Preußische Reformen

Reformen unter Stein und Hardenberg in Preußen
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Die Preußischen Reformen oder auch Stein- und Hardenbergschen Reformen waren eine Reaktion auf die Niederlage Preußens in der Schlacht bei Jena und Auerstedt. Riesige Gebietsverluste, erdrückende Tributszahlungen an Napoleon und das Bestreben, sich wieder im Kreis der Großmächte zu behaupten, zwangen Preußen zu Modernisierungen. Es war "Eine Politik der defensiven Modernisierung, nicht mit, sondern gegen Napoleon" (Elisabeth Fehrenbach). Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum Stein und nach ihm Karl August Fürst von Hardenberg setzten diese Reformen um.

Ursachen

In Preußen herrschte eine tiefe Kluft zwischen aufstrebendem Bürgertum und ständischer Feudal-Obrigkeit, zwischen lokal üblichem (Gewohnheits-)Recht und aufklärerischem Gedankengut (das durchaus von aufklärerischen Gedanken berührte Preußische Landrecht von 1794 wurde häufig nicht angewendet, galt auch nicht überall – auf den Staatsdomänen war Leibeigenschaft abgeschafft, auf den ostelbischen Großgrund- und Adelsgütern nicht – und war auf bestimmte Rechtsgüter beschränkt). Die verkrusteten Strukturen wurden beim Ansturm der neuen französischen Ideen durch den schnellen Zusammenbruch Preußens im Kampf mit den napoleonischen Armeen sichtbar. Auch begründeten einige Reformer die Änderungen mit dem Willen zur Vorbeugung einer Revolution oder eines Aufstandes.

Anlass

Anlass war der völlige Zusammenbruch Preußens im Krieg gegen Napoleon 1806 und der Frieden von Tilsit sowie die Besetzung Preußens durch Napoleon. Angestrebt war die Einigung Deutschlands.

Ziele

Das vorherrschende Ziel hinter den Reformen war die Vermeidung einer Revolution in Preußen unter dem Eindruck der wachsenden Unzufriedenheit im Volk, das auf die französische Revolution blickte. Die Reformer setzten die Änderungen nicht vorrangig zum Wohle der Bevölkerung um, sondern gingen Kompromisse ein um das bisher bestehende System wenigstens in den Grundsätzen zu erhalten und trotzdem die Stimmung der Bevölkerung zu verbessern.

Die vordergründigen Ziele waren folgende:

  • Die Überwindung der feudalen Gesellschafts- und Herrschaftsformen in Preußen, um das Interesse der Bevölkerung, bisher entmündigte Untertanen, am preußischen Staat und an der deutschen Nation zu wecken. Die Menschen sollten sich vom Untertan zum Bürger entwickeln.
  • Persönliche Freiheit eines jeden Bürgers
  • Die Neuformung des preußischen Staates: Das Fundament soll eine auf Freiheit und Gleichheit gegründete bürgerliche Gesellschaft sein. (vom Stein)
  • Modernisierung der Armee auch unter menschlichen Gesichtspunkten
  • Die nationale Einigung Deutschlands.

Sie beinhalten folgende Schwerpunkte:

Reformpunkte

  1. Monarchie soll erhalten bleiben
  2. Rechtssprechung nur durch den König
  3. Erbuntertänigkeit soll aufgehoben werden
  4. mehr politisches Mitspracherecht
  5. Adelsprivilegien sollen aufgehoben werden
  6. allgemeine Wehrpflicht

Die preußischen Reformen sollten das Nationalbewusstsein der Preußen stärken.

Einzelne Maßnahmen

Die Agrarreformen

Die Agrarreformen zur Bauernbefreiung stellen das Kernstück der Reformen dar. Zuvor waren die Bauern durch die Erbuntertänigkeit leibeigen. Sie wurden durch Frondienste und Abgaben belastet und kämpften oft um das blanke Überleben, sodass auch schon die Kinder als Knechte und Mägde arbeiten mussten.

Das Oktoberedikt vom 9. Oktober 1807, ein von Karl vom und zum Stein durchgesetztes Gesetz, hob die Erbuntertänigkeit in Preußen auf. Die Schranke zwischen Bauern- und Bürgerstand fiel. Zuvor war der Landbesitz nur Adligen gestattet. Diese durften dafür keine bürgerlichen Berufe ausüben. Jetzt wurdne das Recht auf freien Eigentumserwerb und die Freiheit der Berufswahl für alle preußischen Bürger gewährt. Eine weitere Neuerung war die Freiheit der Eheschließung. Zwar wurden durch dieses Gesetz die rechtlichen Grundlagen der Ständegesellschaft beseitigt, jedoch blieb die Landverteilung im Wesentlichen unverändert.

