Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1993; ISBN 3-525-57188-7
  • Schnabel, Wolfgang: Drei grosse Förderer der evangelischen Posaunenchorbewegung. Johannes Kuhlo, Adolf Müller, Wilhelm Ehmann; Bochum: Brockmeyer, 1994; ISBN 3-8196-0241-0
  • Schnabel, Wolfgang: Geschichte der evangelischen Posaunenchorbewegung Westfalens. Entstehung und Entwicklung von 1840 bis 2000; Beiträge zur Westfälischen Kirchengeschichte, Bd. 26; Bielefeld: Evangelisches Medienhaus, 2003; ISBN 3-7858-0446-6