Hermaphroditismus

Zweigeschlechtlichkeit, bei der sowohl Hoden als auch Eierstöcke vorliegen
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Hermaphrodit ist der ältere, vor dem Einbruch der modernen Medizin gebräuchliche Ausdruck für Menschen ohne eindeutiges Körpergeschlecht. Er leitet sich von Hermaphroditos ab, einer Figur aus der griechischen Mythologie.

Viele Hermaphroditen nehmen für sich in Anspruch, ein drittes Geschlecht neben Mann und Frau zu bilden und drängen (bisher vergeblich) auf eine Anerkennung ihres Geschlechts durch die Standesämter.

Ärzte nennen Hermaphroditen auch Intersexuelle, was von diesen teils übernommen, teils aber auch rigoros abgelehnt wird, je nachdem wie stark man sich von der medizinischen Geschichte der Pathologisierung und Verstümmelung von Hermaphroditen abgrenzen möchte.

Alternativ sprechen manche auch von Zwittern. Dieser Begriff hat sich aber unter Hermaphroditen, obwohl anfangs provokativ als Selbstbezeichnung verwendet, nicht durchsetzen können, weil er in der Biologie ausschließlich mit dem Tierreich assoziiert wird. Daher kann er, von Dritten verwendet, schnell als Versuch der Entmenschlichung von Hermaphroditen empfunden werden.

Hermaphrodismus und Religion

In den meisten Kulturen und Religionen, etwa dem Islam, werden Hermaphroditen als Angehörige eines dritten Geschlechts betrachtet. In christlichen Ländern wird dagegen argumentiert, dass Gott die Menschen ausschließlich als Mann und Frau geschaffen habe. Daher wurden Hermaphroditen gerade hier immer wieder gezwungen, sich einem dieser beiden Geschlechter anzupassen.

1999 hat die intersexuelle Theologin Sally Gross diese Form der Drangsalierung als Folge eines Übersetzungsfehlers analysiert und gezeigt, dass im jüdischen Talmud auch andere Auslegungen der heiligen Schrift#Kontextuelle Exegese zu finden sind. In ihnen wird die Existenz von Hermaphroditen nicht nur anerkannt, sondern sogar ausdrücklich auf biblische Gestalten bezogen.

Die Erfindung des "Pseudo"-Hermaphroditen

In Preußen stellte das Allgemeine Landrecht Hermaphroditen frei, sich bis zur Volljährigkeit entweder für den männlichen oder für den weiblichen Stand zu entscheiden, legte sie aber anschließend auf diese Entscheidung fest.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahmen Mediziner zunehmend für sich in Anspruch, anhand willkürlicher und sich über die Zeit hinweg verändernder Kriterien das "wahre" Geschlecht von Hermaphroditen unabhängig von ihrem Willen zu bestimmen. Mit oft traumatischen Folgen für diejenigen, die plötzlich aus ihrem angestammten Leben gerissen und einem ihnen fremden Geschlecht zugewiesen wurden. Dies lässt sich u.a. an der Autobiographie und dem Selbstmord von Herculine Barbin ablesen.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Hermaphroditen als "Pseudo"-Hermaphroditen, als "missgebildet" und "krank" reklassifiziert. Ihre Genitalien wurden nicht selten von Ärzten wie Magnus Hirschfeld abfotografiert und öffentlich zur Schau gestellt.

In den 50er Jahren begann der amerikanische Arzt und Psychiater John Money schließlich, mit frühkindlichen Operationen an Hermaphroditen zu experimentieren. Das Ziel war es, die fehlende Geschlechtseindeutigkeit bis zum zweiten Lebensjahr chirurgisch herzustellen.

Seit Mitte der 90er Jahre haben Intersexuelle begonnen, diese brutale Praxis öffentlich in Frage zu stellen und vor Medizinerkongressen gegen Operationen im Kindesalter zu protestieren. Diese vergleichen sie häufig mit der Genitalverstümmelung an Mädchen in Afrika, wie sie hierzulande nicht selten helle Empörung auslöst. Dass gleichzeitig die Verstümmelung von intersexuellen Kindern stillschweigend hingenommen wird, können viele von ihnen nicht nachvollziehen.


Siehe auch: Intersexualität, Zwitter, Heteronormativität