Der Begriff DDR-Mentalität meint als Sammelbegriff spezifische Persönlichkeitsmerkmale der Ostdeutschen in "Denken und Mentalität" [1], die in Abgrenzung zu den Westdeutschen nach der Deutschen Wiedervereinigung offenbar wurden. Durch unterschiedliche individuelle Voraussetzungen[2] wie z.B. Resilienz, Herkunft und Bildung konnten diese Prägungen sehr unterschiedlich ausfallen.
Ursachen
Die DDR-Mentalität ist ein vor allem aus westdeutscher Perspektive wahrgenommenes Phänomen.
In einem seit der Wende bestehenden Diskurs über Unterschiede in "Denken", "Wertesystem", "mentalen Verfassungen", "psychischen Verfasstheiten" und "Mustern des Alltagsverhaltens"
[3] zwischen Ost und West entstand die Konstruktion einer speziellen Ost -"Identität"[4], bzw. –"Mentalität"[5].
Ursachen werden in den Folgen des Wendeverlaufs selbst gesehen und auch in der Sozialisation der Ostdeutschen in dem "durch Stalin geprägten Gesellschaftssystem der DDR"[6] mit "wesentlichen Zügen des Totalitarismus"[7].
Beide Erklärungsansätze lassen sich empirisch belegen[8].
Vor der Wende
Nach der "Entfremdungshtheorie"[9] entstand die DDR-Mentalität durch DDR-Sozialisation lange vor der Wende. Die DDR-Bürger waren einem "totalen Herrschaftsanspruch"[10], einer permanenten "ideologischen Indoktrination" [11] und "umfassender Kontrolle über alle Lebensbereiche"[12] ausgesetzt. Diese reichten von Kindheit an im Erziehungs- und Bildungsbereich mit vormilitärischen Ausbildungen[13] über die Betriebe bis hin zu Kunst und Kultur in den privaten Bereich. Das Ziel war die Schaffung der sozialistischen Persönlichkeit. Dem ideologischen Einfluss, auch der penetranten Aufforderung sich zur sozialistischen Persönlichkeit zu entwickeln, konnte man sich als DDR-Bürger gegenüber unterschiedlich verhalten, aber nicht entziehen. Daraus entstand für jeden einzelnen eine "Mentalität", "ein politisches Denken", die DDR-Mentalität[14].
Nach der Wende
Nach der "Enttäuschungshypothese"[15] entwickelte sich die DDR-Mentalität oder -Identität[16][17] erst durch "Überforderung"[18], "Skepsis" und "Enttäuschung"[19] der Ostdeutschen über die Art und Weise des Wendeverlaufs.
Nach dem Beitritt der DDR zur BRD am 03.10.1 990 wurde die Bevölkerung der neuen ostdeutschen Länder in ein demokratisches und marktwirtschaftliches Gesellschaftssystem übernommen. Durch die "Dramatik und Schnelle"[20] des "radikalen Systemwechsels"[21] und den "schockartig"[22] praktizierten ökonomischen Transormationsprozess in Ostdeutschland wurden die Ostdeutschen mit völlig veränderten Lebensumständen konfrontiert. Nur innerhalb eines Jahres nach 1990 wurde die ehemalige DDR "deindustrialisiert"[23] und die Wirtschaft begann "ungebremst" abzusacken[24]. Die daraufhin einsetzende Arbeitslosigkeit mit einer damit einhergehenden „Entwertung bestehender Qualifikationen“ lösten "Status- und Identitätsverluste"[25], Verunsicherung und Existenzängste aus. Unter Ostdeutschen entstand dadurch wieder Sehnsucht nach den aus der DDR gewohnten "sozialen Errungenschaften", wie zum Beispiel "sichere Arbeitsplätze, kostenlose Kindergartenplätze und Krankenversicherung"[26].
Die Enttäuschungen über den Wendeverlauf waren vielschichtig, auch politischer Art. So wurden die durch den friedlichen Sieg über die DDR-Diktatur geweckten Hoffnungen auf politische Mitbestimmung in Form "basisdemokratisch orientierter Verfahren"[27] durch die als Fremdbestimmung empfundene Dominanz der westdeutschen Politik enttäuscht[28].
Zudem prägten die "vorherrschenden westdeutschen Medien" das Verliererimage der "erfolgsunfähigen" Ostdeutschen, indem von der "erfolglosen Systemgeschichte des Realsozialismus" auf die "Psyche der Ostdeutschen geschlossen" wurde[29]. Fehlende "gesellschaftliche Verständigung" zwischen Ost und West führte unter Ostdeutschen zu einer "Selbstethnisierung"[30] und einer sich im Vergleich zu Westdeutschland in "Charakter"- und "Persönlichkeitsprofilen bzw. 'Werten'"[31] unterscheidenden Mentalität.
