Antichrist

Figur der christlichen Apokalyptik
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Der Antichrist ist eine Figur der urchristlichen Apokalyptik, in deren Erwartung das Reich Gottes sich zuletzt gegen die weltbeherrschende Macht des Bösen durchsetzen wird. Der Begriff stammt aus dem Neuen Testament (NT) und bedeutet auf Griechisch wörtlich »gegen den [von Gott] Gesalbten« (αντί Χριστός). Die Silbe anti kann im Altgriechischen auch mit »anstelle von« übersetzt werden.

Hochmittelalterliche Darstellung des Antichrists mit den Attributen eines Königs im Hortus deliciarum Manuskript (um 1180)
Darstellung des Antichrists als Papst von Lucas Cranach d. Ä. (1521)

Der Antichrist ist ein Gegen-Messias - oder mehrere -, der gegen Jesus Christus auftritt und die Weltherrschaft beansprucht. Er soll vom Satan als Gegenspieler Gottes abstammen oder wird ganz mit ihm identifiziert. Er sei in verschiedenen die Christen und alle Menschen bedrängenden und irreführenden Mächten am Werk und gebe sich als der wahre Messias aus, der die Gläubigen zum Abfall verleite. Er wurde aber gemäß ihrer Hoffnung am Kreuz des Sohnes Gottes bereits besiegt und werde bei der Wiederkunft Christi endgültig entmachtet werden.

Auch in der islamischen Eschatologie spielt der Antichrist, arabisch al-Masih al-Dajjal (der falsche Messias), eine sehr wichtige Rolle. Der Prophet Mohammed hat prophezeit, dass er in den letzten Tagen Unheil über die Menschen bringe und schließlich von Isa bin Marjam (Jesus) getötet werde.

Biblischer Befund

Altes Testament

In der Hebräischen Bibel, dem Tanach, ist die Figur eines endzeitlichen Gegenspielers, den Gott zur Erlösung der Welt erst besiegen muss, unbekannt. Im Glauben an JHWH als dem souveränen Herrn der Geschichte und Schöpfer der Welt, der diese gut geschaffen habe (Gen 1,31), war kein Raum für die verbreiteten Vorstellungen vom Kampf zwischen Gut und Böse, auf den antike Kosmogonien den Ursprung der Welt zurückführen. Im betonten Gegensatz dazu hieß es etwa bei Deuterojesaja (Jes 45,7):

Ich bin der Herr und sonst keiner mehr, der ich das Licht mache und die Finsternis, der ich Frieden (hebr. Schalom) gebe und Unheil schaffe.

Erst in nachexilischer Zeit kam das Judentum in Kontakt mit persischen und hellenistischen Vorstellungen, die biblische Endzeiterwartungen mitprägten. In der äußersten Bedrohung durch übermächtige Fremdherrschaft und Religionsverbot entstand um 170 v. Chr. das apokalyptische Buch Daniel. In großen Traumvisionen sieht der Icherzähler den Aufstieg und Fall der vier Weltreiche, auf den er zurückschaute, bis hin zu seiner bedrängenden Gegenwart als von Gott vorherbestimmt. Er hob einen Gewaltherrscher hervor: Gott habe sein Bundesvolk eine Zeit lang dem „Maul, das große Dinge redete" (Dan 7,20) und damit Gott lästerte, „in seine Hand gegeben“ (Dan 7,25). Diesem „frechen und verschlagenen König" werde es gelingen, die Starken des heiligen Volks durch Betrug zu vernichten (Dan 8,23). - Gemeint war Antiochus IV. Epiphanes (175-164 v. Chr.), einer der Seleukiden, der den Jerusalemer Tempel mit einer Zeusstatue entweiht hatte und Israels Religion durch ein Verbot der Opfer und Beschneidung ausrotten wollte (Dan 11,31). - Doch wie der Fels, der in Nebukadnezars Vision vom Himmel fallend die Weltreiche zertrümmert (Dan 2,34), werde danach das Endgericht gehalten, alle unmenschliche Gewaltherrschaft vernichtet und der Bund Gottes mit Israel ewig erneuert werden (Dan 7,27).

