Frantz Fanon

algerischer Schriftsteller und Vordenker der Entkolonialisierung (1925–1961)
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Frantz Fanon, (* 20. Juli 1925 in Fort-de-France, Martinique, † 6. Dezember 1961 in New York) war ein Psychiater, Schriftsteller und Vordenker der Entkolonialisierung.

Leben

Geboren als Sohn eines Zollinspektors im französischen Überseedepartement Martinique, meldete sich mit 17 freiwillig zum Militärdienst im 2. Weltkrieg und erlebte, wie schwarze Soldaten als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden. Nach dem Krieg kehrte er nach Martinique zurück, holte seinen Schulabschluss nach und studierte dann in Lyon Medizin und Philosophie.

1953 bis 1956 war er als Chefarzt der Psychiatrischen Klinik in Blida-Joinville, Algerien tätig, demissionierte dort aus politischen Gründen. Danach arbeitete er für die Nationale Befreiungsfront in Algerien, zeitweise als Botschafter der algerischen Regierung in Accra.

Er starb im Dezember 1961 in New York an Leukämie, am selben Tag, an dem sein Hauptwerk Die Verdammten dieser Erde veröffentlicht wurde, das noch heute als Manifest des Antikolonialismus gilt, weil insbesondere Jean-Paul Sartre in dessen Vorwort die antikoloniale Revolutionstheorie Fanons über die gewaltsame Befreiung der unterdrückten Kolonialvölker "Einen Europäer erschlagen, heißt zwei Fliegen mit einer Klappe treffen" moralisch rigorose zuspitzte (vgl. U. Wolter).

Theorie und Bedeutung

Fanons Absicht war es, eine universelle emanzipatorisch-humanistische Vision zu entwerfen. In seiner grundsätzlichen Kritik an Rassismen und kolonialer Unterdrückung gilt er in seinen Ansätzen als ein sehr früher und vielseitiger Theoretiker, der seiner Zeit weit voraus war. So untersuchte er, welchen Einfluss Unterdrückung und Rassismus auf die Kolonialisierten hat und wie sich eine entfremdete Selbstwahrnehmung bei den Betroffenen entwickelt und auswirkt (soziologisch: "Subjektkonstruktion"). Hierbei ging er in "Schwarze Haut, weiße Masken" psychoanalytisch u.a. mit Hilfe von Lacans Spiegelungstheorem vor und bezieht sich auf Sartres "Phänomenologie des Blickes". Dabei fragte er danach, wie sich die von der Unterdrückung durch Rassismus und Kolonialismus Betroffenen (in der soziologischen Sprache "kolonialsierte Subjekte" genannt) sich dagegen wehren können. „Der schwarze Mensch erscheint aus der Perspektive des Weißen als minderwertig, aber umgekehrt ist der Weiße mit seinen "Errungenschaften" Zivilisation, Kultur, kurz Intellekt, nachahmenswert. Deshalb spricht Fanon davon, dass der schwarze Mensch in eine neurotische Situation geworfen wird, wenn er in einer weißen Gesellschaft lebt, die deren Überlegenheit gegenüber der schwarzen Bevölkerung proklamiert (Philipp Dorestal). Fanon kritisiert also, dass die "Schwarze Person" eine "weiße Maske" tragen muss, um in einer kolonialisierten Welt ernst genommen zu werden.

Daran anknüpfend nimmt er positiven Bezug auf die Négritude-Bewegung, die auf die Rückbesinnung auf afrikanische Kulturen zur Entwicklung eines schwarzen Selbstbewusstseins beitragen will. Er kritisiert sie jedoch dort, wo lediglich eine reine Umkehrung der Zuschreibungen stattfindet, und nicht grundsätzliche die Mechanismen der wesensmäßigen Zuschreibung und Markierung von Menschen in Frage gestellt wird.

Umstritten ist, wie Fanon als Begründer einer "antikolonialen Gewalt" verstanden werden kann. Fanon sieht in ihr ein Mittel, sich auch von der tiefsitzenden Entfremdung zu befreien. Dabei geht es ihm keinesweg um die Gewalt an sich, sondern ausdücklich um die widerständige Gegengewalt zur bestehenden Gewaltanwendung der Kolonialisatoren und ist auf eine bestimmte historisch-konkrete Situation bezogen und nur hier als legitim angesehen. Dagegen verweist er deutlich auf die "pathologischen Folgen exzessiver Gewaltanwendung" (Dorestal). Seine Theorie der Befreiung gründet dabei vor allem auf den Essentialismus Sartres, als auch, wie Udo Wolter feststellt, in der "Hegelschen Herr-Knecht-Dialektik". Fanon entwickelte dabei ein kritisches und widersprüchliches Verhältnis zu "kollektiven Identiäten", wie Nation und Volk. Einerseites erkannte er im Nationalismus der Kolonialherren, die unterdrückenden, zerstörenden und entfremdenden Mechanismen vor allem für die "Kolonialisierten".

