Woyzeck ist ein Dramenfragment des deutschen Dramatikers und Dichters Georg Büchner. Büchner begann vermutlich zwischen Juni und September 1836 mit der Niederschrift. Bei seinem frühen Tod im Jahr 1837 blieb das Werk als Fragment zurück. Das Manuskript ist in mehreren Entwurfsstufen überliefert. Im Druck erschien Woyzeck erstmals 1879 in der stark überarbeiteten und vom Herausgeber veränderten Fassung von Karl Emil Franzos. "Woyzeck" wurde am 8. November 1913 im Residenztheater München uraufgeführt.
Büchners Werk gehört zu den meistgespielten und einflussreichsten Dramen der deutschen Literatur. Es wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, vielmals neu interpretiert und inspirierte zahlreiche Künstler, beispielsweise Alban Berg (Wozzeck, 1923), zu eigenen Werken.

Entstehungsgeschichte
Quellen, historische Vorbilder
Historisches Vorbild für den Büchner' schen „Woyzeck“ ist der Leipziger Perückenmacher Johann Christian Woyzeck. Dieser hatte am 21. Juni 1821 die 46-jährige Witwe Christiane Woost in einem Hausflur in der Leipziger Sandgasse aus Eifersucht erstochen. Im Prozess erstellte der Medizinprofessor Johann Christian August Clarus zwei Gutachten über die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten. Woyzeck wurde verurteilt und am 27. August 1824 auf dem Marktplatz in Leipzig öffentlich hingerichtet.
Das Clarus-Gutachten mit dem Titel Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders J. C. Woyzeck, nach Grundsätzen der Staatsarzneikunde aktenmäßig erwiesen war in dem Fachblatt Henkes Zeitschrift für die Staatsarzneikunde erschienen. Büchners Vater hatte die Zeitschrift abonniert und veröffentlichte darin selbst Fälle aus seiner Praxis als Arzt.
Aus dieser Zeitschrift hat Georg Büchner wahrscheinlich auch Informationen über den Tabakspinnergesellen Daniel Schmolling, der am 23. September 1817 seine Geliebte Henriette Lehne in der Hasenheide bei Berlin umbrachte, und über den Leinenwebergesellen Johann Dieß, der am 15. August 1830 seine Geliebte Elisabeth Reuter in der Nähe von Darmstadt erstach.
Eine neue Quelle wurde der Forschung erst kürzlich zugänglich: Am 15. April 1816 ermordete der Schustergeselle Johann Philipp Schneider, weil er seine Schulden nicht bezahlen konnte, den Druckereigesellen Bernhard Lebrecht vor dem Rheintor in Darmstadt. Anschließend reinigte er Hände und Gesicht am Bessunger Tor in Darmstadt und wusch seine Kleider im Großen Woog, einem in der Innenstadt von Darmstadt gelegenen Teich. Nach der Tat erholte sich Schneider in einem Wirtshaus. Ein Barbier fand die Leiche und verständigte die Polizei. Schneider wurde anhand der Mordwaffe überführt, im Verlauf verurteilt und hingerichtet. Parallelen zu Büchners Drama sind offensichtlich. Als Separatdruck wurde dieser Fall 1816 vom Stabs-Auditeur Friedrich Schenk veröffentlicht und vom Darmstädter Hofgerichts-Advokat Philipp Bopp 1834 in einen Sammelband ausgewählter Fälle aufgenommen. Es läßt sich nicht nachweisen, dass Büchner die Veröffentlichung kannte, doch könnte er Bopp über gemeinsame Bekannte aus dem Kreis radikaler Demokraten in Darmstadt kennengelernt haben.
Die Handschriften
Georg Büchner begann im Verlauf des Jahres 1836 in Straßburg mit der Arbeit an "Woyzeck". Fertig stellen konnte Büchner das Drama wegen seines frühen Todes nicht.
Insgesamt liegen dem Drama - Streichungen und verworfene Passagen nicht eingerechnet - 31 Szenen aus der Hand Büchners zugrunde, die wahrscheinlich vier Entwicklungsstadien zugeordnet werden können. Es ist nicht erkennbar, wie Büchner diese Szenen anordnen wollte. Die Manuskriptseiten haben keine Seitenzahlen, die Szenen des nicht in Akte gegliederten Stücks sind nicht nummeriert. Viele Szenen sind sehr kurz und trotzdem eigenständig. Die Tinte des Manuskripts ist so stark verblasst, dass Büchners Bruder Schwierigkeiten hatte, das Werk zu entziffern; auch deshalb nahm er es nicht in die erste Gesamtausgabe von 1850 auf.
