Faust. Eine Tragödie

Drama von Johann Wolfgang von Goethe (1808)
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Faust. Der Tragödie erster Teil, kurz Faust I ist ein Drama des deutschen Schriftstellers Johann Wolfgang von Goethe, das 1808 veröffentlicht wurde. Es gilt als eines der bedeutendsten und meistzitierten Werke der deutschen Literatur. Das Drama greift die vielfach von anderen Autoren beschriebene Geschichte des Doktor Faustus auf und weitet sie zu einer Menschheitsparabel aus.

Faust I
Faust-Szene vor Auerbachs Keller (Leipzig)

Faust I wurde von Johann Wolfgang von Goethe im Jahr 1806 vorläufig beendet. Der Veröffentlichung von 1808 folgte 1828/29 die überarbeitete Fassung in der Ausgabe letzter Hand. Vorangegangen war 1790 der Teildruck Faust. Ein Fragment; die Entstehung der Textfassung des so genannten Urfaust (zwischen 1772 und 1775) lässt sich nicht mehr in allen Einzelheiten klären.

Einordnung

Faust I, genauso wie Faust II, entstand über mehrere Jahre und ist ein Querschnitt durch Goethes Leben. Goethe selbst bezeichnete „Faust“ als „summa summarum“ seines Lebens. Dies drückt sich in einer Vielzahl unterschiedlicher und teils widersprüchlicher Stilrichtungen, inhaltlicher Betonungen und Charakterausdeutungen aus.

Faust I ist kein Drama der geschlossenen Dramenform (mehr), das sich aber auch nicht einwandfrei der offenen Dramenform zuweisen lässt. Auch einer Literaturepoche entspricht es nicht eindeutig: Es weist sowohl Elemente der Klassik, der Aufklärung, des Sturm und Drang, des Vormärz, als auch der Romantik auf. Zusätzlich bedient Goethe sich der Satire und Funktionen des Mysterienspiels in einigen Szenen.

Die einzelnen Szenen besitzen insgesamt eine eher lose Anbindung an die Gesamthandlung. Eine grobe strukturelle Gliederung wird meist in der Einteilung in Gelehrtentragödie, Gretchentragödie und in Rahmenhandlung vorgenommen (siehe unten), die jedoch nicht unbedingt ist.

Inhalt

Ort und Zeit

Der Ort ist Deutschland, unter anderem Leipzig und der Harz. Die Zeit ist etwa die Lebenszeit des historischen Faust (ca 1480-1538), also die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit.

Protagonisten

Ausführlichere Charakterisierungen siehe unten

Nebenrollen:

  • Marthe, Gretchens Nachbarin
  • Valentin, Gretchens Bruder
  • Wagner, Fausts Famulus
  • Erdgeist, wird von Faust beschworen
  • Schüler, ist Verkörperung des jungen Faust selbst
  • Hexe
  • Figuren der Walpurgisnacht und des Walpurgisnachtstraums

Gliederung

Faust. Der Tragödie erster Teil kann formal in zwei Teile eingeteilt werden: Die drei Prologe und die eigentliche Haupthandlung. Diese wird gängigerweise, dem Inhalt entsprechend, in die Gelehrtentragödie und die Gretchentragödie eingeteilt.

Vorspiel

 
Textbeispiel

Das Stück besitzt drei vorgestellte Einleitungen, die der Gesamthandlung einen Rahmen geben.

Zueignung (1 - 32)

In der „Zueignung“ berichtet Goethe vom Schaffensprozess des Werkes und seiner autobiographischen Dimension.

Vorspiel auf dem Theater (33 - 242)

Ein Theaterdirektor, ein Dichter und die "Lustige Person" streiten über Zweck und Funktion des Theaters. Der Direktor vertritt eine unternehmerische, der Dichter eine aufklärerische, die Lustige Person eine unterhaltende Absicht. Ihr Kompromiss ist das nun folgende Universal-Stück, der Faust: "So schreitet in dem engen Bretterhaus den ganzen Kreis der Schöpfung aus, und wandelt mit bedächtger Schnelle vom Himmel durch die Welt zur Hölle!"

