Vittorio Hösle

deutscher Philosoph
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Vittorio Hösle (* 25. Juni 1960 in Mailand) ist ein deutscher Philosoph. Er ist ein Vertreter der von Karl-Otto Apel entwickelten Transzendentalpragmatik. Hösle lehrt zur Zeit an der University of Notre Dame in Indiana (USA).

Vittorio Hösle ist Verfasser zahlreicher Bücher zum deutschen Idealismus, zur Philosophiegeschichte, zur Diskursethik und zur praktischen Philosophie. Er vertritt einen „objektiven Idealismus“, der die traditionelle idealistische Philosophie von Platon und Hegel mit einer zeitgemäßen Theorie der Intersubjektivität verbinden möchte.

Objektiver Idealismus

Hösle entfaltet seinen objektiven Idealismus in geschichtsphilosophischer, erkenntnistheoretischer, ontologischer und ethischer Hinsicht.

Geschichtsphilosophisch vertritt Hösle ein Zyklenmodell der Philosophiegeschichte. Ausgehend von einer kritischen Auseinandersetzung mit Hegels Geschichtsphilosophie und der Diltheyschen Typologie der Weltanschauung entwirft Hösle ein entwicklungstheoretisches Modell der Philosophiegeschichte. Auf einer skeptischen Kritik einer empirisch-dogmatischen Metaphysik folge eine Philosophie des Typus des subjektiven Idealismus, der dann am Ende jeder Epoche in einem objektiven Idealismus als Synthese aus Metaphysik und Kritik münde. Dieser objektive Idealismus werde dann wieder zu einem neuen dogmatischen Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung. Hösle versucht jene Deutung der Philosophiegeschichte paradigmatisch anhand der Philosophie der Antike zu veranschaulichen (vgl. V. Hösle, Wahrheit und Geschichte).

In erkenntnistheoretischer Hinsicht knüpft Hösle an die Debatte um die Letztbegründung und an die Auseinandersetzung mit dem Relativismus und Nihilismus an. Ausgehend von einem ‚Letztbegründungsbeweis‘ folgert Hösle, dass die seiner Ansicht nach im Sinne der synthetischen Sätze apriori zu verstehenden grundsätzlichen Denknotwendigkeiten nicht nur subjektiven Charakter haben können, sondern zugleich ontologische Valenz besitzen. Hieraus leitet Hösle in ontologischer Hinsicht die Notwendigkeit einer Aktualisierung des objektiven Idealismus ab, demzufolge sowohl der Natur als auch dem menschlichen Denken eine gemeinsame Logik vorausgehe, die weder auf die Natur selbst (Naturalismus), noch auf die psychologischen Denkgesetze (Subjektivismus) zu reduzieren sei (vgl. V. Hösle, Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie).

In seinen Schriften zur praktischen Philosophie entwirft Hösle zum einen das Programm einer Philosophie der Ökologischen Krise (vgl. V. Hösle, Philosophie der ökologischen Krise), in dem Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften und Philosophie sich in der Gegenwart vordringlich gemeinsam um ein neues Naturbild und um eine Bewältigung der ökologischen Krise zu bemühen haben. In praktischer Hinsicht fordert Hösle eine neue Individualethik, in der statt des Wachstumsprinzips asketische Ideale und eine emotionale Bindung an die Natur stehen. Dazu müsse die formale Kantische Ethik mit einer materialen Wertethik verbunden werden. Der objektive Idealismus erlaube dabei ein neues Naturbild, dass die Natur als intrinsisch werthaft zu begründen vermag. Zwar sei für den objektiven Idealisten nicht die Natur die Quelle aller Werte (Hösle lehnt eine naturalistische Ethikbegründung ab), aber in ihr offenbare sich eine Wertfülle, die zwar im Menschen als moralischem Wesen kulminiere, aber nicht nur ihn alleine, sondern die Natur insgesamt, auszeichne. Ferner könne nach Hösle die Ethik der Moderne nicht bei der Invididualethik stehen bleiben, sondern müsse sich zur politischen Ethik erweitern. In ihr müssen die normativen Einsichten der Philosophie mit dem deskriptiven Wissen über die Prinzipien der Macht und des Politischen zu einer konkreten Ethik verbunden werden, die damit weder abstrakt idealistisch noch konkret machtpositivistisch oder pragmatisch sei (vgl. V. Hösle, Moral und Politik).