Das Woyzeck-Fragment liegt handschriftlich in mehreren Entwurfsfassungen vor, die heute im Weimarer Goethe- und Schiller-Archiv aufbewahrt werden. Eine Faksimileausgabe der Handschriften veröffentlichte 1981 Gerhard Schmid (s. Literatur). Der Fachbereich Germanistik der Universität des Saarlandes publiziert die Handschriften im Internet (s. Weblinks).
Das Manuskript ist folgendermaßen überliefert:
- fünf Blätter im Kanzleiformat, gefaltet zu Doppelblättern im Folioformat mit zwei Szenengruppen zu 21 (heute als Entwurfsstufe H1 bezeichnet) und 9 Szenen (Gruppe H2).
- ein Einzelblatt im Quartformat mit zwei einzelnen Szenen.
- sechs Blätter im Folioformat, gefaltet zu sechs Doppelblättern im Quartformat (letzte Entwurfsstufe H4). Diese "vorläufige Reinschrift" des Dramas ist als am weitesten fortgeschrittener Entwurf die Grundlage heutiger Lese- und Bühnenfassungen.
Editionsgeschichte
Der fragmentarische Charakter des Stücks hatte für seine Veröffentlichung - wie auch für die Inszenierungen - weitreichende Folgen. Die Handschriften mussten wieder lesbar gemacht, transkribiert, die Szenenfolge für die Aufführung auf der Bühne festgelegt werden. Für die Interpreten des "Woyzeck" wie auch für die Büchner-Gelehrten bot sich reichlich Gelegenheit für Diskussionen.
Vierzehn Jahre nach Georg Büchners Tod brachte sein Bruder Ludwig 1850 die „Nachgelassenen Schriften“ heraus. "Woyzeck" wurde nicht aufgenommen, da das Manuskript stark verblasst und weitgehend unleserlich war. Der österreichische Schriftsteller Karl Emil Franzos konnte das Manuskript mit chemischer Behandlung wieder lesbar machen (s. Franzos' Textkritik). Er publizierte 1879 das Fragment in einer stark überarbeiteten Fassung in "Georg Büchner: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß" (s. Weblinks). Die Hauptperson heißt nach Franzos' Lesart „Wozzeck“. An den Anfang des Stückes hat Franzos nicht die Szene auf dem freien Feld vor der Stadt, sondern die "Rasierszene" gesetzt (s. Szenenfolge: 5. Szene). Entscheidungen, die bis heute nachwirken: Werner Herzogs Woyzeck-Film beispielsweise beginnt mit der "Rasierszene", genau so wie die im Gutenberg-Projekt veröffentlichte Fassung (s. Weblinks).
Fritz Bergemann gab „Sämtliche Werke und Briefe“ heraus. Die nicht abgeschlossene "Kritisch-historische Ausgabe" von Werner R. Lehmann war auch die Grundlage der Münchner Ausgabe im Carl Hanser Verlag im Jahr 1984.
„Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zwei Bänden“, herausgegeben von Henri Poschmann, ist die jüngste Edition von Büchners Gesamtwerk (seit 2002 als Taschenbuch im Insel-Verlag). Burghard Dedner ist zusammen mit Thomas Michael Mayer verantwortlich für die "Studienausgabe" bei Reclam ( s. Literatur).
Im Januar 2006 ist als aktuellste Edition der "Woyzeck" als Band 7 der "Historisch-kritische(n) Ausgabe der Sämtlichen Werke und Schriften Georg Büchners", der "Marburger Ausgabe", erschienen. Der Textband (Band 7.1) wurde von Burghard Dedner und Gerald Funk herausgegeben, der Erläuterungsband (Band 7.2) von Burghard Dedner.
