Der Begriff Anarchismus (von griechisch: anarchía, "Herrschaftlosigkeit") bezeichnet die Idee einer herrschaftsfreien gewaltlosen Gesellschaft, in der Menschen ohne politischen Zwang (Macht) und Herrschaft miteinander leben. Ein Mensch, der nach diesen Idealen lebt, wird als Anarch bezeichnet, einer, der eine herrschaftsfreie Gesellschaft anstrebt, als Anarchist. Bisweilen wird das Adjektiv libertär synonym für "anarchistisch" verwendet.
Umgangssprachlich und von seinen politischen Gegnern wird der Begriff Anarchie jedoch oft mit Unordnung, Zerstörung und Chaos gleichgesetzt. Dem widersprechend formulierte Gustav Landauer, ein bedeutender deutscher Theoretiker des Anarchismus vom Anfang des 20. Jahrhunderts, den Satz: "Anarchismus ist Ordnung ohne Herrschaft"
Richtungen
Es gibt im wesentlichen zwei Richtungen des Anarchismus. Ursprünglich waren es eher Revolutionäre, Kapitalismuskritiker, die - wenn man so will - als "links" zu bezeichnende Theorien entwickelten. Der so genannte Anarchokapitalismus spricht sich bewusst gegen den Staat aus, da die Teilnahme am Staat erzwungen ist. Der klassische "Links"-Anarchismus hatte dagegen weniger den Zwang des Staates im Auge, sondern mehr strukturelle Ziele, die für sich genommen gegebenenfalls auch herrschaftliche Instrumente verlangten, um sie überhaupt durchsetzen zu können.
Die folgende Beschreibung des Anarchismus bezieht sich auf den klassischen, "linken" Anarchismus.
Der Anarchismus strebt eine Gesellschaft an, dessen politische Entscheidungen von der Basis ausgehen.
Dazu wird Selbstorganisation als Mittel angesehen. Das Leben soll auf kleinstmöglicher politischer Ebene geregelt werden. Als wichtigste politische Einheit werden demnach Stadtteilorganisationen angesehen, in denen lokale Angelegenheiten gemeinsam zu entscheiden sind.
Demnach solle der Mensch die ihn betreffenden Entscheidungen selbst gemeinsam mit anderen fällen dürfen, weshalb sich Anarchisten auch immer gegen den Staat wenden, da in der Demokratie die Politik immer nur von einer kleinen Machtgruppe (Politiker/Konzern/Parteien), d.h. oligarchisch entschieden werde.
Zu einer gerechten Gesellschaft gehöre eine gerechte Wirtschaft, weshalb Anarchisten autoritäre Wirtschaftsordnungen, wie die von den Marxisten geforderte, ablehnen, und eine selbstorganisierte Wirtschaft anstreben.
Eine dritte, eher unwichtige, Bewegung ist der Pogo-Anarchismus, im Deutschland vor allem durch die APPD vertreten. Pogo-Anarchismus hat nur noch wenig mit dem ursprünglichen Anarchismus zu tun, im Vordergrund steht die Forderung nach wenigen bis gar keinen Gesetzen. Unter den Anhängern des ursprünglichen Anarchismus gilt der Pogo-Anarchismus als verpönt und wird nicht ernstgenommen.
Wichtige Richtungen
- Individualistischer Anarchismus - die Gesellschaft als Ansammlung unabhängiger Individuen. (Goodwin)
- Solidarischer Anarchismus - Großeigentum soll auf Kleineigentümer aufgeteilt werden, diese kooperieren miteinander. (Proudhon)
- Kollektivistischer Anarchismus - Arbeiterklasse entscheidender Faktor. (Bakunin)
- Nihilismus
- Kommunistischer Anarchismus (Kopotkin)
- Anarchosyndikalismus - Gewerkschaften als Basis
Geschichte
Bereits 1793 formuliert William Godwin in seinem Werk Enquiry concerning political justice, dass jedwede obrigkeitliche Gewalt als ein Eingriff in die private Urteilskraft anzusehen ist. Seine Ideen wurden jedoch lange Zeit nicht aufgenommen. Erst Pierre-Joseph Proudhon stellt die wesentlichen Elemente des Anarchismus in seinem Werk Qu'est-ce que la propriété? ou recherches sur le principe du droit et du gouvernement (1840) zusammen und formuliert: "Eigentum ist Diebstahl."
Später im 19. Jahrhundert waren es Revolutionäre wie Michail Bakunin die Bedarf für Gewalt zur Verteidigung der Arbeiterklasse gegen Unterdrückung durch die herrschende Klasse sahen. Einige der frühen Anarchisten unterstützten politische Gewalt durch Bombenattentate oder die Ermordung wichtiger Politiker bis hin zu Staatspräsidenten wie Abraham Lincoln. Diese Aktionen wurden aber von anderen als kontra-produktiv oder ineffektiv angesehen. Peter Kropotkin entwickelte in seinem Buch Mutual Aid (1897) einen anarchistischen Kommunismus, dessen wissenschaftlicher Aspekt auf der Evolutionstheorie basiert und in dem die Zusammenarbeit und das kooperative Element gleichwertig oder wichtiger als der Konkurrenzkampf war.
