Unterschiede zwischen den serbokroatischen Standardvarietäten

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Seit dem Zerfall der Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien wird der Begriff "Serbokroatisch" als Oberbegriff für die bosnische, kroatische und serbische Sprache vermieden.

Bosnisch, Kroatisch und Serbisch weisen starke Ähnlichkeiten auf, unterscheiden sich aber in vielen Aspekten, die im Folgenden dargestellt werden. Viele Linguisten halten die Sprachen für Varietäten einer Sprache, die nicht näher definiert werden kann. Dies ist insbesondere auf die Sprachpolitik des späten 19. und 20. Jahrhunderts im südosteuropäischen Raum zurückzuführen, welche die Schaffung einer gemeinsamen Sprache der Südslawen zum Ziel hatte. Ende des 20. Jahrhunderts kam es jedoch wieder zu einer Rückbesinnung auf die Eigenständigkeit der Kulturen und Sprachen des ehemaligen Jugoslawiens.

Geschichte

Der häufig konstatierte Zerfall des Serbokroatischen steht in engem Zusammenhang mit den historischen Entwicklungen auf dem Balkan.

Unterschiedliche Machteinflüsse

Die Abwendung von der sogenannten "serbokroatischen" Sprache kann am Beispiel der Geschichte der Völker des ehemaligen Jugoslawien erklärt werden. Viele der Ethnien Jugoslawiens hatten über Jahrhunderte keinen eigenen Staat, waren lange Zeit über zahlreiche fremde Machtbereiche zerstreut und verschiedensten Großmächten unterworfen. Kernkroatien beispielsweise war jahrhundertelang Teil der k.u.k.-Doppelmonarchie. Andererseits waren weite Teile des heutigen Serbien dem Osmanischen Reich eingegliedert. Die muslimische Bevölkerung erachtete die muslimische Kultur und arabische oder türkische Spracheinflüse jedoch als für sich angemessen. Die Sprachen, welche in der serbokroatischen Sprachfamilie zusammengefaßt wurden, waren dadurch im Laufe vieler Jahrhunderte sehr intensiven und divergierenden Einflüssen anderer Sprachen und Kulturen ausgesetzt.

Im 19. Jahrhundert wehrten sich die Kroaten gegen die voranschreitende Magyarisierungspolitik, die versuchte, dieUngarische Sprache als ausschließliche Unterrichtssprache in den kroatischen Schulen einzuführen und Ungarisch als einzige Amtssprache einzuführen.

Vorschreibende Sprachpolitik zu Zeiten des ehemaligen Jugoslawiens

Einige Jahrzehnte später wiederum, als sich in Europa einzelne Nationalstaaten zu entwickeln begannen, bildete sich im Süden des slawischen Sprachraums das Bedürfnis nach einer geregelten Sprachpolitik, um somit den Erhalt der eigenen Sprache weiter zu sichern und sie zu modernisieren. Es war die Zeit des Illyrismus. Viele große Vorhaben schwebten damals in der Luft und so wurde auch die Idee und der Wunsch nach einer gemeinsamen Sprache der Südslawen geboren, einer Sprache mit der man gemeinsam Stärke zeigen wollte, die der Grundstein einer großen Zukunft sein sollte und somit die Existenz der jeweiligen Völker erhalten sollte.

Viele Menschen sahen damals in diesem Projekt die Sicherung ihrer eigenen Identität. Man träumte aber gleichzeitig auch von einer panslawischen Identität. Es geschah viel Positives. In Kroatien entstand beispielsweise eine standardisierte kroatische Sprache, eine geregelte Grammatik und Schrift. Die bestehende kroatische Sprache, welche eine jahrhundertealte Tradition vorzuweisen hatte, wurde jedoch gegenüber dem Serbischen gehandelt, modifiziert und adaptiert. Man wendete sich jedoch gleichzeitig einem größeren Projekt zu, einer gemeinsamen Sprache aller Südslawen.

1954 entstand schließlich durch die internationalistischen Bestrebungen der kommunistischen Partei per Deklaration (Sprachabkommen von Novi Sad) eine standardisierte serbokroatische Sprache, eine geregelte Grammatik und Schrift als gemeinsame Verwaltungssprache. Somit wurde mittels einer politischen Entscheidung eine neue Sprache geschaffen, ohne auf die tatsächlichen Wünsche der Menschen einzugehen und ohne auf die Kritik der Sprachwissenschaftler aus den einzelnen Föderalrepubliken zu hören.

Die Identität der Völker des ehemaligen Jugoslawiens ist sehr stark an ihre jeweiligen Kulturen und somit an eigene Traditionen gebunden. Sprache ist ein wesentlicher Baustein und wichtiges Ausdrucksmittel dieser Kulturen. Auch zu Zeiten des ehemaligen Jugoslawiens erreichte man nur schwer Kompromisse in sprachlichen Angelegenheiten. Die sprachlichen Eigenheiten blieben in ihren Grundfesten stets bestehen. Deswegen mussten nach einiger Zeit Kompromisse in der Sprachpolitik eingegangen werden. Insbesondere nach den Studentenprotesten des Kroatischen Frühlings 1971 musste der Gebrauch der eigenen Sprache und Schrift der einzelnen Völker gesetzlich garantiert werden, um nicht weitere Eskalationen zu hervorzurufen. Serbokroatisch blieb nurmehr als offizielle Sprache an den Ämtern, im Militär oder gegenüber außen erhalten.

Insbesondere nach den Studentenprotesten musste erkannt werden, dass vorschreibende Sprachpolitik zu einer "Verfälschung" der eigentlichen Sprachen und dem Entstehen zahlreicher Doppeldeutigkeiten führte. Sprachliche Veränderungen geschahen nicht in Einklang mit der natürlichen Entwicklung der einzelnen Sprachen. Ebenso wurden kulturelle Eigenheiten zum Wohle der Brüderlichkeit unterdrückt. Eine derartige Sprachpolitik erreichte nicht das erhoffte Ziel einer gemeinsamen Sprache, sondern vertiefte die Unzufriedenheit unter den Kulturen nur noch mehr.

In den Medien und in der Verwaltung musste man sich jedoch an die Regeln der geschaffenen Sprache halten. Eine jahrzehntelange Durchmischung infolge der Wanderbewegungen innerhalb des Staates Jugoslawien führte zur Entstehung zahlreicher neuer Variationen der einzelnen Sprachen, war jedoch nicht unbedingt Spiegelbild der gemeinsamen Sprache. Viele Menschen benutzten umgangssprachlich auch den Begriff "Jugoslovenski" (Jugoslawisch) für deren Sprache, obwohl dieser offiziell niemals als Bezeichnung ihrer Sprache existierte.