In dieser apokalyptischen Erwartung ist das Böse, das in immer neuen Gewaltsystemen auf Erden Macht gewinnt und auch die vernichtet, die ihrem Gott die Treue halten, gerade nicht dualistisch verselbstständigt und zum Gegengott personifiziert. Keiner der irdischen Könige wird hier mit Satan in Verbindung gebracht, keiner gewinnt Zerstörungsmacht über seine Lebens- und Herrschaftsfrist hinaus, alle sind nur Werkzeug der „Zeit des Zorns" (Dan 8,19; 11,36), die Gott beschlossen habe, bis das ewig vorherbestimmte „Ende der Zeiten" (Dan 11,13) bzw. die „Zeit des Endes" (Dan 11,40) gekommen sei. Nichts kann in Daniels Glauben Gottes Kommen zum Weltgericht aufhalten und ihn daran hindern, selbst die Todesgrenze zu durchbrechen und alle Gerechten aufzuerwecken (Dan 12,2f).

Neues Testament

In den Johannesbriefen des Neuen Testaments taucht vereinzelt erstmals der Begriff des Anti-Christos auf. Der 1. Johannesbrief warnt die Christen:

  • 1 Joh 2,18-f: Kinder, es ist die letzte Stunde! Und wie ihr gehört habt, dass der Antichrist kommt, so sind nun schon viele Antichristen gekommen: Daran erkennen wir, dass die letzte Stunde da ist.

Den folgenden Versen nach stammten diese Gegner Jesu aus der christlichen Gemeinde selber. Sie seien Lügner, die leugnen, dass Jesus der Christus sei:

  • 1 Joh 2,22-24: Das ist der Antichrist, der den Vater und den Sohn leugnet. Wer den Sohn leugnet, hat auch den Vater nicht; wer den Sohn bekennt, der hat auch den Vater. Was ihr gehört habt, das bleibe in euch.

Die Angeredeten waren also in Gefahr, sich von ehemaligen Mitchristen beeinflussen zu lassen, die nicht an Jesus als Sohn Gottes glaubten, also das einzigartige Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Jesus und Gott abstritten und sich damit von der überlieferten apostolischen Lehre abkehrten. Ihnen gegenüber bekräftigt der Briefautor, dass man nicht an Gott glauben kann, ohne Jesus als Gott, der ins Fleisch gekommen sei, zu bekennen:

  • 1 Joh 4,3-6: Und ein jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Antichristen, von dem ihr gehört habt, dass er kommen werde; und er ist jetzt schon in der Welt.

Wo und wer er ist, zeigen wiederum die genannten Gegner (1 Joh 4,5-8): Da sie von der Welt seien, redeten sie auch nur von dieser und die Welt höre auf sie. Dagegen: Wir sind von Gott, und wer Gott erkennt, der hört uns; wer nicht von Gott ist, hört uns nicht. Gehört werden will die Botschaft: Lasst uns einander lieben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, ist von Gott geboren und kennt Gott...denn Gott ist Liebe. Diese Liebe schließt nach Joh 3,16, auf das hier Bezug genommen wird, die Welt ein, also auch diejenigen, die aus Sicht der glaubenstreuen Christen abgefallen sind.

Auch der 2. Johannesbrief warnt:

  • 2 Joh v. 7: Denn viele Verführer sind in die Welt hinausgegangen, die nicht bekennen, dass Jesus im Fleisch gekommen ist. Das ist der Verführer und der Antichrist.

Diese Stellen beziehen sich offenbar zurück auf die synoptische Apokalypse, die Mt 24 und Lk 21 mit nur geringen Varianten von Mk 13 übernommen haben. Dort redet Jesus von den Zeichen der Endzeit, die dem Endgericht vorausgehen sollen:

  • Mk 13,21-23: Wenn nun jemand zu jener Zeit zu euch sagen wird: 'Siehe, hier ist der Christus! Sieh, da ist er!', so glaubt es nicht. Denn mancher falsche Christus und falsche Prophet wird sich erheben und Zeichen und Wunder tun, so dass sie auch die Auserwählten verführen würden, wäre es möglich. Ihr aber, seht euch vor! Ich habe es euch alles zuvor gesagt!

