Circadiane Rhythmik
Zirkadian bedeutet tagesrhythmisch. Ein zirkadianer Rhythmus bezeichnet z. B. die Schwankungen von Körperfunktionen, die durch exogene (Tag-Nacht-Wechsel) oder endogene (Hormone) Einflüsse gesteuert werden. Beispiele sind Schwankungen der Herzfrequenz, des Schlaf-Wach-Rhythmus, des Blutdrucks und der Körpertemperatur. Der zirkadiane Rhythmus wird auch bei Isolierung von der Außenwelt durch die endogenen Einflüsse weitgehend aufrechterhalten.
von lateinisch: circa - ringsum, umher; dies - Tag
Eine circadiane Rhythmik oder einen circadianen Rhythmus (lateinisch circa, „um“, „um herum“, „ungefähr“, lateinisch dies, „der Tag“, griechisch ρυθμική, rithmikí bzw. ρυθμός, rithmós, „der Rhythmus“) nennt man in der Chronobiologie die endogenen Rhythmen, die eine Periodenlänge von circa 24 Stunden haben. Der Begriff wird heute häufig auch eingedeutscht zirkadianer Rhythmus geschrieben.
Die circadiane Rhythmik hilft einem Organismus, sich auf täglich wiederkehrende Phänomene einzustellen.
Neben dem endogenen Charakter dieser Rhythmen ist der Freilauf unter konstanten Bedingungen, die relative Unempfindlichkeit gegenüber der Umgebungstemperatur, die Entrainierbarkeit in einem bestimmten und begrenzten Zeitgeberbereich und eine genetische Disposition bezeichnend für die zirkadianen Rhythmen.
Das Weiterbestehen eines frei laufenden zirkadianen Rhythmus unter konstanten Bedingungen beweist, dass es einen Oszillator, eine Rhythmus generierende Einheit in einem Tier oder einer Pflanze geben muss. Solange nicht bekannt ist, wie dieser Oszillator arbeitet, kann man nur an dem wahrgenommenen Rhythmus Messungen ausführen. Eigenschaften des Oszillators müssen dann deduktiv aus Verhalten von diesem wahrgenommenen Rhythmus abgeleitet werden: die klassische "Black Box"- Annäherung der Verhaltensforschung, wie sie speziell den Behaviorismus auszeichnet.
Für etliche Tiergruppen konnten inzwischen zumindest Teile der Black Box im Zentralnervensystem (ZNS) lokalisiert werden.
Da Rhythmen häufig mit Licht assoziiert sind, ist es nicht verwunderlich, dass sich diese Schrittmacherzentren in der Regel im Bereich des visuellen Systems finden.
- Insekten: in den optischen Loben
- Weichtiere: an der Basis der Retina
- Wirbeltiere: im über der Kreuzung der Sehnerven gelegenen Suprachiasmatischen Nucleus (SCN) und / oder in der Epiphyse (dorsale Hirnanhangsdrüse oder Pinealorgan). Die Epiphyse produziert das für Schlaf-Wach-Rhythmen wichtige Hormon Melatonin.
Bei Fischen, Amphibien, Reptilien und vielen Vögeln ist die Epiphyse noch lichtempfindlich. Bei einigen Amphibien wird ein sogenanntes Schädelfenster beobachtet, eine Schädelöffnung, die nur von Hirnhaut und Haut bedeckt ist und so Licht ins Hirn durchlässt („Drittes Auge“). Außerdem steuert sie bei Reptilien und einigen Vögeln außer der circadianen Melatoninproduktion auch noch andere zirkadiane Rhythmen wie z. B. die Körpertemperatur und Nahrungsaufnahme. Man kann davon ausgehen, dass sie entwicklungsgeschichtlich älter ist als der Suprachiasmatische Nucleus (SCN).
Säugetiere
Der Suprachiasmatische Nucleus (SCN) ist beim Säugetier mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Hauptschrittmacher seiner zirkadianen Rhythmik. Bei Säugetieren unterliegt das Pinealorgan der Steuerung durch den SCN. Inzwischen gibt es viele Hinweise darauf, dass noch andere Schrittmacher existieren, beispielsweise in der Netzhaut. Wie diese Uhren allerdings genau funktionieren, ist noch unbekannt.
Mensch
Der Mensch lebt seinem zirkadianen Rhythmus immer mehr entgegen. So nimmt der Anteil an Schichtarbeitern immer mehr zu. Zweitens setzen wir uns immer weniger Sonnenlicht aus. Wir verbringen – besonders im Winter - immer mehr Zeit in Innenräumen, wo die Lichteinstrahlung selten höher als 500 Lux liegt. Ein bedeckter Himmel im Freien hat aber immer noch 8.000 Lux und ein Sonnentag sogar 100.000 Lux. Zunehmmend sind wir auch nachts von Menschen gemachten Lichtreizen ausgesetzt. Es gab vor ein paar Jahren sogar die Planung, riesige Reflektoren in eine Erdumlaufbahn zu bringen und sie vom Boden aus anzustrahlen, um die gesamte öffentliche Stadt- und Straßenbeleuchtung zu ergänzen oder ersetzen. Somit leben wir in Bezug auf unser zirkadianes System "im Dunkeln". Unsere "Uhr", die eigentlich täglich einer neuen "Eichung" bedarf, hat mit immensen Problemen zu kämpfen. Die Auswirkungen können sein: Schlaf- und Essstörungen, Energielosigkeit bis hin zu schweren Depressionen. In sehr äquatorfernen Regionen (z. B. Norwegen), aber auch bei uns in Deutschland, wo im Winter die Lichtausbeute pro Tag sogar gegen Null gehen kann, ist inzwischen die Lichttherapie gegen die sogenannte Winterdepression als wirksam anerkannt (Lichtduschen als helle Lampen, die vorne an speziellen Kopfbedeckungen angebracht sind). Auch sind häufige Reisen über mehrere Zeitzonen (d. h. in Ost-West- oder West-Ost-Richtung) eine große Belastung für unser zirkadianes System. Einige Fluggesellschaften bieten ihren Fluggästen auch gezielt Lichtreize an, um den Jetlag besser zu überstehen.
In der Bevölkerung können zwei Hauptkategorien von "Chronotypen" unterschieden werden. Die einen gehen gerne spät zu Bett und schlafen gerne länger – die "Eulen", während die "Lerchen" früh zu Bett gehen und früh aufstehen. Kommen diese Unterschiede durch genetische Prädisposition zu Stande, wäre ein "Umerziehen" so gut wie ausgeschlossen. Das bedeutete aber, dass ein großer Teil der Bevölkerung ständig wider ihre Anlagen lebte. Bei Jugendlichen, die während der Pubertät tendenziell alle „Eulen“ sind, konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass eine Stunde späteres Beginnen der Tagesaktivitäten – besonders im Winter - zu allgemeiner Leistungsverbesserung und besserem Gesundheitszustand führte.
Ein weiterer interessanter chronobiologischer Ansatz ist die veränderte Altersstruktur unserer Gesellschaft. Bei Babys überwiegt noch das ultradiane System – kurze Aktivitätsphasen wechseln mit kurzen Schlafphasen von z. T. nicht mal einer halben Stunde ab – bis die Rhythmik des Kleinkindes sich dem zirkadianen System meher und mehr annähert. Im Greisenalter allerdings verliert es offensichtlich wieder an Einfluss.
Weiterführende Literatur
- Aschoff J (eds.) (1965) Circadian Clocks. North Holland Press, Amsterdam
- Takahashi JS, Zatz M (1982) Regulation of circadian rhythmicity. Science 217:1104–1111