Rückbesinnung auf die Eigenständigkeit der Völker und Sprachen

Im Militär, verpflichtend für alle jungen Männer, vor Gericht und in den überregionalen Medien wurde ausschließlich „Serbokroatisch“ gesprochen bzw. vorgeschrieben. Das Serbische befand sich rein vom zahlenmäßigen Standpunkt her in einer besseren Ausgangsposition. Die serbische Bevölkerung stellte nämlich eine deutliche Mehrheit im Vergleich zu anderen Völkern innerhalb des ehemaligen Jugoslawiens. Daher fanden im späteren Verlauf der Geschichte Jugoslawiens nämlich meist serbische Wörter den Einzug ins Kroatische oder Bosnische.

Die Entwicklungen gingen oft sogar so weit, dass man den Begriff „Serbokroatisch“ in eine Unterkategorie des Serbischen zu verwandeln suchte, also der Sprache der Mehrheit, anstatt jedem Volk, den Kroaten, wie auch den bosnischen Muslimen das gleichwertige Recht auf eigenständige Ausdrucksweisen und Unterschiede zu gewähren. Im Gegensatz dazu strebten Kroaten, wie auch Bosniaken danach ihre eigenen Varianten stärker in die serbokroatische Sprache einzubringen. Diese Bestrebungen waren auch Ausdruck des Strebens nach Anerkennung im gemeinsamen Staat und schürten starke Emotionen unter den benachteiligten Völkern des ehemaligen Jugoslawiens.

So wurde unter anderem neben dem Begriff „srpskohrvatski“ auf Druck Kroatiens auch der Begriff „hrvatskosrpski“ als gleichberechtigtes Synonym eingeführt. (Zum besseren Verständnis sei erwähnt, daß hier der erste Wortbestandteil der maßgebliche ist. Eine sinngemäße, nicht wörtliche Übersetzung von „srpskohrvatski“ ins Deutsche wäre also „kroato-serbisch“, dementsprechend ist „hrvatskosrpski“ bedeutungsgemäß mit „serbo-kroatisch“ zu übersetzen.)

Heutzutage wird oft gehört, dass im Kroatischen tagtäglich zahlreiche Neologismen geschaffen werden, dass Wörter neu erfunden werden oder nach politischen Kriterien ausgewählt werden. Manche dieser Begriffe existieren bereits seit Jahrhunderten in der kroatischen Sprache, sind aber in der Zeit vor dem Zerfall Jugoslawiens aus dem täglichen Sprachgebrauch verschwunden bzw. wurden manchmal durch Serbianismen aus dem „Serbokroatischen“ ersetzt.

In der Zeit nach dem Zerfall legen die staatlich gelenkten „Standardsprachen“ großen Wert auf die Betonung der regionalen Unterschiede. Einer Einflußgebung der Politiker auf die Sprachen wird versucht aus dem Weg zu gehen. Vielmehr versuchen heutzutage Sprachwissenschaftler Einfluß auf die Sprache auszuüben und die natürliche Entwicklung zu beobachten. In Kroaten wird versucht zu ergründen, wie denn diese kroatische Sprache „tatsächlich aussieht“, was die Eigenheiten dieser Sprache waren, bevor es zu vorgeschriebenen Verschmelzungen mit Sprachen anderer Kulturen kam.

Vielen Menschen, die im multikulturellen Jugoslawien heranwuchsen, wurde erst vor kurzem klar, wie vielfältig doch die sogenannte Einheitssprache eigentlich ist und wie sich die einzelnen Sprachen und Kulturen in völlig andere Richtungen entwickelt haben. Anhand dessen ist einsehbar, dass es eigentlich nie eine wirklich gemeinsame und einheitliche Sprache gab, sondern dass dies nur ein unerreichtes Ideal war.

Viele Auslandsjugoslawen, die mit „Serbokroatisch“ aufgewachsen sind, haben zur Zeit ihre Probleme mit den offiziellen nationalen Standardsprachen, die aus eher politischen Gründen die Unterschiede wieder sehr stark betonen.

Morphologie

Alle drei Sprachen verwenden dieselben Phoneme. Einige Wörter unterscheiden sich jedoch in ihrer lautlichen Form. Da die Orthographie strikt phonologischen Grundsätzen folgt, werden diese Unterschiede auch in der Schrift wiedergegeben, so dass sie recht leicht ins Auge fallen. Im Falle des auffälligsten Unterschiedes, desjenigen zwischen ijekavisch und ekavisch (der unterschiedlichen Wiedergabe des urslawischen Lautes jat), verläuft die Grenze jedoch nicht wie in den anderen Fällen zwischen den drei nationalen Varietäten, sondern innerhalb des Serbischen, da auch in Montenegro und von der Mehrheit der Serben in Kroatien und Bosnien und Herzegowina die ijekavischen Formen verwendet werden.

Kroatisch, Bosnisch und teilweise Serbisch: ijekavisch
Serbisch (in Serbien): ekavisch


ijekavisch ekavisch
jat in langen Silben rijeka reka Fluss
jat in kurzen Silben mjesto mesto Ort
jat vor o htio hteo (er hat) gewollt


Andere Unterschiede:

Kroatisch / Bosnisch Serbisch
h nach u suh suv trocken
Wörter vom Stamm opć- općina opština Gemeinde

Außerdem gibt es zahlreiche Unterschiede in der Akzentuierung sowohl einzelner Wörter als auch ganzer morphologischer Klassen. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass in großen Teilen des Sprachgebietes aller drei Sprachen, das in der normativen Grammatik kodifizierte neuštokavische Akzentsystem sowieso nicht vollständig normgemäß realisiert wird, da es für Sprecher, die als Muttersprache einen Dialekt mit anderer Akzentuierung sprechen, schwer zu erlernen ist, zumal die Betonung auch in der Schrift nicht wiedergegeben wird.

