Histamin

chemische Verbindung, Neurotransmitter
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Histamin (2-(4-Imidazolyl)-ethylamin) ist ein Naturstoff, der im menschlichen oder tierischen Organismus als Gewebshormon und Neurotransmitter wirkt und auch nahezu ubiquitär im Pflanzenreich und in Bakterien vorkommt. Im menschlichen oder tierischen Körper spielt Histamin eine zentrale Rolle bei allergischen Reaktionen und ist an der Abwehr körperfremder Stoffe (Immunsystem) beteiligt. Auch im Gastrointestinaltrakt (z. B. Regulation der Magensäureproduktion und der gastrointestinalen Motilität) und im Zentralnervensystem (z. B. Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus) ist Histamin ein wichtiger Regulator. Biochemisch ist es ein biogenes Amin, das aus der Aminosäure Histidin gebildet wird und insbesondere in Mastzellen, basophilen Granulozyten und Nervenzellen gespeichert wird.

Strukturformel
Struktur von Histamin
Struktur von Histamin
Allgemeines
Name Histamin
Andere Namen 2-(4-Imidazolyl)-ethylamin
Summenformel C5H9N3
CAS-Nummer 51-46-6
Kurzbeschreibung Farblose Kristalle
Eigenschaften
Molmasse 111,15 g/mol
Aggregatzustand fest
Dichte - kg/m³
Schmelzpunkt 84 °C
Siedepunkt 210 °C (24 mbar)
Dampfdruck - Pa (x °C)
Löslichkeit löslich in Wasser, Ethanol,
unlöslich in Diethylether
Sicherheitshinweise
Gefahrensymbole
Datei:Gefahrensymbol X.png
Xn
Gesundheitsschädlich
R- und S-Sätze

R: 22-36/37/38-42/43
S: 22-26-36/37

MAK -
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Biochemie

Biosynthese

Histamin wird in Mastzellen, Zellen der Epidermis und der Magenschleimhaut und in Nervenzellen synthetisiert und in Vesikeln gespeichert. In diesen Zellen wird Histamin aus der Aminosäure Histidin durch eine Pyridoxalphosphat-abhängige Decarboxylierung mittels des Enzyms Histidindecarboxylase in einer Ein-Schritt-Reaktion gebildet.

Abbau

Die toxische Wirkung des Histamins (siehe Toxikologie) kann bereits in der Darmschleimhaut durch Regulationsmechanismen vorwiegend mit Hilfe der Histamin abbauenden Enzyme Diaminoxidase und Monoaminooxidase sowie mit bakterieller Acetylase verhindert werden. In den Nieren und im Gehirn wird Histamin überwiegend durch die N-Methyltransferase inaktiviert.

Physiologie

Freisetzung

Histamin wird im Körper bei IgE-vermittelten allergischen Reaktionen ("Soforttyp", Typ I) oder durch Komplementfaktoren (z.B. bei Schock durch Endotoxine) vor allem aus Mastzellen freigesetzt. Auch Gewebshormone, wie z.B. Gastrin und Medikamente, wie z.B. Opiate und Röntgenkontrastmittel können eine Freisetzung von Histamin aus den Mastzellen hervorrufen.

Innerhalb des Zentralnervensystems fungiert Histamin auch als Neurotransmitter in histaminergen Neuronen. Die höchste Histaminkonzentration kann im Hypothalamus nachgewiesen werden.

Funktion

Histamin vermittelt seine Funktionen über eine Aktivierung der Histamin-Rezeptoren H1, H2, H3 und H4. Diese Rezeptoren gehören der Familie der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren an und sind nahe verwandt mit Serotonin-, Dopamin- und Muskarinrezeptoren sowie mit Adrenozeptoren.