Im frühen 20. Jahrhundert wurden in Europa die Anarchisten-Gruppen von den aufsteigenden Faschisten oder in Russland auch von den Kommunisten verdrängt, allerdings wird argumentiert dass der philosophische Einfluss des Anarchismus in diesen erhalten blieb. Anarchisten spielten in vielen Arbeiterbewegungen, -aufständen und Revolutionen des 19. und 20. Jahrhunderts eine Rolle, dazu gehören etwa 1917 die Oktoberrevolution in Russland und die nach ihrem führenden Partisanen Nestor Machno benannte Bewegung der Machnowzi (Machnotschina = Machnobewegung) in der Ukraine oder der Spanische Bürgerkrieg. In diesem Bürgerkrieg kontrollierten Anarchistengruppen große Teile des östlichen Spaniens.
Nach dem zweiten Weltkrieg entwickelte sich hauptsächlich in den USA die neue politische Theorie des Libertarismus. Diese Ideologie ist gegen den stetig wachsenden Einfluss des Staates auf die Wirtschaft und ist dem klassischem Liberalismus des 18. und frühen 19. Jahrhundert näher als den bisherigen linken anarchistischen Traditionen. Dieser Libertarismus wird aber von den meisten Anarchisten anderer Richtungen als reinste Form des Kapitalismus abgelehnt.
Das öffentliche Interesse am Anarchismus wuchs in den 1970ern in Großbritannien wieder an und wird als Ursprung des Punks angesehen. Vor allem die Band Crass sind hier als engagierte Anarchisten und Pazifisten zu nennen.
Anarchismus heute
Anarchistische Gruppen existieren weiterhin weltweit. In den anglo-amerikanischen Ländern hat der Anarchismus in den letzten Jahren durch den dort stark anarchistisch geprägten Protest gegen die Globalisierung bei einigen Bevölkerungsschichten, wieder ein wenig Ansehen erlangt.
In Deutschland existieren weiterhin klassische Anarchisten, einige Bedeutung haben die anarchosyndikalistische FAU/IAA und die anarcho-pazifistische Graswurzelrevolution. Die Autonomen gelten als zumindest stark vom Anarchismus beeinflusst.
Anarchistinnen und Anarchisten
- Puig Antich
- Alexander Berkman
- Michail Bakunin
- Murray Bookchin
- Noam Chomsky
- Buenaventura Durruti
- Charles Fourier
- David D. Friedman
- Emma Goldman
- Karl Grün
- Moses Heß
- Peter Kropotkin
- Gustav Landauer
- Nestor Machno
- Max Nettlau
- Erich Mühsam
- Pierre Joseph Proudhon
- Rudolf Rocker
- Murray Rothbard
- Sacco und Vanzetti
- Max Stirner
- Benjamin Tucker
- Johann Most
- Errico Malatesta
- Günther Anders
Literatur
- David D. Friedman: Das Räderwerk der Freiheit. Für einen radikalen Kapitalismus., ISBN 3833005297
- Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum, ISBN 3150030579
- Murray N. Rothbard: Die Ethik der Freiheit, ISBN 3896650866
- Stefan Blankertz: Das libertäre Manifest. Über den Widerspruch zwischen Staat und Wohlstand., ISBN 3831118698
- Hans-Hermann Hoppe: Demokratie. Der Gott, der keiner ist, ISBN 3933497868
- April Carter: Die politische Theorie des Anarchismus
- Hans Diefenbacher: Anarchismus, ISBN 3896780131
- Justuf F. Wittkopp: Unter der schwarzen Fahne, ISBN 3879562172
- Horst Stowasser: Leben ohne Chef und Staat, ISBN 3879561206
- Peter Kropotkin: Die Eroberung des Brotes, ISBN 3922209084
- Max Nettlau: Geschichte der Anarchie; Bibliothek Thélème, ISBN 3930819007
Organisationen
Weblinks
- ef-magazin - eigentümlich frei
- Anarchist Theory FAQ (engl.)
- FreiheitsForum
- anti-state.com - market anarchism online (engl.)
- anarcho-kapitalisten.de
- Ancapistan Network (engl.)
- anarchism.net (engl.)
- DadA - Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus: Literatur- und Pressedokumentation sowie weitere Texte zur Anarchismusforschung
- Hajo Schmück: "Anarchie" - Zur Geschichte eines Reiz- und Schlagwortes
- Kleiner Leitfaden zur Geschichte und den Inhalten des Anarchismus
- the anarchist FAQ (engl.) Guter Einstieg in das Thema
- kleines anarchistisches FAQ (de)
- Anarchie Heute
- http://www.anarchismus.at/theoretiker.htm
- http://www.anarchie.net.tf
Siehe auch: Anarchosyndikalismus, Direkte Aktion, Münchner Räterepublik, Rätedemokratie, Graswurzelrevolution, Liberalismus, Sozialismus, Pazifismus, Individualanarchismus, Libertär, Mutualismus, Syndikalismus, Terrorismus, Libertarismus, Eigentum, Freiheit, Abolitionismus, Machnotschina