Grammatik

Gebrauch des Infinitivs

Im Kroatischen wird nach modalen Hilfsverben mehrheitlich die Infinitivkonstruktion gewählt, die im Serbischen und Bosnischen oft mit da (dass) umschrieben wird. Im Bosnischen und Serbischen sind aber grundsätzlich jeweils beide Varianten zulässig. Beispiele:

Kroatisch: Moram raditi "Ich muss arbeiten"
Bosnisch / Serbisch: Moram da radim "Ich muss dass ich arbeite"


Kroatisch: Moram vam kazati '"Ich muss Ihnen sagen"
Bosnisch / Serbisch: Moram da vam kažem "Ich muss dass ich Ihnen sage"


Kroatisch: Želim vas informirati "Ich möchte Sie informieren"
Bosnisch / Serbisch: Želim da vas informišem "Ich möchte dass ich Sie informiere"

Bildung des Futur

"Ich werde es aufschreiben"

  • Kroatisch: Ja ću to napisati.
  • Serbisch und vorwiegend Bosnisch: Ja ću to da napišem.

vgl. Schreibung des Futur

Genusunterschiede

Einige wenige Begriffe unterscheiden sich im Genus und werden entsprechend anders dekliniert. Beispiele:

Minute
Kroatisch: minuta (f)
Serbisch/Bosnisch: minut (m)
Planet
Kroatisch: planet (m)
Serbisch/Bosnisch: planeta (f)
Abend
Kroatisch/Bosnisch: večer (f)
Serbisch: veče (n)

Zahlwörter

Im Bosnischen und Kroatischen werden Zahlwörter etwas anders abgewandelt als in der serbischen Sprache. Dazu zwei Beispiele:

  • Bosnisch/Kroatisch: četverica muškaraca, Serbisch: četvorica muškaraca (vier Männer)
  • Bosnisch/Kroatisch: petero žena, Serbisch: petoro žena (fünf Frauen)

Schrift und Rechtschreibung

Lateinisch vs. Kyrillisch

Das Kroatische verwendet nur die lateinische Schrift, im Serbischen sind die kyrillische und die lateinische Schrift parallel im Gebrauch, wobei in manchen Gebieten die kyrillische, in anderen die lateinische bevorzugt wird. Offizielle Schrift in Serbien ist die kyrillische. Die bosnische Sprache verwendet heutzutage fast ausschließlich das Lateinische Alphabet, seit dem Zerfall Jugoslawiens nur mehr sehr selten das Kyrillische Alphabet.


Andere Schriften

Im Bosnischen wurde eine vereinfachte Form der arabischen Schrift bis Anfang des frühen 20. Jahrhunderts verwendet.

In Istrien wurde bis in das frühe 20. Jahrhundert für religiöses Schrifttum teilweise die Glagolitische Schrift eingesetzt.

Fremdsprachliche Eigennamen

Bei fremdsprachlichen Eigennamen wird im Kroatischen (und vorwiegend auch im Bosnischen) die Schreibweise der Ausgangssprache, sofern diese das lateinische Alphabet verwendet, beibehalten. Dagegen wird im Serbischen auch bei Verwendung der lateinischen Schrift oft phonetisch transkribiert. Im Kroatischen schreibt man also z.B. New York oder Washington, auf Serbisch wird Nju Jork oder Vašington geschrieben.

Vokalschwund

Außerdem gibt es einen Unterschied in der Schreibung des Futur, wie am folgenden Beispielsatz deutlich wird:

"Ich werde das aufschreiben":

  • "Napisat ću to." (Bosnisch, Kroatisch)
  • "Napisati ću to." bzw. "Napisaću to." (Serbisch, beide Varianten sind regionalbedingt und grammatikalisch richtig).

Oder:
"er/sie/es wird":

  • "Bit(i) će" (Bosnisch, Kroatisch)
  • "Biće" (Serbisch)

Das Wort "Biće" bedeutet auch Wesen. Daher ist es in der serbischen Schreibweise nicht ersichtlich um welchen Begriff es sich handelt. Dieser kann lediglich aus dem Sinn des ganzen Satzes oder der Betonung bei der Aussprache erkannt werden. vgl. Bildung des Futur

Getrennte Schreibweise

In der neuen kroatischen Rechtschreibung ist vorgesehen, dass für die Verneinung "Ich werde nicht..." zukünftig "ne ću" genauso erlaubt ist wie das bisherige "neću" (das im Serbischen und Bosnischen immer noch vorhanden ist), bzw. dass zweiteres eher vermieden werden soll. Kroatische Sprachwissenschaftler gehen dabei auf die sprachliche Entwicklung ein und betonen, dass dadurch (und durch andere Maßnahmen) gewisse Zweideutigkeiten ausgeräumt werden sollen, die sich in den letzten Jahren angehäuft haben. Das Kroatische ist ja berüchtigt dafür, sehr viele Ausnahmen zu haben. Ebenso werden Vereinfachungen und logischere Grammatikregeln für zukünftige Generationen angestrebt.

Verwendung des Buchstabens "h"

Die Verwendung des Buchstabens 'h' (aber auch 'f') ist im Bosnischen stärker ausgeprägt, z.B. kahva (Bosnisch) - kava (Kroatisch), lahko (Bosnisch) - lako (Kroatisch/Serbisch), kafez (Bosnisch) - kavez (Kroatisch/Serbisch) usw. Es gibt auch einige Wörter, die sowohl mit als auch ohne zusätzliches 'h' geschrieben werden können (d.h. mit zwei Schreibweisen), was in der kroatischen und serbischen Sprache nicht üblich ist, z.B. malehan und malen bedeuten beide 'klein'. Auch ist zu beobachten, dass im Serbischen häufig der Buchstabe "v" steht, wo im Kroatischen der Buchstabe "h" vorkomt, z.B. duvan (serbisch) - duhan (kroatisch), gluv (serbisch) - gluh (kroatisch)

Wortschatz

Die folgende Zusammenstellung soll einen Überblick darüber verschaffen, wie die Unterschiede sich auf den Sprachgebrauch, die zwischenmenschliche Kommunikation und somit auch auf unterschiedliche Weltanschauungen auswirken bzw. wie diese durch die im folgenden genannten Ausdrücke reflektiert werden.

Wie weiter unten ausführlicher beschrieben, läßt sich die kroatische Mentalität mehr mit der mittel- bis nordeuropäischen vergleichen, die serbische mehr mit der südeuropäischen. Solche Unterschiede, beispielsweise in der Bedeutung des Begriffs "Familie", machen sich auch im täglichen Sprachgebrauch bemerkbar.

Jahrhunderte lang waren die verschiedenen Sprachen unterschiedlichen kulturellen Einflüssen unterworfen, die durch die Vereinigungsbestrebungen des letzten Jahrhunderts nicht vollständig ausgeglichen wurden. Selbstverständlich können nicht alle Unterschiede aufgezählt werden, hier sei auf systematisch erarbeitete Wörterbücher hingewiesen.


