Die Midgard Licht GmbH ist eine Leuchtenfirma, die sich aus dem 1919 gegründeten Unternehmen Industriewerk Auma Ronneberger und Fischer entwickelt hat. Ihr Gründer Curt Fischer gilt als Erfinder des lenkbaren Lichts. Mit seinen Leuchten wurden unter anderem die Metallwerkstätten des Dessauer Bauhaus eingerichtet.
Die Entstehung
1919 übernahm Curt Fischer, einer der großen Ingenieure und Designer des 20. Jahrhunderts, im Thüringischen Auma das Industriewerk Auma, das Maschinen zur Produktion von Industrieporzellan herstellte. Er ergänzte den Firmennamen durch Ronneberger und Fischer, im Gedenken an Konrad Ronneberger, der die Fabrik 1912 gegründet hatte, und drei Jahre später im Krieg gefallen war.
Die Erfindung des lenkbaren Lichts
Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs nahm die Industrialisierung Fahrt auf. Es wurde viel und bis spätabends gearbeitet. Das Tageslicht reichte nicht mehr aus und die damals üblichen Decken- und Pendelleuchten spendeten nur Licht von oben. Die Folge: Man verschattete mit seinem Körper und Kopf den Arbeitsplatz und damit das Werkstück. Für einen Tüftler wie Curt Fischer – er hatte während des Kriegs Kutschen in mobile Funkstationen verwandelt und die Kommunikationsgeräte für den Zeppelin mitentwickelt – eine spannende Herausforderung. Schon im November 1919 hatte er eine Lösung parat: seine berühmte Scherenleuchte, auch Lichtbogen oder verstellbarer Wandarm genannt, die er sich am 26. November 1919 vom Reichspatentamt patentieren ließ. Mit einer Hand konnte man das Licht zu sich heranziehen, den Kopf der Leuchte drehen und wenden, um den Lichtkegel im gewünschten Winkel auf den Arbeitsplatz oder das zu fertigende Teil zu richten. Ließ man den Wandarm los, schnappte er nicht zurück, sondern blieb – und mit ihm der Lichtschein – genau dort, wo man ihn brauchte. Diesem Entwurf folgten weitere Leuchten. Die berühmtesten: das Modell Nr. 113, das auf Grund seines gebogenen Stabs auch als „Peitsche“ bezeichnet wurde und bald in die Metallwerkstätten des Bauhaus Dessau einziehen sollte, sowie das Modell Nr. 114 und die Maschinenleuchte mit Fischers Patent, den wartungsfreien Gelenken, die sich um 1930 aus diesen beiden Vorläufern entwickelte.
Diese Gelenkleuchten sind es, die Curt Fischer zum Erfinder des lenkbaren Lichts machten. Und nicht nur das: 1922 stellte er den ersten blendfreien Reflektor – drehbar und asymmetrisch – her, der für optimal gerichtetes Licht sorgte und die Augen desjenigen, der im Lichtschein arbeitete, schützte.
Die ersten Patente ließ Curt Fischer noch auf seinen eigenen Namen eintragen. Ab etwa 1920 auf den Namen „Midgard“, so nannte er die Marke, unter der das Industriewerk Auma Ronneberger und Fischer seine Leuchten herstellte.
Der Firmenname
Midgard ist das germanische Wort für Welt oder Erde. Zu Lebzeiten von Curt Fischer war die nordische Mythologie sehr en vogue, was die Namensgebung erklärt. Ein Blick auf das damalige Logo lässt unterschiedliche Interpretationen zu: Eine Sonne wird von einem Dreieck – möglicherweise die Abstraktion eines Reflektors – vor einer Schlange beschützt. Und zwar vor der Midgardschlange, die laut Legende in dem großen Weltenmeer, das Midgard umschließt, ihr Unwesen treibt – und schließlich vom Gott Thor besiegt wird. Der Mythos besagt, dass die lichtscheue Midgardschlange den Himmel vergiften wollte. Und so könnte das Logo bedeuten, dass Curt Fischers Leuchten das Böse fernhalten sollten, was ihre Leistungskraft unterstreichen würde. Vielleicht ist die Schlange aber auch eine Anspielung auf die Beweglichkeit der „Midgard“-Leuchten oder auf den Fluss Auma.
Geschichte
1920–1956
Als ein großer Fan der „Midgard“-Leuchten gilt Walter Gropius. Nicht nur die Metall-Werkstätten des Bauhaus waren mit ihnen ausgestattet, sondern auch sein Zuhause. Zwischen 1927 und 1931 standen Gropius und Fischer in Briefkontakt, man wollte Synergien nutzen und sich gegenseitig austauschen. Doch wenige Jahre später kam der Zweite Weltkrieg – und das Bauhaus musste sich unter dem Druck des Dritten Reichs auflösen.
Dafür, dass Curt Fischer den Nationalsozialisten ebenfalls nicht nahe stand, sprechen unter anderem die Aussagen von Zeitzeugen und die Dokumente aus dem Archiv der Firma Ronneberger und Fischer. Beispielsweise zeigt der Briefverkehr, dass Fischer auf die damals üblichen nationalsozialistischen Formulierungen verzichtet hat. Außerdem hat seine Firma zu keiner Zeit als Rüstungsbetrieb gedient, sondern während des gesamten Kriegs stets nur Leuchten produziert.