Das Drama
Handlung im Überblick
Das Drama zeigt Episoden aus dem Leben des Soldaten Franz Woyzeck, der seine Freundin Marie und das gemeinsame uneheliche Kind so gut wie es ihm möglich ist, unterstützen will. Deswegen lässt er sich sogar von einem Arzt als Versuchsperson auf Erbsendiät setzen und arbeitet als Laufbursche für den Hauptmann. Beide nutzen ihn physisch und psychisch aus. Marie lässt sich hingegen mit "dem" Tambourmajor ein. Woyzecks aufkeimender Verdacht wird durch ihm nicht freundlich gesonnene Mitmenschen geschürt, bis er Marie und den Nebenbuhler beim Tanz im Wirtshaus ertappt. Schließlich ersteht er eine Klinge, verteilt seinen Besitz (Testamentsszene) und ersticht Marie, die er jedoch bis zuletzt geliebt hat. Es war eine Eifersuchtstat.
Szenenfolge
Es gibt bis heute mehrere "Lese- und Bühnenfassungen" von Woyzeck. Werner R. Lehmann (s. Literatur) hat folgende Szenenfolge auf der Grundlage von Büchners Handschriften konstruiert:
- 1. Szene: Freies Feld vor der Stadt. Woyzeck und sein Kamerad Andres schneiden Weidenstöcke. Woyzeck sieht sich von übernatürlichen Mächten bedroht. "Es geht hinter mir, unter mir - hohl, hörst du? Alles hohl da unten. Die Freimaurer!"
- 2. Szene: Maries Kammer. Die Militärkapelle marschiert auf der Straße vorbei. Marie winkt dem Tambourmajor zu. Die Nachbarin Margret bekommt das mit. Woyzeck besucht seine Geliebte und das Kind. Er spricht geheimnisvoll. Marie zeigt kein Verständnis.
- 3. Szene: Kirmesbuden. Alter Mann singt zum Leierkasten. Marie und Woyzeck hören einem Ausrufer zu, der Kuriositäten präsentiert. Unteroffizier und Tambourmajor schwärmen von Marie.
- 4. Szene: Maries Kammer. Sie betrachtet sich im Spiegel. Der Tambourmajor hat ihr Ohrringe geschenkt. Woyzeck überrascht sie und gibt ihr Geld. Eilt wieder davon.
- 5. Szene: Zimmer des Hauptmanns. Woyzeck rasiert den Hauptmann. Der verhöhnt ihn. Als der Hauptmann über Moral und über Woyzecks Kind zu reden kommt, das „ohne den Segen Kirche“ geboren sei, gibt der Soldat seine Wortkargheit auf. „Ich glaub', wenn wir (armen Leute) in den Himmel kämen, müssten wir donnern helfen!“
- 6. Szene: Maries Kammer. Der Tambourmajor macht ihr Avancen. Sie weist ihn erst zurück und gibt dann nach. "MARIE heftig: Rühr mich an!"
- 7. Szene: Auf der Gasse – Woyzeck hat eine Ahnung, dass Marie ihm untreu ist.
- 8. Szene: Studierstube des Doktors. Woyzeck hat sich dem Doktor für Versuche zur Verfügung gestellt, um Geld zu verdienen. Der Doktor verabreicht ihm die tägliche Erbsenration. Woyzeck spricht über seine Visionen. Für den Doktor ist Woyzeck „ein interessanter casus“.
- 9. Szene: Straße. Der Hauptmann belästigt den Doktor mit seinen Ansichten. Der sagt dem Hauptmann einen Schlaganfall voraus. Als Woyzeck ihren Weg kreuzt, lassen beide ihre Aggressionen an ihm aus und deuten eine Affäre zwischen Marie und dem Tambourmajor an. Woyzeck ist getroffen.
- 10. Szene: Wachtstube – Woyzeck teilt Andres seine innere Unruhe mit.
- 11. Szene: Im Garten eines Wirtshauses vergnügen sich Soldaten, Handwerksburschen und junge Frauen beim Tanz. Unter ihnen auch Marie und der Tambourmajor. Woyzeck sieht das Paar, kann es nicht fassen.
- 12. Szene: Auf freiem Feld hört Woyzeck Stimmen, die ihm auftragen, Marie zu töten. "...stich die Zickwolfin (Marie) todt."
- 13. Szene: In der Nacht versucht Andres Woyzeck zu beruhigen: „Du musst Schnaps trinke und Pulver drin, das schneidt das Fieber.“
- 14. Szene: Im Wirtshaus treffen Woyzeck und der Tambourmajor aufeinander. Im Zweikampf unterliegt Woyzeck.