Unterschiede auf der Wortebene

  • Begrüßungsfloskeln:
    • Kroatisch: Bok! (Bog!), Serbisch: Zdravo!, Ćao, Bosnisch: Ćao, Zdravo, etc. (Hallo)
  • Trink- und Esssprüche:
    • Kroatisch/Bosnisch: Živjeli!, Serbisch: Živeli! oder Na zdravlje! (Zum Wohl! Prost!)
    • Serbisch/Bosnisch: Prijatno!, Kroatisch: U slast!, Dobar tek! (Guten Appetit! Mahlzeit!)
  • Zeitliche Benennungen:
    • Kroatisch: tjedan, Serbisch: nedelja, sedmica, Bosnisch: sedmica, hevta (Woche)
    • Kroatisch: sat, ura, Serbisch: čas, sat, Bosnisch: sat, sahat (Stunde)
  • Benennungen von Orten:
    • Kroatisch: Španjolska, Serbisch/Bosnisch: Španija (Spanien)
    • Kroatisch/Bosnisch: Škoti, Serbisch: Škotlanđani (Schotten)
    • Kroatisch/Bosnisch: otok, Serbisch: ostrvo (Insel)
    • Kroatisch: vrt, Serbisch: bašta, Bosnisch: bašča (Garten)
    • Serbisch/Bosnisch: geografija, Kroatisch: zemljopis (Geographie)
  • Mathematische Benennungen:
    • Kroatisch: tisuća, Serbisch/Bosnisch: hiljada [aus dem Griechischen] (tausend)
    • Kroatisch: znamenka, Serbisch/Bosnisch: cifra (Ziffer)
    • Kroatisch: stupanj, Serbisch/Bosnisch: stepen (Winkelgrad)
    • Kroatisch: kut, Serbisch/Bosnisch: ugao (Winkel, Ecke)
    • Kroatisch: trokut, Serbisch/Bosnisch: trougao (Dreieck)
    • Kroatisch: ravnalo, Serbisch/Bosnisch: lenjir (Lineal)
  • Naturwissenschaftliche Benennungen:
    • Kroatisch: zrak, Serbisch: vazduh, Bosnisch: zrak, vazduh (Luft)
    • Kroatisch/Bosnisch: grah, Serbisch: pasulj (Bohnen)
    • Kroatisch/Bosnisch: svemir, Serbisch: vasiona, svemir (Weltraum)
    • Kroatisch: povijest, Serbisch/Bosnisch: (h)Istorija (Geschichte)
  • Medizinische Benennungen:
    • Kroatisch/Bosnisch: šaka, Serbisch: pesnica (Faust)
    • Kroatisch/Bosnisch: spol, Serbisch: pol (Geschlecht)
    • Serbisch/Bosnisch: vakcina, Kroatisch: cjepivo (Impfstoff)
    • Serbisch/Bosnisch: kičma, Kroatisch: kralježnica, (Wirbelsäule)
  • Musik:
    • Serbisch/Bosnisch: muzika, Kroatisch: glazba (Musik)
  • Benennungen von Alltagsgegenständen:
    • Serbisch/Bosnisch: pantalone, hlače, Kroatisch: hlače (Hose)
    • Serbisch/Bosnisch: makaze, Kroatisch: nožice, škare (Schere)
    • Kroatisch/Bosnisch: opušak, Serbisch: pikavac, opušak (Zigarettenkippe)
    • Kroatisch/Bosnisch: deka, Serbisch: ćebe, deka (Zudecke)
    • Serbisch/Bosnisch: peškir, Kroatisch: ručnik (Handtuch)
  • Sportliche Bezeichnungen:
    • Kroatisch: nogomet, Serbisch: fudbal, Bosnisch: nogomet, fudbal (Fussball)
  • Fahrzeuge:
    • Serbisch/Bosnisch: voz, Kroatisch: vlak (Zug)
  • Kulinarisches::
    • Kroatisch: kruh, Serbisch: hleb, Bosnisch: hljeb, somun (Brot)
    • Serbisch/Bosnisch: supa, Kroatisch: juha (Suppe)
    • Serbisch/Bosnisch: kašika, Kroatisch: žlica (Löffel)
    • Kroatisch/Bosnisch: ulje, Serbisch: ulje, zejtin (Öl)
  • Politische Terminologie:
    • Kroatisch/Bosnisch: stranka, Serbisch: stranka, partija (Partei)
    • Kroatisch/Bosnisch: općina, Serbisch: opština (Gemeinde)
    • Serbisch/Bosnisch: Evropa, Kroatisch: Europa (Europa)
  • Militärische Terminologie:
    • Kroatisch/Bosnisch: sigurnost, Serbisch: bezbednost, sigurnost (Sicherheit)
    • Serbisch/Bosnisch: oficir, Kroatisch: časnik (Offizier)
    • Kroatisch: zapovjednik, Serbisch/Bosnisch: komandant (Befehlhaber)
    • Kroatisch: strojnica, Serbisch/Bosnisch: mitraljez (Maschinengewehr)
    • Kroatisch: strjeljivo, Serbisch/Bosnisch: municija (Munition)
    • Kroatisch: topništvo, Serbisch/Bosnisch: artiljerija (Artillerie)
  • Soziale Benennungen:
    • Kroatisch/Serbisch: tata, Bosnisch: babo und seltener tata (Papa, Koseform von Vater)
    • Kroatisch: susjed, Serbisch: sused, komšija, Bosnisch: komšija, susjed (Nachbar)
  • Eigenschaften:
    • Kroatisch/Bosnisch: vlastit, Serbisch: sopstven (eigen)
    • Kroatisch/Bosnisch: osobno, Serbisch/Bosnisch: lično (persönlich)
    • Kroatisch: osobna iskaznica, Serbisch/Bosnisch: lična karta (Personalausweis)
  • Handlungen:
    • Kroatisch: priopćiti, Serbisch: saopštiti, Bosnisch: saopćiti (mitteilen)
    • Kroatisch: (upo)rabiti, Serbisch upotrebiti, Bosnisch: upotrijebiti (benutzen)
    • Serbisch/Bosnisch: uhapsiti, Kroatisch: uhititi, (festnehmen)
    • Serbisch/Bosnisch: učestvovati, Kroatisch: sudjelovati, (teilnehmen)
  • Sichtweisen:
    • Serbisch: porodica für engere Familie rodbina für weitere Familie, Kroatisch: obitelj für den engeren Begriff der Familie (nur der engste Kreis), Bosnisch: porodica, familija und obitelj als Synonyme für Familie
    • Kroatisch/Bosnisch: komadić, Serbisch: parče, komadić (Stückchen)
    • Kroatisch/Bosnisch: osoba, Serbisch: lice (Person) aber:
    • Kroatisch/Bosniakisch/Serbisch: lice (Gesicht)
    • Kroatisch: povijest, Serbisch: istorija, Bosnisch: historija, povijest (Geschichte)

Monatsbezeichnungen

Die kroatischen Monatsbezeichnungen unterscheiden sich von den internationalen und somit von den serbischen oder bosnischen Bezeichnungen. Die kroatischen und tschechischen Monatsbezeichnungen sind sehr ähnlich. Nach Auffassung bosnischer Linguisten sind die kroatischen Formen auch in der bosnischen Sprache zulässig. Daher werden in vielen bosnischsprachigen Zeitschriften, Büchern und anderen Schriften zusätzlich stets die kroatischen Formen angegeben.