Prolog im Himmel (243–353)

Der Prolog im Himmel ist an die Hiobswette im Alten Testament angelehnt. Der Herr bringt die Sprache auf Faust, und Mephistopheles wettet, den unzufriedenen und verworrenen Wissenschaftler auf "meine Straße sacht zu führen" und seine Seele zu gewinnen. Angesichts der Allwissenheit und Allmacht des Herrn kann es sich jedoch nur um eine Scheinwette handeln, eine Probe für Faust, mit deren Durchführung der Herr Mephistopheles, den "Schalk" quasi beauftragt.

Der Tragödie Erster Teil

Nacht (354–807)

Der Gelehrte Heinrich Faust zweifelt am Erkenntniswert der Wissenschaft, die weit davon entfernt ist, zu erklären, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Er zieht die Summe seiner langjährigen Studien: "Und sehe, dass wir nichts wissen können!" Um der realwissenschaftlichen Sackgasse zu entkommen, betreibt er Magie nach dem Vorbild des Nostradamus.

Fausts lerneifriger und bornierter Famulus Wagner ist der Typus des auf reine Buch-Gelehrsamkeit bauenden, dabei optimistischen und fortschrittsgläubigen Wissenschaftlers. (Er wird im zweiten Teil des Faust als Reagenzglas-Genetiker auftreten.)

Faust erwägt aus Verzweiflung und in einem letzten Wunsch nach Grenzüberschreitung, sich das Leben zu nehmen, wird jedoch durch das Läuten der Glocken zum Ostersonntag davon abgehalten, weniger durch die christliche Botschaft, als durch die Erinnerung an glückliche Kindertage.

Vor dem Tor (808–1177)

Aus der Isolation des Studierzimmers tritt Faust am nächsten Tag mit Wagner in die kontrastierende vom Frühling bestimmte Natur, die dem promenierenden Volk zum gesellschaftlichen Auftritt dient. In der Idylle der Osterspaziergänger offenbart Faust Wagner seinen sinnlichen und geistigen Durst und seine innere Zerrissenheit zwischen Liebe und Wissenschaft: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen: die eine hält in derber Liebeslust sich an die Welt mit klammernden Organen; die andre hebt gewaltsam sich vom Duft zu den Gefilden hoher Ahnen.“ (1112ff.) Ein seltsamer Pudel scheint Faust und Wagner zu folgen, schließlich ruft Faust ihn und nimmt ihn mit.

Studierzimmer (1178–2337) Der Teufelspakt

Faust übersetzt den Anfang des Johannesevangeliums, wobei er sich schwertut, den Sinn des griechischen Wortes Logos zu erfassen; er schlägt nacheinander die Übersetzungen Wort, Sinn und Kraft vor, übersetzt aber schließlich: "Am Anfang war die Tat."

Unterdessen wird der zugelaufene Pudel unruhig und entpuppt sich, von Faust mit Zaubersprüchen beschworen, als der Teufel Mephisto, der sich vorstellt als: „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“ und als „Geist, der stets verneint“.

Aus Fausts Unzufriedenheit mit seinem irdischen Leben entwickelt sich der Pakt: Mephisto verpflichtet sich, Faust im Diesseits zu dienen, ihm alle Wünsche zu erfüllen und tiefste Einsichten zu gewähren; dafür verpflichtet sich Faust, Mephisto im Jenseits zu dienen, also dem Teufel seine Seele zu überantworten. Fällig werden soll die Gegenleistung dann, wenn Faust durch Mephistos Dienste endgültige Ruhe und Zufriedenheit erlangt und, so Faust: "Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen, so sei es gleich um mich getan! Kannst du mich schmeichelnd je belügen, dass ich mir selbst gefallen mag, kannst Du mich mit Genuss betrügen - das sein für mich der letzte Tag! (...) Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehn!"

  • Schülerszene im Studierzimmer

Den Professor spielend hält Mephisto einen Studenten zum Narren. Zwar schätzt er Vernunft und Wissenschaft als "des Menschen allerhöchste Kraft" ein, führt aber gegen die Universitätsgelehrsamkeit und gegen die Engstirnigkeit der einzelnen Fakultäten einen satirischen Rundumschlag.

Auerbachs Keller in Leipzig (2073–2337)

"Lustige Gesellen" am Stammtisch in Auerbachs Keller, in studentischem Milieu. Mephisto führt sie Faust zunächst als Beispiel dafür vor, "wie leicht sichs leben lässt", kann es sich dann aber nicht verkneifen, mit Zauberkunst ihre "Bestialität" zu entlarven.

