Erzengel

Engel mit herausragender Stellung
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Als Erzengel (von griechisch ἀρχἀγγελοι, archángeloi) werden solche Engel bezeichnet, die innerhalb der Schar der Engel eine führende Stellung einnehmen. Nach der Engellehre des Pseudo-Dionysius Areopagita bilden sie den achten der Neun Engelschöre. Während die gewöhnlichen Engel für die Einzelmenschen verantwortlich sind, sind die Erzengel jene Boten, die weitreichende göttliche Beschlüsse überbringen, die für Gemeinschaften oder ganze Völker von Bedeutung sind.[1] Die Vorsilbe Erz- hat nichts mit Metall zu tun, sondern geht auf das griechische Wort ἀρχή archē ‚Anfang, Führung‘, zurück, das einen Vorrang zum Ausdruck bringt und auch den Wörtern Erzbischof und Arzt zugrundeliegt.

In Kunst und Literatur sind die Erzengel Michael, Gabriel, Raphael und Uriel am bekanntesten geworden.[2] In der Bibel (JudEU) wird allerdings nur Michael als Erzengel bezeichnet, Gabriel und Raphael werden dagegen immer nur Engel genannt,[3] Uriel kommt in der Bibel gar nicht vor. Die Vorstellung von der Sieben- bzw. Vierzahl der Erzengel geht auf das das Buch Tobit und das Erste Henochbuch zurück. Im Henochbuch finden sich auch die meisten Namen, die in der späteren Literatur immer wieder als Erzengel auftauchen.[4] Die Namen fast aller Erzengel enden auf -el, was auf den semitischen Gottesnamen El verweist.

Francesco Botticini: Erzengel Michael, Raphael und Gabriel, 1470

Erzengel im antiken Judentum

Die Idee von einzelnen herausgehobenen Engeln, die den Engelsscharen vorstehen, ist schon in der Hebräischen Bibel nachweisbar (z. B. Jos 5,13-15 EU, Dan 10,13, 12,1). In der Zeit des Babylonischen Exils beginnt in den biblischen Texten eine namentliche Nennung von Engeln.[5] Das Wort ἀρχἀγγελος, das dem deutschen Wort Erzengel zugrundeliegt, kommt allerdings erst im Spätjudentum auf. Es ist erstmals in den griechischen Versionen des Ersten Henochbuches bezeugt.[6] Der zwanzigste Abschnitt des Ersten Henochbuchs liefert auch eine Liste von sieben Erzengeln. Nach den griechischen Versionen dieses Buches sind ihre Namen: Uriel, Raphael, Raguel, Michael, Sariel, Gabriel und Remiel.[7] Die Siebenzahl der Erzengel geht auf eine Stelle im Buch Tobit zurück, wo der Raphael sagt, er sei „einer von den sieben heiligen Engeln, die das Gebet der Heiligen emportragen und mit ihm vor die Majestät des heiligen Gottes treten.“[8] Johannes Michl sieht in Einrichtungen am Persischen Hof (Esr 7,14; Est 1,14) das Vorbild für diese Siebenzahl.[9]

Neben diesen sieben Engeln, die in den griechischen Versionen ausdrücklich als Erzengel bezeichnet werden, erscheint im Ersten Henochbuch außerdem eine Vierer-Gruppe von Engeln. Zu ihr gehören Michael, Gabriel, Raphael und ein viertel Engel, der je nach Textversion und Textstelle entweder als Uriel bzw. Sariel (1 Hen. 9,1) oder Phanuel (1 Hen. 40, 9) bezeichnet wird.[10] In 1 Hen. 40, 9 wird erklärt, dass Michael der barmherzige Engel ist, Raphael über alle Krankheiten gesetzt ist, Gabriel allen Mächten vorsteht und Phanuel über die Buße derer gesetzt ist, die das ewige Leben erben.[11] Als die bedeutendsten Engel erscheinen im Spätjudentum die Engel Michael und Gabriel. Sie treten zum Beispiel auch am Anfang der Esra-Apokalypse auf.[12]

Anders interpretierte der jüdische Philosoph Philon von Alexandria (gest. 40 n.Chr.) den archangelos. Seiner Auffassung nach ist er als Führer der Engel mit dem göttlichen Logos identisch.[13]