Monat Kroatisch Serbisch Bosnisch
Januar siječanj januar
Februar veljača februar
März ožujak mart
April travanj april
Mai svibanj maj
Juni lipanj jun juni
Juli srpanj jul juli
August kolovoz avgust august
September rujan septembar
Oktober listopad oktobar
November studeni novembar
Dezember prosinac decembar

Akzeptanz von Fremdwörtern

Neben unterschiedlichen Wörtern im Grundwortschatz gibt es vor allem bei der Übernahme von Fremdwörtern bedeutende Unterschiede:

  1. Grundsätzlich werden in der kroatischen Standardsprache deutlich weniger Fremdwörter akzeptiert. Es werden kroatische Eigennamen bevorzugt: zrakoplov - avion (Flugzeug), odrezak - šnicla (Schnitzel), usw. Die kroatische Umgangssprache hat aber deutlich mehr Fremdwörter aufzuweisen als die Schriftsprache (Germanismen und Hungarismen im Norden, venezianische Italienismen an der Küste).
  2. Bei Wörtern griechischer Herkunft ergeben sich Unterschiede, da Kroatisch diese Wörter aus dem Mittellatein übernommen hat, Serbisch dagegen direkt aus dem (byzantinischen) Griechischen. Bei der bosnischen Sprache ist die Regelung etwas komplizierter, daher soll hier darauf nicht näher eingegangen werden. Einige Beispiele: Ozean: ocean (Kroatisch) - okean (Bosnisch/Serbisch), Barbare: barbar (Bosnisch, Kroatisch) - varvar (Serbisch), Chemie: kemija (Kroatisch) - hemija (Bosnisch, Serbisch), Betlehem: Betlehem (Bosnisch, Kroatisch) - Vitlejem (Serbisch), Demokratie: demokracija (Kroatisch) - demokratija (Bosnisch, Serbisch).
  3. Im heutigen Kroatischen erhalten Fremdwörter mit lateinischer Wurzel fast immer das Suffx -irati, im Serbischen kommen an dieser Stelle auch die Suffixe -ovati und -isati vor: identificirati - identifikovati, informirati - informisati. Im Bosnischen entspricht die Regel der kroatischen Sprache, allerdings wird umgangssprachlich immer noch häufig die serbische Form der Suffixe verwendet.
  4. Zusätzlich ist Bosnisch von sehr vielen Turzismen (Anlehungen an türkische, arabische und persische Sprache) gekennzeichnet. Das sieht man beispielsweise an den Bezeichnungen der Familienmitglieder. Diese unterscheiden sich großteils von den Kroatischen oder Serbischen, z.B. Papa: babo (Bosnisch) - tata (Kroatisch/Serbisch), Oma: nena oder nana (Bosnisch) - baka (Kroatisch/Serbisch), Onkel (Bruder der Mutter): daidža (Bosnisch) - ujak (Kroatisch/Serbisch), Onkel (Bruder des Vaters): amidža (Bosnisch) - stric (Kroatisch/Serbisch), usw.

Mehrdeutigkeit, Ambiguität

Unter den einzelnen Sprachen gibt es zahlreiche Mehrdeutigkeiten von einzelnen Begriffen bzw. werden zahlreicher Wörter unterschiedlich gebraucht (innerhalb der Kulturen sind Doppeldeutigkeiten eher selten).

Am folgenden Beispiel wird eine Bedeutungsänderung ersichtlich:

Deutsch: "Schweig!" "Schweigeminute"
Kroatisch: šuti minuta šutnje
Bosnisch: šuti minut šutnje
Serbisch: ćuti minut ćutanja

Würde man hier im Serbischen anstelle des "ć" das "š" einsetzen, so würde dies einen völlig anderen Sinn ergeben:
"minut šutanja" – "Minute zum Treten oder Ball-Schießen" (šut vom engl. shoot übernommen).

Syntax

Zusammensetzung von Sätzen und Texten

Im Hinblick auf einzelne Wörter, mögen einem Laien keine besonders großen Unterschiede bewusst werden. Man könnte sagen, dass gewisse Wörter keinen bedeutenden Unterschied ausmachen. Fügt man allerdings etwa all diese Wörter zu Sätzen zusammen, so wirkt sich dies sehr stark auf das Verständnis aus. Es wird außerdem klar, dass es sich hier nicht um stilistische Variationen handelt, sondern um kulturell und standardsprachlich festgelegte Sprachkonventionen.

Hier ein Beispiel eines ganz einfachen Satzes, der in den jeweiligen Kulturen völlig anders ausgedrückt wird:

Deutsch: Der Zug fährt vom Bahnhof um genau zehn Uhr ab.
Kroatisch: Vlak sa željezničkog kolodvora krenut će točno u deset sati.
Bosnisch: Voz sa željezničke stanice krenut će tačno u deset sati.
Serbisch: Voz sa železničke stanice krenuće tačno u deset časova.
(Hierbei wird außer Acht gelassen, dass das serbische Beispiel heutzutage in den meisten Fällen in der kyrillischen Schrift geschrieben wäre.)

Erweitert man die Betrachtungsweise auf ganze Textabschnitte oder Texte, so wird eine Differenzierung der Sprachen unabdingbar. Der Ersteller eines Textes muß sich darüber Bewusstsein verschaffen, welcher Standard verwendet werden soll, einen sogenannten „serbo-kroatischen“ Standard gibt es im praktischen Sinne nicht mehr. Man muss sich daher auf die unterschiedlichen Sprachtraditionen und Konventionen einstellen.

Formulierung von Fragen

Unterschiede im Bereich der Satzstellung (Syntax).

Deutsch: Kannst Du? Ist es möglich?
Alle drei Sprachen: Možeš li? Je li moguće?
Nur Serbisch: Da li možeš? Da li je moguće?

Akzentuierung

Jede Sprache hat eigene Betonungsunterschiede aufzuweisen. Die Betonungen variieren auch sehr stark von Region zu Region.