Die wichtigste Funktion von Histamin besteht in seiner Beteiligung an der Abwehr körperfremder Stoffe und seiner pathologischen Beteiligung an der Symptomatik von Allergien und Asthma. Ebenso ist Histamin eine der Mediatorsubstanzen bei Entzündungen und Verbrennungen. Hierbei führt Histamin zu Juckreiz und Schmerz, Kontraktion der glatten Muskulatur in den Bronchien und den großen Blutgefäßen (Durchmesser von mehr als 80 µm) sowie der Erweiterung kleinerer Blutgefäße verbunden mit Hautrötung. Eine erhöhte Permeabilität der Gefäßwände kleiner Blutgefäße führt zur Nesselsucht. Histamin führt ebenfalls zu einer Freisetzung von Adrenalin aus den Nebennieren.

Im Gastrointestinaltrakt ist Histamin an der Regulation der Magensäureproduktion und der gastrointestinalen Motilität beteiligt. Die durch Histamin vermittelte Steigerung der Magensäureproduktion kann dabei als ein Bestandteil einer Histamin-vermittelten Abwehrreaktion interpretiert werden.

Am Herz besitzt Histamin über eine Aktivierung von H2-Rezeptoren eine positiv inotrope (Schlagkraft steigernd) und positiv chronotrope Wirkung (Schlagfrequenz steigernd).

Im Zentralnervensystem ist Histamin über eine Aktivierung von H1-Rezeptoren an der Auslösung des Erbrechens sowie der Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus beteiligt. Basierend auf tierexperimentellen Befunden wird eine antidepressive, antikonvulsive und Appetit zügelnde Wirkung des Histamins diskutiert. Ebenso scheint es an der Regulation der Körpertemperatur, der zentralen Kontrolle des Blutdrucks und der Schmerzemfindung beteiligt zu sein.[1] Über präsynaptische Rezeptoren (insbesondere H3-Rezeptoren) besitzt Histamin im Zentralnervensystem und im peripheren Nervensystem einen regulatorischen Einfluss auf noradrenerge, serotoninerge, cholinerge, dopaminerge und glutaminerge Neurone durch Hemmung der Neurotransmitterfreisetzung. Histamin beeinflusst somit indirekt die Effekte dieser Neurotransmitter.

Toxikologie

Größere Mengen Histamin führen zu akuten Beschwerden wie Atemnot, Blutdruckabfall, Rötung der Haut, Nesselausschlag, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und Durchfall. Die Verträglichkeitsgrenze von Histamin liegt bei ungefähr 10 mg. 100 mg Histamin führen bereits zu deutlichen Vergiftungserscheinungen.

Histamin in Lebensmitteln

Histamin ist in einigen eiweißreichen, tierischen Lebensmitteln enthalten (z. B. in Fisch und Fischprodukten), in denen Histamin aus der Aminosäure Histidin gebildet wird. Es findet sich außerdem in Lebensmitteln, die während ihrer Verarbeitung, Reifung und Lagerung mikrobiellen und biochemischen Veränderungen unterliegen (z. B. Käse, Schinken, Sauerkraut und Wein). Die Histaminkonzentrationen in diesen Lebensmitteln sind in der Regel gering, können aber bei sensiblen Personen wie Allergikern und Menschen, die an einer Histaminose leiden, die oben genannten Beschwerden verursachen. Dies ist auch bei Einnahme von Medikamenten (z. B. MAO-Hemmer) zu berücksichtigen, welche den Histaminabbau hemmen können.

Verwendung

Histamin wird zur medizinischen Diagnostik v.a. von Atopien und Allergien eingesetzt, so im inhalativen Provokationstest und zur Positivkontrolle beim Intrakutantest. Histamin besitzt keine therapeutische Bedeutung.

Ohne therapeutische Bedeutung sind ebenfalls Substanzen, welche die Wirkung von Histamin imitieren (Histamin-Rezeptoragonisten), wie z.B. Histaprodifen, Arpromidin, Imetit und Imepip. Dem gegenüber werden Arzneistoffe, welche die Freisetzung von Histamin aus Mastzellen (Mastzellenstabilisatoren) oder die Wirkung von Histamin an Histaminrezeptoren blockieren (Antihistaminikum) in der Therapie verwendet. Mastzellenstabilisatoren (z. B. Cromoglicinsäure (DNCG), Nedocromil und Lodoxamid) werden wie auch H1-Antihistaminika (z. B. Diphenhydramin, Loratadin und Cetirizin) zur symptomatischen Behandlung allergischer Beschwerden eingesetzt. H1-Antihistaminika finden darüber hinaus bei der Behandlung von Schlafstörungen sowie Übelkeit und Erbrechen Anwendung. H2-Antihistaminika (z. B. Cimetidin, Ranitidin und Famotidin) sind als Hemmer der Magensäureproduktion bedeutende Antazida.