Der Antichrist ist also nicht unbedingt ein Einzelner, sondern kann sich in verschiedenen Personen und Mächten zeigen, die falsche Heilslehren verkünden und die Jesusnachfolger damit in die Irre führen. Wer vom wahren Glauben abfalle, sei damit als nicht auserwählt erwiesen.

Hinzu kommen zwei Texte, die den Antichristen nicht nennen, aber der Sache nach ebenfalls meinen:

Die Johannesoffenbarung ist ein Dokument der urchristlichen Prophetie, die sehr stark von jüdischer Apokalyptik beeinflusst war. Sie stellt göttliche Visionen des Autors von dem, was ist (die sichtbare Gegenwart) dem, was danach geschehen wird (der unsichtbaren Zukunft) gegenüber (1,19). Die Zukunft wird in drei Zyklen von je sieben Visionen ausgemalt, die mit der Inthronisation des "Lammes" eingeleitet werden (4): Jesus Christus als der am Kreuz für alle Menschen dahingegebene Sohn Gottes ist der, den Gott zur Weltherrschaft bestimmt und dem er die Vollstreckung seines Geschichtsplans übertragen hat.

In den Kapiteln 12 bis 14 wird die Visionskette unterbrochen von andersartigen Visionen, die die besondere Situation der Christengemeinschaft gegenüber der von gottfeindlichen Mächten beherrschten Welt wie in einer Nahblende darstellen. In Kapitel 12 wird der mythische vorzeitliche Kampf und Sturz des "Drachen" gegen den vom Weib geborenen Gottessohn dargestellt mit dem Ergebnis:

Und es wurde gestürzt der große Drache, die alte Schlange, die da heißt Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt.

Damit ist die Identität des Antichristen mit dem Satan ausgesagt, ebenso wie seine durch das Blut des Lammes und seiner Zeugen (Jesu Opfertod und das Martyrium verfolgter Christen) bereits feststehende Niederlage (v.11).

In Kapitel 13 tauchen dann zwei Tiergestalten als absolute Feinde des „Lammes" und seiner Herrschaft auf. Die Züge des ersten vereinen die Züge der vier Tiergestalten von Buch Daniel 7, der großen biblischen Vision vom Endgericht über alle Gewaltherrschaft. Damit wird deutlich, dass der Antichrist, um den es hier geht, der absolute Weltherrscher ist. Er beansprucht also die totale Macht gegen Christus. Er gleicht diesem bis ins Detail: Auch er hat ein Haupt "wie geschlachtet", trägt also eine Todeswunde, die geheilt wurde (v.3). Deshalb erweisen die Menschen ihm die göttliche Ehre (v.4), die in Wahrheit nur dem "Lamm" zusteht (Off 5,6). Er lästert Gott (v.5f), indem er sich göttliche Titel beilegt und damit die letzte Instanz anstelle Gottes zu sein beansprucht. Er verfolgt und besiegt die Gemeinde der Christen, die ihm als einzige Gruppe in seinem Reich diese Anbetung verweigert (v.7f).

Die zweite Tiergestalt gleicht dem "Lamm", redet aber wie der "Drache": Hier tritt der Antichrist als Falschprophet auf, der die Restgemeinde der Christen zum Abfall und zur Anbetung des ersten Tieres verführt und sich dazu eines Erkennungszeichens bedient.

Das 14. Kapitel mahnt die Christen durch die Stimme eines Engels zur Geduld und zum Bewahren ihres Glaubens an Jesus und zum Halten der Gebote Gottes (v. 12). Die Märtyrer unter ihnen werden selig gepriesen, erhalten also schon jetzt die Zusage ihrer Aufnahme in Gottes Reich. So will der Autor dieses Textes seine Leser zum Festhalten an ihrem Glauben bis in den Tod ermutigen. Denn obwohl der total übermächtige Feind Christi als mit dem Satan identischer Weltherrscher die Christen besiegt und tötet und zum Abfall verführt, ist die Entscheidung über seine Entmachtung gemäß Jesu eigener Prophetie längst gefallen (Lk 10,18):

Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.

Hier ist der Antichrist also nicht auf eine innerkirchliche, sondern auf eine gesamtpolitische Gegenwartssituation bezogen: Er spielt deutlich auf den Kaiserkult im Römischen Reich an, dessen Verweigerung die Christen seit Domitian um 90 der staatlichen Verfolgung aussetzte.