Idiomatische und phraseologische Unterschiede

Die kroatische Sprache hat im Gegensatz zur bosnischen oder serbischen Sprache z.T. sehr gravierende idiomatische Unterschiede aufzuweisen, die Sprechern des Serbischen oder Bosnischen zunächst gar nicht erst auffallen mögen. Dies ist auf die z.T. sehr großen kulturellen Unterschiede zwischen den Völkern und auf die Geschichte der einzelnen Völker zurückzuführen. Kroatien gehörte immer dem westlichen Kulturkreis an, während hingegen das Territorium von Bosnien und Serbien Jahrhunderte lang zum östlichen Kulturkreis gehörte.

So kommt es z.B., dass im Kroatischen z.T. vollkommen andere Formulierungen verwendet werden, als im Serbischen oder im Bosnischen. Es herrschen oft größere Unterschiede, was den Gebrauch der einzelnen Sprachen betrifft, als man zunäscht denken mag. Ebenso gibt es oft größere Unterschiede darüber, wie etwas in den einzelnen Sprachen - die oft als so nah empfunden werden - gesagt wird, als offensichtlich ist. Das gegenseitige Verständnis ist da. Ginge man jedoch von einer präzisen Auslegung des Sprachverständnisses aus, und würden die Sprecher tatsächlich stets anmerken, was falsch gesagt wurde, bzw. was so nicht gesagt werden kann, so würde bestimmt jeder zweite Satz gegenseitig beanstandet werden. Die Kroaten sind hierbei oft sehr genau. Die bosnische Sprache ist hierbei jedoch sehr kulant. Jeder Sprachkreis verfügt eben über eine andere Sprachkultur.

Viele Sprecher des Serbischen oder Bosnischen bemerken z.B. oft nicht, dass im Grunde genommen etwas, das sie soeben in schönem Bosnisch oder Serbisch geäußert haben, im Kroatischen nie so gesagt würde. Anders herum verstehen viele Kroaten oft nicht, was ein Bosniake oder ein Serbe in Wirklichkeit gemeint hat. Dies kann einerseits an der Verwendung der Wörter liegen (den Kroaten sind z.B. viele Wörter mit türkischem Hintergrund nicht bekannt) oder auch an der Art, wie etwas ausgedrückt wird (verschleiernd, langatmig, kompliziert, etc.). Gewiss gibt es auch viele Jargon- und Slang-Ausdrücke in den diversen Sprachen. Der Artikel bezieht sich jedoch auf die tatsächlichen und sehr häufig bemerkbaren sprachlichen Verständnisschwierigkeiten.

Beispiele für Formulierungen, die sich gänzlich unterscheiden und die in zumindest einer der Sprachen nicht verwendet werden können wären folgende:

  • Ich werde es machen: "Uradit ću to" (vollkommen korrekt im Bosnischen oder Serbischen) - gänzlich inakzeptabel im Kroatischen (es sollte "učinit ću to" gesagt werden oder "napravit ću to")
  • Ein recht banales Beispiel für typische Mißverständnisse wäre die Phrase "moja majka". Der Sprecher aus Serbien/Kroatien versteht dann meist "meine Mutter", ein Sprecher der bosnischen Sprache versteht aber dieselbe Phrase als "meine Großmutter". Andererseits bedeutet "baba" im Serbischen (wie auch im Kroatischen) "Oma" (Großmutter), während das im Bosnischen eine der Koseformen für Vater ist (Koseform für Großmutter ist im Bosnischen nena oder nana). Im Kroatischen, insbesondere in Istrien, wird allerdings auch die italienische Form "nona" verwendet.

Sprachen sind allerdings einem steten Wandel unterworfen. Sie beeinflussen sich auch gegenseitig. Es kann deshalb sein, dass gewisse Phrasen mit der Zeit ihren Weg in die eine oder andere Sprache finden werden. Es ist beispielsweise bereits bemerkbar, dass die bosnische Sprache sehr viele Wendungen und Wörter aus dem Kroatischen schlichtweg übernimmt (z.B. EU-Terminologie, Wirtschaftsausdrücke, etc.).

Kultur, Emotionen und Identität

In der Sprachwissenschaft kann nicht die generelle These vertreten werden, daß "Sprache = Nation" bedeutet. Weltweit würde dies bedeuten, dass Sprachen gewissen geographischen Grenzverläufen folgen würden bzw. auf gewisse Sprachgebiete fixiert werden können. Sprachen können allerdings nicht derartig kategorisiert werden und können nicht auf gewisse Territorien eingeschränkt werden. Die Grenzen eines Sprachraumes sind stets sehr ungenau bzw. jede Sprache übt Einfluß auf andere Sprachen aus.

Der Begriff "Nation" bezieht sich jedoch nicht aussschließlich auf den geographischen Begriff eines Landes. Nation kann auch als Bezeichnung für "Volk" verwendet werden. Gerade diese Betrachtungsweise muss für den südosteuropäischen Raum und insbesondere den Raum des ehemaligen Jugoslawiens angewendet werden. In Südosteuropa herrschten nie klare Grenzverläufe, die Grenzen und Einflüsse von Seiten anderer Kulturen (und nicht nur anderer slawischer Kulturen) waren omnipräsent. Jegliche Versuche der Eingrenzung stießen stets auf Widerstand und Ablehnung unter den Menschen.

Um sich also als Volk zu definieren, wurde der Sprache des jeweiligen Volkes wichtige Bedeutung beigemessen. Zumindest in grundlegenden kulturellen Zügen sind die einzelnen Sprachen des südosteuropäischen Raumes der jeweiligen Volksgrupe zuordenbar. Die Religion, Tradition, Geschichte und Sprache der Völker dieses Raumes sind eng miteinander verwoben. Es ist sogar so, dass sich die einzelnen Volksgruppen dieses Raumes in der Vergangenheit nebst ihrer Religion ausschließlich durch ihre eigene Sprache definieren konnten und dies immer noch tun.

