Mystik

auf individuelles, nicht objektivierbares Erfahren gestütztes Glaubensverständnis
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Die mittelalterliche Mystikerin Brigitta von Schweden

Mystik (vom lateinischen mysticus: unbeschreiblich, unaussprechlich, geheimnisvoll; bzw. dem griechischen Wort mystikos zu myein: (Augen und Lippen) schließen) bezeichnet die Suche nach und die Berichte und Aussagen über die Erfahrung einer höchsten Wirklichkeit.

Von Mystik abgeleitet ist mystisch, ein Adjektiv, das oft im abwertenden Sinne gebraucht wird, um unverständliches, rätselhaftes und unsinniges Reden zu bezeichnen. Es kann auch nur geheimnisvoll bedeuten.

Merkmale und Vertreter von "Mystik"

"Mystik" kann Forschungsgegegenstand von Religions-, Kultur-, Geschichts-, Literaturwissenschaft und Theologie sein. Ein allgemeiner Konsens über die Begriffsverwendung herrscht nicht. "Mystik" findet zudem in der Allgemeinheit ihrer Erfahrungsdimension breites Interesse. Entsprechend vielfältig ist die auch populäre Literatur zum Thema, in welcher der Begriff "Mystik" in ganz unterschiedlichem Sinne verwendet wird. Gleichwohl lassen sich Merkmale und auch Vertreter benennen, die zumindest von vielen zur "Mystik" gezählt werden.

Religionsgeschichtliche Perspektive

Religionsgeschichtlich versteht man unter Mystik eine Sonderform religiöser Praxis, die mit einem bestimmten Frömmigkeitstypus verbunden ist.

Eine mystische Gotteserfahrung kennen u.a. Strömungen des Judentums, des Christentums und des Islams. Sie wird mit unterschiedlichen Begriffen bezeichnet: Feuer (Mose), Liebe (Johannesbriefe), göttliches Du, tiefstes Selbst (Augustinus, Gott als innerstes Innen), "sanftes, leises Säuseln" (1 Kön 19,12).

In den östlichen Religionen Buddhismus, Jainismus und teilweise im Daoismus werden mystische Erfahrungen einer letztendlichen Wirklichkeit ohne Bezug auf eine göttliche Wesenheit formuliert.

Vertreter

In christlichen Kontexten werden als Mystiker gehandelt:

  • der Apostel Paulus
  • der spanischen Mystiker Johannes vom Kreuz
  • die spanische Mystikerin Theresa von Avila
  • der deutsche Theologe und Philosoph Meister Eckhart
  • Nikolaus von der Flüe (Bruder Klaus) (1417-1487) zählt zu den letzten spätmittelalterlichen Mystikern. Wegen des päpstlichen Schismas waren weite Teile der Schweizer Eidgenossenschaft exkommuniziert, was Laienbewegungen Aufschwung brachte. Nikolaus wurde vom Mystikerkreis des Klosters Engelberg und den Straßburger Gottesfreunden beeinflusst. Von ihm werden asketisches Fasten und ein Turmerlebnis in Jugendjahren berichtet, sowie ein Lichterlebnis, das ihn zur Heimkehr aus der Einsiedelei bewegte. Er wirkte als politischer Berater, verband also Mystik und Politik. Neben Sprüchen und Reimgebeten sind eine nicht von ihm verfasste, aber seine oder verwandte Worte wiedergebende volkstümliche Erbauungsschrift überliefert.

Auch moderne Autoren dem Christentum nahestehende Autoren schreiben erfahrungsbezogen über "Mystik". Dabei verschwimmen in populären Werken oft die Grenzen zur Esoterik (im alltagssprachlichen Sinn).

Nennenswert sind:

  • der Naturphilosoph Carl Friedrich von Weizsäcker
  • der Logiker und Philosoph Ludwig Wittgenstein, der durch den Schluss seinenes Tractatus logico-philosophicus berühmt wurde und in den privaten Einträgen seiner Tagebücher auch Thematiken reflektiert, die teils der "Mystik" zuzurechnen sind. Vielzitiert ist der Satz: "Es gibt allerdings auch Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische". Der Traktat schließt mit: "Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen"
  • der (einem säkularen Judentum nahestehende) Philosoph Erich Fromm
  • die Autorin Rut Björkman
  • der Autor Rupert Lay

Merkmale

Wie diese Autoren mystische Erfahrung beschreiben divergiert extrem. Stärker sich auf christliche Traditionen beziehende Autoren beziehen sich auf einschlägige biblische Motive. Stellen wie „Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen.“ (Mt 5,8) aus den Seligpreisungen Jesu lassen sich dann auf eine Reinheit von Affekten, sinnlichen Wahrnehmungen und Handlungsmotiven beziehen, welche als Vorbedingung für oder identisch mit der Gottesnähe in mystischer Erfahrung beansprucht wird.