Forschung
Die unmittelbar nach der Wende einsetzenden Forschungen zu den mentalen Verfasstheiten der neuen Bundesbürger in Ostdeutschland hatten das Ziel, "belastbare Vorhersagen" über die "Dauer des Transformationsprozesses", die "Umstellung der sozialistischen Planwirtschaft auf das Marktwirtschaftsmodell"[32], treffen zu können. Die ehemaligen DDR-Bürger sollten "zügig" an die "neuen Verhältnisse und geforderten Verhaltensweisen" angepasst werden können[33]. So beauftragte 1990 das Bundesmisterium des Innern das Mannheimer Institut für praxisorientierte Sozialforschung, eine Studie zu den "Entwicklungen der politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen der neuen Bundesbürger seit der Wiedervereinigung" und "Unterschiede in den Stimmungsänderungen in Ost und West"[34] zu erstellen.
Siehe auch
Weblinks
- Thomas Ahbe, Monika Gibas: Der Osten in der Berliner Republik. bpb, Stand: 26. Mai 2002, Abgerufen am 27. Februar 2017.
- Christian Bangel: Vereint in der Entfremdung. Zeit online, Stand: 2. Oktober 2010, Abgerufen am 04.04.2017.
- dpa: Ein Land auf der Couch – Psychologen blicken der Ex-DDR in die Seele. wissenschaft.de, Stand: 28. November 2000, Abgerufen am 23. November 2016.
- Peter Förster, Hendrik Berth (Hrsg.): Sächsische Längsschnittstudie. Stand: 2016, Abgerufen am 05. April 2017.
- Jana Hauschild: Persönlichkeit von DDR-Bürgern Ein Land, zwei Seelen spiegel.de, Stand: 9. Juni 2016, Abgerufen am 23. November 2016.
- Günther Heydemann:Gesellschaft und Alltag in der DDR. bpb, Stand: 14. April 2002, Abgerufen am 10. März 2017.
- ifo INSTITUT Niederlassung Dresden. Stand: 2017, Abgerufen am 05.04.2017
- Henrik Müller: 'Seelische Widerstände bremsen die Wirtschaft' manager-magazin.de, Stand: 24. Juni 2002, Abgerufen am 27. Februar 2017.
- Philipp Oehmke, Dietmar Pieper, : 'Die DDR-Prägung hält an' spiegel.de, Stand: 3. März 2008, Abgerufen am 27. Februar 2017.
Einzelnachweise
- ↑ Martin Sabrow: Die DDR erinnern. In: Ders. (Hrsg.):Erinnerungsorte der DDR. Verlag C.H.Beck, München 2009, S.11-29; 11, ISBN 978-3-406-59045-0.
- ↑ Günther Heydemann:Gesellschaft und Alltag in der DDR. bpb, Stand: 14. April 2002, abgerufen am 10. März 2017.
- ↑ Dietrich Mühlberg: Beobachtete Tendenzen zur Ausbildung einer ostdeutschen Teilkultur. In: Aus Politik und Zeitgeschichte Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament (B 11/2001) bpb, Bonn 2001, S.30-38;32.
- ↑ Thomas Ahbe, Monika Gibas: Der Osten im vereinigten Deutschland. In: (Hrsg.) Wolfgang Thierse, Ilse Spittmann-Rühle, Johannes Kuppe: Zehn Jahre Deutsche Einheit. Eine Bilanz. Springer-Verlag, Berlin 2000, S.22-38;21, ISBN 978-3-322-94959-2.
- ↑ Madlen Arnhold:Mentalitätsunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland und ihre Herkunft. Verlag ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Dresden 2009, S.28-40;28.
- ↑ Stefan Wolle: Die heile Welt der Diktatur: Alltag und Herrschaft in der DDR 1971-1989. Ch. Links Verlag, Berlin 1998, S.87, ISBN 3-86153-157-7.
- ↑ Hans-Jürgen Wagener, Helga Schultz: Ansichten und Einsichten. Einleitung. In: Dieselb.: (Hrsg.): Die DDR im Rückblick. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur. Ch. Links Verlag, Berlin 2007, S.9-28;14, ISBN 978-3861534402.
- ↑ Thomas Gensicke: Die Neuen Bundesbürger. Eine Transformation ohne Integration. Westdeutscher Verlag Oppladen 1998, S.15, ISBN 978-3-531-13231-0.
- ↑ Thomas Gensicke: Die Neuen Bundesbürger. Eine Transformation ohne Integration. Westdeutscher Verlag Oppladen 1998, S.14, ISBN 978-3-531-13231-0.
- ↑ Clemens Vollnhals: Der Totalitarismusbegriff im Wandel.bpb, Stand: 21.09.2016, gesehen am 21.03.2017.
- ↑ Siegfried Mampel: Entführungsfall Dr. Walter Linse. Menschenraub und Justizmord als Mittel des Staatsterrors. (= Schriftenreihe des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR; Band 10), Berlin 2006 (1999), S.69, ISBN 978-3-934085-03-9.
