Erhard Mauersberger (* 29. Dezember 1903 in Mauersberg; † 11. Dezember 1982 in Leipzig) war ein deutscher Organist, Musiklehrer und Chorleiter. Er wirkte als 14. Thomaskantor nach Johann Sebastian Bach.
Leben
Erhard Mauersberger wurde am 29. Dezember 1903 als Sohn des aus Mildenau (Erzgeb.) stammenden Kantors und Lehrers der erzgebirgischen Gemeinde Mauersberg, Ferdinand Oswald Mauersberger[1], geboren. Die weiter zurückliegenden musikalischen Wurzeln des Vaters sollen zurückgehen auf böhmische Musikantengeschlechter, die etwa ab dem 17. Jahrhundert in Scharen über die Grenze strebten und sich gleich dahinter ansiedelten.[2][A 1] Erhard Mauersberger ist der fünfzehn Jahre jüngere Bruder Rudolf Mauersbergers, des Kantors der (auch durch ihre Chortradition) berühmten Kreuzschule in Dresden. Er war von 1914 bis 1920 Mitglied des Thomanerchors unter Thomaskantor Gustav Schreck und Schüler an der Thomasschule zu Leipzig. Er studierte Orgel bei Professor Karl Straube am Leipziger Konservatorium.
Im Jahr 1925 wurde Mauersberger als Nachfolger seines Bruders Rudolf Chorleiter, Organist und Künstlerischer Leiter des Aachener Bachvereins, bevor er von 1928 bis 1930 als Dozent an die Hochschule für Musik Mainz wechselte. Gleichzeitig wirkte er als Organist und Chorleiter an der Mainzer Christuskirche.
1930 folgte Mauersberger erneut seinem Bruder als Kantor an der Georgenkirche in Eisenach. Zugleich wurde ihm die Leitung der neugegründeten Kirchenmusikschule der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Thüringens übertragen. Ab 1935 wirkte er dort als Kirchenrat und ab 1942 als Landeskirchenmusikdirektor. Er gründete und leitete den Bachchor Eisenach. 1932 wurde er außerdem Dozent und 1946 Professor für Chorleitung an der Staatlichen Hochschule für Musik in Weimar.
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten trat er 1933 dem Kampfbund für deutsche Kultur bei, 1937 beantragte er die Aufnahme in die NSDAP, der Antrag wurde jedoch 1939 abgelehnt.[3] Seit Herbst 1933 gehörte Mauersberger den Deutschen Christen an, seit 1939 gehörte Mauersberger zu den Mitarbeitern des Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben.[4]
Mauersberger leitete seit 1950 die Thüringer Kirchenmusikschule in Eisenach. In einer politisch und künstlerisch schwierigen Zeit übernahm er 1961 als Nachfolger von Kurt Thomas das Amt des Thomaskantors. Er half, den Chor in der Zeit der politischen Isolation, die durch die Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten und durch die sozialistische Kulturdoktrin in der DDR gekennzeichnet war, in seinen kirchenmusikalischen Bindungen zu bewahren. Zeitweise leitete er auch den Gewandhauschor. Von 1963 bis 1982 war er Präsident des Bach-Komitees in der DDR. Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen zeigen ihn als Bewahrer der Tradition seiner Lehrer. In seinen späteren Jahren komponierte Mauersberger für den Thomanerchor A-cappella-Werke, die sich mit spätromantischem Habitus im Repertoire bewähren.
Seinem Ausscheiden aus dem Amt im Jahr 1972 war ein Unfall vorausgegangen, dessen Umstände ungeklärt sind. Offiziell wurde vom Rat der Stadt Leipzig, Abt. Kultur, behauptet, dem Thomaskantor Prof. Mauersberger sei „eine Scheibe auf den Kopf gefallen“, die ihn stark verletzt habe. Diesem Gerücht widersprach Mauersberger wiederholt im vertrauten Kreis. Tatsächlich war Mauersberger einer Neuausrichtung der DDR-Kulturpolitik im Wege. In diesem Zusammenhang folgte eine Säuberungswelle, die zur Entfernung des Thomaskantors Mauersberger, aber auch des Rektors des Thomanerchores, Nöbert, und der beiden Lehrer der Thomas-Schule und Inspektoren des Thomanerchores, Görne und Mangold, führte.