Hinduistische Mystik

Nach hinduistischen Lehren ist eine Einheitserfahrung mit dem göttlichen Brahman möglich. Diese Erfahrung ist in Worten kaum wiederzugeben, da Begriffe sie nicht fassen. Typische Beschreibungen bedienen sich Metaphern wie: das Bewusstsein weitet sich ins Unendliche, es ist ohne Grenzen, man erfährt sich aufgehoben in einer Wirklichkeit unaussprechlichen Lichts und unaussprechlicher Einheit (Brahman). Dieser Einheitserfahrung entspricht die Lehre der Einheit von Atman ("Seele") und göttlichem Brahman.

Dieses Einssein wird von verschiedenen Vertretern unterschiedlich aufgefasst:

  • pantheistisch: Wie ein Salzklumpen sich im Wasser auflöst, gehe der Atman im göttlichen Brahman auf.
  • panentheistisch: Die Seelen behalten einen Eigenstand, wenngleich mit dem Brahman unauflöslich verbunden.

Nach hinduistischer Lehre ist die alltägliche Wahrnehmung auf Vieles gerichtet, die mystische Erfahrung aber eine Einheitserfahrung. Das göttliche Eine ist in Allem gegenwärtig, jedoch nicht einfachhin erfahrbar. Es zu erfahren setzt voraus, die Wahrnehmungs-Art zu ändern. Dazu dienen Konzentrationstechniken des Yoga und die Askese (Enthaltung, Verzicht). Askese führt zur Freiheit gegenüber weltlichen Bedürfnissen. Dies kann Essen und Trinken, Sexualität oder Machtstreben einschränken.

Buddhistische Mystik

In der buddhistischen Mystik, die insbesondere in den Strömungen des Mahayana und Vajrayana verbreitet ist, geht es wie in allen buddhistischen Schulen nicht um direkte Erfahrung eines göttlichen Wesens. Die Natur des Geistes des Praktizierenden nämlich wird als jenseits von Dualität verstanden. Dies ist unbewusst, weil temporär verschleiert. Aus dieser Nichterkenntnis, auch grundlegende Unwissenheit genannt, entsteht die Vorstellung eines unabhängig von anderen Phänomenen existierenden Ichs. Damit geht das Auftreten der Geistesgifte Verwirrung/Dummheit, Hass, Gier, Neid und Stolz einher, die Ursachen allen Leidens. Ziel ist es, die Geistesgifte in ursprüngliche Weisheit umzuwandeln, die Ich-Vorstellung aufzulösen und die den unerleuchteten Wesen eigene Aufspaltung der Phänomene in Subjekt und Objekt zu überwinden. Die den fühlenden Wesen innewohnende, bis dahin verschleierte Buddhanatur wird als immer schon zugrundeliegend erkannt. Wer dies erreicht wird erleuchtet oder schlicht Buddha genannt. Praktiken wie Meditation, Gebet, Opferdarbringungen, verschiedene Yogas und spezielle tantrische Techniken sollen dies ermöglichen.

Islamische Mystik

Vertreter des Sufismus (islamische Mystiker) lehren, daß Gott in jeden Menschen einen göttlichen Funken gelegt hat, der im tiefsten Herzen verborgen ist. Dieser Funke wird durch die Liebe zu allem, was nicht Gott ist, verschleiert, etwa durch Wichtignehmen der (materiellen) Welt, sowie durch Achtlosigkeit und Vergeßlichkeit (siehe Nafs). Nach dem Propheten Muhammad sagt Gott den Menschen: „Es gibt siebzigtausend Schleier zwischen euch und Mir, aber keinen zwischen Mir und euch.“

Die meisten Sufis praktizieren eine tägliche Übung namens Dhikr, was Gedenken (also Gedenken an Gott, bzw. Dhikrullah) bedeutet. Dabei rezitieren sie bestimmte Stellen aus dem Koran und wiederholen eine bestimmte Anzahl der neunundneunzig Attribute Gottes. Darüber hinaus kennen die meisten sufischen Orden (Tariqas) ein wöchentliches Zusammentreffen in sogenannten Tekkes, bei dem neben der Pflege der Gemeinschaft und dem gemeinsamen Gebet ebenfalls ein Dhikr ausgeführt wird. Je nach Orden kann dieser Dhikr auch Musik, bestimmte Körperbewegungen und Atmungsübungen beinhalten.