Hexenküche (2338–2604) Faust wird verjüngt

Mephisto führt Faust in eine Hexenküche, wo Faust in einem Zauberspiegel eine Traumfrau vorgegaukelt wird. Es ist die schöne Helena (die in Faust II eine bedeutende Rolle einnimmt). Die Hexe verabreicht Faust einem Trank, der ihn sowohl verjüngt, als auch verführbar macht, denn, laut Mephisto, "Du siehst, mit diesem Trank im Leibe, bald Helenen in jedem Weibe."

Straße (2605-2677) Gretchen

Faust trifft Gretchen und verliebt sich auf der Stelle. Gretchen stammt aus einfachen Verhältnissen. Sie ist von Fausts Avancen überrascht und wehrt ab: "bin weder Fräulein, weder schön." Unter der Drohung, den Pakt zu brechen, verlangt Faust von Mephisto, sofort zu bewerkstelligen, dass das Mädchen seine Geliebte wird. Mephistos Einwand, er habe keine Gewalt über Grechten, da sie unschuldig sei, kontert Faust: "Ist über vierzehn Jahr doch alt."

Abend (2678-2804) Gretchens Zimmer

Gretchen, noch ganz gefesselt von dem Umstand, dass sie von einem Herrn angesprochen wurde, findet ein Kästchen mit wertvollem Schmuck, das Mephisto in ihr Zimmer praktiziert hat. Sie legt den Schmuck an und posiert vor dem Spiegel.

Spaziergang (2805–2864)

Gretchen hat den Schmuck ihrer Mutter gezeigt, die den verdächtigen Schatz ihrem Pfarrer übergeben hat. Mephisto ist äußerst erzürnt, mit welcher Bereitwilligkeit die Kirche Güter einstreicht, ohne nach der Herkunft zu fragen, doch Faust verlangt vom ihm umgehend ein neues, noch wertvolleres Geschenk.

Der Nachbarin Haus, Straße (2865–3072)

Gretchen zeigt der Nachbarin Marthe Schwerdtlein den neuen Schmuck und diese rät ihr, ihn zu behalten.

Mephisto bringt Frau Marthe die Nachricht, ihr verschollener Mann sei gestorben und bietet an, mit Faust einen weiteren Zeugen für diesen Sachverhalt zu stellen.

Faust sträubt sich zunächst, etwas zu bezeugen, wovon er nichts weiß. Mephisto hält ihm jedoch vor, er habe als Wissenschaftler über Gott, die Welt und den Menschen Aussagen gemacht, von deren Richtigkeit er ebenfalls nichts genaues gewusst habe, und dass er Gretchen bald Versprechungen machen werde, für deren Einhaltung er ebenfalls nicht einstehen könne.

Garten, ein Gartenhäuschen (3073–3216)

Beim Treffen in Marthes Garten hofiert Mephisto ironisch die Hausherrin und hat alle Mühe, die unverhüllten Anträge der soeben erst verwitweten Frau abzuweisen.

Gretchen schildert Faust ihr einfaches, aber erfülltes Alltagsleben. Sie weiß nicht, was er an ihr findet, erwidert aber voller Naivität seine Zuneigung. Sie küssen sich.

Wald und Höhle, Gretchens Stube (3217-3413)

Faust beklagt, dass er bereits von Mephisto abhängig ist - obwohl er sich "des besseren Wegs wohl bewusst" ist. Er erkennt und beklagt seine eigene Schwäche, ohne hindern zu können, dass sie von Mephisto ausgenutzt wird. Mephisto versorgt Faust mit neuesten Nachrichten von Gretchens Gemütsverfassung und drängt ihn, die Liebesbeziehung zu vollenden.

Gretchen, als unerfahrenes, naives, verliebtes Mädchen, ist völlig aus ihrem seelischen Gleichgewicht geraten: "Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer und nimmermehr".

Marthens Garten (3414-3543). Die Gretchenfrage. Faust verführt Gretchen.