Beispiele für kulturelle Unterschiede, die sich auf den Gebrauch der Sprache auswirken

  • Schrift:
    • In Serbien verwendet man, wie oben genannt, immer häufiger die kyrillische Schrift. In Kroatien verwendet man ausschließlich die lateinische Schrift. In Bosnien und Herzegowina wird vorwiegend die lateinische Schrift benützt, lediglich im serbischsprachigen Teil, der Republika Srpska ist die kyrillische Schrift neben der lateinischen Schrift offiziell. Im Grunde genommen kann gesagt werden, dass in Bosnien und Herzegowina ausschließlich Serben die kyrillische Schrift verwenden.
  • Feste, Religiöses und Traditionelles:
    • Kroatien: Der Muttertag wird sehr geschätzt und gefeiert, in Serbien und Bosnien hingegen ist es der Tag der Frau
    • Jedes Land hat eigene staatliche Feiertage, bzw. die Feiertage werden von der jeweiligen Sprach- und zugleich Volksgruppe geachtet.
    • Jeder Sprachkreis hat auch seine eigenen religiösen Traditionen: In Kroatien werden katholische Feiertage eingehalten (Mariä Himmelfahrt, etc.), in Serbien orthodoxe, in Bosnien und Herzegowina muslimische (Bajram, etc.). Dies wirkt sich auf die Vertrautheit und Kenntnis der Sprecher in den Gebieten Südosteuropas aus. Nicht jeder Mensch kennt bzw. spricht über religiöse Feste der anderen Kultur.
    • In Kroatien ist, ebenso wie beispielsweise in Österreich oder Ungarn, der Martinitag sehr populär, in Serbien ist dieser Feiertag eher nicht bekannt.
    • Im ehemaligen Jugoslawien wurde dagegen alle Feiertage gleichermaßen beachtet oder eher nicht beachtet, denn Religiosität wurde wie in allen sozialistischen Staaten eher belächelt.
  • Erziehung:
    • Der Begriff der Familie wird in allen drei Kulturen recht unterschiedlich aufgefasst. Ein Serbe versteht darunter einen riesigen, familiären Kreis, vergleichbar beispielsweise der Sichtweise in südlichen Gebieten Italiens. Ein Kroate dagegen würde eher nur einige wenige Personen zum Kreis der Familie hinzuzählen, ähnlich der Auffassung in Deutschland oder Österreich beispielsweise. Einige Menschen verhaften immer noch an patriarchalisch anmutenden Gesellschaftsverhältnissen, während hingegen sich andere von der Lebensweise her dem Westen annähern.
    • Die Kinder werden auch in unterschiedlichem Ausmaß auf die Eigenheiten ihrer Sprache hingewiesen. Vor allem in Kroatien findet zur Zeit eine sehr starke, emotional aufgeladene Abgrenzung statt, während man solche Dinge in Serbien eher gelassen nimmt. In Bosnien, das einem ethnischen Flickenteppich gleicht, werden sprachliche und kulturelle Unterschiede ebenfalls stark betont, auch hier bei den verschiedenen Ethnien in unterschiedlichem Maße.
    • Während im alten Jugoslawien versucht wurde, eine Nivellierung zu erreichen, manchmal auch durch etwas "kreative Auslegung" der Historie, erreicht man heute mit denselben Methoden das Gegenteil, eine oft maßlos übertriebene Unterscheidung. Es herrschen zwischen den Kulturen abgrundtiefe Barrieren, Meinungsverschiedenheiten, Unkenntnis und oftmals schlichte Fehlinformationen oder Lügen was die Geschichte der Völker des südosteuropäischen Raumes betrifft. In diesem Gebiet ist die Geschichte einer Sprache eng mit der Geschichte eines Volkes verknüpft.
  • Witze, Literatur, Filme:

Emotionen

Es herrschen immer noch, teils sehr heftige, emotionale Unterschiede, was die Verwendung der einzelnen Sprachen betrifft. Als unmittelbare Folge des Krieges kochen die Emotionen gegenüber der jeweils anderen Volksgruppe oft sehr schnell hoch, was oft nur an der unterschiedlichen Ausdrucksweise festgemacht wird. So kann ein Auslandskroate, der die derzeitigen nationalen Sprachnormen nicht ausreichend kennt, durchaus Verständnisschwierigkeiten bekommen oder schräg angesehen werden, wenn er wieder einmal in seinem Heimatland weilt, da sich die Sprache und die damit verbundenen Sprachkonventionen sehr rasch verändern.

Vielen Menschen ist nicht egal, welche von den genannten „Sprachen“ verwendet wird, und ob noch immer an einer sogenannten "serbokroatischen" Sprache festgehalten werden soll. Im Gegenteil, viele reagieren innerlich erschüttert über die heute noch vorhandene Ignoranz bzw. Gleichgültigkeit gegenüber der Sprachenvielfalt in diesem Raum, andere dagegen sind erschüttert über die Intoleranz, die sich in der heutigen Standardsprache ausdrückt in der rigorosen Verweigerung von Ausdrücken, die in ihrer Kindheit noch zum täglichen "serbocroatischen" Sprachgebrauch gehörten. Sie wissen sich oft jedoch nicht gegenüber den wissenschaftlichen Standpunkten, die vorherrschen und ihrer inneren, emotionalen Befindlichkeit zu äußern. Dies ist übrigens nicht nur ein Phänomen der letzten Jahrzehnte, sondern ist eine parallele Erscheinung seit Beginn der Versuche zur Verschmelzung bzw. Vereiheitlichung der südslawischen Sprachen.

Identität

Jede Sprache verbinden gemeinsame Identitätsmerkmale und ein gewisses Zugehörigkeitsgefühl. Manche Menschen, vor allem aus so genannten "Mischehen" und einem Teil der Generation, die im Staat Jugoslawien aufgewachsen ist, fühlen sich angesichts der komplizierten Zusammenhänge immer noch einer "jugoslawischen" oder "serbokroatischen" Identität, zu einem "jugoslawischen" Kulturkreis zugehörig, der eigentlich mehrere Kulturkreise umspannt.

Ob dadurch, wie national denkende Kreise behaupten, einer kritischen Reflexion und Definition ihrer tatsächlichen Identität und ihrer kulturellen Wurzeln aus dem Wege gegangen wird oder ob der Hintergrund lediglich in einer Anerkennung der vielen Gemeinsamkeiten liegt, kann wohl nur individuell entschieden werden.

Die Wikipedia existiert aus den oben genannten Gründen auch in einer hybriden, "serbokroatischen" Version, bei der kein Wert auf die momentane Sprachpolitik gelegt wird, ob in lateinischer oder kyrillischer Schrift, ob ekavisch oder ijekavisch, oder ob beispielsweise ein Wort aus der kroatischen oder serbischen Sprache gewählt werden soll. Eigentlich ist es heutzutage nicht möglich genaue Standards auf Basis einer "serbokroatischen" Sprache festzulegen, wenn dann viel eher auf Basis einer übergeordneten Zuordnung zu den südslawischen Sprachen.