Religionsunabhängige Tendenzen

  • Carl Gustav Jung versteht Mystik als religionsunabhängige innere Kontemplation jenseits der Spaltung in verschiedene Konfessionen und Bekenntnisse. Ein Vorbild für ihn ist der Schweizer Mystiker Niklaus von Flüe (Bruder Klaus).

Spezielle Aspekte

Mystik und Lebenswelt

Weltabgewandtheit durch die Vermeidung von körperlichen Freuden durch Fasten, Askese und Zölibat oder durch den Rückzug in die Einsamkeit als Eremit hat in vielen Religionen eine lange Tradition. Oft wird beansprucht, eine solche Haltung sei Vorbedingung mystischer Erfahrung. Andere Traditionen betonen die Zusammengehörigkeit von Kontemplation und aktivem Leben. Die christliche Theologie spricht in diesem Zusammenhang von "vita activa" und "vita passiva". Beide Seiten gehören etwa für Meister Eckhart stets zusammen. Teilweise wird auch ein wesentlicher Zusammenhang von Mystik und Politik beansprucht, wie er sich etwa bei Nikolaus von Flüe und Meister Eckhart findet. Auch Traditionen des Zen betonen, dass Spiritualität und Alltag nicht entkoppelt werden dürfen. So beschreiben etwa die Verse "Der Ochse und sein Hirte" den Entwicklungsweg eines Zen-Schülers im alten Japan und enden mit der Rückkehr auf den Marktplatz. Auch der Zen-Meister Willigis Jäger betont: "Ein spiritueller Weg, der nicht in den Alltag führt, ist ein Irrweg."

Erfahrung und Erfahrenes

In der mystischen Erfahrung lassen sich Erfahrung und Erfahrenes unterscheiden. Die christliche Mystik bezeichnet die Erfahrung als Mysterium oder Unio Mystica, im buddhistischen Kulturraum wird sie etwa als Satori oder Kensho benannt, im hinduistischen Raum als Nirvikalpa Samadhi. Sie bezieht sich immer auf das Erfahrene, die höchste Wirklichkeit, die im christlichen Kulturraum mit Gott, im buddhistischen Raum etwa mit Nirwana, im hinduistischen Raum mit Atman/Brahman bezeichnet wird. Diese höchste Wirklichkeit wird stets vor einem spezifischen Hintergrund (Religion, Kultur) erfahren. Aus phänomenologischer Sicht ist daher unentscheidbar, ob die in unterschiedlichen Strömungen beschriebene höchste Wirklichkeit identisch ist und gleich erlebt wird.

Abgrenzung zur Prophetie

Die von religiösen Strömungen im Judentum und Christentum beanspruchte mystische Erfahrung wird als Glaubenserfahrung verstanden, als intensive Form der Spiritualität. Dabei wird teilweise beansprucht, das Göttliche nicht mehr personal zu erfahren. Dieses Merkmal kann zur religionsphänomenologischen Abrenzung von Prophetien dienen, da hier Gott stets als personales Gegenüber erfahren wird.

Mystik und Unsagbarkeit

Viele Berichte von mystischer Erfahrung betonen, dass kein Begriff und keine Aussage das Erfahrene auch nur annähernd beschreibt. Das Erfahrene ist, abhängig von soziokulturellen Bedingungen, vielfältig beschreibbar. Vor theistischem Hintergrund liegt der Name Gott nahe. Atheisten sprechen etwa von der wahren Natur allen Seins oder der tiefen kosmischen Einheit aller Dinge. Gleichwohl heben viele Beschreibungen die Erfahrungsweise von weltlicher Objekterkenntnis ab. Beispielsweise, da hier kein Ich einem Höheren gegenüberstehe, sondern von diesem Höheren "umfasst" werde. Bei gleichzeitiger Nichtbenennbarkeit und dem Verlangen, von der Erfahrung dennoch nicht nur zu schweigen, bedient sich Mystik oft ungewöhnlicher Stilmittel.