- 15. Szene: Im Kramladen des Juden besorgt Woyzeck sich ein Messer.
- 16. Szene: Marie empfindet Reue und sucht in der Bibel nach Trost.
- 17. Szene: Woyzeck teilt Andres mit, wer seine Habseligkeiten nach seinem Tod bekommen soll.
- 18. Szene: Im Hof des Professors findet vor Studenten eine Vorlesung statt. Woyzeck wird vom Doktor als Versuchsobjekt vorgeführt und gedemütigt.
- 19. Szene: Marie mit mehreren kleinen Mädchen und der Großmutter vor dem Haus. Großmutter erzählt ein Märchen. Woyzeck fordert Marie auf, ihm zu folgen. "Marie wir wolln geh'n. S' ist Zeit."
- 20. Szene: Woyzeck und Marie vor der Stadt. Marie folgt ihm unwillig, sie will weg. "Ich muss fort, das Nachtessen richten." Anstatt sie gehen zu lassen, sticht Woyzeck auf Marie ein und gerät in einen Blutrausch: "Nimm das und das! Kannst du nicht sterben? So! so! Ha sie zuckt noch, noch nicht, noch nicht? Immer noch? (Stößt zu.) Bist du tot? Tot! Tot!"
- 21. Szene: Zwei Personen hören Stimmen im Teich vor der Stadt.
- 22. Szene: Eine Frau im Wirtshaus sieht, wie Woyzeck mit Blut beschmiert ist.
- 23. Szene: Nacht. Woyzeck sucht an dem Ort, wo er Marie erstochen hat, das Messer.
- 24. Szene: Woyzeck versenkt das Messer im Teich.
- 25. Szene: Kinder unterhalten sich auf der Straße darüber, dass vor der Stadt eine Leiche gefunden wurde.
- 26. Szene: Gerichtsdiener: “Ein guter Mord, ein echter Mord, ein schöner Mord, so schön als man ihn nur verlangen kann, wir haben schon lange so kein gehabt.“
- 27. Szene: Karl ("Idiot"), Woyzeck, das Kind. Karl hält Woyzecks und Maries Kind auf dem Schoß. Woyzeck verspricht ihm ein Gebäck ("Reuter"). Karl läuft mit dem Kind weg.
Interpretation
Charakterisierung: Woyzeck: ausgebeuteter Soldat, freundlich Doctor: sprupelloser und verantwortungsloser Wissenschafter Hauptmann: spielt seine hohe Position aus, arrogant Marie: versteht ihn teilweise, nett Andres: Soldatenkamerad, oberflächliche Freundschaft mit W.
Büchner, aus dem gemeinen Volk kommend, bricht radikal mit der klassischen Tradition des antiken Dramas, welche eine Einheit des Ortes, der Zeit und der Personen fordert. Dass neue Formen, welche die jahrtausende alten Prinzipien von Aristoteles nach und nach verdrängen, von Nöten waren, zeigt sich an der Tatsache, dass Büchners Drama Woyzeck weiterhin zu den meistgelesenen und -gespielten Texten der dramatischen Weltliteratur des 19. Jahrhunderts gehört als auch die formalen Neuerungen das so genannte moderne Theater a la Brecht oder Wedekind erst ermöglichen. Bereits bei der Edition erkennt man, dass die Unterschiede zum klassischen Drama weit reichend sind, Büchner versieht sein Werk mit dem Untertitel: „Ein Trauerspiel – Fragment“. Leider hat Büchner nie die Reihenfolge der Szenen oder Fragmente festgelegt, weshalb ich mich nach der teilweise für Herausgeber unleserlichen Handschrift H4 richten muss. Folglich fehlt auch das normative Muster einer steigenden Handlung, eines Wendepunktes und einer fallenden Handlung, viel mehr hat der