Das Regulierungsedikt im Jahr 1811 hatte das Ziel, die Bauern von ihren Frondiensten und vielfältigen Abgaben zu befreien und ihnen dafür Grundbesitz zu verschaffen. Dazu wurde den Bauern das Eigentum an den Höfen, welche sie bewirtschafteten, übertragen. Von ihren bisherigen Abgaben und Frondiensten an den Grundbesitzer konnten sie sich freikaufen, danach hatten sie einen Hof, der wirklich ihnen allein gehörte. Allerdings konnte viele Bauern die Entschädigungssumme nicht aufbringen. Dann mussten sie entweder den Gutsbesitzern bis zur Hälfte ihres Landes als Entschädigung überlassen, wobei der Rest oft nicht mehr genug Ertrag brachte, oder sie mussten sich stark verschulden. Wenn sie die Zinszahlungen nicht leisten konnten, verloren sie ihr mühsam erkauftes Land wieder.

Somit profitierten außer dem bäuerlichen Mittelstand eigentlich nur die Großgrundbesitzer und adligen Junker von der Reform, die auf diese Weise ihren Landbesitz mehren konnten. Als schließlich durch eine neue Verordnung auch noch die Allmende (das von allen nutzbare Land eines Dorfes) den Großbauern und Gutsherrn als Entschädigung zugesprochen wurde, verloren viele Kleinbauern endgültig ihre Existenzgrundlage und mussten sich als Landarbeiter auf den großen Gütern verdingen. Obwohl die Reformer mit diesem Edikt die besten Absichten hatten, verdreifachte sich in der Folgezeit die besitzlose Unterschicht.

Regierungsreform

Vor der Reform entschied der König im Kreise seiner Kabinettsräte und die Minister waren an diese Entscheidungen gebunden (also nur Ausführende). Ab 1807 standen die Minister an der Spitze abgegrenzter Ressorts (Inneres, Äußeres, Finanzen, Justiz, Krieg) und trugen für königliche Erlasse Verantwortung. 1810 wurde das Amt des Staatskanzlers geschaffen, der über Ministern stand. Preußen wurde in Regierungsbezirke unterteilt, deren Regierungen ebenfalls in Ressorts gegliedert waren.

Städtereform

1808 wurde die städtische Selbstverwaltung durch Wahl der Stadtämter (Stadtverordnete, von Freiherr vom Stein (*1757 Nassau/Lahn - 1831), eingeführt. Diese konnten von allen Bürgern mit Besitz von Grund und Boden, Einkommen von mindestens 150 Talern oder gegen eine Gebühr gewählt werden. Diese Stadtverordnete wählten dann wiederum den Magistrat. Ziel waren die Weckung von Selbstverantwortung und Verantwortung für das Gesamtwohl.

Der Magistrat hatte die Obhut über städtische Einnahmen und Ausgaben und somit Mitspracherecht bei vielen Angelegenheiten (Bau oder Schulwesen zum Beispiel). Dennoch behielt sich die Regierung bestimmte Punkte vor, vor allem die Exekutive, wie auch Polizei, oblag immer noch ausschließlich der staatlichen Gewalt. Die Städteordnung galt auch nach dem Wiener Kongress 1814/15, nur in den Provinzen, die schon 1806 Preußen unterlagen. Die Städtereform war ein Schritt in die Richtung der heutigen kommunale Selbstverwaltung.

Steuerreform

Zunächst hatte die Steuerreform nur das Ziel, die Einnahmen zu erhöhen, um Kontributionen an Napoleon bezahlen zu können. Doch dann wurden wichtige Neuerung für Gesellschaft und Wirtschaft eingeführt. Es kam zu einem Ausgleich zwischen Stadt und Land und zwischen den einzelnen Provinzen. Es wurde eine einheitliche Gewerbesteuer wie auch Verbrauchs- und Luxussteuern in ganz Preußen verbindlich eingeführt. Um einen einheitlichen Binnenmarkt zuschaffen und die Errungenschaften der neuen Gewerbefreiheit zu schützen, wurden auf Im- und Export hohe Zölle veranschlagt, während sie innerhalb Preußens abgeschafft wurden.

Gewerbereform

Von liberalem Gedankengut (basierend auf den Theorien von Adam Smith) geleitet, wurde 1810 in Abkehr vom Merkantilismus die Gewerbefreiheit eingeführt. Dies war das Ende der Aufsicht des Staates über die Wirtschaft und Beseitigung des Zunftmonopols. An seine Stelle traten das Recht auf freie Berufswahl und der freie Wettbewerb. Das Motto war: "Freie Bahn dem Tüchtigen!"

Anfangs war die freie Marktwirtschaft sehr labil (jeder durfte endlich das machen was immer er wollte), eine Wirtschaftskrise drohte. Die Regierung hielt aber an der Reform fest. Preußen wurde somit der Vorreiter der Industrialisierung in ganz Deutschland und war anderen Staaten voraus, weil es rechtzeitig die Fesseln der alten Handwerksordnung löste. Der Preis dafür war der wirtschaftliche Ruin vieler Handwerksmeister.

Bildungsreform

Im Jahre 1809 wurde der Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt als Verantwortlicher für das preußische Bildungswesen berufen. Obwohl nur ein Jahr im Amt, gelang es ihm, bedeutende Impulse zu setzen, die weit über seine Amtszeit hinausreichten.

