Altgläubige in Russland
Die sich seit dem 17. Jahrhundert in Russland entwickelnden Altorthodoxen (Altritualisten, Altgläubige, abwertend: Raskolniki) wandten sich gegen die Anpassung der russischen Liturgie, die Revision der alten Kirchenbücher und die Veränderung von Ritualen zugunsten der derzeitigen griechisch-byzantinischen Tradition. Sie sind heute durch zwei Kirchenfamilien mit bischöflich-priesterlicher Struktur (die "Priesterlichen" oder Popowzen), sowie viele Gemeinschaften und Gemeinden der so genannten "Priesterlosen" (Bespopowzen) vertreten. Letztere glauben, dass ein gültiges Priestertum auf der Welt nicht mehr existiert, und feiern daher auch keine Eucharistie mehr.
Die Altorthodoxen betrachten sich selbst nicht als "Abspalter", sondern als Bewahrer ursprünglicher russisch-orthodoxer Tradition gegenüber häretischen Entwicklungen in der Großkirche. Aus wissenschaftlicher Sicht stellen sie einen eigenständigen Zweig der Entwicklung russischen Christentums dar, der noch Anfang des 20. Jahrhunderts nach vorsichtigen Schätzungen mehr als 10 Millionen Menschen umfasste und heute weltweit noch 2-3 Millionen Anhänger haben dürfte.
Das Wort Raskolniki (von raskol / раско́л "Kirchenspaltung") bezeichnet eine kirchliche Gemeinschaft, die sich im 17. Jahrhundert von der russisch-orthodoxen Kirche abspaltete. Ihre Mitglieder nannten sich Altritualisten oder Altgläubige.
Sie wandten sich gegen die Reformen der Liturgie, die vom Patriarchen Nikon von Moskau eingeführt worden waren, insbesondere die Veränderung der Rituale zugunsten der derzeitigen griechisch-byzantinischen Tradition. Der bekannteste Vertreter und einer der Begründer des Altgläubigentums ist der Protopope Awwakum, dessen Autobiographie ein bedeutendes Zeugnis der russischen Literatur des 17. Jh. darstellt.
Dabei spielten politische Interessen nach dem Ende des byzantinischen Reiches eine wichtige Rolle. Auch Peter I. versuchte, mit einer Säkularisierung der Kirche nach protestantischem Vorbild den Anschluss Russlands an den Westen zu beschleunigen.
Um der Verfolgung durch die Behörden zu entgehen, zogen sich die Altgläubigen oft in abgelegene Gegenden des Russischen Reiches zurück und bildeten dort eigene Gemeinwesen.
Die Altgläubigen betrachten sich selbst nicht als "Abspalter" sondern als Bewahrer ursprünglicher russisch-orthodoxer Tradition gegenüber häretischen Entwicklungen in der Großkirche. Aus wissenschaftlicher Sicht stellen sie einen eigenständigen Zweig der Entwicklung russischen Christentums dar, der noch Anfang des 20.Jahrhunderts nach vorsichtigen Schätzungen mehr als 10 Millionen Menschen umfasste und heute weltweit noch 2-3 Millionen Anhänger haben dürfte. Sie sind heute durch zwei Kirchenfamilien mit bischöflich-priesterlicher Struktur (die "Priesterlichen" oder Popowzen), sowie viele Gemeinschaften und Gemeinden der so genannten "Priesterlosen" (Bespopowzen) vertreten. Letztere glauben, dass ein gültiges Priestertum auf der Welt nicht mehr existiert, und feiern daher auch keine Eucharistie mehr. Die Gräber der Altgläubigen erkennt man am zusätzlichen schrägen Balken, am achtendigen Kreuz.
Raskolniken (veraltet), häufiger: Raskolniki ist eine abwertende Bezeichnung für Kirchen und Sondergemeinschaften und religiöse Bewegungen, die von der Russisch-Orthodoxen Kirche als Abspaltungen angesehen werden. In der Regel sind damit die heute als Altorthodoxe (Altritualisten) bezeichneten Kirchen und Sondergemeinschaften gemeint. Diese betrachten sich selbst nicht als "Abspaltung", sondern als Bewahrer ursprünglicher russisch-orthodoxer Tradition gegenüber häretischen Entwicklungen in der Großkirche. Aus wissenschaftlicher Sicht stellen sie einen eigenständigen Zweig in der Entwicklung des russischen Christentums dar, der noch Anfang des 20. Jahrhunderts nach vorsichtigen Schätzungen mehr als 10 Millionen Menschen umfasste und heute weltweit noch 2-3 Millionen Anhänger haben dürfte. Im unten folgenden "historischen" und veralteten Artikel sind darüber hinaus die Jedinowertzen (Eingläubigen) genannt. Sie pflegen die alte russische Liturgie, gehören aber zur russischen Großkirche. Ebenfalls Erwähnung finden die russischen geistigen Christen (Duchoborzen, Chlysten, Molokanen), die in der Religionswissenschaft häufig als dritter Zweig des russischen Christentums gefasst werden. Die Bezeichnung Sekte ist für die meisten der unten aufgeführten Kirchen und Gemeinschaften aus historischen und quantitativen Gründen unangemessen.
