Pioneer-Anomalie

Anomalie in der unbemannten Raumfahrt
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Die Pioneer-Anomalie beschreibt ein bisher noch ungeklärtes Abweichen der 1972 und 1973 gestarteten NASA-Sonden Pioneer 10 und Pioneer 11 von deren berechneten Flugbahnen. Dieses Phänomen ist derzeit noch ein Rätsel für die Wissenschaftler. Als Lösungsvorschläge kommen eine ganze Bandbreite von Erklärungen in Frage: von so simplen Effekten wie einem Schub durch austretendes Gas bis hin zu einem unbekannten neuartigen physikalischen Effekt, der die Physik verändern könnte, kommt vieles in Frage.

Effekt

Der Effekt wurde etwa 1980 entdeckt, als die Pioneer-10-Sonde circa 20 astronomische Einheiten von der Erde entfernt war. Es wurde beobachtet, dass die Sonde mit einer Beschleunigung von etwa 8,74 (±1,33) · 10-8 cm/s² in Richtung zur Sonne hin abgelenkt wurde.

Zu diesem Zeitpunkt war der (bekannte und in die Flugbahn eingerechnete) Strahlungsdruck, den die Sonne durch Sonnenwind auf die Sonde ausübt, auf etwa 4·10-8 cm/s² gesunken. Erst dann wurde die unerklärliche Beschleunigung messbar, nachdem sie vorher im natürlichen Strahlungsdruck unterging.

Die Messungen wurden als Abweichungen im Dopplereffekt der von den Sonden gesendeten Radiosignale auffällig.

Die Anomalie wurde jedoch zuerst nicht ernst genommen und als Datenfehler interpretiert. Erst 1994, als der Effekt nicht verschwand, wurde er genauer untersucht. In dieser Untersuchung wurden die Bahnwerte der Pioneer 10 und der Pioneer 11 – die ebenfalls eine Abweichung zeigte – systematisch auf mögliche bekannte Ursachen untersucht, ohne jedoch eine Erklärung zu finden. Die Anomalie bleibt bis heute ein Rätsel.

Die Größe der Beschleunigung entspricht im Rahmen der Messgenauigkeit dem Produkt aus der Lichtgeschwindigkeit und der Hubblekonstanten. Ob diese Übereinstimmung ursächlich mit der Bahnanomalie zusammenhängt, wird zurzeit ebenfalls diskutiert.

Andere Sonden

Die Pioneer-Sonden waren die ersten, die das Sonnensystem verlassen haben. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die beobachtete Anomalie bei ihnen als erstes bemerkt wurde. Aufgrund anderer stärkerer Beschleunigungen in Sonnennähe (wie der erwähnte Sonnenwind) ist die Anomalie erst in großen Entfernungen messbar. Daher kann bei geoorbitalen Satelliten und Mondsonden keine Abweichung festgestellt werden. Es wird aber berichtet, dass derselbe Effekt sich inzwischen auch bei der Jupitersonde Galileo und der europäisch-amerikanischen Sonnensonde Ulysses zeigt, obwohl für diese die Daten weniger präzise und allein nicht allzu aussagekräftig sind. Ein weiterer Aspekt, warum die Pioneer-Sonden gutes Datenmaterial liefern, ist deren einfache gyroskopische Fluglagenstabilisation, die leicht vorhersehbar und berechenbar ist und sich damit als mögliche Fehlerquelle leicht ausschließen lässt.

Erklärungen für den Effekt

Als mögliche Erklärungen werden in Betracht gezogen:

  • Daten- und Rechenfehler jeglicher Art
  • Sondenspezifische Effekte:
    • austretendes Gas aus den Treibstofftanks, die einen Schub erzeugen
    • elektromagnetische Kräfte aufgrund einer elektrischen Ladung der Sonde
  • Wärmestrahlung vom Antrieb, der die Sonde in Richtung der Sonne drückt

Die sondenspezifischen Effekte sind zwar sehr gut untersucht, jedoch können wesentliche Beiträge von Gaslecks oder einer nicht-isotropen Wärmeabstrahlung nicht vollständig ausgeschlossen werden. Als mögliche externe Effekte kommen Gravitationseffekte durch eine ungewöhnliche Massenverteilung im Kuipergürtel oder Reibung durch interstellare Materie in Frage, jedoch sind hier auch bisher unbekannte Effekte möglich – so wurde erst 2003 eine Bremswirkung durch die Spin-Bahn-Kopplung gefunden; diese ist jedoch um einen Faktor 10.000 zu klein, um den Effekt erklären zu können. Einige Wissenschaftler sehen in der Anomalie einen Hinweis auf eine "neue Physik", die nicht durch die etablierten Standardtheorien erklärbar ist. Ein Ansatz hierzu ist die modifizierte Newtonsche Dynamik, da diese eine anomale Beschleunigung der Sonden in der beobachteten Größenordnung liefern würde.

Medien

Die Wissenschaftszeitschrift New Scientist hat im März 2005 in einem Artikel die Pioneer-Anomalie unter den 13 wichtigsten Rätseln der Wissenschaft aufgeführt.

Auch das Physik Journal beschäftigt sich in seiner Ausgabe vom Januar 2006 mit der Anomalie. Hier wird ein Messfehler ebenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.

Literatur

Finding the origin of the Pioneer anomaly, Nieto & Turyshev (2004)