Schleudersitz

System zur Rettung der Besatzung eines Flugzeuges oder Hubschraubers
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Ein Schleudersitz ist ein System zur Rettung der Besatzung eines Flugzeugs oder Hubschraubers im Falle eines drohenden Absturzes. Der Schleudersitz katapultiert sich dabei mitsamt Insassen aus dem Flugzeug in eine sichere Entfernung, danach landet der Insasse an einem Rettungsfallschirm. Schleudersitze finden hauptsächlich in militärischen Flugzeugtypen mit wenig Besatzung (typisch 1 bis 2) Anwendung.

Schleudersitz KM-1, der in der MiG-21, MiG-23 und MiG-25 verwendet wurde (Technik Museum Speyer)
Schleudersitz einer Su-22 / Typ MK-36DM
Ausstieg mit dem Schleudersitz kurz vor dem Aufschlag

Die Entwicklung von Schleudersitzen wurde durch die immer schneller werdenden Flugzeuge angetrieben. Ohne Schleudersitz müssen sich Besatzungsmitglieder mit ihrem Rettungsfallschirm aus eigener Kraft aus dem Flugzeug befreien und abspringen. Mit zunehmender Geschwindigkeit wurde dies durch den starken Fahrwind immer schwieriger. Auch besteht die Gefahr, durch den Fahrtwind gegen das Flugzeug, vor allem das Leitwerk, geschleudert zu werden. Heutige Systeme funktionieren, wenn das Flugzeug noch in Bodenhöhe (sog. 0/0-Sitze; Höhe = 0 / Geschwindigkeit = 0; auch zero/zero geschrieben), aber auch in sehr großen Höhen, fliegt und bei hohen Geschwindigkeiten.

Ein Schleudersitz besteht aus dem Sitz, einer Sprengeinrichtung, evtl. einem Stabilisierungssystem, Rundkappen-Rettungsfallschirm, einer Notsauerstoff-Flasche für größere Höhe und einem Überlebensset (Schlauchboot, Funkgerät, etc.).

Ablauf eines Schleudersitz-Ausstiegs

Kommt die Besatzung in eine lebensbedrohliche Lage, dann passiert folgendes:

  1. Der Pilot aktiviert den Mechanismus und nimmt die Arme vom Steuer weg.
  2. Moderne Systeme ziehen Arme und Beine automatisch an den Sitz, damit sie nicht verletzt werden.
  3. Eine Sprengladung trennt bei Hubschraubern die Rotorblätter von der Achse, die weggeschleudert keine Gefahr mehr darstellen.
  4. Eine Sprengladung entfernt das Dach bzw. die Scheibe über der Pilotenkanzel. Bei manchen Luftfahrzeugen sind Sprengschnüre, die in eine Silikonhülle gelegt sind, mit dieser auf dem Kunststoffglas des Kabinendaches aufgeklebt. Bei alten Flugzeugtypen musste entweder das Kabinendach vorher manuell abgeworfen werden, oder der Sitz war an der Oberseite etwas verlängert und verstärkt um das Glas zu durchbrechen.
  5. Der Sitz wird oft durch eine „Schleudersitzkanone“ (ein Teleskop-Zylinder mit eingebauten Sprengladungen) hochgeschossen.
  6. Nachdem die Schleudersitzkanone eine genau definierten Höhe ausgefahren ist, wird ein Raketentreibsatz unter dem Sitz gezündet und katapultiert die Besatzung nach oben heraus. Dabei erfolgt der Ausschuss gestaffelt von hinten nach vorne. Eine Divergenz sorgt dafür, dass der eine Sitz etwas nach links und der andere etwas nach rechts katapultiert wird, um einen Zusammenstoß in der Luft zu vermeiden.
  7. Einige Systeme besitzen ein Stabilisierungssystem, das einen Ausstieg bei minimaler Höhe oder ungünstiger Flugzeuglage ermöglicht. Dieses System bringt den Sitz mit Steuerdüsen in eine bessere Position. Auf diese Weise ist bis auf den Fall „extrem niedrige Höhe und Rückenlage“ in jeder Situation ein sicheres „Aussteigen“ gewährleistet.
  8. Der Sitz trennt sich nach definierter Zeit bzw. unterhalb einer vordefinierten Höhe vom Piloten und der Rettungsfallschirm öffnet automatisch. Überlebensausrüstung befindet sich in einem Behältnis, und ist mit einer Leine am Besatzungsmitglied verbunden.
  9. Landung des Piloten.

Zeitgleich mit dem Auslösen des Schleudersitzes wird ein voll-automatischer Notfunksender auf 223 MHz aktiviert, um gezielte Rettungsaktionen auch dann zu ermöglichen, wenn der Flieger bewusstlos ist. Der Sender kann auch zum Wechselsprechen mit der Bergemannschaft benutzt werden.

Die Raketenantriebe der Schleudersitze sind so stark (für den Bruchteil einer Sekunde bis zu ca. 20G), daß ernsthafte Rückenschäden die Folge sein können. Mehrmaliges Aussteigen per Schleudersitz kann deshalb auch zu einer Beendigung der Pilotenkarriere führen.

Die größte überlebte Geschwindigkeit eines Schleudersitz betrug Mach 2,6 in 18000 m Höhe. Ein sowjetischer Testpilot musste sich 1981 aus einer MiG-25 retten. Er trug dabei einen Druckanzug.

Geschichte

Der erste Schleudersitz war eine deutsche Entwicklung. Am 13. Januar 1943 katapultierte sich der Versuchspilot der Firma Argus, Dipl.-Ing. Rudolf Schenk, aus dem noch motorlosen Prototyp V-1 der He 280, der von einer He 111 geschleppt wurde. Weil sich wegen Vereisung das Schleppseil aus der Kupplung an Schenks Flugzeug nicht löste, musste er aussteigen. Auch der zweite Schleudersitzausschuss der Welt fand in Deutschland statt. Am 15.7.1943 musste sich Flugkapitän Hans-Joachim Pancherz, Erprobungspilot bei Junkers, in Lärz (Rechlin) aus der Ju 290 SB+QF, Wnr.0156 herausschießen, nachdem beim Erfliegen der größten Geschwindigkeit Teile des Flugzeugs weggeflogen waren. Die erste Serienmaschine mit eingebautem Schleudersitz war der Nachtjäger Heinkel He 219, aus dem sich während des zweiten Weltkrieges immerhin 60 Besatzungsmitglieder per Schleudersitz retten konnten. Die ersten Schleudersitze wurden mit Preßluft getrieben. Moderne Schleudersitze werden von Raketen getrieben. Diese können sogar am Boden (sogenannter 'Zero-Zero-Ausstieg') und aus jeder Fluglage benutzt werden. Allein die Schleudersitze der Firma Martin Baker, einem der führenden Hersteller dieser Rettungssysteme, haben bis heute etwa 7.000 Menschenleben gerettet.

Das erste Flugzeug mit eingebautem Schleudersitz war die deutsche Heinkel He 280 im Jahre 1943. Serienmässig erfolgte der Einbau im Modell Heinkel He 219 im zweiten Weltkrieg. Der erste Hubschrauber, die russische Kamow Ka-50 „Hokum“, wurde 1980 mit Schleudersitz ausgerüstet.


Bilderserie: NASA-Test mit einem Dummy im Schleudersitz einer Northrop F/A-18, aus dem Stand abgeschossen.