Gretchen: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein herzensguter Mann, allein ich glaub, du hälst nicht viel davon.“

Zur Zeit des ausgehenden Mittelalters sind Religiosität und Kirchentreue völlig unbezweifelbare Lebensentwürfe - nicht nur für ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen wie Gretchen. Etwas anderes zu sein als ein frommer Christ, ist nahezu unvorstellbar. Das christliche Dogma ist nicht nur maßgeblich für Himmel und Hölle, Gut und Böse, sondern es ist auch die Richtschnur für das Alltagsleben in der Gemeinschaft. Gretchen fragt insofern nicht nur nach Fausts Religion, sondern auch danach, ob er sie nach den gegebenen Regeln anständig behandeln wird.

Faust dagegen ist in der Welt des ausgehenden Mittelalters ein Einzelgänger, der dank seiner Bildung und Lebenserfahrung und kraft seines Ehrgeizes und Mutes die Religion in Frage stellt. Er antwortet Gretchen, er habe die gleichen Gefühle für das Gute, Schöne und Anständige wie sie. Diese Werte müssten aber nicht unbedingt von der Kanzel gepredigt werden, um beherzigt zu werden.

Als sich Gretchen und Faust nach diesem Gespräch trennen, fragt er, wann sie endlich miteinander schlafen können. Gretchen ist einverstanden; aber da offenbar kein anderer Platz als ihre Wohnung infrage kommt, wendet sie ein, dass ihre Mutter etwas bemerken könnte. Auch dafür hat Faust eine Lösung bereit: Er gibt Gretchen ein Narkotikum, mit dem sie ihre Mutter ausschalten soll. Gretchen fragt nach etwaigen Nebenwirkungen, aber Doktor Faust versichert ihr, das Mittel sei unbedenklich.


Am Brunnen

In den folgenden Szenen hat Gretchen erste Vorahnungen, dass sie schwanger ist. Das Gespräch am Brunnen mit ihrer Nachbarin über eine ledige Mutter, bestätigt diesen Verdacht. Und als sie erfährt, wie schlecht die gesellschaftliche Stellung einer solchen Frau ist, gerät sie in Bedrängnis und bekommt es mit der Angst zu tun. Der Soldat Valentin, Gretchens Bruder, erfährt vom Fehltritt seiner Schwester. Mephisto ficht mit ihm, lähmt ihm die Hand und sorgt dafür, dass Valentin von Faust umgebracht wird. Der Sterbende verflucht Gretchen als „Metze“ (Hure).

Gretchen merkt, dass sie schwanger ist, und in der Domszene erlebt sie während einer Messe die Vision des Jüngsten Gerichts.

Walpurgisnacht ff. (3836–4404)

Siehe auch Walpurgisnachtstraum.

Mephisto zieht Faust in der dritten Station der Verführung von der Ebene der Liebe auf eine sexuell-sinnliche Ebene, um ihn von Gretchens Schicksal abzulenken.

Ein alter Volksglaube besagt, dass sich in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai auf dem Brocken im Harzgebirge die Hexen zu einem Fest mit dem Teufel treffen. Das Fest ist eine kultische Feier des Bösen und Dämonischen und symbolisiert Zügellosigkeit und Fruchtbarkeit (auch in der Natur).

Mephisto, hier als Junker Voland mit Pferdefuß auftretend, lockt Faust in die Arme einer jungen nackten Hexe, doch diesem erscheint ein „blasses, schönes Kind“, das „dem guten Gretchen gleicht“. Faust möchte zu Gretchen zurück, da er in sich die Schuld spürt Gretchen alleine gelassen zu haben.

Gretchen hat in ihrer Verzweiflung das neugeborene Kind ertränkt, ist dafür zum Tode verurteilt worden und erwartet ihre Hinrichtung. Faust fühlt sein schuldhaftes Versagen und macht Mephisto Vorhaltungen, der aber weist ihn darauf hin, dass Faust selbst Gretchen ins Verderben gestürzt habe: „Wer war’s, der sie ins Verderben stürzte? Ich oder du?“ (Trüber Tag, V. 55f) Auch macht Mephisto deutlich, wer den Pakt angezettelt habe: „Drangen wir uns dir auf, oder du dich uns?“ (Trüber Tag, V. 40f) Ein böser Geist beschuldigt sie ihrer Verfehlungen.