Sekten
Den ersten Grund zur Trennung von der herrschenden Kirche gab 1654 eine Revision der Gesang- und Gebetbücher der russischen Kirche durch den Patriarchen Nikon zu Moskau, der die Bücher stärker an die griechischen anglich. Viele nahmen an dieser Reform Anstoß und sagten sich 1666 als Altgläubige (Starowery) von der herrschenden russischen Kirche los; in Peter dem Großen sahen sie den Antichrist.
Zu den Sekten gehörten: die seit etwa 1800 aufgetretenen Morelschlki ("die sich selbst Aufopfernden"), welche den Suizid, indem sie einzeln oder in größerer Zahl den Feuertod ("Feuertaufe") durch Anzünden eines Hauses erwählten, als eine Gott wohlgefällige Handlung priesen; die erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts bekannten, ruhelos umherziehenden Stranniki ("Pilger"), welche alle politische, sittliche und religiöse Ordnung als ein Werk des Satans abtaten; sowie die Skopzen, die die Kastration für ein religiöses Gebot hielten; die Chlistowtschini ("die sich Geißelnden"), die bei ihren Gottesdiensten hintereinander her sprangen und sich gegenseitig so lange geißelten, bis sie umsanken oder in Krämpfe verfielen; ähnlich die Begonny oder Tänzer.
Weitere Sekten sind die Starobradzen, welche nur die von der griechischen Kirche geweihten Priester nicht anerkennen, und die Jedinowertzen ("Glaubensgenossen"), welche sich mit der Staatskirche so gut wie ausgesöhnt haben und sich von derselben nur durch Äußerlichkeiten, wie abweichende Aussprache des Namens Jesus (dreisilbig), eine andre Form des Kreuzschlagens, durch Verbot des Tabakrauchens, Kaffee- und Teetrinkens etc. unterscheiden, die in Russisch-Armenien angesiedelten Duchoborzen und Molokanen (Malakanen, "Milchesser"), die zwar auch das Priesteramt, die Sakramente etc. sowie die Heiligenanrufungen verwerfen, nur die Bibel anerkennen und als Chiliasten bei Napoleons Anrücken den Anbruch des Tausendjährigen Reichs erwarteten. Ganze Gemeinden von Molokanen leben in durchgeführter Gütergemeinschaft.
Ebenso arbeitsam und auf ein tätiges Christentum gerichtet waren die für Gütergemeinschaft und allgemeines Priestertum begeisterten, im 18. und 19. Jahrhundert nach Russland eingewanderten Stundisten und die von der Idee der Bruderschaft aller Menschen ausgehenden, Handel und Geldverkehr, aber auch alle Fleischspeisen und geistigen Getränke verwerfenden geistlichen Brüder (Schaloputen).
Noch andere Sekten waren: die Pomoranen ("Seeküstenbewohner"), die Schtschelniken, welche beim Gebet nach einer Spalte, durch die das Licht einfällt, blicken, die Maslowzen etc.
Geschichte
Die Zahl sämtlicher Raskolniken ist äußerst schwer zu bestimmen, weil die meisten ihren Glauben verheimlichen. Offiziell wurden 1870 im europäischen Russland 997.600 und im asiatischen Russland 173.400 angegeben, dagegen wird von Kundigen die wirkliche Zahl derselben auf 12 Millionen, also mehr als den zehnten Teil der Bevölkerung des Russischen Reiches, veranschlagt.
Die russische Regierung ging gegen Fanatiker, wie die Skopzen, vielfach selbst noch gegen die harmlosen Stundisten energisch, zeitweise sogar grausam vor. Wohl sichern die russischen Staatsgrundgesetze auch den Raskolniken Glaubensfreiheit, aber im Widerspruch damit verbieten ihnen andre Bestimmungen, Kirchen und Kapellen zu erbauen oder zu erneuern. Auch ist ihnen jede äußerliche Kundgebung ihres Glaubens untersagt.
