Homosexualität im Neuen Testament

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Wenn man über Homosexualität im Neuen Testament spricht, sind zuerst beide Begriffe zu problematisieren:

Dennoch werden aus der Bibel nicht selten antihomosexuelle Positionen abgeleitet. Im Rahmen einer kontextuellen Auslegung der Evangelien werden solche Schlüsse jedoch zunehmend in Frage gestellt.

Paulus

An Paulus' Ablehnung der fleischlichen Begierde zwischen Männern, ja sogar der zwischen Frauen ist nicht zu rütteln. Paulus' "Antihomosexualität" entstammt zu einem starken Anteil den späten Schriften Platons, insbesondere seinem Werk Nomoi, in dem er das erotische Begehren zwischen Freunden aus der Sicht seiner oft als totalitär bezeichneten Staatskonzeption verwirft und ein Gesetz gegen den Analverkehr vorschlägt. Platon war der erste, der den mannmännlichen Beischlaf als "widernatürlich" bezeichnete, weil er dem Sexualerhalten der Tiere widerspreche. (Homosexuelles Verhalten unter Tieren ist jedoch in Wirklichkeit keine Seltenheit.)

Paulus sieht die Natur als ein Werk der Offenbarung und betrachtet die "widernatürliche" Begierde zwischen Frauen und zwischen Männern als eine Strafe Gottes, die dieser über die Heiden verhängt habe, um sie für ihren Götzendienst zu bestrafen.

"Darum lieferte Gott sie entehrenden Leidenschaften aus: Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen; ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in Begierde zueinander; Männer trieben mit Männern Unzucht und erhielten den ihnen gebührenden Lohn für ihre Verirrung." (Röm 1,26-27).

Ebenso heißt es im ersten Korinther-Brief (und ähnlich im ersten Brief an Timotheus, 1,9-10):

"Wißt ihr denn nicht, daß Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Knabenschänder, noch Diebe, noch Habgierige, keine Trinker, keine Lästerer, keine Räuber werden das Reich Gottes erben." (1 Kor 6,9).

Die Begriffe, die Paulus im griechischen Orignal benutzt, sind arsenokoitai und malakoi. Bei ersterem handelt es sich um ein Kunstwort, das im damaligen Sprachgebrauch nicht existierte. Es bedeutet wörtlich "Männerbeschläfer". Malakos dagegen bedeutet eigentlich nur "weich", wird aber im Altgriechischen häufig gebraucht, um einen jungen Mann zu bezeichnen, der an passivem Analverkehr Gefallen findet.

Dies sind die einzigen Belegstellen des Neuen Testaments, die sich gegen den gleichgeschlechtlichen Verkehr aussprechen. Von manchen werden dagegen eine Reihe von Versen aus den vier Evangelien angeführt, um diese Haltung als eine Folge von Paulus' Platonismus und seiner radikalen Leibfeindschaft darzustellen.

Matthäus

In der Bergpredigt von Jesus ist folgende, scheinbar unauffällige Stelle zu lesen:

"Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber jemand tötet, soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinen Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du (gottloser) Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein." (Mt 5,21-22).

Hierbei könnte es sich jedoch um eine Fehlübersetzung handeln. Wo "Dummkopf" übersetzt wurde, steht im Original "raca". Rakha ist jedoch das hebräische Äquivalent zu malakos. Es bedeutet "weich" und wird oft in einem sexuellen Kontext gebraucht.

Und wo die katholische Einheitsausgabe "Narr" schreibt, steht im Original "moros". Moros kann sicher vieles bedeuten, z.B. "dumm". Es bezieht sich jedoch auch auf einen Mann, der einen sexuellen Übergriff auf einen anderen Mann begangen hat. Diese Bedeutung liegt nicht nur deshalb nahe, weil sie die heftige Reaktion von Jesus auf dieses Schimpfwort besser erklären würde, sondern auch weil moros mit raca zusammen so ein sinnvolles Wortpaar ergäbe, welches ähnlich wie das von Paulus die aktive und passive Rolle während des homosexuellen Beischlafs bezeichnet hätte.

Diese Stelle wird daher von liberalen Theologen als eine Verurteilung von Homophobie bzw. antihomosexueller Denunziation gelesen.

Johannes

Eine weitere Stelle in der Bibel diente bereits in der frühen Neuzeit immer wieder als Rechtfertigung für die gleichgeschlechtliche Liebe. Im Johannes-Evangelium heißt es:

"Nach diesen Worten war Jesus im Innersten erschüttert und bekräftigte: Amen, amen, das sage ich euch: Einer von euch wird mich verraten. Die Jünger blickten sich ratlos an, weil sie nicht wußten, wen er meinte. Einer von den Jüngern lag an der Seite Jesu; es war der, den Jesus liebte. Simon Petrus nickte ihm zu, er solle fragen, von wem Jesus spreche. Da lehnte sich dieser zurück an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist es?" (Joh 13,21-25)

Der Name dieses Jüngers ist uns nicht bekannt. Er wird im Johannes-Evangelium immer nur genannt: "der Jünger, den Jesus liebte". Im Mittelalter identifizierte man diesen Jünger als den Evangelisten Johannes selbst. Ebenso ging man (eine mittelalterliche Institution auf die Bibel projizierend) davon aus, dass Jesus und Johannes "geschworene Brüder" waren.

Dies nutzte zum Beispiel König Jakob I. im Jahr 1617 für seine Verteidigungsrede gegen das englische Parlament, das seine Beziehung zum Earl of Buckingham aus politischen Gründen zu problematisieren versuchte. Jakob antwortete auf diese Vorwürfe:

"Ihr könnt sicher sein, dass ich den Earl of Buckhingham mehr als jeden anderen liebe und mehr als euch, die ihr hier versammelt seid. Ich wünsche für mich selbst zu sprechen und nicht, dass dies für einen Mangel gehalten wird, denn Jesus Christus hat dasselbe getan und daher kann ich nicht beschuldigt werden. Christus hatte seinen Sohn Johannes, und ich habe meinen George."

Der Theologe Theodore Jennings hat, trotz der antihomosexuellen Haltung der methodistischen Kirche, von der er zum Pfarrer ordiniert wurde, ein Buch verfasst, indem er unter Verweis auf weitere Stellen aus den Evangelien behauptet, dass der Mann, "den Jesus liebte", der "schwule Freund" von Jesus gewesen sei. Diese Aussage ist jedoch als anachronistisch zu bezeichnen, da es das Konzept der Homosexualität als einer Identität, die eine sexuelle Abweichung markiert, zu Jesus' Zeiten nicht gab.


Siehe auch: Homosexualität und Religion, Wahlbruderschaft, Sodomiterverfolgung

Literaturverweise

  • John Boswell: Christianity, Social Tolerance, and Homosexuality. 1981. ISBN 0226067114.
  • Daniel A. Helminiak: What the Bible Really Says About Homosexuality. 2000. ISBN 188636009X.
  • Theodore W. Jennings: The Man Jesus Loved: Homoerotic Narratives from the New Testament. 2003. ISBN 082981535X.
  • Holger Tiedemann: Die Erfahrung des Fleisches: Paulus und die Last der Lust. 1998. ISBN 3-87173-162-5.