  • Verschiedene biblische Texte sprechen von der Entzogenheit, Unsichtbarkeit, Nichtabbildbarkeit und Unnennbarkeit Gottes. (Beispielsweise 1 Tim 6,16: "Gott, der in unzugänglichem Licht wohnt, den kein Mensch gesehen hat.")
  • Buddha hat das mystisch Erfahrene nicht als göttlich bezeichnet. Die höchste Wirklichkeit sei kein göttliches Wesen, das mit Verstand und Willen ausgestattet sei und handele, sondern alles überstrahlender Friede und Glückseligkeit. Die höchste Wirklichkeit bewahre Menschen auch nicht vor Unglück oder befreie auch nicht aus Lebensgefahren, wenn man sie in Gebeten inständig darum bäte, sondern in der Welt geschehe viel unabänderliches Leid, und dennoch sei alles in dieser höchsten Wirklichkeit geborgen. Die höchste Wirklichkeit erschaffe auch nicht die vielen Weltdinge wie die Quelle einen Bach hervorbringe oder wie ein Künstler sein Kunstwerk erschaffe. Über die Entstehung der Weltdingen sei nichts wissbar. Die höchste Wirklichkeit sei einfach da als souveräne, unantastbare, absolut erfüllende Wirklichkeit, die prinzipiell von Menschen wahrgenommen werden könne. Aus der mystischen Erfahrung heraus werden alle Phänomene auch als Leerheit (Nichts) beschrieben, in dem Sinne, dass sie leer von einem ihnen innewohnenden Sein sind. Das mystisch Erfahrene wird auch als Wirklichkeit beschrieben, in der es kein Leid, keinen Tod und keine Entwicklung mehr gibt, die eine absolute Erfüllung und Seligkeit bedeutet – ganz anders jeoch, als man sich Glückseligkeit vorstellen könnte und zu sagen wüsste.
  • Von Thomas von Aquin, dem wirkungsgeschichtlich bedeutenden mittelalterlichen Theologen, wird legendarisch berichtet, er habe nach einer mystischen Erfahrung seine Bücher verbrennen wollen, da er dadurch erkannt habe, dass alle Gott zuschreibbaren Begriffe mehr falsch als richtig sind. Tatsächlich reflektiert die thomanische Analogielehre die Beschreibbarkeit und Unbeschreibbarkeit Gottes.
  • In philosophisch-theologischen Traditionen reflektiert die "negative Theologie" auf diesen Widerspruch. Wichtige Vertreter sind (wobei die Zuordnungen teils umstritten sind) Nikolaus von Kues, Meister Eckhart.

Mystik und Rationalität

Mystik wird häufig als irrational, wissenschaftsfeindlich und weltabgewandt bezeichnet.

Jeder Rationalität liegt ein relativer Begriff von Vernunft zugrunde. Rational ist also alles was Erkenntnis (allgemeiner auch Überleben, Erfolg, Glück usw.) bringt. Der Mystiker erfährt dagegen etwas, das er absolute Erkenntnis nennt. Die Rationalität der Mystik hebt relative Rationalität deshalb nicht auf, sondern erweitert sie. Im heutigen Sprachgebrauch wird die Rationalität der Mystik meist transrational genannt.

Der Erkenntnisgewinn in der modernen Wissenschaft grenzt sich durch eine Auswahl von Methoden wie Reproduzierbarkeit, Empirie und Falsifikation von einem Erkenntnisgewinn durch persönliche Erfahrung ab. In diesem Sinn ist mystische Erfahrung definitionsgemäß immer nicht-wissenschaftlich.

Erkenntnistheoretische Erörterung der mystischen Erfahrung

Mystische Erfahrung und andere Bewusstseinszustände

  • Halluzination

Halluzinationen sind Erlebnisse, die unsere Psyche im Wachzustand produziert. In dieser Form können sie mit mystischen Erlebnissen durchaus verwechselt werden. Anhand einer Reihe von Merkmalen wie Inhalte der Erfahrung, Dauer, Kommunikationsfähigkeit, Ausdruck, Vokabular und Emotionalität versucht man mystische von psychotischen Zuständen zu unterscheiden. So ist ein wesentlicher Unterschied die Neubewertung und Umorganisation aller wichtigen handlungsleitenden Motive, Affekte, Welt- und Selbstbildvorstellungen, die durch eine echte Erleuchtungserfahrung entsteht.