Die „Midgard“-Produkte wurden immer gefragter. Curt Fischer entwarf trotz Rohstoffmangels auch Leuchten für den Wohnbereich und entwickelte seine bisherigen Entwürfe weiter. Eine Variation der Scherenleuchte bekam einen fast zwei Meter langen Wandarm, ideal, um Zeichen- und Kartentische zu beleuchten. Unter anderem befand sich ein solches Modell in den Räumlichkeiten der Werft Blohm+Voss. Die Bauhausstudentin und Designerin Marianne Brandt, die ebenfalls Leuchten entwarf, schrieb einst: „Beneidet haben wir später die Erfinder des Armes der Midgardleuchte – unsere Lampe war ja auch verstellbar, aber eben nicht so elegant.“[1]
1956–1989
Nach dem Tod des Vaters (1956) übernahm Wolfgang Fischer (Jahrgang 1924) die Firma Ronneberger und Fischer, bis sie 1972 enteignet wurde. Es kam zur Umbenennung und Umstrukturierung der Firma: Der VEB Industrieleuchtenbau Auma wurde dem VEB Raumleuchte Zeulenroda angegliedert und als Fertigungsbereich unterstellt. Im Betriebsteil in Auma wurden zum einen weiterhin Curt Fischers Maschinenleuchte produziert, wobei so sehr an Materialqualität gespart wurde, dass von seinen Errungenschaften nicht mehr viel übrig blieb. Im Gegenteil: Waren seine Zwei-Schrauben-Gelenke einst tatsächlich wartungsfrei, legten sich diejenigen, die sich zu DDR-Zeiten eine Maschinenleuchte kauften, oft gleich einen Schraubenschlüssel daneben. Denn die nur noch einmal verschraubten Gelenke waren so einfach verarbeitet, dass man die Schrauben ständig nachziehen musste. Zudem wurde – und zwar hauptsächlich – ein Produkt hergestellt, das sich als internationaler Erfolg erweisen sollte: die Federzeugleuchte für Ikea.
1989–2014
Nach der Wende wurde die Firma reprivatisiert und im Zuge dessen konnte man die Zusammenarbeit mit Ikea nicht mehr lange aufrechterhalten, weil die Produktionskosten stiegen, da Arbeit und Materialien nicht weiter subventioniert wurden. Es gelang Wolfgang Fischer aber, Manufactum für den Vertrieb einer qualitativ verbesserten und damit hochwertigeren Federzugleuchte, nun ganz aus Metall, zu gewinnen. Eine historische Leistung war es auch, dass er sich in den 1990er-Jahren bei der Herstellung der Maschinenleuchte wieder an den Entwürfen seines Vaters orientierte. Eine wichtige Grundlage für die heutige Entwicklung von Midgard. Ebenfalls ein Zeichen für Wolfgang Fischers Weitsicht: Selbst in den schwierigen 1970er- und 1980er-Jahren hatte er die Marke gesichert, was unter anderem mit nicht unerheblichen Zahlungen an das Patentamt verbunden war. Nur so konnte 1989 aus der Marke „Midgard“ die Firma Midgard-Licht GmbH werden.
Zwölf Jahre lang leitete Wolfgang Fischer die Midgard-Licht GmbH, allerdings ohne langfristigen wirtschaftlichen Erfolg. Deshalb bat er seine Stieftochter Anja Specht um Hilfe. Von 2002 bis 2008 richtete diese unter Mithilfe ihrer Schwester Susi Reifenstahl die Firma neu aus. Die neuen Inhaberinnen brachten Curt Fischers Lenkleuchten wieder auf den Markt, erweiterten die Produktpalette und gewannen Designpreise. Nach dem Ausscheiden von Anja Specht aber blieben auch diese Initiativen ohne Erfolg.
Ab 2015
2015 übernahmen dann David Einsiedler und Joke Rasch, die Gründer des Hamburger Möbelunternehmens „Ply“ [2], neben den Rechten an den drei klassischen Midgard-Leuchtenserien (Maschinenleuchte, Lenklampen und Federzugleuchte) die Werkzeuge und das verbliebene Firmenarchiv mit hunderten von Originalzeichnungen, Fotos und Briefen. Bis dahin im Thüringischen Auma beheimatet verlegten die beiden Unternehmer die Produktion nach Hamburg. Hier wurde die Produktionsstrecke von Grund auf neu aufgebaut, modernisiert und unter Verwendung von originalen Werkzeugen und Maschinen wieder in Betrieb genommen.
Im Januar 2017 starteten die beiden Möbel- und Leuchtenexperten mit der Wiederaufnahme der Produktion von Curt Fischers Maschinenleuchte. Erstmals um 1930 hergestellt, gehört sie zu den frühen Gelenkleuchten der klassischen Moderne. „Wir bauen im historischen Kontext“, erklären David Einsiedler und Joke Rasch – und bringen so Licht in ein Stück vergessene Designgeschichte.
Literatur
- Tür auf - Licht an!: Leuchten und Türbeschläge 1900-1960 : Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Museumsdorf Cloppenburg - Niedersächsisches Freilichtmuseum vom 06.11.2016 - 31.03.2017. Museumsdorf Cloppenburg - Niedersächsisches Freilichtmuseum, Cloppenburg 2016, ISBN 978-3-938061-36-7, S. 64–73.
- Midgard Archiv, Hamburg
Einzelnachweise
- ↑ Werke Bauhaus Dessau 1925 - 1929. In: mariannebrandt.de. Abgerufen am 15. Februar 2017.
- ↑ Homepage | PLY unestablished furniture. In: ply.de. Abgerufen am 15. Februar 2017.