Erzengel in der christlichen Religion

 
Meister von Calamarca: Barachiel, Bolivien, ca. 1750

Das Wort archangelos erscheint nur zwei Mal im Neuen Testament: In JudEU wird in Anlehnung an Dan 10,13 EU beschrieben, wie der Erzengel Michael mit dem Teufel über den Leichnam des Mose streitet, in 1 Thess 4,16 EU kündigt ein namenloser Erzengel die Herabkunft des Herrn und die Auferstehung der Toten an. Gemäß der Engellehre, die Pseudo-Dionysius Areopagita im 6. Jahrhundert in seinem Werk Über die himmlische Hierarchie beschreibt, gibt es Neun Chöre der Engel, die in drei Hierarchien gegliedert sind. Die Erzengel gehören zusammen mit den Archai und den gewöhnlichen Engeln zur dritten Hierarchie und stehen rangmäßig zwischen ihnen.

Gregor der Große erklärt in seiner 34. Homilie zu den Evangelien, die er 591 als Predigt vortrug, dass der Unterschied zwischen den gewöhnlichen Engeln und den Erzengeln darin bestehe, dass die Engel dazu bestimmt seien, kleinere Dinge anzukündigen, während es die Aufgabe der Erzengel sei, große Ereignisse anzukündigen. Dies sei auch der Grund, warum bei der Verkündigung des Herrn nicht ein Engel, sondern ein Erzengel aufgetreten sei. Als Erzengel nennt er namentlich Michael, Gabriel und Raphael.[14]

 
Die Erzengel in der Kuppel des Baptisterium San Giovanni in Florenz (1225)

Im Mittelalter wurde im Christentum die Existenz von drei oder vier Erzengeln (mit bzw. ohne Uriel) gelehrt:

Vor allem Michael als Engel des Weltgerichtes der Apokalypse und Gabriel als Bote der Verkündigung an Maria waren allgemein bekannt und beliebte Motive in der christlichen Kunst. Eine Vierergruppe mit Uriel wurde vor allem im ostchristlichen Raum geehrt. Von Theologen wurde bis ins späte Mittelalter die Stellung und Zahl der Erzengel in der Angelologie diskutiert.

Die Vierzahl der Erzengel legte weitere Zuordnungen nahe. So wurden sie unter anderem als Regenten der vier Jahreszeiten gesehen:[15]

  • Gabriel: Frühling – Gedenktag 25. März (Mariä Verkündigung, die durch Gabriel übermittelt wird)
  • Raphael: Sommer
  • Michael: Herbst – Gedenktag 29. September (Michaelistag)
  • Uriel: Winter

In Palermo entstand ab 1516 mit der Wiederentdeckung eines Freskos mit sieben Erzengeln in der Kirche „Sette Angeli“ eine Verehrung von sieben Erzengeln, die sich weiter über Italien bis in die Niederlande und nach Russland und auch Südamerika ausweitete. Drei weitere Erzengel wurden als Jehudiel, Sealtiel und Barachiel im Volksglauben bekannt. Die russisch-orthodoxe Kirche fügte einen achten Erzengel, Jeremiel, hinzu. Auch im Westen wurde die Zahl der Erzengel weiter bis auf neun oder zwölf erhöht.

Erzengel im Islam

 
Israfil bläst das Horn zum Jüngsten Gericht (Irak, 1280)

Der Glaube an die Engel ist einer der sechs Glaubensartikel des Islam.[16] Der Koran hebt vier Engel mit besonderen Aufgaben hervor, wobei Dschabrail/Dschibril (Gabriel) und Mikail (Michael) auch namentlich genannt werden:

  • Der Todesengel (malak al-maut), unter Berufung auf die jüdisch-christliche Tradition gelegentlich auch als Azrael (arabisch عزرائیل, DMG ʿAzrāʾīl) bezeichnet.
  • Israfil, (إسرافيل, DMG Isrāfīl), der Engel des Jüngsten Gerichts
  • Dschabrāʾīl (جبرائيل, DMG Ǧabrāʾīl) oder Dschibrīl (جبريل, DMG Ǧibrīl), der Übermittler der göttlichen Weisheit; entspricht Gabriel in der jüdischen und christlichen Überlieferung
  • Mikail, (ميكائيل/ميكال), der Engel der Naturereignisse; entspricht Michael in der jüdischen und christlichen Überlieferung

Anders als bei der christlichen Angelologie hat sich im Islam keine eigene Lehre über die Rangordnung der Engel herausgebildet. Den vier oben genannten Engeln wird allgemein jedoch eine übergeordnete Stellung als Erzengel zugesprochen.[17]

Eine besondere Bedeutung hat Dschibril, denn nach islamischer Auffassung ist er der Überbringer des Korans (Heiliger Geist, روح القدس / Rūḥ al-Qudus) und gilt als Botschafter zwischen Gott und den Propheten.

