Johannes Lepsius (* 15. Dezember 1858 in Berlin; † 3. Februar 1926 in Meran) war ein evangelischer Theologe, Orientalist und Humanist. Er studierte zunächst Mathematik und Philosophie in München und promovierte schon 1880 mit einer preisgekrönten Arbeit zum Doktor der Philosophie. Später studierte er Theologie. Sein Name ist unlösbar verbunden mit der Geschichte des armenischen Volkes. Der Autor Franz Werfel setzte ihm in einem seiner Werke ein Denkmal und nannte ihn den von Gott gesandten "Schutzengel der Armenier".
Familie
Johannes Lepsius war der jüngste Sohn des Begründers der Ägyptologie in Deutschland, des Ägyptologen Carl Richard Lepsius und seiner Ehefrau Elisabeth, geb. Klein (1828-1899), die eine Urenkelin des Berliner Aufklärers Friedrich Nicolai ist. Johannes Lepsius wuchs in einem Elternhaus mit großem intellektuellen Horizont auf. Im Hause Lepsius trafen sich viele wichtige Persönlichkeiten des Kaiserreiches aus Politik, Kultur und Kirche. Sechs Geschwister waren sie, darunter der Geologe und Rektor der Technischen Hochschule Darmstadt Richard Lepsius (1851-1915), der Chemiker und Direktor der Chemischen Fabrik Griesheim Bernhard Lepsius (1854-1934) sowie der Portraitmaler und Mitglied der Akademie der Wissenschaften Reinhold Lepsius (1857-1929).
Sein Großvater war der Naumburger Landrat Carl Peter Lepsius (1775-1853), sein Urgroßvater Johann August Lepsius (1745-1801) war Oberbürgermeister von Naumburg. Seine Frau war die schöne und kluge Margarethe (Maggie) Zeller. Sie entstammte der international bekannten württembergischen Missionarsfamilie Zeller. Die beiden haben sich im osmanischen Jerusalem kennen gelernt. In Jerusalem lernte Lepsius 1884 - 1886 viele Probleme vor Ort kennen, weil er dort im Vorstand des syrischen Waisenhauses mitarbeitete und schon da ein bedeutendes, aufgrund von Massakern an der christlichen Bevölkerung 1860 entstandenes Waisenhaus kennenlernt. Das dort Gelernte wird später für seine eigene Arbeit Bedeutung gewinnen.
Werdegang und Lebenswerk
Sein Hauptwerk ist das von ihm ins Leben gerufene und durch Jahrzehnte effektiv arbeitende Armenische Hilfswerk. Als Reaktion auf die gewaltigen hamidischen Armeniermassaker 1894 - 1896, die bereits genozidalen Charakter hatten, gründete er schon 1896/1897 in einer großen humanitären Werbekampagne, die ihn durch ganz Deutschland führte, sein Hilfswerk. Es wurden Hilfsstationen sowohl in der Türkei als auch in Persien und Bulgarien aufgebaut, denn die von Mord und Totschlag bedrohten Christen flüchteten damals aus der Türkei in jene Länder. Später kamen nach dem Genozid an den Armeniern, den die Türken im Schatten des Ersten Weltkriegs (1915 ff) verübten, Flüchtlingsheime und Waisenhäuser sowie Armenier-Neusiedlungen in Syrien und Libanon hinzu.
Lepsius ist zudem bekannt durch seine Dokumentation des Völkermords an den Armeniern 1915/1916. Sie trägt den Titel "Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei" und wurde am 7. August 1916 von der deutschen Zensur verboten. Es gibt eine weitere Auflage der Dokumentation, welche um ein Gespräch im Jahr 1915 mit Enver Pascha erweitert ist. Sie trägt den Titel "Der Todesgang des armenischen Volkes".
Johannes Lepsius engagierte sich für die Armenier, seit er als sehr junger Mann in Ägypten in Begleitung seiner Eltern armenische Kontakte knüpfen konnte. Während einer Türkeireise wird er Zeuge der Pogrome gegen die Armenier Ost-Anatoliens. Dieses Verbrechen prangert er in deutschen Medien und auf Vorträgen an. Unter anderem in Urfa gründete er mehrere karitative Einrichtungen für Armenier, die bis 1917 von seiner dänischen Mitarbeiterin Karen Jeppe geführt wurden, die wie Lepsius während des Ersten Weltkrieges zahlreichen Armeniern das Leben rettete. Die zu tausenden Geretteten stellen für das Überleben und die Wiedergeburt des armenischen Volkes eine nicht gering zu schätzende Größe dar. Insofern gehen Experten davon aus, dass das Lebenswerk von Johannes Lepsius nicht gescheitert ist.
Lepsius hat in Urfa auch mit der Amerikanerin Corinna Shattuck (1847 - 1910) zusammengearbeitet. Diese hatte die hamidischen Massaker in der Stadt Urfa und die Verbrennung tausender Armenier in der dortigen Kathedrale Ende 1895 miterleben müssen. Corinna Shattuck hatte diese Verbrennung als "Holokaust" der Urfa-Armenier bezeichnet.
Von der Reise zurückgekommen publiziert Lepsius in Deutschland einen der entsetzlichen Realität entsprechenden Tatsachenbericht, der fast täglich in Fortsetzung im August und September 1896 in dem vielgelesenen Berliner "Reichsboten" erschien. Diese Artikel werden zusammengefasst und bilden die erste bedeutende Armenien-Dokumentation von Johannes Lepsius. Ihr Titel lautet: "Armenien und Europa. Eine Anklageschrift wider die christlichen Großmächte und ein Aufruf an das christliche Deutschland". Die erste Auflage war 1896 in den Berliner Buchläden zu finden. Fast gleichzeitig kam in Lausanne die französische Übersetzung heraus und 1897 erschien die englische Ausgabe in Londen. 1898 wurden sogar Teile ins Russische übersetzt und in Moskau publiziert.