Kritik an der Gegenwartsphilosophie

Hösle übt in seinen Werken [1] immer wieder harsche Kritik an der Philosophie der Gegenwart, die in seinen Augen „der Idee der Philosophie nicht mehr gerecht wird“. „Zwar dürfte kaum eine Zeit mehr für Philosophie ausgegeben haben als die unsere“, dies könne aber „nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Stellenwert der einstigen Königin der Wissenschaften im Kreis der heutigen Wissenschafien gering ist, daß das Resultat der philosophischen Reflexion insgesamt recht dürftig ist, daß zwischen Aufwand und Ergebnis eine schmerzliche Diskrepanz besteht“. Die Philosophie habe - „trotz des immer größeren Raums, den sie in einer Freizeit- und Unterhaltungskulur einnimmt“, „den Lebenszentren der Gesellschaft immer weniger zu sagen“. Hösle macht vier wesentliche Mängel an der Gegenwartsphilosophie aus:

  • Es fehle ihr an „an einer großen Synthese, ja selbst an Versuchen einer solchen“:
Hösel konzidiert, dass der eigentliche Anspruch der Philosophie, „ihre Zeit in Gedanken“ zu fassen, „mit dem Fortschritt der Wissenschaften und der Differenzierung des Wissens“ von Einzelnen nicht mehr zu erfüllen ist. Es gebe aber auch keine Institutionen, die dies leisten könnten. An den Universitäten sei ein „Überhandnehmen der Lehre und bürokratischer Arbeit auf Kosten der Forschung“, eine „Zerstörung der Lebensgemeinschaft zwischen Studenten und Professoren“ , ein „Fehlen jeder wahren Konkurrenz zwischen den Universitäten“ und ein Zwang zu „frühzeitiger Spezialisierung“ zu verzeichnen, was sie „nicht mehr als Hort des Geistes erscheinen“ lasse.
  • Sie trage immer weniger „zur Überwindung sektoriellen Denkens“ bei
Die zunehmende Spezialisierung in den Einzelwissenschaften, von denen auch die Philosophie nicht ausgenommen sei, hat in der Sicht Hösles zu einem „sektoriellen Denken“ geführt, das den eigenen „nur beschränkt gültigen Standpunkt verabsolutiert und zu Unrecht auf alles ausweitet“. Diesem Reduktionsmus trete die Philosophie der Gegenwart nicht nur nicht entgegen, sondern begünstige ihn sogar, da immer weniger Philosophen in der Lage oder willens seien, „über Schulgrenzen hinweg zu kommunizieren“.
  • Sie schweige „immer mehr auch zu den drängendsten Einzelfragen der Zeit“
Aufgrund der mangelnden Kenntnis des Ganzen unserer Kultur begreife die aktuelle Philosophie die „rapiden Wandlungen, die mit der modernen Welt vor sich gehen [...] immer weniger“. Hösle ist der Ansicht, dass dies wesentlich mit einer Spaltung in eine „systematische Philosophie ohne Kenntnisse der Geschichte der Philosophie (besonders im analytischen Lager) und in eine Philosphiehistorie, für die sich Wahrheit auf historische Richtigkeit reduziert“ zusammenhänge. Denn einerseits könne „Philosophie ohne Kenntnis ihrer Geschichte nicht fruchtbar betrieben werden“, andererseits lähme die Beschränkung der Philosophie auf ihre Geschichte jegliche „produktive Weiterentwicklung“. Die Philosophie in der heutigen Form habe daher „ihre Existenzberechtigung gegenüber den Einzelwissenschaften verspielt“.
  • Sie sei für die Zerstörung von „Vernunft und Glauben an moralische Werte und Pflichten“ verantwortlich
Dieser vierte Mangel der Gegenwartsphilosophie ist aus Hösles Sicht der „ernsteste Vorwurf“, der ihr zu machen ist. Hösle sieht seit dem Ende des Deutschen Idealismus einen „Prozeß der Selbstzersetzung der wertrationalen Vernunft“ im Gange. Die moderne Philosophie habe den Glauben an die „sittliche Bestimmung“ der menschlichen Existenz zersetzt, was „wie eine Infektionskrankheit“ „in die Seelen der meisten Menschen eingedrungen“ und „inzwischen sogar zu einem Prinzip der öffentlichen Meinung nahezu aller Länder der Ersten Welt“ geworden sei. Hösle konstatiert einen allgemeinen Relativismus, der sich von dem früherer Zeiten in seiner „moralischen Banalität“ unterscheide. Die modernen Vertreter der Philosophie vermögen nach Ansicht Hösles nicht, „sich von den Privilegien, die mit einer Philosophieprofessur verbunden sind“ zu trennen und hätten „jene geistige und emotionale Anspannung verloren [..], die ihre Vorfahren kennzeichnete“. Dieser Relativismus führe dazu, dass „alle Wegweiser ‚dekonstruiert‘ würden“, die Wege aus den Gefahren der Moderne aufweisen könnten. Dies zerstöre auf die Dauer das „geistige und seelische Immunsystem“ und „jede Fähigkeit, auf die Herausforderungen der Zeit angemessen zu reagieren“.