Die mystische Erfahrung ist weder eine Erfahrung im schlafenden Zustand, noch eine im trancehaften Zustand oder der Hypnose. Diese Zustände zeichnen sich besonders durch eine, auf bestimmte Bewusstseinsinhalte verkürzte, Aufmerksamkeit aus. Mystische Erfahrung ist dagegen eine Erfahrung, bei der man sehr wach und aufmerksam ist. So war die Antwort eines Zen-Meisters auf mehrmalige Nachfragen, was (für die Erleuchtung) wichtig sei: „Achtsamkeit, Achtsamkeit, Achtsamkeit“. Physiologische Untersuchen weisen aber daraufhin, dass der Zustand in der Meditation Ähnlichkeiten mit dem Schlafzustand aufweist ('The Psychology of Meditation’, Clarendon Press, Oxford, 1987).

Allerdings lässt sich der skeptische Einwand, die mystische Erfahrung sei nur eine Halluzination, wissenschaftlich so wenig entkräften, wie der Einwand, dass man nicht sicher sein könne, jetzt nicht zu träumen, weil man jeden Hinweis auf die Unterschiede von Traumbewusstsein und Wachbewusstsein – das Zeit- Raum- und Kausalerleben ist sehr unterschiedlich – mit dem Hinweis abtun kann, dass man auch einmal einen Traum haben kann, in dem die Traumwirklichkeiten sich wie die Realität verhalten. Aber so, wie man weiß, dass man nicht träumt, wenn man im Wachzustand ist, so weiß man, dass die mystische Erfahrung keine Halluzination ist, wenn man die erste Wirklichkeit erfahren hat – objektiv beweisen lässt sich das nicht, sondern nur erfahren.

Mystische Erfahrung und Wahrnehmung

Allgemein lässt sich sagen, dass alles, was sich von einer ersten Wirklichkeit wahrnehmen und vermitteln lässt, nur Bilder sein können. „So wie man eine Blume auf der Wiese oder eine Wolke am Himmel nur vermittels der optischen Gesetze des menschlichen Auges wahrnehmen kann, so kann auch die Erscheinung des Mystikers psychisch nur nach den Gesetzen der menschlichen Psyche erfolgen.“ (Eugen Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese, Band II, 1989 (5), 402).

Zusammenfassend gesagt, begegnet einem in der mystischen Erfahrung das Göttliche genau in den Bildern und Begriffen, die einem in seinem Kulturkreis bekannt sind: als Licht, als Eins, als Nirwana, liebendes Du... Das Heilige oder Göttliche begegnet einem in den Begriffen und Vorstellungsformen, die dem Bewusstsein durch seine individuell-soziale und individuell-kulturelle Prägung zugänglich geworden sind.

Um von diesen Erscheinungsbildern zur eigentlichen Erleuchtung weiterzugehen, hat der historische Buddha seine Schüler mit folgenden deutlichen Worten motiviert: ’’Wenn dir Buddha begegnet, töte ihn.’’ Auf den christlichen Kulturkreis übertragen, erscheint uns diese Aufforderung sogar noch drastischer.

Mystische Erfahrung als absolute Erfahrung

Prinzipiell unterscheiden sich die Methoden der Erkenntnisgewinnung in der Wissenschaft und der Alltagserfahrung von der Erkenntnisgewinnung in der Mystik. Ohne selbst eine echte und nachhaltige Erleuchtungserfahrung zu verwirklichen, kann man das Wesentliche nicht verstehen. So dienen die Vorträge von Zen-Meistern nicht der Vermittlung von intellektuellen Wissen, sondern der Vorbereitung und der Motivation oder es sind Hilfen auf dem Weg, um die Erfahrung in den Alltag zu integrieren.

Dabei haben Mystiker aller Zeiten und Kulturen immer wieder darauf hingewiesen, dass die erfahrene Wirklichkeit in einer echten mystischen Erfahrung viel intensiver empfunden wird als die Wirklichkeit, die durch Sinneswahrnehmungen und Denkvorgänge vermittelt wird. Der Zweifel des Verstandes, der durch die Aktivität des Denkens entsteht, tritt in den Hintergrund oder löst sich völlig auf. Es macht also nur bedingt einen Sinn den Begriff von Wirklichkeit aus der Philosophie mit der Erfahrung von Wirklichkeit in der Mystik zu vergleichen. Die völlige Abwesenheit von Zweifeln muss allerdings kein Dauerzustand sein. So ist zum Beispiel von Franz von Assisi bekannt, dass er viele Jahre unter einem nicht kontrollierbaren Wechsel dieser Erfahrungsebenen stark gelitten hat.

