Der Utilitarismus (lat. utilitas = Nutzen) ist eine auf Jeremy Bentham und John Stuart Mill zurückgehende Ethik, die eine Handlung dann als sittlich gut beurteilt, wenn sie nützlich ist. Nach Vorstellung des hedonistischen Utilitarismus, so wie ihn Bentham und eingeschränkt John Stuart Mill vertreten, streben die Menschen - ähnlich wie im Hedonismus - danach, Lust zu gewinnen und Unlust zu vermeiden. Das größte Glück der größten Zahl sieht J. Bentham nicht, wie oft missverstanden, als Maxime für individuelles, sondern für politisches Handeln. Mit liberalen Vorstellungen verbindet sich der Utilitarismus, wenn davon ausgegangen wird, dass das eigennützige Handeln der Individuen zu einer Steigerung der gesamten Wohlfahrt führt. Gegenmodell zu dieser harmonischen Vorstellung des Ausgleichs von Interessen bildet der Krieg aller gegen alle (Thomas Hobbes). Die Schwierigkeiten, die ein utilitaristisches Modell menschlichen Handelns hat, soziale Solidarität zu erklären, veranlassten Emile Durkheim dazu, die Bedeutung von gesellschaftlichen Wertvorstellungen hervorzuheben.
In den 1950er Jahren kritisierte Talcott Parsons im Anschluss an Durkheim den Utilitarismus, indem er vor allem auf die metaphysische Komponente der Vorstellung eines Interessenausgleichs wie durch eine unsichtbare Hand (Adam Smith) hinwies. In Frankreich wird die Kritik des Utilitarismus von dem Mouvement Anti-Utilitariste dans les Sciences Sociales fortgeführt.
Formen und Richtungen
Der Utilitarismus tritt in verschiedenen Formen auf:
- Im klassischen Utilitarismus geht es um die Maximierung von Glück (Lust) und die Minimierung von Leid (Unlust).
- Der Präferenzutilitarismus beurteilt eine Handlung danach, inwieweit sie Präferenzen/Interessen befriedigt bzw. deren Befriedigung verhindert.
- Im Regelutilitarismus wird eine Handlung nicht direkt nach ihren Folgen (z. B. Lust/Unlust) beurteilt, sondern danach, ob sie bestimmten Regeln entspricht, deren Befolgung dann in der Regel zu einem bestimmten Nutzen wie der Glücksmaximierung führt.
- Der negative Utilitarismus beurteilt eine Handlung danach, inwieweit sie das Gesamtleid vermindert.
- Neoutilitaristen betonen, dass Nutzen nicht dasselbe wie Eigennutz oder Egoismus sei; so könne z. B. die Adoption eines Kindes von subjektivem Nutzen sein. Hier spalten sich jedoch die Neoutilitaristen: Die einen haben einen empirischen Begriff, nehmen also an, dass der Mensch grundsätzlich nach Nutzenmaximierung sucht, Unlust vermeiden und Lust gewinnen will. Versuche an Tieren werden auf Menschen übertragen. Die anderen, etwa Mancur Olson, haben einen analytischen Begriff der Nutzenmaximierung, wonach der Nutzen zuerst offen bleibt, um dann analytisch zu untersuchen, welche Handlungsoptionen bei gegebenen Nutzen zu welchem Ergebnis führen. An Einfluss und im Hinblick auf die Erklärung sozialer Phänomene sind sie den empirischen Utilitaristen voraus.
- Die utilitaristische Ethik versucht die Entstehung und Geltung moralischer Normen und gesellschaftlicher Institutionen auf den Nutzen zurückzuführen, den sie für die Gesellschaft haben. Als eine normative Theorie setzt sie das Prinzip der Nützlichkeit als ein moralisches Kriterium, an dem die moralische Richtigkeit und Falschheit von Handlungen und Recht und Unrecht moralischer, rechtlicher und anderer gesellschaftlicher Normen und Institutionen gemessen werden sollen. Die utilitaristische Ethik fragt immer nach dem größten Glück der größten Zahl.