Kritik an Hösle

Hösles Philosophie wird aus unterschiedlichen Richtungen starker Kritik unterzogen, und zwar insbesondere aus der Perspektive des kritischen Rationalismus einerseits und des Postmodernismus andererseits. Insbesondere sein Festhalten an der Idee einer Letztbegründung, seine Option für die Möglichkeit, ja Notwendigkeit einer systematischen Philosophie auf der Grundlage einer rationalen Metaphysik stehen hierbei im Zentrum der Kritik. Weder sei der Glaube an notwendige Wahrheiten zeitgemäß oder logisch zu rechtfertigen (Münchhausen-Trilemma), noch sei Hösles Idee einer philosophischen Einheit des Wissens angesichts der Bedingungen der Moderne zu realisieren. Ferner steht in Hösles Ansatz eine Ausarbeitung der für seine Philosophie notwendigen Metaphysik oder Prinzipientheorie, die ausgehend vom Letztbegründungsargument eine Theorie des Absoluten zu entfalten hätte, ebenso aus, wie – damit zusammenhängend - eine konkrete Begründung der geforderten Wertethik. Allerdings lassen sich implizit, insbesondere in der Auseinandersetzung mit Platon (Wahrheit und Geschichte) und mit Hegels objektivem Idealismus die Konturen einer solchen Prinzipientheorie Hösles erkennen, auch wenn deren systematische Gesamtdarstellung fehlt.

Anmerkungen

  1. vgl. z.B.: Hösle: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie, S. 13-38

Werke

  • Wahrheit und Geschichte. Studien zur Struktur der Philosophiegeschichte unter paradigmatischer Analyse der Entwicklung von Parmenides bis Platon, Stuttgart-Bad Cannstatt 1984
  • Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität., Hamburg 1988
  • Die Rechtsphilosphie des Deutschen Idealismus. Hrsg. Hösle, Band Nr. 9 aus: Schriften zur Transzendentalphilosophie, Hamburg 1989
  • Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie. Transzendentalpragmatik, Letztbegründung, Ethik. München 1990 ISBN 3406392741
  • Philosophie der ökologischen Krise, München 1991
  • Moral und Politik. Grundlagen einer Politischen Ethik für das 21. Jahrhundert, München 1997 ISBN 3-406-42797-9
  • Darwin (zus. mit Christian Illies), Freiburg/Basel/Wien 1999
  • Woody Allen. Versuch über das Komische, München 2001
  • Das Café der toten Philosophen. Ein philosophischer Briefwechsel für Kinder und Erwachsene (zus. mit Nora K.), München, 2. Auflage 2001
  • Philosophie und Öffentlichkeit, Würzburg 2003
  • Platon interpretieren, Paderborn 2004
  • Der philosophische Dialog, München 2006 ISBN 3406542190

Engagements

Hösle ist Beiratsmitglied des "Komitees für eine demokratische UNO".

Commons: Image:VHoesle.jpg – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien