Massaker von Katyn

Massenmord an polnischen Offizieren 1940
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 26. Mai 2006 um 01:12 Uhr durch Stefan Volk (Diskussion | Beiträge) (Das Massaker). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Im Massaker von Katyn ermordeten zu Beginn des Jahres 1940 Einheiten des sowjetischen Geheimdienstes NKWD in einem Wald nahe Smolensk mehrere Tausend polnische Offiziere und Zivilisten.

Datei:Katyn.jpg
Soldaten der deutschen Wehrmacht exhumieren die ermordeten Polen, 1943 (NS-Propagandafoto)

Die Entdeckung der Massengräber durch die deutsche Wehrmacht führte zum Abbruch der Beziehungen zwischen der polnischen Exilregierung in London und der Sowjetunion. Das Massaker wurde zunächst von der nationalsozialistischen Propaganda instrumentalisiert, während die Führung der Sowjetunion es der Wehrmacht anlastete. Erst Michail Gorbatschow stellte 1990 klar, dass die Sowjetunion für Katyn verantwortlich war. Das Verbrechen belastet bis heute das russisch-polnische Verhältnis.

Das Massaker

Nachdem die Truppen der Roten Armee im Herbst 1939 in den Teil Polens einmarschiert waren, der ihnen im Hitler-Stalin-Pakt zuerkannt worden war, gerieten 14.700 Offiziere und Soldaten der polnischen Armee in sowjetische Kriegsgefangenschaft.

Am 5. März 1940 unterzeichneten die Mitglieder des Politbüros der KPdSU - Josef Stalin, Wjatscheslaw Molotow, Lasar Kaganowitsch, Kliment Woroschilow, Anastas Mikojan und Lawrenti Berija - den Befehl zur Exekution von „Nationalisten und konterrevolutionären Aktivisten” in den besetzten Gebieten. Diese weite Definition ermöglichte es, neben Offizieren, Soldaten und Reservisten auch polnische Intellektuelle und Polizisten zu töten. Erfasst wurden schließlich 25.700 Polen, einschließlich der Kriegsgefangenen.

Vom 3. April bis zum 19. Mai 1940 ermordete der NKWD 14.552 Kriegsgefangene: die größten Gruppen bildten 4.421 Mann aus Kozielsk, die in Katyn, 6.311 aus Ostaschkow, die in Twer und 3.982 aus Starobielsk, die in Charkiw exekutiert wurden. Die Leichen der Kriegsgefangenen aus Kozielsk wurden ebenfalls im Wald von Katyn begraben.

Die Entdeckung des Massakers

Im Februar 1943 entdeckten deutsche Soldaten im Wald von Kozy Gory bei Katyn Massengräber mit den Leichen tausender polnischer Offiziere, die nach Aussagen der einheimischen Bevölkerung im Frühjahr 1940 ermordet worden waren.

Die reichsdeutschen Rundfunkmeldungen über die Funde veranlassten die polnische Exilregierung in London, eine internationale Untersuchung durch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes in Genf zu beantragen. Gegen dieses Vorhaben wehrte sich die sowjetische Regierung heftig und brach, unter dem Vorwurf der Komplizenschaft mit Hitler, jeden Kontakt zu polnischen Exilanten ab.

Untersuchungen Anfang 1943 und NS-Propaganda

Der Fall Katyn geriet der deutschen Regierung zu einem Glücksfall für die NS-Propaganda. Berlin veranstaltete direkt nach dem Fund eine öffentliche Exhumierung durch eine kompetente internationale Untersuchungskommission von 12 namhaften Gerichtsmedizinern, darunter eingeladene und gekommene Vertreter der polnischen Exilanten und Vertreter des polnischen Roten Kreuzes. Diese Kommission aus Gerichtsmedizinern begutachtete zwischen dem 28. und 30. April 1943 die bereits aufgedeckten Massengräber und grub exemplarisch weitere Leichen aus dem gewachsenen Boden, auch um das Todesdatum zweifelsfrei festzustellen.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hatte, aufgrund der Proteste der Sowjetunion, seine Mitarbeit verweigert.

In einem gemeinsamen Beschluss veröffentlichte die international besetzte Kommission ihre Expertise zum Todesdatum, in dem sie u.a. zum übereinstimmenden und unwidersprochenen Beschluss kam, dass das Todesdatum im Frühjahr 1940 gelegen haben muss, aufgrund der Feststellungen der Gerichtsmediziner und der bei den Leichen gefundenen Papiere und Briefe, die alle zum selben Zeitpunkt datumsmäßig abbrachen.

Der Deutsche Verlag publizierte 1943 die gemeinsamen Untersuchungsergebnisse als amtliches Gutachten. Zur Todesursache heißt es darin: „Die Leichen wiesen als Todesursache ausschließlich Genickschüsse auf. Aus den Zeugenaussagen, den bei den Leichen gefundenen Briefschaften, Tagebüchern, Zeitungen usw. ergibt sich, dass die Erschießungen in den Monaten März und April 1940 stattgefunden haben. ...” Weil die Massengräber sich auf einem Gebiet befanden, das von Frühjahr 1940 bis Juni 1941 von der Sowjetunion besetzt war, war die Täterschaft für alle an der Untersuchung Beteiligten klar.