Humboldt verfolgte den Ansatz des Humanismus, der eine gute Allgemeinbildung als Wert an sich sah. Dadurch wollte er die Menschen zu mündigen Bürgern erziehen. Erst an zweiter Stelle stand die Vermittlung beruflich benötigter Fachkenntnisse.

Volksschul-, Gymnasial- und Universitätswesen wurden als einheitliches staatliches Bildungssystem etabliert. Staatlich anerkannte Leistungskriterien wurden geschaffen als Voraussetzung für den Eintritt in den Staatsdienst: es sollte auf Bildung und Leistung ankommen, nicht mehr auf Herkunft und Stand.

Der Beruf des Lehrers wurde aufgewertet durch Einführung einer Ausbildung zum Volksschullehrer. Zuvor war der Lehrer ein dem Priester unterstellter Gehilfe, der keinerlei fachliche Qualifikation aufweisen mußte. Dieses wenig angesehene Amt wurde meist an Theologen, denen es nicht gelungen war, Priester zu werden, oder ehemalige Soldaten und Handwerker vergeben. Durch Humboldts Reformen wurde es in Preußen Pflicht für angehende Lehrer, sich einer fachlichen und pädagogischen Ausbildung zu unterziehen.

Die allgemeine Schulpflicht, die seit 1717 eher formal bestand, da für ihre Umsetzung meist der Gutsherr verantwortlich war, der daran oft wenig Interesse hatte, wurde aufgewertet und bis zur Jahrhundertmitte größtenteils durchgesetzt. Die Schüler wurden nicht mehr so hart gedrillt wie zuvor üblich. Juden wurde erlaubt, Unterricht an Schulen zu geben.

Die Erziehung an Gymnasien wurde auf Allgemeinbildung ausgerichtet, insbesondere durch Latein und Altgriechisch als Fächer anstatt des Auswendiglernens von Bibeltexten. Das Gymnasium stand prinzipiell den Jungen aus allen Schichten offen, wenngleich es in der Praxis nur von denen besucht werden konnte, deren Eltern das Schulgeld aufbringen konnten. Für Mädchen blieb die Schullaufbahn noch bis zur Jahrhundertwende versperrt.

Humboldt gründete eine Universität in Berlin, die heutige Humboldt-Universität. In der Folgezeit wurden weitere Universitäten gegründet und zu Stätten der neuen bürgerlichen Elite.

Außerdem wurde die Berufsschule als praxisbezogene weiterführende Schulform eingeführt.

Heeresreform

(von Scharnhorst - Chef des neuen preußischen Kriegsministerium)

Das Söldnerheer wurde in ein Volksheer umgewandelt, die höheren Armeeränge wurden auch für Bürgerliche zugänglich, es galt das Leistungsprinzip statt Privilegien. Die Allgemeine Wehrpflicht, 1813 eingeführt, sollte zu einer stärkeren Solidarisierung zwischen Volk und Staat führen. Es wurde neben dem stehenden Heer eine Reservearmee geschaffen, die Landwehr. Die Strafen innerhalb der Armee wurden gemildert.

Emanzipationsedikt

(von Hardenberg 1812)

Prinzipiell erhielten die Juden die gleichen bürgerlichen Rechte und Pflichten wie alle anderen Staatsbürger; ihnen wurde Erwerb von Grundbesitz gestattet, und das Besetzen städtischer und Universitätsämter wurde ihnen möglich. Sie erhielten aber vorerst keinen Zugang zu Offiziersrängen, Justiz- und Verwaltungsämtern. Allerdings mussten sie Heeresdienst leisten. Das hatte zur Folge, dass viele Juden nach Preußen zogen.

Erfolg der Reformen (wertendes Resume)

Die Reformen waren zunächst durchaus erfolgreich, insbesondere aus Sicht des preußischen Staates. Sie begünstigten den Befreiungskrieg Preußens, da das nationale Interesse tatsächlich geweckt werden konnte (1813 beteiligte sich Preußen am Krieg gegen Napoleon, in der Völkerschlacht bei Leipzig verlor Napoleon schließlich). Sie bildeten die Grundlage für die politischen Erfolge Preußens im 19. Jahrhundert.

Für die Bevölkerung erwiesen sich die Reformen letztendlich als weniger nützlich, denn nach der Niederlage Napoleons wurden die Reformen teilweise zurückgenommen und es herrschte weiter der Absolutismus. Bei der Bauernbefreiung waren die kleinen Landbesitzer wirtschaftlich zu schwach, um die Ablösesummen aufzubringen. Es entstand ein ländliches Proletariat, Verarmung, Landflucht und Auswanderung waren die Folge. Weite Teile der besitzlosen Bevölkerung spürten von neuen Freiheiten nichts. Die Reformen waren also im nachhinein nur auf dem Blatt Papier entstanden und blieben auch dort.

Literatur

  • Werner Frotscher, Bodo Pieroth: Verfassungsgeschichte, 5. Aufl., München 2005, § 7.