Schlafes Bruder

Roman von Robert Schneider (1992)
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Schlafes Bruder ist ein Roman des österreichischen Schriftstellers Robert Schneider aus dem Jahre 1992 (ISBN 3379015180). Das Buch wurde ein internationaler Erfolg und bisher in 32 Sprachen übersetzt. 1995 wurde es unter der Regie von Joseph Vilsmaier mit André Eisermann (Elias), Ben Becker (Peter) und Dana Vávrová (Elsbeth) in den Hauptrollen erfolgreich verfilmt. Der Film erhielt mehrere Auszeichnungen und wurde sogar für den Golden Globe nominiert. 1994/95 schrieb der Komponist Herbert Willi, mit Robert Schneider als Librettist, im Auftrag des Opernhauses Zürich eine Oper "Schlafes Bruder", aus Anlass des Jubiläumsjahres "1000 Jahre Österreich". Die Produktion wurde zu den Wiener Festwochen 1996 eingeladen. 2005 wurde das Buch von der Band Helangår vertont.

Inhalt

Johannes Elias Alder ist ein besonderer Mensch, der im Juli 1803 in Eschberg, einem kleinen, entlegenen, fiktiven Bergdorf in Vorarlberg, geboren wurde. Das Dorf wird ausschließlich von den Angehörigen zweier Familien bewohnt, den Lampartern und den Alders, die in inzestuösen Verbindungen leben. Wie einige andere Bewohner des Dorfes wird auch der Bruder von Elias, den er sehr liebt, mit einem Down-Syndrom geboren, was in der damaligen Zeit als Erbsünde betrachtet wurde.

Im Alter von vier Jahren findet Elias den "Wassergeschliffenen Stein". Er macht einige merkwürdige Veränderungen durch: So färben sich seine Pupillen gelb, er wird viel schneller erwachsen, und vor allem kann er durch sein absolutes Gehör alle Geräusche des Universums hören. Dadurch hört er den Herzschlag eines weiblichen Wesens, der mit dem seinen identisch ist – es ist der Herzschlag seiner Kusine Elsbeth. Fortan besteht eine spirituelle Verbindung zwischen den beiden, die für Elias weit tiefer geht als oberflächliches Verliebtsein.

Mit zwölf Jahren bringt er sich selbst das Orgelspielen bei. Es entsteht der Eindruck, dass Gott ihm diese Gabe schenkte. Er spielt in so wunderlicher Weise, dass er es schafft, die Menschen durch Musik zu ändern. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist er ein aus der Dorfgemeinschaft ausgestoßenes Genie.

Peter – Elsbeths Bruder – bleibt Elias' einziger Freund. Dieser seinerseits ist in Elias verliebt und auf eine gewalttätige Art eifersüchtig auf die Liebe zwischen Elsbeth und Elias.

Je älter die Kinder werden, desto tiefer wird ihre Liebe. Die Dreiecksgeschichte hat jedoch keine Zukunft, da jeder eine andere Vorstellung dieser Liebe hat. Elias sieht die Liebe zu Elsbeth als etwas Tiefes, Göttliches, das er nicht durch Körperlichkeit "beschmutzen" will, er drückt die Liebe in seinem außergewöhnlichen Orgelspiel aus. Elsbeth wiederum fühlt sich durchaus körperlich zu Elias hingezogen, lässt sich aber, als sie von ihm nicht das bekommt, was sie sich wünscht, auf einen anderen Dorfburschen ein, den sie später auch heiratet. Peter – der das Genie Elias' erkennt – verehrt den Freund zutiefst, will ihn ganz für sich alleine haben und geht dabei sprichwörtlich über Leichen.

Elias hadert mit Gott wegen seiner unglücklichen Liebe und bittet diesen, ihn davon zu befreien. Daraufhin erbarmt sich Gott und heilt ihn von der Liebe zu Elsbeth – offensichtlich aber ohne, dass dies Elias bewusst wird. Nach außen wird diese Heilung deutlich durch die Veränderung seiner Augenfarbe.

Durch einen Zufall wird er vom Domorganist zu Feldberg entdeckt und von ihm zum Orgelwettbewerb der Domschule eingeladen. Elias geht widerwillig mit Peter zum Wettbewerb, wo er über den Choral von Johann Sebastian Bach "Komm, o Tod, du Schlafes Bruder" aus der Kantate "Ich will den Kreuzstab gerne tragen" extemporiert. Er gewinnt und erhält einen Preis, flieht aber trotz des Angebots einer fundierten Ausbildung.

Um seine Liebe zu Elsbeth zu bezeugen, bringt er 22-jährig das größtmögliche Opfer: sein Leben. In Gedenken an den Bach-Choral und die Worte eines Wanderpredigers ("wer schläft, liebt nicht") beschließt er, nicht mehr zu schlafen. Die Nähe zu Gott, so der Wanderprediger, zeigt sich in der Natur: den Steinen, dem Wasser, dem Gras. Elias bittet Peter, ihn wach zu halten, stirbt dann aber nach einigen Tagen an Atemlähmung, hervorgerufen durch die als Muntermacher verwendeten Tollkirschen. Peter begräbt ihn heimlich, wandelt sich durch das Erlebnis des Todes seines Geliebten zum Guten und verliert seine sadistische Ader.

Später ist der wassergeschliffene Stein verschwunden, der von vielen Eschbergern als Fußstapfen Gottes gesehen wurde.

Sprache und Stil

Das Übersetzen des Textes gilt als äußerst schwierig, weil die Sprache eigentlich eine, mit dialektalen Elementen gefärbte, archaisierte Kunstsprache mit zahlreichen eigenen Wortschöpfungen ist. Der Text ist durchsät von Sätzen in indirekten Rede. Eine Eigenschaft der Dorfbewohner ist es, lateinische Texte in der Kirche falsch zu verstehen und zu „volksetymologisieren“ . Einige Dorfbewohner tragen sprechende Namen. Besonders detailliert wird die Szene beschrieben, wenn Elias alles zu hören beginnt. Das Hörerlebnis wird für den Leser durch die Verwendung von Synonymen und onomatopoetischen (lautmalenden) Wörtern spürbar. Ebenso werden sowohl akustische als auch haptische Begriffe verwendet, die in ein Verschmelzen beider Sinneswahrnehmungen führen. Der Aufbau der Geschichte ist symmetrisch -- was sich auch in den Kapitelüberschriften widerspiegelt -- , ein markantes Beispiel dafür sind die zwei Großbrände, die Eschberg fast vernichten, und die am Anfang und am Ende des Romans vorkommen.