Verhältnismäßigkeitsprinzip (Deutschland)

Rechtsbegriff
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Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ein Merkmal des Rechtsstaats und als solches ein Bestandteil der Staatsformmerkmale der Bundesrepublik Deutschland, die das Grundgesetz definiert. Zweck des Grundsatzes ist es, vor übermäßigen Eingriffen des Staats in Grundrechte, insbesondere auch in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), zu schützen (daher auch Übermaßverbot genannt). Als verfassungsrechtliches Gebot ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die gesamte Staatsgewalt umittelbar verbindlich.

Im einzelnen verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von jeder staatlichen Maßnahme, die in Grundrechte eingreift, dass sie geeignet, erforderlich und angemessen ist, um den Zweck, den sie verfolgt, zu erreichen. Eine Maßnahme, die diesen Anforderungen nicht entspricht, ist grundsätzlich rechtswidrig und kann - je nach Rechtsgebiet - mit entsprechenden Rechtsmitteln angegriffen und beseitigt werden.

  1. Um die Frage nach der Verhältnismäßigkeit einer konkreten staatlichen Maßnahme beantworten zu können, ist die Feststellung und Benennung des Zwecks, auf den diese Maßnahme gerichtet ist, zwingend der erste Schritt. Der Zweck der Maßnahme nämlich setzt den Maßstab und Bezugspunkt für die Frage, ob die Maßnahme zur Erreichung gerade dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist. So liegt beispielsweise auf der Hand, dass der tödliche Schuss aus der Waffe eines Polizeibeamten zu dem Zweck, einen um sich schießenden Terroristen auszuschalten, durchaus verhältnismäßig sein kann, der tödliche Schuss mit Ziel, den ertappten 15-jährigen Ladendieb an einer möglichen Flucht zu hindern, dagegen nicht. Ist bereits der Zweck als solcher nicht legitim (Beispiel: Heranziehung junger Frauen zur Prostitution zugunsten der Staatskasse), ist die Maßnahme bereits deshalb nicht verhältnismäßig.

  2. Die Maßnahme ist geeignet, den Zweck zu erreichen, wenn sie seine Erreichung bewirkt oder zumindest fördert. Zur Verminderung des Schadstoffausstosses eines Industriebetriebes etwa ist die Schließung des Betriebes geeignet, aber auch der Einbau einer Rauchgasreinigungsanlage. Nicht geeignet dagegen - und daher unverhältnismäßig - wäre die Schließung des Unternehmensparkplatzes.

  3. Die Maßnahme ist erforderlich, wenn kein anderes Mittel zur Verfügung steht, das ebenso (oder sogar besser) geeignet ist, den Zweck zu erreichen, gleichzeitig aber denjenigen, den die Maßnahme betrifft, weniger belastet. Die Schließung des Betriebs - um bei dem vorhergehenden Beispiel zu bleiben - ist daher in der Regel nicht erforderlich, weil die Verminderung des Schadstoffausstosses auch durch eine Rauchgasreinigung erreicht werden kann, ohne dass der Unternehmer seinen Betrieb dauerhaft einstellen müsste.

  4. Angemessen (auch: verhältnismäßig im engeren Sinn) schließlich ist eine Maßnahme nur dann, wenn die Nachteile, die mit der Maßnahme verbunden sind, nicht völlig außer Verhältnis zu den Vorteilen stehen, die sie bewirkt. An dieser Stelle ist eine offene Abwägung sämtlicher Vor- und Nachteile der Maßnahme erforderlich. In dieser Abwägung sind alle Wertentscheidungen und Rechtspositionen zu berücksichtigen, die die Rechtsordnung bereithält und die von der Maßnahme berührt werden. Dabei sind vor allem verfassungsrechtliche Vorgaben, insbesondere Grundrechte, mit entsprechendem Gewicht zu berücksichtigen. Geht es beispielsweise um die Frage, ob zur Bekämpfung schwerer Bandenkriminalität die Videoüberwachung von Wohnräumen zugelassen werden soll, ist vor allem das Grundrecht des Überwachten auf Unverletzlichkeit seiner Wohnung gegen das Interesse der Allgemeinheit an der Erhaltung und Verteidigung der Rechtsordnung - mit offenem Ausgang - abzuwägen.


Anzuführen ist der § 34 StGB - Rechtfertigender Notstand:

"Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden."


Siehe auch: Portal Recht | Index Recht | Systematische Struktur Deutsches Recht