Der Walpurgisnachtstraum (4223-4398)

Der Walpurgisnachtstraum wurde in der Rezensionsgeschichte unterschiedlich aufgenommen. Während die einen von einer bloßen Spielerei Goethes reden, ist er für die anderen ein Beweis des immensen Horizonts des Dichters. Allemal amüsant ist die Verschachtelung: Faust und Mephisto betrachten das Intermezzo als Spiel, Gott betrachtet dieses Schauspiel, die Personen auf dem Theater verfolgen diese Darstellung, der „Zueignungsdichter“ verfolgt sein Werk und schließlich ist da noch der Leser, der dem ganzen Aufmerksamkeit schenkt...

Kerker (4405–4615) Gretchens Erlösung

Faust dringt in den Kerker ein, Mephisto hat ihm den Schlüssel verschafft und den Wächter eingeschläfert.

Gretchen erkennt Faust anfangs nicht und hält ihn sogar für ihren Henker. Dies hat einen symbolischen Charakter, denn im Prinzip ist Faust für Gretchens Leiden verantwortlich, was Gretchen erst jetzt - und zwar in einem verwirrten Zustand - bewusst wird. Sie ist gebrochen, dem Wahnsinn nahe und sucht in sich die Schuld. Faust will sie zur Flucht überreden, doch sie weigert sich, weil sie glaubt, dass Faust sie nicht mehr liebt (und dem Teufel verfallen sei), sie nur mehr aus Schuldgefühl retten will. Gretchen bewahrt so für sich die reine Liebe. Als sie Mephisto sieht, erschrickt sie und empfiehlt sich Gott: „Gericht Gottes! Dir hab ich mich übergeben!“. Mephisto drängt Faust aus dem Gefängnis mit den Worten: „Sie ist gerichtet“. Die Erlösung Gretchens erweist sich jedoch in den folgenden Worten: „ist gerettet“.

Figuren

Mit der Tendenz und der Intention, grundsätzliche Bedingungen des Menschseins nachzuweisen, besitzen alle Charaktere im Faust zwar einen gewissen eigenen Charakter, sie dienen aber vordergründig dazu, ein allgemeines Prinzip und menschliche Archetypen darzustellen. Auf diese Fragestellung weist bereits die Rahmenhandlung, die himmlische Wette, hin, die nach dem Sinn des Menschen fragt.

Heinrich Faust

Heinrich Faust, so nennt Johann Wolfgang von Goethe die Hauptperson in seinen Dramen: Urfaust, Faust1 und Faust2. Als Vorbild diente ihm Johann Faust, der, im Gegensatz zu Dr. Heinrich Faust, wirklich existierte.

Es gibt zwei klassische Elemente der Interpretation des Faust-Charakters:

Der erste, oft auftauchende Erklärungsansatz ist die Ausdeutung von Faust als „dem Menschen schlechthin“. Faust erscheint in dieser Deutung als Verkörperung der Summe aller menschlichen Eigenschaften, der positiven wie der negativen. Im titanischen Charakter Fausts verbinden sich somit sowohl die teuflischen, mephistophelischen Eigenschaften wie Nihilismus, Destruktivität, Schuldhaftigkeit und Egozentrik, als auch die göttlichen, positiven Eigenschaften wie Streben nach dem Guten, die Fähigkeit zur Erkenntnis und des Mitgefühls. In Faust zeigen sich diese Elemente in ihren Extremen. Die Wette mit dem Teufel ist also der Versuch des Menschen überhaupt, die Grenzen des Menschlichen zu sprengen und damit im Umkehrschluss zu erfahren, was der Mensch ist.