Leser das Gefühl hier Skizzen zu einem modernen Roman vor sich zu haben, weder werden die Personen als auch Ort beschrieben, noch lässt sich eine stringente Handlung identifizieren. Nicht minder revolutionär ist die sprachliche Gestaltung des gravierenden Gegensatzes zwischen Unterdrückten, welche in keiner stilisierten Sprache sondern in Dialekt sprechen und den Unterdrückern welche sich in einer gebildeten und teils auch künstlichen Sprach artikulieren. So hat Woyzeck Schwierigkeiten seine Gedanken auszudrücken, Sprachfetzen, Auslassungen, Fragmente und Abbrüche herrschen vor, während Büchner dem den Protagonisten quälenden Doctor oftmals „Zitate aus der Zeitschrift für Staatsarzneikunde in den Mund legt“ . Bemerkenswert ist auch Virtuosität Büchners hinsichtlich des Verhältnisses zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit, welche beispielsweise in der 13. Szene, in welcher sich der Wahn Woyzecks bereits erahnen lässt, deckungsgleich ist. Die oben ausgeführte formale Gestaltung erschwert eine eindeutige Inhaltsangabe, so existieren beispielsweise zu dem Selbstmord am Ende des Werkes ein alternatives Ende mit etwaige Parallelen zum realen Fall des verarmten Soldaten Woyzeck, der am 21. Juni 1821 mit einer abgebrochenen Degenklinge die 46-Jährige Witwe Woost niederstach und nach einer Gerichtsverhandlung hingerichtet wurde. Im Gegensatz zu klassischen Dramen wie Ödipus Rex ist hier keine höher gestellte Person Protagonist, sondern der „geringste unter den Menschen“ . Hiermit ist die Fallhöhe des Ödipus bereits in der Konzeption des Stückes verunmöglicht, da uns Büchner seine darstellenden, ausgebeuteten Personen aus dem Volk präsentiert und an Stelle eines Königs einen Mörder als Hauptfigur wählt. Trotz der Standesunterschiede aus den beiden Werken können die Protagonisten ihrem Schicksal trotz größter Anstrengungen nicht entrinnen. So verharrt Woyzeck stets im Teufelskreis seiner Armut und der Ausbeutung durch höher gestellte Personen wie dem Doktor, der ihn für wissenschaftliche Experimente missbraucht, als auch dem Hauptmann, welcher ihn quälend schikaniert. Sowohl die Eifersuchtsszene mit Marie, als auch die Misshandlungen des Doctors basieren auf der Rechts und Mittellosigkeit des Soldaten, Büchner präsentiert uns hier eine milieukritische Studie eines durch das Umfeld herbeigeführten Untergangs. Die Woyzeck umgebenden Personen können ihn bei seinen teils in expressiver Sprache ausgedrückten Problemen nicht helfen, entweder weil sie in ihm, wie bei dem Tambourmajor nur ein Objekt sehen, oder weil sie ihn, wie beispielsweise Andres schlicht und einfach nicht verstehen können. Der Autor führt uns quasi einen verarmten Ödipus anfangs des 19. Jahrhunderts vor Augen, dessen Schicksal aber im Gegensatz zu Sophokles’ Werk nicht metaphysisch sondern durch die materiellen Umstände bedingt ist.
Rezeption des „Woyzeck“
Auf Künstler, Regisseure, Maler, Musiker und Filmemacher in der ganzen Welt hatte „Woyzeck“ erheblichen Einfluss.