Für die Christen wurde der Feind des Volkes Gottes, der Gottesläster und Verfolger der glaubenstreuen Juden, den Daniel als Vorläufer des Endgerichts sah, zum Widersacher Jesu Christi und zum Verführer seiner treuen Nachfolger zum Abfall. Er wurde somit zu einer Figur der Endzeit selber, die für sie mit Tod und Auferstehung Jesu Christi bereits angebrochen war.

Christentumsgeschichte

Andere Beschreibungen bei den Kirchenvätern

Es gibt auch außerbiblische Beschreibungen des Antichristen, die ihn als Bruder Jesu darstellen, der eifersüchtig auf diesen war und daher zum Widersacher (Satan) Jesu wurde. Es wird aus diesen Schriften jedoch nicht klar, ob dieser Antichrist als leiblicher (=weltlicher) Bruder Jesu (sprich ein anderes Kind von Maria und Josef) oder ebenfalls als Sohn Gottes gedacht wird. In jedem Fall erinnert es sehr an das Bild des gefallenen Engels Luzifer (die Engel sind laut älteren, vorchristlichen Schriften die Kinder Gottes).

Eine andere Zeichnung des Antichristen beschreibt ihn als Ausgeburt Satans (Teufel, Luzifer), welcher selbst der gefallene Engel ist. Und so wie Jesus als Sohn Gottes dargestellt wird, so der Antichrist als Sohn Satans. Dabei erscheint dieser Teufelssohn als quasi gleichwertiger Gegenpol zu Jesus. Damit liegt ein heilsgeschichtlicher Dualismus nahe, der Ähnlichkeiten zum Gnostizismus aufweist.

Jedoch gibt es keine Hinweise auf die Frau, die den Antichristen als solchen ausgetragen haben soll. Allerdings selbst in anthropomorphe Gottesvorstellungen wurde der Teufel, im Gegensatz zu Gottvater, als männliches, weibliches sowie ungeschlechtiches Wesen oder Tier dargestellt. Daraus kann vermutet werden, dass der Antichrist eben aus Satan und nur aus ihm - ungeschlechtlich - entstanden sei.

Historische Verwendungen des Begriffs

Zu vielen Zeiten haben Menschen ihre Gegenwart als in höchstem Maß bedrohliche Endzeit erlebt, die ihnen eine endgültige Entscheidung zwischen Gut und Böse abverlangt. Ihre Selbstunterscheidung von dem, was man unbedingt ablehnt, und die Identifikation aktueller Größen mit dem Antichristen gingen Hand in Hand. Sowohl auf christlicher Seite als auch auf Seiten der Muslime gab es im Mittelalter mehrere Theologen, welche vor dem Weltende einen Kampf zwischen dem Messias bzw. dem Mahdi einerseits und dem Antichristen bzw. dem Dadjdjal andererseits erwarteten.

Bereits mittelalterliche Theologen des Christentums wiesen im Rahmen ihrer Kreuzzugs-Kritik darauf hin, dass entsprechend Offb. 19,10-16 bei Anbruch der Endzeit der König der Könige die Feinde des Christentums (allein) mit dem Hauch seines Mundes (einem Schwert, das seinem Munde entfährt, also mit dem Wort Gottes) vernichten werde.

Nicht selten wurde versucht, bestimmte Gegenwartstendenzen und Personengruppen als "Verkörperungen" des Antichristen darzustellen, um dem irdischen Kampf gegen sie höhere Weihen und eine mythologische Dimension zu verleihen. Fast alle Kirchenväter und viele spätere führende Theologen fanden das Antichristentum vorrangig im Judentum als gemeinsamem "Hauptfeind" des wahren christlichen Glaubens. Dieser durchgehende Antijudaismus hatte historisch fatale Folgen.

Hinzu kamen in der Kirchengeschichte immer wieder wechselseitige Zuweisungen des Antichrist-Typos an die Hauptvertreter gegnerischer Konfessionen und sogenannter Häresien: So haben 1239 Kaiser Friedrich II. und Papst Gregor IX. sich gegenseitig als Antichrist bezeichnet, später John Wyclif, Jan Hus, Martin Luther und andere ausdrücklich den Papst als Antichristen bezeichnet, umgekehrt katholische Theologen diese Reformatoren.