Andererseits übertrug er die befreiende Wirkung antikolonialer Gegengewalt auch auf die so genannten "nationale Befreiungsbewegung" und damit auf das Konzept der Nation. So kommt es in der Folge dazu, dass einerseits postkoloniale Kritiker, insbesondere Homi K. Bhabha, Stuart Hall, Ania Loomba und Gayatri Chakravorty Spivak die Revolutionstheorien Fanons als Kritik an "bipolaren Entgegensetzungen wie Kolonialherr/Kolonisierter, Westen/Rest, Zivilisation/Wildheit, männlich/weiblich etc." werten und mit seiner Theorie ebenso die "Festschreibungen ethnischer und nationaler Identitäten dekonstruktivistisch auflösen wollen, und fließende, hybride Subjektivitäten als Grundlage neuer kultureller und politischer Formen widerständigen Handelns verstehen" (Wolter).

Andererseits muss aber Frantz Fanons "Klassiker Die Verdammten dieser Erde als eine Art Letztbegründung für das Festhalten an einem kruden Antiimperialismus der Machart gutes kämpfendes Volk gegen das imperialistische Übel" (Wolter) herhalten. Stokeley Carmichael von der Black Panther Party interpretierte Fanon so, als stünde eine Revolution für die Afroamerikaner in den USA bevor. Auch modernere marxistisch orientierte Kritiker des Postkolonialismus beziehen sich auf die rassismustheoretischen Arbeiten und Revolutionstheorien Fanons. Dazu zählen: Edward Palmer Thompson, Henry Louis Gates, Raymond Williams, Paul Gilroy und Lou Turner.

Siehe auch

Zitat

"Verlassen wir dieses Europa, das nicht aufhört, vom Menschen zu reden, und ihn dabei niedermetzelt, wo es ihn trifft, an allen Ecken seiner eigenen Straßen, an allen Ecken der Welt. Ganze Jahrhunderte hat Europa nun schon den Fortschritt bei anderen Menschen aufgehalten und sie für seine Zwecke und seinen Ruhm unterjocht; ganze Jahrhunderte hat es im Namen seines angeblichen ›geistigen Abenteuers‹ fast die ganze Menschheit erstickt. ... Also, meine Kampfgefährten, zahlen wir Europa nicht Tribut, in dem wir Staaten, Institutionen und Gesellschaften gründen, die von ihm inspiriert sind." Frantz Fanon 1961, Die Verdammten dieser Erde

Werke

  • Aspekte der algerischen Revolution. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1969, ISBN 3-518-10337-7 (st 337, Sociologie d'une révolution)
  • Entkolonisierung und Revolution: politische Schriften. s.l., 1987, ISBN -888-80056-0
  • Für eine afrikanische Revolution: politische Schriften. s.l., 1982, ISBN 3-873-19110-5 (Pour la révolution Africaine)
  • Im fünften Jahr der algerischen Revolution. s.l., 1959 (L'an cinq de la révolution Algérienne)
  • Das kolonisierte Ding wird Mensch: ausgewählte Schriften. Reclam, Leipzig 1986 (Reclams Universal-Bibliothek 1147)
  • Schwarze Haut, weiße Masken. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-518-37686-1 (st 1186, Peau noire, masques blancs)
  • Die Verdammten dieser Erde. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-518-37168-1 (st 668, Les Damnés de la Terre)

Literatur

  • Caute, David: Frantz Fanon. - London : Fontana Collins, 1970
  • Cherki, Alice: Frantz Fanon : ein Porträt. - Hamburg : Ed. Nautilus, 2002. - ISBN 3-89401-388-5
  • Geismar, Peter: Fanon. - New York : Dial Pr., 1971
  • Udo Wolter: Das obskure Subjekt der Begierde. Frantz Fanon und die Fallstricke des Subjekts der Befreiung. ISBN 3-89771-005-6