Dichter, Kritiker, Dramatiker über „Woyzeck“
Rainer Maria Rilke: ... der Wozzek Georg Büchners... Eine ungeheure Sache, vor mehr als achtzig Jahren geschrieben... nichts als das Schicksal eines gemeinen Soldaten (um 1848 etwa), der seine ungetreue Geliebte ersticht, aber gewaltig darstellend, wie um die mindeste Existenz, für die selbst die Uniform eines gewöhnlichen Infanteristen zu weit und zu betont erscheint, wie selbst um den Rekruten Wozzek, alle Größe des Daseins steht, wie er’s nicht hindern kann, dass bald da, bald dort, vor, hinter, zu Seiten seiner dumpfen Seele die Horizonte ins Gewaltige, ins Ungeheure, ins Unendliche aufreißen, ein Schauspiel ohnegleichen, wie dieser missbrauchte Mensch in seiner Stalljacke im Weltall steht, malgré lui, im unendlichen Bezug der Sterne. Das ist Theater, so könnte Theater sein. (Brief an Maria von Thurn und Taxis, 9. Juli 1915)
Alfred Kerr: Woyzeck ist der Mensch, auf dem alle rumtrampeln. Somit ein Behandelter nicht ein Handelnder. Somit ein Kreisel nicht eine Peitsche. Somit ein Opfer nicht ein Täter. Dramengestalt wird sozusagen die Mitwelt - nicht Woyzeck. Kernpunkt wird sozusagen die quälende Menschheit - nicht ihr gequälter Mensch. Bei alle dem bleibt wahr, dass Woyzeck durch seine Machtlosigkeit justament furchtbarsten Einspruch erhebt. Dass er am tiefsten angreift - weil er halt nicht angreifen kann. (Theater-Kritik, 15. Dezember 1927)
Hans Mayer: Letztlich - und das ist das Entscheidende - geht es im "Woyzeck" wie zuvor im "Landboten" und im "Danton" um die stets gleiche Frage: um die Abhängigkeit menschlicher Existenz von Umständen, die 'außer uns liegen'. Den "grässlichen Fatalismus der Geschichte" und seine "zernichtende" Gewalt hatte Büchner schon in seiner frühesten Gießener Zeit empfunden. Das Studium der Geschichte, vor allem der großen politischen Umwälzungen, hatte ihm die Frage gestellt, die er als Schicksalsfrage menschlicher Existenz empfand: "Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?". Das aber war nichts anderes als die Frage nach den bestimmenden und verursachenden Faktoren des menschlichen Schicksals; es war die Frage nach Freiheit oder Vorherbestimmtheit menschlicher Willensentscheidungen, nach der Möglichkeit oder auch nur Sinnhaftigkeit, durch Handeln und Planen in den Geschichtsverlauf und den Verlauf des Einzellebens eingreifen zu können. (aus Hans Mayer: Georg Büchner und seine Zeit, Frankfurt 1972)
Heiner Müller: Ein vielmal vom Theater geschundener Text, der einem Dreiundzwanzigjährigen passiert ist, dem die Parzen bei der Geburt die Augenlider weggeschnitten haben, vom Fieber zersprengt bis in die Orthografie, eine Struktur, wie sie beim Bleigießen entstehen mag, wenn die Hand mit dem Löffel vor dem Blick in die Zukunft zittert, blockiert als schlafloser Engel den Eingang zum Paradies, in dem die Unschuld des Stückeschreibers zu Hause war. Wie harmlos der Pillenknick der neueren Dramatik, Becketts Warten auf Godot, vor diesem schnellen Gewitter, das mit der Geschwindigkeit einer anderen Zeit kommt, Lenz im Gepäck, den erloschenen Blitz aus Livland, Zeit Georg Heyms im utopielosen Raum unter dem Eis der Havel, Konrad Bayers im ausgeweiteten Schädel des Vitus Bering, Rolf Dieter Brinkmanns im Rechtsverkehr vor SHAKESPEARES PUB, wie schamlos die Lüge vom POSTHISTOIRE der barbarischen Wirklichkeit unserer Vorgeschichte. (aus Heiner Müller: Die Wunde Woyzeck, 1985)
„Woyzeck“ in der Musik
Einen Meilenstein in der Auseinandersetzung mit Büchners Fragment war Alban Bergs Oper Wozzeck von 1921. Eine Aufführung dreier Ausschnitte im Jahr 1924 brachte Berg den ersten öffentlichen Erfolg. Doch erst Erich Kleiber, Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper, erkannte die Genialität der Partitur und brachte den „Wozzeck“ am 14. Dezember 1925 zur Uraufführung. Eine weitere Opernfassung unter dem Titel „Wozzeck“ schuf Manfred Gurlitt. Sie wurde 1926 in Bremen uraufgeführt.
Im November 2000 brachte Robert Wilson das Stück am Betty Nansen Theater in Kopenhagen mit Musik von Tom Waits auf die Bühne. Blood Money heißt das Album mit den Songs aus dieser Inszenierung.
Weniger balladenhaft als Tom Waits Songs sind die Songs der Berliner Punk-Band Woyzeck, die von sich sagt: "Woyzeck wollen keine Saugwürmer am siechen Körper alter Helden sein, sie erklären den Patient für tot. Um den Geist zu beerben und der Schmierenkomödie der gleichgeschalteten Musik-Szene die Authentizität ihres Lebensgefühls entgegenzusetzen. Jeder Tag ein neuer Kampf. Ein Kampf für die jugendlichen Ideale und gegen die faulen Kompromisse des Älterwerdens."
