Rolf Peter Sieferle

deutscher Historiker
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Rolf Peter Sieferle (* 5. August 1949 in Stuttgart; † 17. September 2016 in Heidelberg) war ein deutscher Historiker.

Leben und Werk

Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Soziologie an den Universitäten Heidelberg und Konstanz wurde Sieferle 1977 an der Philosophischen Fakultät der Universität Konstanz mit einer Arbeit über die Marx'sche Theorie[1] zum Dr. phil. promoviert. Von 1980 bis 1984 war er am von Klaus Michael Meyer-Abich und Bertram Schefold geleiteten Forschungsprojekt „Die Sozialverträglichkeit verschiedener Energiesysteme in der industriegesellschaftlichen Entwicklung“ beteiligt.[2] In diesem Kontext entstand auch sein Werk Fortschrittsfeinde?. Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart.[3] 1984 habilitierte er sich an der Universität Konstanz für das Fach Neuere Geschichte. Von 1988 bis 1993 war er Heisenberg-Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 1989 erhielt er eine Privatdozentur an der Universität Mannheim, 1991 wurde er außerplanmäßiger Professor ebendort. Gastprofessuren hatte er in Zürich (ETH) und in Wien inne. 1995 übernahm er die Leitung des historischen Förderungsschwerpunkts der Stuttgarter Breuninger Stiftung. Von 2000 bis 2004 war er ständiger Gastprofessor an der Universität St. Gallen, wo er 2005 ordentlicher Professor für Allgemeine Geschichte wurde. 2012 erfolgte die Emeritierung. Sieferles Arbeitsschwerpunkte waren Umweltgeschichte, Universalgeschichte, Sozial-, Kultur- und Ideengeschichte der Industrialisierung.[4]

Sein 1982 erschienenes Werk Der unterirdische Wald. Energiekrise und industrielle Revolution, eine Publikation der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, gilt bisweilen als Standardwerk in Bezug auf die Durchsetzung des Energieträgers Steinkohle.[5]

Im Jahre 1995 brachte Sieferle „fünf biographische Skizzen“ zu Paul Lensch, Werner Sombart, Oswald Spengler, Ernst Jünger und Hans Freyer heraus, die er der sogenannten „Konservativen Revolution“ zurechnete. Seine Arbeit wurde seinerzeit in Fachrezensionen (German History, Politische Vierteljahresschrift) mit Nachdruck kritisiert.[6] Claudius R. Köster beispielsweise tadelte die „skizzenhaft[en]“ Darstellungen in methodisch-theoretischer und inhaltlicher Hinsicht. Er erkannte eine „politisch-agitatorische Absicht“ des seiner Meinung nach distanzlosen Autors.[7] Für Armin Pfahl-Traughber handle es sich um tendenziell „essayistische“, wenn auch aufschlussreiche Beiträge. Letztlich problematisch seien die Auswahl der Skizzen und die „unkritische Darstellung“, speziell unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten.[8] Nach Dirk Kretschmer und Siegfried Jäger vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung versuchte der „Nolte-Schüler“ in seinem Werk gar „den Nazi-Schatten, der auf den geschätzten präfaschistischen Autoren lastet, zu verwischen.“[9]

Sieferle lebte zuletzt in Heidelberg, wo er 2016 Suizid verübte[10].

Auseinandersetzung um Finis Germania auf Bestenliste

Nach Sieferles Tod veröffentlichte der neurechte Verlag Antaios den Titel Finis Germania, für den Sieferle dreißig Miszellen aus den Jahren seit ca. 1990 zusammengestellt hatte. Das Buch wurde auf Platz neun der Juni-Liste der „Sachbücher des Monats“ des NDR und der Süddeutschen Zeitung aufgeführt. Auf diese Liste gelangte es, weil einer der Juroren – wie sich bald erwies: der Spiegel-Redakteur Johannes Saltzwedel – seine anonym vergebenen zwanzig Stimmpunkte, die normalerweise auf drei oder vier Titel verteilt werden, auf dieses eine Buch kumuliert hatte.[11][12] Dies löste einen Skandal aus, da das Buch stark rechte Positionen vertritt.[11][13]