Katyn war für die NS-Propaganda von mehrfachem Nutzen: international konnte das Ansehen des Kriegsgegners Sowjetunion geschwächt werden, im Rahmen der Okkupationspolitik in den polnischen Gebieten sollte dem lokalen Widerstand klar gemacht werden, dass die Sowjetunion als Bündnispartner ausschied und mit dem für die NS-Propaganda typischen Antikommunismus sollte die eigene Bevölkerung gegen den Bolschewismus weiter aufgebracht werden. Als innerdeutsche Propaganda hatte das Massaker von Katyn jedoch nicht den gewünschten Erfolg: Aus einem Bericht des SD geht hervor, dass weite Teile der deutschen Bevölkerung dieses Verbrechen im Vergleich zu den eigenen für unbedeutend hielten oder der Meinung waren, es wäre von den deutschen Truppen verbrochen worden.

Untersuchungen Ende 1943 und Sowjet-Propaganda

Ende 1943, nach der Zurückeroberung des Geländes, ließ die Sowjetunion das Massaker durch eigene Fachleute und Militärs untersuchen. Diese behaupteten prompt, dass die Genickschüsse im Herbst '41 (somit unter deutscher Verantwortung) stattgefunden hätten.

Anfang 1946 berichtete die Zeitung „Nordwest-Nachrichten” (Hg. war die britische Militärbehörde), dass zehn deutsche Kriegsgefangene von der sowjetischen Justiz für die Massaker bei Katyn verurteilt wurden. Sieben wurden mit dem Tode bestraft und drei zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt.

Katyn bei den Nürnberger Prozessen ab 1946

Die sowjetischen Ankläger vor dem Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher warfen die Verbrechen den deutschen Angeklagten vor. Der amerikanische Richter Francis A. Biddle bezeichnete die Eingabe der UdSSR als „maßlos” und gab seinem Mitarbeiter Herbert Wechsler den Auftrag, Klarheit in die Angelegenheit zu bringen. Da die westlichen Alliierten kein Interesse daran hatten, den Prozess durch sowjetische Propaganda in seiner Wirkung beeinträchtigen zu lassen, überstimmten sie den sowjetischen Richter Iona Nikittschenko und drohten mit dem Verlesen von Wechslers Erklärung sowie der Verhaftung des sowjetische Anklägers Roman Rudenko, wenn er weiterhin durch entsprechende Anträge das Gericht missachten sollte. Katyn blieb daher beim Urteilsspruch unbeachtet. Das bis zur Wende 1989 teilerfolgreiche sowjetische Bestreben, dieses eigene Kriegsverbrechen den Nationalsozialisten anzulasten, nehmen Revisionisten zum Anlass, um die Nürnberger Prozesse insgesamt in Frage zu stellen.

Katyn in Schulbüchern der DDR und der BRD

Im Geschichtsunterricht der DDR – aber nicht der Bundesrepublik – wurde bis zur deutschen Wiedervereinigung das Massaker der deutschen Wehrmacht angelastet.

Anerkennung des Massakers durch die Sowjetunion

Am 13. April 1990 gestand Michail Gorbatschow schließlich die sowjetische Alleinschuld an Katyn offiziell ein. Was Gorbatschow noch unterlassen hatte, holte der russische Präsident Boris Jelzin im Oktober 1992 nach: Er überließ Polen das Aktenstück von 1940, mit dem Kaganowitsch, Stalin, Berija und andere die Exekutionen von Katyn angeordnet hatten.

Bisher weigert sich die russische Regierung um Präsident Wladimir Putin jedoch, die Opfer des Massakers von Katyn offiziell als Opfer des stalinistischen Terrors anzuerkennen.

Nach sowjetischen Dokumenten fanden dabei 21.857 Menschen den Tod, nach Angaben Polens waren es ca. 30.000 Personen, lt. Brockhaus rd. 25.000. Für das Verbrechen verantwortlich war die ganze damalige Staats- und Parteiführung der Sowjetunion.

Geschichtliche Einordnung

Das geheime Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Pakts, das (u.a.) die Aufteilung des polnischen Gebietes und damit letztlich die Vernichtung des polnisches Staates vorsah, gilt einer Anzahl polnischer Historiker als Ausgangspunkt nationalsozialistischer und sowjetischer Gräuel auf polnischem Boden.

Literatur

  • Thymian Bussemer: Das internationale Rote Kreuz und die NS-Kriegspropaganda: der Fall Katyn. In: Vorgänge Jg. 39 2000 H. 3 S. 81-89
  • John P. Fox: Der Fall Katyn und die Propaganda des NS-Regimes. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte. (30) 1982 S. 462-499
  • Joachim Hoffmann: Stalins Vernichtungskrieg. München 1999, Herbig Verlag, ISBN 377662079X. - Keine Spezialstudie zu Katyn, sondern Benutzung als Illustrationsmaterial zu Hoffmanns überzogenen Thesen.
  • Gerd Kaiser: Katyn, Das Staatsverbrechen - das Staatsgeheimnis. Aufbau Taschenbuchverlag, Berlin 2002, ISBN 3746680786. - Fortführung der Arbeit Madajczyks unter Einbeziehung weiterer Quellen aus russischen Archiven.
  • Czeslaw Madajczyk: „Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939 - 1945”, Köln 1988.
  • Czeslaw Madajczyk: Das Drama von Katyn. Dietz Verlag 1991, ISBN 3320016687. - Die erste wissenschaftliche Arbeit über Katyn durch den bedeutenden polnischen Historiker.
  • Manfred Vasold: Katyn. In: Wolfgang Benz: Legenden, Lügen, Vorurteile. S. 115 ff

Vorlage:Koordinate Artikel