Am 11. Dezember 1982 starb Mauersberger im Alter von 78 Jahren in Leipzig. Er wurde auf dem Leipziger Südfriedhof (XVII. Abteilung) beigesetzt.
Die Journalistin, Filmproduzentin und Autorin Helga Mauersberger ist Erhard Mauersbergers Tochter.
Ehrungen
Im Jahr 2001 wurde eine Straße im Leipziger Stadtteil Stötteritz nach Mauersberger benannt („Mauersbergerstraße“). Er wurde dreimal mit dem Vaterländischen Verdienstorden der DDR geehrt.
Der Geburtsort Mauersberg ehrt Erhard Mauersberger und Rudolf Mauersberger durch das Mauersberger-Museum[5].
Bewertung
Erhard Mauersberger erwarb sich große Verdienste in der Kirchenmusik. In der DDR galt er zwar als unabhängiger Geist im Sinne einer freien Kulturpolitik, war jedoch als Person eine unumstrittene Figur in der Bachpflege. Er war über Jahre Präsident des Bachkomitees und wurde mehrmals mit der Staatsauszeichnung der DDR, dem Vaterländischen Verdienstorden in Bronze, geehrt. Eine Reflexion über Mauersbergers Handeln und Gesinning vor 1945 blieb bei den politisch Verantwortlichen der DDR und in der Evangelischen Kirche aus.
Erst nach der Wende wurde dieser Teil der Mauersberger Biographie ins Licht gerückt. Mauersberger arbeitete an dem von den Deutschen Christen gegründeten kirchlichen „Entjudungsinstitut“, welches sich die „Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ zum Ziel gesetzt hatte.[6] Mit ihm sollte der Kampf gegen das Judentum theologisch untermauert werden. Dies sollte auch in einem „entjudeten“ Gesangbuch umgesetzt werden. Mauersberger stellte dazu die Manuskriptfassung her, erstellte einen Notensatz und ein begleitendes Choralbuch. Dies wurde 1942 auf der Wartburg in einem Festakt vorgestellt.
Der Leiter des Bachhauses Eisenach sagte 2016 zu Mauersbergers Arbeit dem Deutschlandfunk:
„Eine der schönsten Kantaten Bachs ‚Wachet auf, ruft uns die Stimme‘ ist als jüdisch eingestuft worden. Und ich weiß nicht, wie man damit innerlich fertig wird. Er musste doch wissen, dass das alles Blödsinn ist, was hier passiert. Warum macht man sich in diesem Projekt unentbehrlich und nicht in einem anderen Projekt? Und wie kann man das mit sich und als Künstler vereinbaren?“
Werke
(zumeist Kirchenmusik – A-cappella-Motetten)
- Die Heilung des Blinden von Jericho. Große Evangelienmotette
- Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden. Evangelienmotette
- Domine dirige me
- Weihnacht: Im Dunkeln tret’ ich gern hinaus (1974) für Solostimme und neunstimmigen Chor.
Chorlieder
- Vom Himmel hoch, o Englein kommt
- Wach, Nachtigall, wach auf
- Der du die Zeit in Händen hast
- Wer sich nach seinem Namen nennt
- O Herr, mache mich zum Werkzeug deines Friedens
Literatur
- Eduard Crass: Die Thomaner. Kommentierter Bildbericht über ihre 750jährige Geschichte 1212–1962. VEB Verlag Enzyklopädie, Leipzig 1962, DNB 450843823 (2 Bde.: Bildteil, Textteil).