- ↑ Clemens Vollnhals: Der Totalitarismusbegriff im Wandel.bpb, Stand: 21.09.2016, gesehen am 21.03.2017.
- ↑ Michael Koch: Der Wehrunterricht in den Ländern des Warschauer Paktes: Eine Untersuchung im historischen und schulpolitischen Kontext unter besonderer Berücksichtigung der UdSSR und der DDR. Verlag IKS Jena 2006, S.128, ISBN 978-3938203446.
- ↑ Hendrik Hansen, Barbara Zehnpfennig: Einleitung. In: Dieselb. (Hrsg.): Die Prägung von Mentalität und politischem Denken durch die Erfahrung totalitärer Herrschaft. Andrássy Studien zur Europaforschung, Nomos Verlag, Baden-Baden 2016, S. 9-20;9, ISBN 978-3-8329-7334-6.
- ↑ Thomas Gensicke: Die Neuen Bundesbürger. Eine Transformation ohne Integration. Westdeutscher Verlag, Oppladen 1998, S.15, ISBN 978-3-531-13231-0.
- ↑ Stefan Wolle: Die heile Welt der Diktatur: Alltag und Herrschaft in der DDR 1971-1989. Ch. Links Verlag, Berlin 1998, S.85, ISBN 3-86153-157-7.
- ↑ Thomas Ahbe, Monika Gibas: Der Osten im vereinigten Deutschland. In: (Hrsg): Wolfgang Thierse, Ilse Spittmann-Rühle, Johannes Kuppe: Zehn Jahre Deutsche Einheit. Eine Bilanz. Springer, Berlin 2000, S. 22-38;22, ISBN 978-3-322-94959-2.
- ↑ Thomas Ahbe, Monika Gibas: Der Osten im vereinigten Deutschland. In: (Hrsg.) Wolfgang Thierse, Ilse Spittmann-Rühle, Johannes Kuppe: Zehn Jahre Deutsche Einheit. Eine Bilanz. Springer, Berlin 2000, S. 22-38;21, ISBN 978-3-322-94959-2.
- ↑ Wolfgang Bergem: Tradition und Transformation. Zur politischen Kultur in Deutschland. Westdeutscher Verlag Opladen 1993, S.11, ISBN 978-3-531-12495-7.
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- ↑ Ulrich Brinkmann: Die unsichtbare Faust des Marktes. Betriebliche Kontrolle und Koordination des Finasnzmarktkapitalismus. Edition Sigma, Berlin 2011, S.8, ISBN 978-3-8360-3576-7.
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- ↑ Madlen Arnhold: Mentalitätsunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland und ihre Herkunft. Verlag ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Dresden 2009, 28-40;28.
- ↑ Peter Förster: Junge Ostdeutsche auf der Suche nach der Freiheit. Eine systemübergreifende Längsschnittstudie zum politischen Mentalitätswandel vor und nach der Wende. Verlag Leske + Budrich, Opladen 2002, S.47, ISBN 978-3-8100-3452-6.
- ↑ Ulrich Brinkmann: Die unsichtbare Faust des Marktes. Betriebliche Kontrolle und Koordination des Finasnzmarktkapitalismus. Edition Sigma, Berlin 2011, S.8, ISBN 978-3-8360-3576-7.
- ↑ Peter Förster: Junge Ostdeutsche auf der Suche nach der Freiheit. Eine systemübergreifende Längsschnittstudie zum politischen Mentalitätswandel vor und nach der Wende. Verlag Leske + Budrich, Opladen 2002, S.47, ISBN 978-3-8100-3452-6.
- ↑ Thomas Gensicke: Die Neuen Bundesbürger. Eine Transformation ohne Integration. Westdeutscher Verlag, Oppladen 1998, S. 14ff, ISBN 978-3-531-13231-0.
- ↑ Michael Kummer: Der kurze Sommer der Anarchie. Der Einflus der Wende vopn 1989 auf die Biographiern junger Ostdeutscher. Diplomica Verlag, Hamburg 2010, S.72, ISBN 978-3-8366-8975-5.
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- ↑ Bernd Wegener, Stefan Liebig: Gerechtigkeitsvorstellungen in Ost- und Westdeutschland im Wandel: Sozialisation, Interessen, Lebenslauf. In: Peter Krause (Hrsg.), Ilona Ostner (Hrsg.): Leben in Ost- und Westdeutschland. Eine sozialwissenschaftliche Bilanz der deutschen Einheit 1990–2010. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2010, S.83–102;14, ISBN 978-3-593-39333-9.
- ↑ Petra Bauer-Kaase: Die Entwicklungen politischer Orientierungen in Ost- und Westdeutschland seit der Deutschen Vereinigung. In (Hrsg.): Oskar Niedermayer, Richard Stöss: Parteien und Wähler im Umbruch: Parteiensystem und Wählerverhalten in der ehemaligen DDR und den neuen Bundesländern. Springer, Wiesbaden 1994, S.266-297;267, ISBN: 978-3-531-12648-7.