1908 hatten die Armenier des Osmanischen Reiches große Hoffnungen in die Jungtürkische Revolution gesetzt, die dem verhassten Regime Abdul Hamids (1876-1909) ein Ende setzte. Während des Ersten Weltkrieges kam es aber, insbesondere während der kritischen Wochen im April 1915, als eine alliierte Invasion Konstantinopels unmittelbar drohte (Schlacht von Gallipoli), zu Übergriffen auf die armenische Bevölkerung zunächst in der Hauptstadt, wo es zu Massenverhaftungen und Deportationen kam, und später dann in den von Armeniern besiedelten Gebieten Ostanatoliens. Lepsius setzte in dieser Zeit mit seinem von ihm gegründeten Hilfswerk die humanitären Aktivitäten fort, und versuchte (vergeblich) politisch Einfluss zu nehmen, besonders in Deutschland, das zu dieser Zeit der wichtigste militärische Verbündete des Osmanischen Reichs war und tausende von Soldaten und Offizieren in der Türkei stationiert hatte, aber auch bei direkten Gesprächen mit Offiziellen in der Türkei, z. B. dem Oberbefehlshaber Enver Pascha. Die politischen Parteien in Deutschland ignorierten die Mahnungen Lepsius weitgehend. Liberale Politiker wie Ernst Jaeckh und Friedrich Naumann unterstützten lautstark die deutsch-türkische Waffenbrüderschaft, die SPD, die die Burgfriedenspolitik nicht gefährden wollte, hüllte sich in Schweigen. Lediglich der katholische Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger unterstützte Lepsius und reiste selber auf eigene Faust in die Türkei, um mit den jungtürkischen Machthabern zu verhandeln. Lepsius musste schließlich aufgrund drohender strafrechtlicher Verfolgung im Zusammenhang mit der deutschen Militärzensur seine Aktivitäten im benachbarten Ausland fortsetzen.
Sein Engagement fand unter anderem Würdigung in Franz Werfels Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh", in dem Werfel zwei Kapitel auf die Beschreibung von Lepsius' Einsatz verwendete. Speziell seine bereits erwähnten Verhandlungen mit Enver im Jahre 1915 werden in dramatischer Form beschrieben. In dem Werk begegnet Lepsius als Vertreter des Prinzips des Guten dem Enver Pascha, dem Prinzip der totalen Amoralität, jenseits allen Schuldbewusstseins.
Gedenken
Im unterhalb des Pfingstberges gelegenen Lepsius-Haus in Potsdam, das Lepsius selbst bewohnte, soll das Lepsius-Archiv untergebracht werden, das sich zur Zeit noch an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg befindet. Gründer des Lepsius-Archivs ist der Theologe Hermann Goltz. Es existieren Pläne, das Lepsius-Haus zu einer Erinnerungsstätte für den Genozid an den Armeniern zu machen.
2001/2002 kam es deswegen zu einem politischen Konflikt mit der Botschaft der Türkei, die jegliches Gedenken an Johannes Lepsius zu verhindern trachtete. Die offizielle Türkei leugnet den Völkermord an den Armeniern und möchte konsequenterweise auch die Erinnerung an die Zeugen dieses Völkermords verhindern. Dies nicht nur in der Türkei.
So sah sich der damalige Potsdamer Oberbürgermeister Matthias Platzeck mit einer Welle zentral gesteuerter türkischer Protestbriefe überflutet, die alle das Lepsius-Haus verhindern wollten. Die türkische Botschaft drohte indirekt mit Unruhen in der türkischen Bevölkerung Berlins. Der Vorstand des Lepsius-Haus-Fördervereins wurde zu einem Gespräch zum türkischen Botschafter geladen, der im Gespräch behauptete, dass das Lepsius-Haus zur Destabilisierung der Türkei beitragen würde. "Report aus Mainz" und die Zeitschrift "Chrismon" berichteten ausführlich.
Werke
- Johannes Lepsius/ Ludwig Traube (Hrsg.): Schauspiel und Bühne. Beiträge zur Erkenntnis der dramatischen Kunst, München 1880
- Johannes Lepsius: Deutschland und Armenien, Potsdam 1919
- Johannes Lepsius: Die große Politik der europäischen Kabinette 1871-1914, Berlin 1924
Literatur
- Deutsches Geschlechterbuch, Artikel Lepsius in den Bänden 4 (1896), 5 (1897) und 10 (1903)
- Bernhard Lepsius: Das Haus Lepsius, Berlin 1933
- Cem Özgönül: Der Mythos eines Völkermordes - eine kritische Betrachtung der Lepsiusdokumente sowie der deutschen Rolle in Geschichte und Gegenwart der "Armenischen Frage", Önel-Verlag, Köln 2006. ISBN 3-933348-93-5
Weblinks
- Vorlage:PND
- Johannes Lepsius. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL).
- Johannes Lepsius (1858-1926) – ein Mann mit Vision
- Ein deutscher Pfarrer und der Genozid, Artikel in chrismon
- Beeindruckende Dokumentation zur Tragödie des armenischen Volkes wurde vollendet
- Der Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg, Dokumente aus dem Politischen Archiv des deutschen Auswärtigen Amts
Personendaten | |
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NAME | Lepsius, Johannes |
KURZBESCHREIBUNG | evangelischer Theologe, Orientalist und Humanist |
GEBURTSDATUM | 1858 |
STERBEDATUM | 1926 |