Geschichte

Die Geschichte der Erforschung des Histamins begann im Jahr 1907 mit seiner Synthese als chemische Kuriosität durch die deutschen Chemiker A. Windaus und W. Vogt.[2] Bereits drei Jahre später (1910) gelang Henry H. Dale und P. P. Laidlaw die Entdeckung des Histamins als körpereigene Substanz. Dale und Laidlaw klärten gleichzeitig einige grundlegende Funktionen des Histamins auf.[3]

D. Bovet und A. Staub entdeckten im Jahr 1937 erste Substanzen, welche die Wirkung von Histamin hemmen (Antihistaminika).[4] Im Jahr 1972 gelang James W. Black und Mitarbeiten mit Hilfe der Substanz Burimamid die Unterscheidung zwischen H1- und H2-Rezeptoren und die Entdeckung der H2-Antihistaminika.[5] Als weitere Subtypen des Histaminrezeptors wurden 1983 der H3-Rezeptor durch J.M. Arrang mit Hilfe pharmakologischer Methoden[6] und 2000 der H4-Rezeptor durch T. Nakamura durch Entschlüsselung des Genoms[7] entdeckt.

Literatur

Quellen

  1. Pertz H.H., Elz S. & Schunack W. (2004). Structure-activity relationship of histamine H1-receptor agonists. Mini-Rev. Med. Chem. 4:935-940.
  2. Windaus A. & Vogt W. (1907). Synthese des Imidazoläthylamins. Chem. Beriche 40:3691.
  3. Dale H.H. & Laidlaw P.P. (1910). The physiological action of β-Imidazolethylamine. J. Physiol. 41:318-344.
  4. Bovet D. & Staub A. (1937). Action protectrice des éthers phenoliques au cours l'intoxication histaminique. Cr. Soc. Biol. 124:547-549.
  5. Black J.W., Duncan W.A.M., Durant C.J., Ganellin C.R. & Parsons M.E. (1972). Definition and antagonism of histamine H2 receptors. Nature 236: 385-390.
  6. Arrang J.M., Garbarg M. & Schwartz J.C. (1983). Auto-inhibition of brain histamine release mediated by a novel class (H3) of histamine receptor. Nature 302: 832-837.
  7. Nakamura T., Itadani H., Hidaka Y., Ohta M. & Tanaka K. (2000). Molecular cloning and characterization of a new human histamine receptor, HH4R. Biochem. Biophys. Res. Commun. 279:615-620.

Weiterführende Literatur

  • Hill S.J., Ganellin C.R., Timmerman H., Schwartz J.C., Shankley N.P., Young J.M., Schunack W., Levi R. & Haas H.L. (1997). International Union of Pharmacology. XIII. Classification of histamine receptors. Pharmacol. Rev. 49:253-278.
  • Brown N.J. & Roberts II L.J. (2001). Histamine, bradykinin, and their antagonists. In: J.G. Hardman & L.E. Limbird Goodman & Gilman's - The pharmacological basis of therapeutics, McGraw-Hill, New York, ISBN: 0-07-135469-7 S.645-667.
  • Dorothea M. Beutling (Hrsg.): Biogene Amine in der Ernährung, Springer, Berlin, 1996, ISBN 3-540-60398-0
  • Kasper H.: Ernährungsmedizin und Diätetik, Urban & Schwarzenberg, München, 1996, ISBN 3-437-42011-9
  • Jarisch R. (Hrsg.): Histamin-Intoleranz Histamin und Seekrankheit. Thieme Stuttgart 2004, ISBN 3-13-105382-8