Das zweite Element der Faustinterpretation ist die These, dass Faust im Gegensatz zur ersten These keinesfalls als Repräsentant des Menschlichen gesehen werden kann. Faust ist ein Mensch, gefangen in einer extremen Polarität. Faust selber spricht davon, wenn er sagt: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“. Auch während des weiteren Dramenverlaufs tritt Fausts Gespaltenheit oft zu Tage. So ist er kontinuierlich sowohl dem Himmel als auch der Hölle, also dem Teuflischen, zugetan. Fausts Gemütszustände schwanken zwischen Ruhe oder Tatendrang, Systole und Diastole und er gibt sich selten ausschließlich einem Teil dieser beiden Gegensätze hin. Faust ist somit kaum als Repräsentant der Menschheit, sondern eher als Ausnahmeexistenz zu verstehen. Sein Titanismus, also sein Streben nach der Ganzheit der Erkenntnis und des Daseins, lässt ihn eher exorbitant, denn menschlich erscheinen. Stärker noch wiegt die Tatsache, dass Faust als normaler Mensch in einer unmenschlichen, beziehungsweise für Menschen nicht nachahmbaren Grenzlage aufzufassen ist. Sein übermenschlicher Drang, stets noch weiter zu streben und wider allen Irrtümern nicht aufzugeben, macht ihn zu solch einem Menschen. Auch die Fähigkeit Fausts zur Nutzung der Magie unterstreicht diese These. Faust bedient sich übernatürlicher Mittel, einerseits der Magie, andererseits des Teufels, um die Transzendenz zu erreichen. Er durchdringt die Welt auf eine magische Weise, auf eine Weise, die nicht jedem Menschen zusteht und mithilfe von Methoden, die nicht jedem Menschen möglich sind. Faust wird hierdurch zu einem Menschen in einer außergewöhnlich gesteigerten Grenzlage erhoben. Faust symbolisiert und zeigt somit auf, wo die Grenzen eines Menschen liegen und macht dessen Maximum sichtbar. Durch Faust zeigt Goethe, wo die absoluten, nicht mehr steigerbaren Möglichkeiten, sowie die absoluten und unüberwindbaren Grenzen des Menschen liegen. Vergleiche hierzu Nietzsches Idee des Übermenschen (490: Fasst Übermenschen dich!)

Die Frage, ob Faust als typischer Mensch gelten kann, muss demnach differenziert betrachtet werden. Dennoch ist zu beachten, dass Faust schon vom Beginn der Tragödie an durch die Worte des Herrn zum Repräsentanten ausgewählt wurde. Der Mensch ist ebenso ein polares Wesen, wie Faust es ist. Im Menschen mischen sich Schwarz und Weiß zu Grau. Das Innere des Menschen ist grau und trübe, ebenso wie das Faustische. Der Mensch strebt nach Fortschritt und immer mehr Wissen. Analog hierzu strebt auch Faust immer weiter, hindurch durch alle Irrtümer und wider alle Umstände. Dennoch bleibt im Raum stehen, wie Faust eigentlich als Ausnahmeexistenz auftritt und handelt. Er besitzt magische Fähigkeiten und paktiert mit dem Teufel, beides Dinge die ein Normalsterblicher nie erfahren kann. Er bleibt aber dennoch unwiderlegbar ein typisches Beispiel eines Menschen. Am treffendsten für die These, ob Faust als Menschheitsvertreter gelten kann, bleibt die Einschätzung, dass Faust in der Vordergrundshandlung eine beispielslose Ausnahmeexistenz darstellt, in der Hintergrundshandlung des Dramas jedoch die beispielhafteste Vertretung für die Menschheit überhaupt ist.

Mephistopheles

Mephisto ist eine klassische Figur, die in einer Grunddeutung dem Teufel der Bibel entspricht. Er ist damit Teil des christlichen Weltbildes und stellt den Gegenpart zum biblischen Gott dar. Deutlich wird dies u.a. im „Prolog im Himmel“. Gleichzeitig wird ersichtlich, dass er in einem solchen Weltplan letzten Endes Gott untergeordnet ist.

Doch die Rolle von Mephistopheles erstreckt sich über mehr Bedeutungen als nur diese. Über Goethes ohnehin sehr freien Begriff von Christentum stellt Mephisto allgemein das (philosophische) Prinzip der Verneinung, des Chaos und des Nichts dar. Mephistos Einordnung in die Konstruktion des Faust ist also nicht alleinig im moralischen Schema „gutböse“ zu suchen.