Literatur

  • Christoph Berner: "The four (or seven) Archangels in the First Book of Enoch and Early Jewish Writings of the Second Temple Period" in Friedrich V. Reiterer (ed.): Angels: the concept of celestial beings - origins, development and reception. De Gruyter, Berlin, New York, 2007. S. 395–412.
  • J.W. van Henten: "Archangel" in Karel van der Toorn u.a. (Hrsg.): Dictionary of Deities and Demons in the Bible. Second Edition. Brill, Leiden u.a., 1999. S. 80b-82a.
  • Heinrich Krauss: Kleines Lexikon der Engel: von Ariel bis Zebaoth. Beck, München, 2001. S. 67f.
  • Heinrich Kreuzer: Die Engel, unsere mächtigen Fürbitter und ihre unschätzbare Aufgabe im Dienste der Schöpfung. Marianisches Schriftenwerk, Trimbach 1983, ISBN 3-85795-001-7.
  • Barbara Leicht (Red.): Engel – Boten zwischen Himmel und Erde (= Welt und Umwelt der Bibel. Nr. 50, Jahrgang 13, ISSN 1431-2379). Katholisches Bibelwerk, Edition „Welt und Umwelt der Bibel“, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-940743-43-5.
  • Johannes Michl: "Erzengel" in Lexikon für Theologie und Kirche. Herder, Freiburg, 1959. Bd. III, S. 1067.
  • E. Lucchesi Palli: "Erzengel" in Wolfgang Braunfels (Hrsg.): Lexikon der christlichen Ikonographie. Begründet von Engelbert Kirschbaum. 8 Bände. Herder, Freiburg im Breisgau u. a. 1968–1976, ISBN 3-451-22568-9. Bd. I, S. 674b-682a.
  • Valery Rees: From Gabriel to Lucifer. A Cultural History of Angels. I.B. Tauris, London, 2013. S. 136-152.
  • Hannelore Sachs, Ernst Badstübner, Helga Neumann: Erklärendes Wörterbuch zur Christlichen Kunst. Hanau, Dausien, 1983. S. 121.
Wiktionary: Erzengel – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Erzengel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Krauss: Kleines Lexikon der Engel. 2001, S. 67.
  2. Sachs/Badstübner/Neumann: Erklärendes Wörterbuch zur Christlichen Kunst. 1983. S. 121.
  3. Für Gabriel siehe Daniel 8,16; 9,21 EU und Lukas 1,11–20.26–28 EU; für Raphael siehe Tobit 5,4–12,22.
  4. Krauss: Kleines Lexikon der Engel. 2001, S. 68.
  5. Vgl. dazu Heinrich Krauss: Die Engel – Überlieferung, Gestalt, Deutung (= Beck'sche Reihe Wissen. 2135). 3. Auflage. C. H. Beck, München 2005, ISBN 3-406-44735-X, S. 27.
  6. Michl: "Erzengel". 1959, S. 1067.
  7. Van Henten: "Archangel". 1999, S. 81b-82a.
  8. Tob 12,15 EU.
  9. Michl: "Erzengel". 1959, S. 1067.
  10. Van Henten: "Archangel". 1999, S. 81b.
  11. Joh. Flemming und L. Radermacher: Das Buch Henoch. J.C. Hinrichs, Leipzig, 1901. S. 66. Digitalisat
  12. Esra 2,1
  13. Van Henten: "Archangel". 1999, S. 81b-82a.
  14. Les Quarante homélies ou sermons de S. Grégoire le Grand, pape, sur les évangiles de l'année, traduits en françois par Louis-Charles-Albert, duc de Luynes. Lyon 1692. S. 397. Digitalisat
  15. Uwe Wolff: Alles über Engel. Aus dem himmlischen Wörterbuch. Freiburg 2001, Eintrag Engel der Jahreszeiten und Lebensalter. (Memento vom 14. Juli 2014 im Webarchiv archive.today). In: engelforscher.de, abgerufen am 6. April 2017.
  16. Die islamischen Glaubensartikel. Verband der islamischen Kulturzentren e. V., abgerufen am 6. April 2017.
  17. Cyril Glassé: The New Encyclopedia of Islam. Rowman & Littlefield Publishers, Lanham, MD [2013], ISBN 978-1-4422-2348-6, S. 49, Lemma Angels.