Der Politologe Herfried Münkler bezeichnete Finis Germania als ein „zutiefst von antisemitischen Vorstellungen getränktes“ Buch, der Historiker Volker Weiß nennt das Buch ebenfalls eindeutig antisemitisch und ein „ebenso haarsträubendes wie zynisches Traktat gegen die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit“.[14]

Der Journalist Christopher Caldwell hingegen urteilte in der New York Times konträr.[15]

Veröffentlichungen (Auswahl)

Einzelnachweise

  1. Vgl. Dieter Groh: Basisprozesse und Organisationsproblem. Skizze eines sozialgeschichtlichen Forschungsprojekts. In: Ulrich Engelhardt, Volker Sellin, Horst Stuke (Hrsg.): Soziale Bewegung und politische Verfassung. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt (= Industrielle Welt. Sonderband). Klett, Stuttgart 1976, ISBN 3-12-901850-6, S. 415–431, hier: S. 428.
  2. Annegret Witt-Barthel: Chancen sozialorientierter Technikgestaltung. Mit einer Fallstudie zur Informatisierung der sozialen Sicherung (= Studien zur Sozialwissenschaft. Bd. 119). Westdeutscher Verlag, Opladen 1992, ISBN 3-531-12406-4, S. 52.
  3. Annegret Witt-Barthel: Chancen sozialorientierter Technikgestaltung. Mit einer Fallstudie zur Informatisierung der sozialen Sicherung (= Studien zur Sozialwissenschaft. Bd. 119). Westdeutscher Verlag, Opladen 1992, ISBN 3-531-12406-4, S. 130.
  4. Thomas Thiel: Naturanwalt. Zum Tode des Historikers Rolf Peter Sieferle. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Oktober 2016, S. 12.
  5. Vgl. Dirk Neuber: Energie und Umweltgeschichte des Niedersächsischen Steinkohlebergbaus. Von der Frühen Neuzeit bis zum Ersten Weltkrieg (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen. 206). Hahn, Hannover 2002, ISBN 3-7752-6006-4, S. 15.
  6. Vgl. dazu u.a. Matthias Uecker: Book Review: Die Konservative Revolution. Fünf biographische Skizzen / The Conservative Revolution in the Weimar Republic. In: German History 16 (1998) 2, S. 275–277.
  7. Vgl. Claudius R. Köster: Die Konservative Revolution. Fünf biographische Skizzen von Rolf Peter Sieferle. In: Politische Vierteljahresschrift 38 (1997) 1, S. 175–177.
  8. Armin Pfahl-Traughber: Konservative Revolution und Neue Rechte. Rechtsextremistische Intellektuelle gegen den demokratischen Verfassungsstaat. Leske & Budrich, Opladen 1998, ISBN 3-8100-1888-0, S. 238.
  9. Dirk Kretschmer, Siegfried Jäger: Mehr Autorität im Inneren. Ein kurzer Blick auf neu-rechte Argumentationen im Diskurs der politischen Wissenschaften. In: Siegfried Jäger, Dirk Kretschmer, Gabriele Cleve, Birgit Griese, Margarete Jäger, Helmut Kellershohn, Coerw Krüger, Frank Wichert: Der Spuk ist nicht vorbei. Völkisch-nationalistische Ideologeme im öffentlichen Diskurs der Gegenwart. Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung, Duisburg 1998, ISBN 3-927388-63-7, S. 32–53, hier: S. 38.
  10. [Editorial]. In: Tumult, Heft Winter 2016/17, S. 1.
  11. a b Jan Grossarth: Wer gab die rechtsextreme Leseempfehlung?, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Juni 2017.
  12. Kritik an der Jury der "Sachbücher des Monats" – NDR Kultur geht auf Distanz, boersenblatt.net, 12. Juni 2017, abgerufen am 12. Juni 2017
  13. Lothar Müller: Empfehlung nach Punkten. In: sueddeutsche.de. 11. Juni 2017, abgerufen am 23. Juni 2017.
  14. Volker Weiß, Furor Teutonicus. Rolf Peter Sieferles Pamphlet strotzt vor völkischen und judenfeindlichen Aussagen – und stürmt die Bestsellerlisten In: Jüdische Allgemeine, 6. Juli 2017, abgerufen am 6. Juli 2017.
  15. Christopher Caldwell: Germany’s Newest Intellectual Antihero.. In: The New York Times, 8.Juli 2017.