Literatur

Eine literarische Einteilung ist oft schwer vorzunehmen, da man sich nach dem Einzelnen richten muss und nach den individuellen künstlerischen und sozialen Eigenschaften der Schriftsteller. Es können also oft keine genauen Angaben zur Sprachenwahl erfolgen, da es dafür oft viel zu verschwommene Grenzziehungen und insbesondere im künstlerischen Bereich viele Überlappungen, was den sprachlichen Ausdruck betrifft, gibt. Außerdem gibt es für künstlerische Kreativität und Freiheit keine Grenzen. Gewisse Schriftsteller jedoch deklarierten sich öffentlich für bestimmte Sprachen.

Es ist allerdings nachweisbar, dass die kroatische Sprache eine sehr reichhaltige Literaturgeschichte aufzuweisen hat, die bis weit zurück in die Geschichte reicht. Tatsache ist auch, dass die serbische Sprache über viele Jahrhunderte hinweg dem Einfluß des Kirchenslawischen ausgesetzt war und dass sich eine bewußte Literaturtradition erst recht spät gebildet hat. Literarische Werke, die der bosnischen Sprache entsprechen, sind sehr spärlich aufzufinden, denn die Bosniaken haben bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts in der Literatur mehrheitlich Arabisch, Persisch und Türkisch verwendet.

Problematik für Übersetzer und Dolmetscher

Insbesondere Übersetzer und Dolmetscher, die früher offiziell nur für eine Sprache übersetzen mussten, müssen die Eigenheiten der einzelnen Sprachen genauestens beachten. Es kann beispielsweise sein, dass die Auftraggeber z.T. sehr emotional auf gewisse Fehler reagieren, seien diese auch noch so klein (wie z.B. Wortfehler, Unwissenheit über die vorherrschenden Gegebenheiten im jeweiligen Land, die sich übrigens in letzter Zeit sehr rasch ändern, etc.).

In den einzelnen Staaten müssen offizielle Dokumente aus anderen Republiken des ehemaligen Jugoslawiens deshalb stets in die offizielle Standardsprache übersetzt werden (nur in Bosnien ist man demgegenüber etwas nachgiebiger, da es in diesem Staat ja drei offizielle Standardsprachen gibt). Es werden daher, angesichts der recht großen kulturellen Unterschiede, im Raum des ehemaligen Jugoslawien stets muttersprachliche Übersetzer aus dem jeweiligen Staat gegenüber Übersetzern aus anderen Kulturkreisen des ehemaligen Jugoslawiens bevorzugt. In Deutschland und Österreich z.B. wird hier oft nicht unterschieden bzw. ausreichend darauf geachtet.

Dies führt häufig zu inkorrekten Übersetzungen in die jeweiligen Standardsprachen, die von den offiziellen Stellen nicht anerkannt bzw. goutiert werden.

Besonders auffällig wird die ganze Thematik durch die Arbeit des Internationalen Tribunals für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag. Dort wird für alle drei Sprachen das Kürzel "BCS" (Bosnisch-Kroatisch-Serbisch, BKS) verwendet, ohne dabei näher auf alle drei Sprachen einzugehen.

Hierbei entstehen oft sehr widersprüchliche und schlichtweg unkorrekte Übersetzungen, die nicht den standardsprachlichen Vorgaben der einzelnen Staaten entsprechen. Einige Kritiker behaupten sogar, dass praktisch kein Text oder Transkript dieses Gerichts einer grundlegenden grammatikalischen oder lexikalischen Analyse standhalten würde. Dennoch werden diese Dokumente von allen Beteiligten verstanden.

Leider ist es im Rahmen der Zusammenstellung der Anklageschriften oft auch zu kapitalen Übersetzungsfehlern ins Englische gekommen, was nicht unbedingt für die Qualität des Übersetzungsdienstes spricht (Z.B. "uklonite zaklone" in "uklonite zaklane" - in etwa "beseitigt die Geschlachteten" für "beseitigt die Verstecke").

Siehe auch

Trotz dieses Mangels sind die Texte für Muttersprachler sowohl aus Bosnien, Kroatien und Serbien und Montenegro verständlich.

Empfehlenswerte Literatur

  • Brodnjak, Vladimir: "Razlikovni rječnik srpskog i hrvatskog jezika" (Wörterbuch der Unterschiede zwischen der serbischen und der kroatischen Sprache), Zagreb: Školske novine, 1991, 640 S., ISBN 86-7457-074-7 (30.000 Einträge)
  • "Hrvatski naš (ne)zaboravljeni" (Das Kroatische, unsere (un)vergessene Sprache), Stjepko Težak, 301 S., knjižnica Hrvatski naš svagdašnji (knj. 1), Tipex, Zagreb, 1999, ISBN 953-6022-35-4 (kroatisch)
  • Težak, Stjepko. Babić, Stjepan. "Gramatika hrvatskoga jezika" (Grammatik der kroatischen Sprache). Školska knjiga. Zagreb 1996. 296 S. ISBN 953-0-40008-X
  • Auburger, Leopold. Die kroatische Sprache und der Serbokroatismus. Ulm/Donau 1999. ISBN 3-87336-009-8.
  • Brozović, Dalibor. "Serbo-Croatian as a pluricentric language". In: Pluricentric Languages: Differing Norms in Different Nations. Hg. Michael Clyne. Berlin, New York 1992. S. 347-380. ISBN 3-11-012855-1.
  • Greenberg, Robert D. Language and Identity in the Balkans: Serbo-Croatian and its Disintegration. Oxford u.a. 2004. ISBN 0-19-925815-5.
  • Gröschel, Bernhard. "Postjugoslavische Amtssprachenregelungen – Soziolinguistische Argumente gegen die Einheitlichkeit des Serbokroatischen?" In: Srpski jezik (Beograd), 8.1/2 (2003). S. 135-196.
  • Kačić, Miro. Kroatisch und Serbisch: Irrtümer und Falsifizierungen. In Zusammenarbeit mit Ljiljana Šarić. Übers. Wiebke Wittschen, Ljiljana Šarić. Zagreb 1997. ISBN 953-6602-01-6.
  • Kordić, Snježana. "Pro und Kontra: 'Serbokroatisch' heute". In: Slavistische Linguistik 2002. Hg. Marion Krause und Christian Sappok. München 2002. S. 97-148. ISBN 3-87690-885-X.
  • Okuka, Miloš. Eine Sprache – viele Erben: Sprachpolitik als Nationalisierungsinstrument in Ex-Jugoslawien. Klagenfurt 1998. ISBN 3-85129-249-9.
  • Zum Vergleich vor allem für deutschsprachige Leser zu empfehlen sind die allgemein übertragbaren Theoriekapitel in: Ammon, Ulrich. Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz: Das Problem der nationalen Varietäten. Berlin u. a. 1995. ISBN 311014753X.