Bis heute sehen bestimmte pfingstlerische und evangelikale Kreise in den Repräsentanten der römisch-katholischen Kirche den Antichristen. Dagegen hat die gegenwärtige ökumenische Verständigung zwischen den größeren christlichen Kirchen von Zuweisungen des Antichrist-Typus an die jeweils andere Seite offiziell Abstand genommen.

Die Beziehung des Antichristen auf politische Größen legte sich von Daniel und der Johannesoffenbarung her nahe. So wurde z.B. auch Napoleon als Antichrist bezeichnet, während Juliane von Krüdener, die Vertraute des Zaren Alexander I, von Teilen der Heiligen Allianz als erlösendes Sonnenweib zu seinem Gegenpart stilisiert wurde.

Im Blick auf die totalitären Weltanschauungen des 20. Jahrhunderts wurde in der christlichen Literatur der Antichrist unter anderem in Hitler und Stalin ausgemacht. In Rumänien sagte der Nachrichtensprecher 1989 nach der Hinrichtung des gestürzten Diktators Ceauşescu wörtlich (übersetzt): "Welch ein Weihnachten - der Antichrist ist tot!".

Dagegen versuchte Friedrich Nietzsche in seinem Buch Der Antichrist grundsätzliche Kritik am Christentum zu üben: Er bezeichnete es als "den einen unsterblichen Schandfleck der Menschheit", der alles positive Selbstbewusstsein durch die Kettung an Moral und Schuldgefühle erniedrigt und an der freien Entfaltung hindert. Dabei nahm er literarisch selber die Rolle des Widerparts ein. Einige traditionell christliche Leser deuten diese Kritik als Verherrlichung des Antichrist-Typos in einer neuen Form und führen sie auf die Psychologie des Autors zurück, der eine bestimmte Form des Christentums im Kaiserreich und in seinem Elternhaus vor Augen hatte.

In der Tradition Nietzsches haben sich immer wieder Menschen als "Antichristen" bezeichnet, wenn sie sich gegen die Vorherrschaft des Christentums auflehnen bzw. es verachten. Dieses Phänomen ist im 20. Jahrhundert vor allem im frühen Satanismus um LaVey und Crowley und im Neuheidentum aufgetreten. Auch manche Islamisten bezeichnen sich als Antichristen, wenn sie die Vormachtstellung der christlichen Religionen und die christliche Infiltrierung in Ämter und Führungspositionen kritisieren.

In den 1980er Jahren nahmen mit der "Satanic panic" und der vermehrten Popularität von Punk, Metal und antichristlichem Hip Hop und im dark Electro die selbsternannten "ACs" zu. Viele Jugendlichen sahen darin eine neue Art der Rebellion.

Deutung

Der biblische Befund lässt verschiedene Deutungen der Figur des Antichristen zu. Der Rahmen, nämlich die apokalyptische Endzeiterwartung, ist jedoch in allen Textbeispielen vorhanden.

Die Aspekte der Verführung zum Abfall, der personifizierten Gegenwart des Bösen, seiner bedrängenden Übermacht, Weltherrschaft und Verwechslungsgefahr mit Christus sind für viele Christen auch heute noch aktuell. Sie fassen die Figur des Antichristen aber oft nicht wörtlich als leiblich existierende Person auf, sondern verstehen das Böse eher als innere Haltung (Hass oder Rache) und äußere Machtstruktur (totale Herrschaft, gnadenlose Gewalt) und den Wirkungszusammenhang zwischen beidem.

Andere Christen halten an den biblischen Aussagen über die Geschichtlichkeit und Personalität des kommenden Antichristen fest. Sie unterscheiden aber auch seinen Geist, der sich in bestimmten politischen und religiösen Bewegungen wie auch im Denken und Handeln von Einzelpersonen zeige, von der zukünftig offenbar werdenden Person.