Anwendbarkeit
Da die individuellen Präferenzen der Individuen nicht direkt objektiv messbar sind, ist die Anwendung der utilitaristischen Ethik oft mit Problemen verbunden. Ein Beispiel hierfür ist die Verteilung von Geld in einer Gesellschaft: Nach der utilitaristischen Ethik müsste der individuelle Geldbedarf jeder Person (d. h. der Nutzen pro Geldeinheit) erfasst werden und dann das vorhandene in einem Zeitraum erwirtschaftete Geld unter Berücksichtigung des Gesetzes vom abnehmenden Grenznutzen so auf die Individuen verteilt werden, dass für die Gesamtheit der Nutzen maximiert wird. Da der individuelle Geldbedarf jedoch nicht bekannt ist, werden Transferleistungen in pauschalisierter Form (Steuern, Sozialhilfe usw.) vorgenommen. Die Ermittlung des Geldnutzens jeder einzelnen Person wäre mit einem derart hohen Aufwand verbunden, dass der entstehende Gesamtnutzen kleiner wäre, als er bei der pauschalisierten Nutzenbeurteilung ist. Insofern wird auch hier nach utilitaristischen Prinzipien vorgegangen. Das Beispiel zeigt jedoch, dass der erreichbare Gesamtnutzen stark von der Verfügbarkeit von Informationen abhängig ist.
Kritik
Als Kritik am Utilitarismus kann angeführt werden, dass es durchaus von Nutzen sein kann, einen Menschen zu foltern oder zu töten, wenn z. B. dadurch eine große Gruppe von Personen Vorteile hat. Die Folterung oder Tötung eines Menschen wird allerdings im Allgemeinen als unmoralisch angesehen. Folglich kann der Utilitarismus in einem relativ großen Gegensatz zu allgemeinen Ethik- und Moralvorstellungen stehen.
Ein weiterer Kritikpunkt ist jedoch auch, dass der Utilitarismus die Würde des Menschen zwar anerkennt, dies jedoch nach den Grundsetzen des Utilitarismus nicht immer durchführbar ist. Anhand eines Beispiels lässt sich dies erklären: angenommen, eine Verkäuferin lässt eine alte, sehbehinderte Frau sehr lange nach Kleingeld suchen, während sich hinter ihr eine lange Schlange bildet. Nach dem Utilitarismus, der ja das Allgemeinwohl als höchstes Ziel vorsieht, dürfte die Verkäuferin nicht der alten Frau helfen, sondern (im Sinne des Allgemeinwohls) wäre dazu verpflichtet, die anderen Kunden schneller zu bedienen und daher die alte Frau nicht zu bedienen oder ihr nicht zu helfen, Kleingeld zu suchen. Hier wird also deutlich, dass der Utilitarismus keinesfalls immer anwendbar ist und es (wie an diesem Beispiel erläutert wird) oftmals zu Schwierigkeiten/Kritik an den Grundsätzen des Utilitarismus kommen kann. (Beispiel Quelle: "Einführung in die utilitaristische Ethik", Franke Verlag, 1992)
Literatur
- Jeremy Bentham. An introduction to the principles of morals and legislation. Kila(?): Kessinger: 2005. ISBN 1-4179-5732-8
- John Stuart Mill. (1871) Der Utilitarismus. Stuttgart: Reclam, 1976. ISBN 3-15-009821-1
- Peter Singer. Praktische Ethik. 2., überarbeitete Auflage. Philipp Reclam, Stuttgart, 1994. ISBN 3-15-008033-9
- Otfried Höffe. Einführung in die utilitaristische Ethik: Klassische und zeitgenössische Texte. 2., überarbeitete Auflage. Tübingen: Francke, 1992. ISBN 3-7720-1690-1
- Bernward Gesang. Eine Verteidigung des Utilitarismus. Stuttgart: Reclam, 2003. ISBN 3-15-018276-X