Wie will man die mystische Erfahrung erklären? Hierzu schreibt C.F.v. Weizsäcker: "»Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen.« (Mt 5,8) Im Herzen sollen wir rein sein. Das Herz – das sind die Affekte. Wir finden uns aber unreinen Herzens vor. Wie können wir im Herzen rein werden? Das Entscheidende wird das Verlangen nach Reinheit sein, eben das Hungern und Dürsten ...(das Bitten und Betteln um den Geist der Liebe, des Vertrauens, des Nicht-Verhärtens... – d. Verf.). Wenn die Affekte Organe unserer Wahrnehmung sind, so ist es vernünftig, für möglich zu halten, dass die gereinigten Affekte den Raum freimachen für eine Wahrnehmung des Höchsten." (Carl Friedrich von Weizsäcker, Der Garten des Menschlichen. Beiträge zur geschichtlichen Anthropologie, Hanser 1978 (5), 499 )

Siehe auch

Wiktionary: Mystik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikiquote: Mystik – Zitate


Literatur

Primärtexte

Siehe unter den Einträgen zu den entsprechenden Autoren.

Lesebücher

  • René Bütler: Mystik der Welt. Quellen und Zeugnisse aus vier Jahrtausenden. Ein Lesebuch der mystischen Wahrheiten aus Ost und West. Heyne, München 1995, ISBN 3-453-08757-7

Nachschlagewerke

  • Peter Dinzelbacher (Hrsg.): Wörterbuch der Mystik. 2. Aufl. Kröner, Stuttgart 1998, ISBN 3-520-45602-8

Einführende Literatur

Spezielle Literatur

Islam (Sufismus)

Christentum

  • Peter Dinzelbacher: Christliche Mystik im Abendland. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters. Schöningh, Paderborn u.a. 1994, ISBN 3-506-72016-3
  • Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik. 5 Bde. Beck, München 1990-1999.
  • Peter Reiter: Geh den Weg der Mystiker. Via Nova, Petersberg, 2. Auflage 2003 (1. Auflage 2001 im Hermann Bauer Verlag), ISBN 3-936486-37-9
  • Jim Marion: Der Weg zum Christusbewusstsein. Eine Landkarte für spirituelles Wachstum in die Tiefe der Seele. Via Nova, Petersberg, 1. Auflage 2003, ISBN 3-936486-27-1

Judentum (Kabbala)

Buddhismus

  • Daisetz T. Suzuki: Der westliche und der östliche Weg. Über christliche und buddhistische Mystik. Neuaufl. Ullstein, Frankfurt am Main u.a. 1995.

Populäre und sonstige Literatur

  • Timothy Freke, Peter Gandy: Die Welt der Mystik. Die mystischen Traditionen von Buddhismus, Christentum, Hinduismus, Islam, Judentum, Schamanismus. Goldmann, München 2001, ISBN 3-442-21540-4
  • Georg Schmid: Die Mystik der Weltreligionen. Eine Einführung. 4. Aufl. Kreuz, Stuttgart 2000, ISBN 3-7831-1016-5
  • Götz, Thomas Josef, Gerold, Thomas (Hrg.), Die Mystik im Buddhismus und im Christentum. Und Aspekte des interreligiösen Dialogs. ISBN 3-8306-7232-2, EOS-Verlag St. Ottilien.
  • Monika Renz:Grenzerfahrung Gott: Spirituelle Erfahrungen in Leid und Krankheit. 3. Aufl. Herder, Freiburg i.Br. 2006, ISBN 3-451-05341-1 (Resultat eines Forschungsprojekts am Kantonsspital St. Gallen, Schweiz. Spirituelle und mystische Erfahrung bei 135 schwerkranken oder sterbenden Patienten)
  • Michael Utsch: Religiöse Fragen in der Psychotherapie. Psychologische Zugänge zu Religiosität und Spiritualität. Stuttgart: Kohlhammer 2005, ISBN 3-17-017524-6

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