Priester
Mit Priester (gr. presbyteros, Gemeindeältester) werden Personen bezeichnet, die innerhalb einer Religionsgemeinschaft als Mittler zwischen dem Göttlichen und den Menschen stehen. In der Regel nehmen sie die sakralen und kultischen Handlungen vor, z.B. Taufen, Abhalten von Gottesdiensten oder den Vollzug von Opfern.
In allen Religionen gibt es Menschen, die durch besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Vollmachten die Verbindung zwischen dem transzendenten, göttlichen Bereich und der Alltagswelt der Menschen vermitteln und dadurch ordnen, heilend wirken oder Erkenntnisse gewinnen. Aus schamanischen Ursprüngen hat sich in den Hochkulturen in der Regel im Umfeld der Tempel ein Priesterstand mit genau geregelten Rechten und Pflichten entwickelt.
Etymologie und Phänomenologie
Das deutsche Wort Priester stammt von gr. presbyteros - „Gemeindeältester“. Davon abgeleitet sind auch die entsprechenden Wörter vieler europäischen Sprachen. Im Neugriechischen heißt der Priester unverändert „presbyteros“.
Religionsphänomenologisch und soziologisch steht der Priesterbegriff jedoch im Bedeutungsfeld von gr. „hiereus“ und lat. „sacerdos“.
Judentum
Der jüdische Glaube begann unter nomadischen Bedingungen. Der bildlose Befreier- und Bundesgott JHWH wurde in strengem Gegensatz zu den goldglänzenden, aber toten Gottheiten Ägyptens und Mesopotamiens aufgefasst.
Nach der Bibel begründete Moses das Priestertum des Einen Gottes, das ausschließlich aus Männern besteht, und weihte seinen älteren Bruder Aaron zum ersten Hohepriester; von diesem stammen der Überlieferung nach alle späteren jüdischen Priester ab (die Nachkommen von Moses selbst gehören nicht zu den Priestern). Nach der Einwanderung im Land Kanaan und dem Bau des Tempels in Jerusalem festigte sich in Israel das Priestertum (hebr. „kohen“), dem der Tempelgottesdienst, die Opferriten und die Unterscheidung zwischen rein und unrein oblag. Diese Aufgabe war einem Teil der Männer des Volksstammes Levi (der Leviten) zugeteilt. Ihnen wurden bei der Landnahme spezielle Städte zugewiesen. Die Versorgung war durch den Zehnt sichergestellt.
Die Sehnsucht danach, ein priesterloses „Volk von Priestern“ zu sein, blieb jedoch wach und fand Ausdruck bei den großen Propheten.
Seit der Zerstörung des letzten Tempelbaus 70 n. Chr. hat das altisraelitische Priestertum kaum noch eine Funktion. Die Unterscheidung zwischen Priestern, anderen Leviten, und sonstigen Gläubigen besteht jedoch fort. Die Priester sprechen in der Synagoge den Segen, sie werden vor den anderen Juden zur öffentlichen Verlesung der Tora aufgerufen, und es gelten für sie bis heute einige abweichende Bestimmungen im jüdischen Gesetz; beispielsweise dürfen sie im Normalfall keine Witwen, Konvertitinnen, oder geschiedene Frauen heiraten. Nachnamen wie „Kohn“ oder „Cohan“ deuten oft auf Angehörige des Priestertums hin. Die soziologische Priesterrolle lebt in den Rabbinern fort, welche jedoch meist keine Priester im Sinne der Abstammung sind.
Christentum
Frühes Christentum
Das Neue Testament scheint für die Gemeinde Jesu keine besondere zwischen Mensch und Gott vermittelnde Priesterklasse vor zu sehen: „Es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und Mensch: der Mensch Jesus Christus!“ (1. Timotheus 2,5) Deshalb gebrauchte das frühe Christentum den Titel des Hohenpriesters, der ja im Zusammenhang des alttestamentlichen Tempelkults Mittlerfunktion hatte, ausschließlich im Blick auf Jesus Christus (zum Beispiel Hebräer 4,14-5,6). Der Begriff des Priesters im kultischen Sinn (kohen, hiereus) wird im Neuen Testament für alle verwendet, die an Jesus Christus glaubten (zum Beispiel 1. Petrus 2,9; Offenbarung 1,6). Die im Neuen Testament genannten Ämter sind Dienstfunktionen der Gemeinde Jesu Christi.