Dazu wurden dem "Abtrünnigen" die Verwaltung seines Vermögens, das Recht, über die Erziehung seiner Kinder zu verfügen, u. dgl. entzogen. Sind auch diese Bestimmungen im praktischen Leben jetzt größtenteils nur toter Buchstabe, so haben doch nicht selten ganze Dörfer, die nach der Methode der Dragonaden der orthodoxen Kirche zurückgebracht werden sollten, ihre ganze grausame Strenge an sich erprobt, und dem Raskolniken, der nicht auf jegliche äußerliche Betätigung seines Glaubens verzichten wollte, blieb nichts übrig, als fortwährend das Gesetz zu übertreten und abzuwarten, ob er, je nach Laune der Beamten, nach Zeitverhältnissen und Instruktionen, verurteilt ward oder unbeachtet blieb.
Unter Alexander II. hat die Gesetzgebung einen wichtigen Schritt nach vorwärts getan: das am 1. Mai 1874 allerhöchst bestätigte Reichsgutachten, betreffend "die Regeln über die Zivilstandsregister für Ehen, Geburten und Todesfälle der R.", erkennt eine von Sektierern geschlossene Ehe als gesetzlich an, wenn sie bei den hierzu verordneten Zivilstandsregistern angemeldet wurde. Seitdem hat man auch eine Regelung ihrer anderweitigen Rechte und Pflichten, ihres Gottesdienstes etc. (wobei man jedoch einen strengen Unterschied zwischen den schädlichen und unschädlichen Sekten macht) ins Auge gefasst.
Gleichwohl sind die Maßregeln der Regierung den Raskolniki gegenüber fortdauernd schwankend und unbestimmt geblieben, weil ihr die unbeugsame sittliche Macht, gegen welche sie den Kampf aufgenommen hatte, unbekannt blieb. Der Protest der Raskolniken gilt dem ganzen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zerfall. Seit 1880 trat ein Bauer mit Namen Basil Soutaiew als Sektenstifter auf, eine großartige Organisation der christlichen Liebestätigkeit in sozialistischem Sinn anstrebend.
An ihn schloss sich der Schriftsteller Graf Tolstoi an, während die rein religiöse Bewegung eines anderen Mitglieds der hohen Gesellschaft, Pachkow, weil sie des sozialistischen Prinzips entbehrte, keinen Erfolg hatte.
Eparchien der Altgläubigen
Die priesterlichen Altgläubigen umfassen zwei getrennte Hierarchien: die Altgläubigen der Hierarchie von Belaja Kriniza und die Hierarchie von Nowosybkow. Folgende Eparchien gibt es in diesen beiden Kirchen:
Hierarchie von Belaja Kriniza: Moskau, Arshew, Jaroslawl, Nowosibirsk, Irkutsk, Nikolajewsk (Alaska), Kiew (Ukraine), Kischinjow (Moldawien), Brăila (Rumänien), Sydney (Australien)
Zu der Hierarchie von Belaja Kriniza gehören mehrere Millionen Gläubige.
Hierarchie von Nowosybkow: Nowosybkow, Moskau, Perm, Samara, Orenburg, Tblissi (Georgien)
Zu der Hierarchie von Nowosybkow gehören etwa eine halbe Million Gläubige.
Literatur
- Makarij: Geschichte des russischen Raskols (russ., Petersb. 1855);
- Schtschagow: Der russische Raskolnik (Kasan 1859);
- "Le Raskol, essai historique" (Par. 1859);
- Libanow: Sektierer und Strafgefangene (russ., Petersb. 1872-1873, 4 Bde.);
- Juzow: Die russischen Dissidenten (russ., das. 1881);
- Gerbel: Russische Sektierer (Heilbronn 1883, mit Literaturangaben);
- Tsakni: La Russie sectaire (Paris 1888).
- Peter Hauptmann: Die Altgläubigen Rußlands (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2005)
- Peter Hauptmann: Altrussischer Glaube. Der Kampf des Protopopen Avvakum gegen die Kirchenreformen des 17. Jahrhunderts (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1963)
Von Interesse zur Kenntnis der Raskolniken sind die kulturgeschichtlichen Romane von Melnikow, sowie Erzählungen von Nikolai Leskow.
siehe: Altgläubige