Im Jahre 2003 veröffentlichte die italienische Neofolk-Band Rose Rovine e Amanti ein "Woyzeck" betiteltes Album, dessen Titelsong auf dem Büchner'schen Drama basiert.
„Woyzeck“ im Film
Georg Klaren war der erste Filmregisseur, der "Woyzeck" in die Kinos brachte (Titel: "Wozzeck"). Klaren hatte schon 1930 die Idee für den Film, konnte sie aber erst nach dem 2. Weltkrieg umsetzen. Die Rahmenhandlung des Filmes spielt in einem Anatomiesaal einer deutschen Universität. Dort ist der Körper des Füsiliers Woyzeck aufgebahrt, der gehängt wurde. Dem Professor gilt er als Mörder, der Student Büchner antwortet: "... den wir ermordet haben". Im weiteren Verlauf der Handlung erzählt er dann seinen Kommilitonen die Geschichte, die dem Drama zu Grunde liegt. Kurt Meisel spielte den Woyzeck, Paul Henckels den Doktor und Helga Zülch die Marie. In weiteren Rollen: Max Eckard, Paul Henckels, Karl Hellmer, Rotraut Richter und Willi Rose.
Bei dieser Arbeit", so Klaren in einem Gespräch mit der "Berliner Zeitung" am 18.Mai 1947, "sehe ich wiederum meine Auffassung über die Verfilmung literarischer Themen bestätigt: Fragmente wie "Woyzeck" oder Novellen eignen sich viel besser für die Verfilmung als Theaterstücke oder Romane. Fragmente deshalb, weil sie der optischen Phantasie jeden Spielraum lassen, weil ihre Zuspitzung auf eine einzige Pointe der Wesensform des Films ganz besonders entspricht."
Nach der Fertigstellung galt der Film als künstlerisch sehr beachtenswert, da er ein an den Expressionismus angelegtes Filmwerk darstellt. Doch er wurde wegen Bedenken an der marxistischen Grundhaltung bald nach der Premiere zurückgezogen und kam erst 1958 (andere Quellen nennen 1964) in die bundesrepublikanischen Lichtspieltheater. Dort hieß er "Der Fall Wozzeck".
Seit Klarens Woyzeck haben eine ganze Reihe von Regisseuren das Fragment verfilmt. Die bekannteste Verfilmung ist Werner Herzogs Woyzeck aus dem Jahr 1979.
Literatur
Werkausgaben
- Georg Büchner: Werke und Briefe - Nach der historisch-kritischen Ausgabe von Werner R. Lehmann, Hanser Verlag, München 1984 u.ö. ISBN 3-446-12883-2
- Georg Büchner: Woyzeck. Studienausgabe, Reclam, Stuttgart 1999 ISBN 3-1501-8007-4
- Georg Büchner: Woyzeck. Faksimileausgabe der Handschriften. Bearbeitet von Gerhard Schmidt, Leipzig, 1981
- Georg Büchner: Sämtliche Werke und Schriften (Marburger Ausgabe), Bd. 7: Woyzeck, Teilband 1: Text, hrsg. von Burghard Dedner und Gerald Funk unter Mitarb. von Per Röcken, Teilband 2: Text, Editionsbericht, Dokumente und Erläuterungen, hrsg. von Burghard Dedner unter Mitarb. von Arnd Beise, Ingrid Rehme, Eva-Maria Vering und Manfred Wenzel, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005 ISBN 3-534-15603-X
Sekundärliteratur
Historische Quellen
Burghard Dedner, Eva-Maria Vering: Es geschah in Darmstadt. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Freitag, 23. Dezember 2005, Nr. 299, Seite 35
Weblinks
- „Woyzeck“ im Volltext beim Projekt Gutenberg (Plain text)
- Woyzeck im Projekt Gutenberg-DE
- Rezension einer modernen Woyzeck-Aufführung (DIE ZEIT)
- „Woyzeck“ auf deutschsprachigen Bühnen
- Die Originale der "Vorläufigen Reinschrift" auf den Internetseiten des Fachbereichs Germanistik der Universität des Saarlandes
- Der Fall Woyzeck
- Szenenfolge der Reclam-Ausgabe
- „Woyzeck“: Berliner Punk-Band