- Philipp Gessler: Musik und Rasse. „Die Fuge ist blond und blauäugig“. In: die tageszeitung. 13. Mai 2009 („Eine Ausstellung in Eisenach zeigt, wie die Nazis Musik für ideologische Zwecke einspannten und die beteiligten Wissenschaftler Nachkriegskarriere machten.“).
- Ingrid Kirschey-Feix: Mauersberger, Erhard. In: Wer war wer in der DDR? 5. AusgabeBand 2. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
- Helga Mauersberger (Hrsg.): Dresdner Kreuzchor und Thomanerchor Leipzig zwei Kantoren und ihre Zeit – Rudolf und Erhard Mauersberger. Druck- und Verlagsgesellschaft Marienberg, Marienberg 2007, ISBN 978-3-931770-46-4.
- Martin Petzoldt (Hrsg.): St. Thomas zu Leipzig. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2000, ISBN 3-374-01811-4.
- Erna Hedwig Hofmann: Kreuzchor Anno 45. Ein Roman um den Kantor und seine Kruzianer. Illustr. von Kurt Eichler. Union Verlag VOB, Berlin 1967, DNB 457015284; 3. Aufl. Ebenda, 1973, DNB 457015306.[7]
- Harry Waibel: Diener vieler Herren. Ehemalige NS-Funktionäre in der SBZ/DDR. Lang, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-631-63542-1, S. 212.
Weblinks
- Werke von und über Erhard Mauersberger im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Erhard Mauersberger im Leipzig-Lexikon
- Wie liegt die Stadt so wüst. Lebenswerk Rudolf Mauersbergers. In: dresdeneins.tv. 13. Februar 2014[8]
Einzelnachweise
- ↑ Genealogie. Heft 3, S. 67.
- ↑ Hofmann: Kreuzchor Anno 45. S. 57.
- ↑ Eintrag Mauersberger, (Karl) Erhard. In: Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933-1945. 2. Aufl. Kopf, Kiel 2009, ISBN 978-3-00-037705-1, S. 4490–4491 (CD-ROM).
- ↑ Hans Prolingheuer: Wir sind in die Irre gegangen. Die Schuld der Kirche unterm Hakenkreuz, nach dem Bekenntnis des „Darmstädter Wortes“ von 1947 (= Kleine Bibliothek. Bd. 451 [Kirche und Gesellschaft]). Pahl-Rugenstein, Köln 1987, ISBN 3-7609-1144-7, S. 151. Jörg Hansen: Erhard Mauersberger in der NS-Zeit – ein ‚oppositioneller Mitläufer‘? In: Norbert Bolin, Markus Franz (Hrsg.): Im Klang der Wirklichkeit. Musik und Theologie (= Martin Petzoldt zum 65. Geburtstag). Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2011, ISBN 978-3-00-037705-1, S. 170–181.
- ↑ Sächsische Landesstelle für Museumswesen: Mauersberger-Museum. In: sachsens-museen-entdecken.de. Ehemals im ; abgerufen am 27. Dezember 2016 (mit Bildergalerie). (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven) (nicht mehr online verfügbar) .
- ↑ a b Die Brüder Mauersberger – Zwei Kirchenmusiker und ihre Rolle im Nationalsozialismus. In: Deutschlandfunk. (deutschlandfunk.de [abgerufen am 14. Dezember 2016]). (mp3; 7,6 MB).
- ↑ In den anteiligen Jugenderinnerungen Rudolf Mauersbergers auch zu seinem Bruder Erhard Mauersberger.
- ↑ Einschließlich Familienfoto mit Erhard Mauersberger.
Anmerkungen
- ↑ Insbesondere Familien namens Fiedler, Scharschmidt, Wagler, Hermann, Nestler.
Personendaten | |
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NAME | Mauersberger, Erhard |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Komponist und Thomaskantor |
GEBURTSDATUM | 29. Dezember 1903 |
GEBURTSORT | Mauersberg bei Marienberg, Sachsen |
STERBEDATUM | 11. Dezember 1982 |
STERBEORT | Leipzig |