Durch das Anwachsen der Gemeinden und ihre institutionelle Verfestigung, durch den Ausbau der Liturgie und der Lehre, nicht zuletzt durch die antignostische Auseinandersetzung gewannen die Ämter an Gewicht. Im zweiten Jahrhundert bildete sich die bis heute verbreitete dreigliedrige hierarchische Struktur heraus: Bischof, Ältester (presbyteros) und Diakon. Der deutsche Begriff des Priesters hat sich zwar etymologisch aus dem griechischen Begriff „presbyteros“ entwickelt, wird aber in der katholischen und in der orthodoxen Kirchengemeinschaft im „kultisch-mittelnden“ Sinne (kohen, hiereus) verstanden. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen katholischem und evangelischem Amtsverständnis.
Orthodoxe, katholische und anglikanische Theologie
Im Verständnis der orthodoxen, katholischen und anglikanischen Kirchen ist der Priester durch die Weihe (= Ordination) , die ein eigenes Sakrament darstellt, aus dem Volk der Gläubigen („Laien“) ausgesondert und ihm gegenübergestellt. In den orthodoxen und römisch-katholischen Kirchen sind die priesterlichen Ämter auf Männer beschränkt, die altkatholische Kirchen und die Kirche der anglikanischen Kommunion in den USA, Canada und Grossbritannien kennen die Frauenordination. In der Nachfolge der Apostel ist seine Aufgabe die Verkündigung des Evangeliums und die Spendung der Sakramente, insbesondere die Leitung der Eucharistiefeiere. Der Priester handelt dabei „in persona Christi“. Die katholische Tradition verbindet mit dieser Sicht seit dem 11. Jahrhundert den Zölibat, der in den Ostkirchen nur für Bischöfe gilt. Die Bischöfe der katholischen, orthodoxen und anglikanischen Kirchen sehen sich in der ungebrochenen Sukzession der Apostel, die durch Handauflegung und Gebet weitergegeben wird (Apg. 14,23; 2Tim. 1,6).
Die Mehrzahl der Priester steht einer Pfarrei als Pfarrer vor. Priester können jedoch auch mit anderen Aufgaben betraut sein, z.B. in einem Orden, an kirchlichen Zentren (Wallfahrtsorte, etc.), am Ordinariat, usw.
Seit dem 2. Vatikanischen Konzil wird das allgemeine Priestertum aller Getauften und Gefirmten deutlicher herausgestellt. Dieses verwirklicht sich nach katholischer Auffassung jedoch nicht in nivellierender Gleichheit, sondern im organischen Zusammenwirken der kirchlichen Glieder und Berufungen (s. Hierarchie).
In Gottesdiensten trägt der Priester meist besondere Kleidungsstücke, wie z.B. Messgewand, Albe, Stola, Zingulum, teilweise auch noch Birett. Aber auch andere, die am Altar Dienst tun (Messdiener, Lektoren, Vorsänger, Kommunionhelfer), tragen liturgische Kleidung, und zwar in Erinnerung an das Taufkleid mit der Grundfarbe weiß, die das allen gemeinsame Taufpriestertum abbildet (s. Liturgisches Gewand). Die Soutane war früher die übliche Alltagskleidung der katholischen Priester; heute können Priester weitgehend zivile Kleidung tragen, sollen dabei aber als Priester erkennbar sein.
Evangelische Theologie
Die evangelische Theologie lehnt unter Berufung auf die Ekklesiologie ihrer Interpretation des Neuen Testaments ein besonderes Priestertum in der Kirche grundsätzlich ab. Ein evangelischer Pastor ist kein Priester. Alle Getauften haben gleichen Anteil am Priestertum Christi. Das Wort Priester wird, anders als beispielsweise in Skandinavien, in den deutschen evangelischen Kirchen und Freikirchen nicht verwendet.
Die öffentliche Evangeliumsverkündigung und die Spendung der Sakramente soll jedoch nur von ordentlich dazu Berufenen („rite vocati“) ausgeübt werden. Die Ordination der Pfarrer bzw. Pastoren gilt als Beauftragung und Segenshandlung, nicht als Sakrament.
In reformierten und presbyterianischen Kirchen steht das Wort „Presbyter”, das wie „Priester” von presbyteros stammt, für das Mitglied des Gemeindevorstands, des Presbyteriums, und ist deshalb nicht mit einem Pfarrer, Pastor oder Priester zu verwechseln.
Ökumenische Perspektiven
Der Gegensatz in der Sicht der kirchlichen Ämter und in der Frage ihrer Legitimität ist heute das größte Hindernis der kirchlichen Einheit. Im Verständnis des priesterlichen Dienstes gibt es jedoch auch Konvergenzen, die die alten Einseitigkeiten überwinden.