Mit einem neutralen Blick, der das gesamte Stück und die mögliche Intention Goethes in einem Gesamtzusammenhang sieht, kann man Mephisto auch als niedere Natur des Menschen deuten. Ohne unsere geistige, höhere Natur würden wir uns wie ein Tier verhalten. Jedoch hat uns Gott, wie in Faust in der Einführung beschrieben, auf diese Welt geschickt um zu streben. Mephisto wird so zu der Triebfeder unserer Entwicklung, wenn sie vom wahren Ich, von Faust als Mensch, gezügelt und genutzt wird. Daher beschreibt sich Mephisto auch als Kraft, die das Böse will, aber das Gute schafft. Ohne unsere tierische Natur wäre also keine Entwicklung möglich, so wie ein Reiter sein Pferd braucht, brauchen wir den Körper und seine Triebe, wenn wir sie zügeln. Dafür ist Mephisto ein Sinnbild.

Gretchen/Margarete

Die Rolle der Margarete, im Stück auch diminuierend Gretchen genannt, hat Goethe klassischen Motiven entnommen, insbesondere die Stoffe des „Gefallenen Mädchens“ und der Kindsmörderin, die auch in anderen zeitgenössischen Stücken nachzuweisen sind. Als Vorlage besaß er zudem den Prozess der real existierenden Susanna Margaretha Brandt, die wegen Kindesmordes zum Tode verurteilt wurde. Zugleich wandte er mit der Faust-Gretchen-Tragödie das alte Schema der ständeübergreifenden Liebe an.

Gretchen ist wesentlich geprägt durch einen starken christlichen Glauben. Dem mystischen, intelligent-überheblichen Pantheismus Fausts setzt sie ein bodenständiges Bekenntnis zu konventioneller Moral und dogmatischer Frömmigkeit entgegen, das zu ihrer Erlösung in Faust I führt.

Gretchen ist ein einfaches und ungebildetes, naives junges Mädchen, das hart arbeitet: Vers 3111-3112: „Wir haben keine Magd; muß kochen, fegen, stricken / Und nähn, und laufen früh und spat“

Sie lebt in ihrer kleinbürgerlichen Umwelt, die gleichzeitig eine Idylle und Beengung durch strenge Werte und Normen darstellt.

Ihre Mutter steht dabei für Religion, Sitte und Moral, die Freundin Lieschen für den Neid und die Schadenfreude der kleinbürgerlichen Welt. Ihr Bruder Valentin prahlt mit ihr als tugendhafter Schwester und erweist sich letztendlich als mitleidslos und selbstgerecht, indem er sie als Hure brandmarkt.

Ihre Nachbarin Marthe Schwerdtlein unterläuft die bürgerliche Moral und erlaubt ihr, den geschenkten Schmuck bei ihr aufzubewahren.

Zu Beginn des Stücks ist ihr Vater bereits lange tot und sie kümmert sich um ihre gesundheitlich angeschlagene, aber nichts desto weniger strenge Mutter. Ihr älterer Bruder, Valentin, ist Soldat. Aufopferungs- und liebevoll hatte Gretchen sich auch um ihre jüngere Schwester gekümmert, die jedoch gestorben ist.

Sie ist durch Fausts Interesse an ihr überrascht und lässt sich dennoch von ihm ins Verderben ziehen: Ihre Mutter tötet sie versehentlich mit einem Schlaftrunk, den Faust ihr gegeben hat, ihr Bruder Valentin, der gleichzeitig ihr letzter Beschützer ist, wird von Faust ermordet und ihr uneheliches Kind ertränkt sie, weshalb sie zum Tode verurteilt wird.

Hinweise zum Verständnis

Das Stück ist fast gänzlich reimend geschrieben und liefert viele der bekanntesten Zitate der deutschen Sprache. Mephistopheles wird als schalkhafter intelligenter Geist dargestellt, der die menschlichen Eitelkeiten verlacht und ausnutzt.

Grundthema ist der Konflikt des Menschen zwischen dem Streben nach Höherem, wie es Faust anfänglich tut, und der Sinnlosigkeit dieses Strebens, wie es Faust schmerzvoll erkennen muss: „Nun steh ich hier ich armer Tor, und bin so klug, als wie zuvor.“ Sein ganzes Wissen erscheint Faust sinnlos, da es ihm nicht hilft zu ergründen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Sein ewiges Streben nach der Ergründung der Schöpfung hindert ihn daran, das Leben zu genießen, und er verfällt der Depression. Als er dem Teufel (Mephisto) begegnet, verwettet er seine Seele, dass ihm Mephisto keine Zufriedenheit verschaffen kann, da er sich des Gegenteils absolut sicher ist.

„Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
So sei es gleich um mich getan!
Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
Daß ich mir selbst gefallen mag,
Kannst du mich mit Genuß betrügen-
Das sei für mich der letzte Tag!
Die Wette biet ich!“

Siehe auch: Johann Faust, Faust II, Walpurgisnachtstraum, Murnaus "Faust - eine deutsche Volkssage", Gretchenfrage

Faust kann auch als Stellvertreter für alle Menschen interpretiert werden, obwohl er, wie auch alle anderen Charaktere, fiktiv ist. Er ist ein „Übermensch“ und prägt das Bild des titanischen Menschen, da er jegliche Freude und alle Glückseligkeit in der Wette mit Mephisto kategorisch ablehnt. Gleichzeitig ist er ein Universalgenie, das zwischen Extremwerten hin- und hergerissen ist (Dichotomie – Bipolarität). Man erkennt während des ganzen Stückes Fausts ambivalentes Verhalten im Bezug auf Liebe, Treue, dem Mitgefühl zu Gretchen und Sexualität, wie auch zu allen weiteren Sinneserfahrungen. („So tauml´ ich von Begierde zu Genuss, Und im Genuss verschmachte ich nach Begierde.“ Faust zu Mephisto in der Szene Wald und Höhle. Diese Aussage ist jedoch nicht chronologisch, da es erst später zum sexuellen Kontakt mit Margarethe kommt.)

Das Grundverständnis von Religion und Gott basiert im Faust auf der These, dass der Mensch zwar strebt solange er lebt, sich allerdings auch irrt, jedoch durch die ihm gegebene Vernunft den rechten Weg wiederfindet und am Ende durch die ewige Gnade Gottes erlöst wird, falls er seine Fehler einsieht. Erlöst wird Gretchen in der Kerkerszene, weil sie ihre Taten bereut, weil sie immer nur aus wahrer Liebe handelte und weil sie sich dem weltlichen Gericht als Vertretung des göttlichen Gerichts ergibt.

Des Weiteren durchzieht das gesamte Werk die Ambivalenz der Begriffe „Systole“ und „Diastole“. Die Handlung befindet sich im ständigen Wandel zwischen „Begrenzung“ und „Entgrenzung“. Besonders deutlich wird dies an der Figur des Faust, der sich entgrenzen möchte um auch die letzten Geheimnisse des Wissens zu entdecken und die großen Zusammenhänge zu verstehen. Um dies zu erreichen sind ihm Mittel wie die Beschwörung des Erdgeistes oder der geplante Suizid recht. Diese Versuche der Entgrenzung werden allerdings für Faust schmerzhaft niedergeschmettert (Hohn des Erdgeistes) oder durch den Gesang der Engel verhindert.

Ersichtlich wird dies auch an den Schauplätzen, an denen Faust I handelt. Zu Beginn befindet sich der Protagonist in der Enge seines Studierzimmers und besucht auf seiner „kleinen“ Reise immer weitläufigere Areale. Das Ende jedoch schließt wieder in einem engen, systolischen Raum, dem Kerker, in dem Gretchen auf ihre Hinrichtung wartet. Somit zeigt sich der ständige Wechsel zwischen Systole und Diastole, der oftmals als einziger Zusammenhalt der, wie Goethe selbst äußerte, „Schwammfamilie“ gilt.

Bedeutende Inszenierungen

  • 2000 von Ingmar Thilo; mit Christian Ammermüller (Faust), Raphaela Zick (Mephisto), Ulrike Dostal (Margarete), Brigitte Hörrmann (Marthe), Max Friedmann (Dichter)
  • 2003 von Manfred Gorr; mit David Gerlach (Faust), Uta Eisold (Mephisto), Johanna Bönninghaus (Gretchen), Christine Reinhart (Marthe), Peter Meyer (Valentin), Stefan Gille (Wagner)
  • 2003 von Wolfgang Gropper am Staatstheater Braunschweig; mit Götz van Ooyen (Faust), Clemens Giebel (Mephistopheles), Nele Ziebarth (Gretchen), Marion Bordat(Marthe), Matthias Schamberger (Valentin), Andreas Bißmeier (Wagner) - Wiederaufnahme Saison 2005/2006: 27. April 2006