Der biblische Befund warnt vor der allzu eingängigen Gleichsetzung von Christentum mit der Idee des Guten, Antichristentum mit der Idee des Bösen: Denn der Begriff "Antichrist" wurde gerade als Ausdruck für die Gefährdung der leichtgläubigen, ungeduldigen, die Menschwerdung und damit Leidensfähigkeit Gottes ablehnenden Christen aus der Mitte der eigenen Gemeinschaft geprägt. Auch dort, wo er auf äußere Mächte bezogen wurde, bestand deren Rolle in erster Linie darin, das Vertrauen und die Treue der Christen zu Jesus Christus zu prüfen.

Wo Christen sich im Besitz der Wahrheit wähnen und diese zur Definition der Feinde ihres Glaubens handhaben zu können meinen, dort neigen sie dazu, ihre Religion mit Christus selber zu verwechseln und seine Herrschaft durch ihre eigenen Macht- und Wahrheitsansprüche abzubilden. Genau darin liegt aber für die Texte des NT der Abfall von Christus, das fehlende Grundvertrauen zu seiner eigenen Wirksamkeit.

Jede theologisch verantwortliche Deutung wird also den selbstkritischen Entscheidungscharakter des christlichen Glaubens herauszuheben haben: Wer als Christ seinen eigenen Unglauben und Ungehorsam gegen Jesu Alleinherrschaft in der Christenheit und der Welt nicht erkennt und bekennt, der ist dem Antichristentum schon verfallen. Christen haben also allen Grund, sich nicht in eine Konfrontation zu denen zu begeben, die sich bewusst und freiwillig gegen Christus stellen, sondern gemäß Mt 5, 39-48 die grundlegende menschliche Solidarität gerade mit ihnen einzuüben.

Denn diese Ablehnung Christi könnte mit der eigenen fehlenden Nachfolge der Christen zu tun haben. Das Christentum selber hat in seiner Geschichte unbestreitbar schwere Verbrechen zu verantworten. Diese haben Theologen wie Karl Barth (Kirchliche Dogmatik II/1, § 17) als Verleugnung Jesu Christi kritisiert.

Der Antichrist im Islam

Laut islamischer Endzeitlehre wird der Antichrist kurz vor dem Weltgericht für 40 Tage auf die Erde kommen. Er wird an seiner rötlichen Hautfarbe, seiner großen Statur, seinen lockigen Haaren und einem ungewöhnlichen, blinden Auge erkennbar sein. Der Masih al-Dajjal wird vorgeben er seie Gott, und die Menschen zu seiner Anbetung auffordern. Als Beweis für seine Aussagen wird er Wunder vollbringen. So wird er den Menschen Regen schicken können, sie mit Nahrung versorgen, und sogar Tote zum Leben erwecken. Auf diese Weise gewinnt er zahlreiche Anhänger.

Die Zeit des Antichristen wird mit der Rückkehr von Isa/Jesus beendet werden. Er wird den Antichristen und seine Anhänger töten, und die Muslime für einige Zeit führen.

Literatur

  • Leonard Goppelt: Politisches Antichristentum und die wahren Jünger. In: Theologie des Neuen Testaments, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1978, ISBN 3525032528
  • Barbara Könneker: Der Antichrist, in: Ulrich Müller und Werner Wunderlich (Hgg.), Dämonen, Monster, Fabelwesen, (=Mittelaltermythen, Band 2), St. Gallen 1999 Seite 531-544
  • Alfonso di Nola: Der Antichrist und die kosmische Katastrophe, in: Der Teufel. Wesen, Wirkung, Geschichte, München 1993, Seite 237-262 ISBN 3423046007
  • Reinhard Raffalt, Der Antichrist, Feldkirch 1990
  • Horst Dieter Rauh: Das Bild des Antichrist im Mittelalter: von Tyconius zum deutschen Symbolismus, (=Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters; N.F., 9), Erlangen 1969 ISBN 3-402-03903-6
  • Ingvild Richardsen-Friedrich: Antichrist-Polemik in der Zeit der Reformation und der Glaubenskämpfe bis Anfang des 17. Jahrhunderts: Argumentation, Form und Funktion, (=Europäische Hochschulschriften: Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur; Band 1855), München 2000 ISBN 3-631-39653-8
  • Hannes Möhring: König der Könige. Königstein i. Ts. 2004. ISBN 3-7845-2141-X (Vergleich der Vorstellungen vom Endzeitkampf zwischen Antichrist und Messias im Christentum und den entsprechenden Figuren im Islam)