Kammhuber-Linie

strategische Einrichtung zur radargestützten Luftverteidigung durch die Reichs-Luftwaffe
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Die Kammhuberlinie war eine strategische Einrichtung zur radargestützten Luftverteidigung durch die Reichs-Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg.

Zugrundeliegendes Problem

Basierend auf der Annahme, dass die mit Bomben beladenen Angriffsflugzeuge der Royal Airforce reichweitenbedingt einen relativ direkten Weg auf die Rüstungszentren des dritten Reiches nehmen mussten, ersann Oberst (später General) Josef Kammhuber eine Verteidigungslinie, die -geheimhaltungsbedingt unter verschiedenen Projektnamen aufgebaut, in der heutigen Literatur zumeist den Namen Kammhuberlinie trägt.

Strategisches Konzept

Dabei sollten die verschiedenen Verteidigungssysteme der Nachtjagd möglichst effizient verzahnt werden, wobei die folgenden Ressourcen bedacht wurden:

  1. geringe strukturelle Aufbaukosten
  2. geringe Personalbindung
  3. Hauptlast des Personals aus angelernten lokalen Helfern
  4. äußerst wenig hochgeschultes Personal
  5. größte Effektivität
  6. Konzentration strategischer Informationen und Technologien auf gut zu verteidigende/zu versteckende Zentren

Realisation

Dies sollte erreicht werden, indem über den Rüstungshochburgen sogenannte Beleuchtungszonen (Himmelbettzonen) errichtet wurden, wo mit einsitzigen Tagjägern (meist Me 109) und Flak auf Sicht gejagt/geschossen werden konnte. Diese waren um Kiel(Beleuchtungszone "Kiebitz"), Hamburg ("B.Z. Hummel"), Berlin ("B.Z. Bär"), das Ruhrgebiet, Köln, Wiesbaden, Mannheim, Stuttgart etc. angeordnet. Hierbei kamen große Mengen ungeschulte Luftwaffenhelfer und Flakhelfer zum Einsatz, die solitäre Beleuchtungseinrichtungen (Suchscheinwerfer) und den Flak-Batterien zugeordnete Anlagen bedienten.

Da die Vorwarnzeit für eine effektive Luftverteidigung möglichst groß sein musste, wurde an der Nordseeküste, später auch an der Atlantikküste ein Stystem aus "Freya-" und "Würzburg"-Geräten errichtet. Diese waren, abweichend von den englischen Pendants hochkomplexe Anlagen mit fachausgebildetem Personal, das aus Geheimhaltungsgründen praktisch kaserniert war. Der technische Fortschritt gegenüber England betrug um 1942 c.a. 7 Monate, und man tat alles, um diesen auch zu halten. Dabei verkannte man allerdings, dass eine hochkomplexe und auch teure Anlage ein taktisch schwieriges Ziel darstellt, jedoch ein strategisch um so lohnenderes, und so gelang es der USAF und der RAF mehrmals, durch gezielte taktische Angriffe die Kammhuber-Anlage für Stunden bis Tage außer Gefecht zu setzen.

Die Funktion entsprach weitestgehend dem modernen Radar, mit einigen geringen Unterschieden: Es gab (oft räumlich getrennt) Anlagen zur Passiv- und Anlagen zur Aktivortung. Die Würzburg-Riese genannten Anlagen sendeten mit ihren 8m großen Parabolspiegeln einen Fächer von Radarwellenkegeln aus, bei denen der mittlere Kegel etwa 560 MHz Frequenz hatte, auf den ein Signalton aufmoduliert wurde (FM-Technik), der für jeden Sektor dieses Fächerstrahls eine eigene Frequenz hatte. Diesen Sendestationen waren die Freya-Anlagen zugeordnet. Eine Freyaanlage war wesentlich einfacher aufgebaut, am zutreffendsten zu beschreiben als Dipol-Antenne. Die einzelnen Antennenstäbe waren so auf die Verstärker aufzuschalten, dass der Funkmesstechniker einen Such- und einen Fokus-Modus zur Verfügung hatte. Das Freya System hatte den großen Vorteil, dass die erhaltenen Daten akustisch ausgewertet werden konnten. Der Messtechniker hatte einen Kopfhörer, bei dem er das modulierte Signal hörte, sobald seine Antenne die Reflexion auffing. Dadurch waren keine teuren und kurzlebigen Ausrüstungsgegenstände wie Bildschirme nötig. Dazu gehören natürlich auch Horchposten und Beobachtungseinheiten etc. Die Würzburganlagen trugen die Bezeichnungen "Wolf" (Nordfriesland), "Languste" (Ostfriesland), "Löwe/Tiger" (Westfriesland), "Hering" (West Niederlande), "Hamster" (Belgisch/Niederländisches Grenzgebiet). Der Raum um Mannheim hatte eine kombinierte Würzburg/Freya/Beleuchtungszone die den Codenamen "Kranich" trug.

Das Prozedere der Jagdleitung

  1. ein Flugzeug fliegt in den Überwachungsluftraum ein.
  2. die vom Würzburgriesen emittierten Signale treffen auf seine Außenhaut und werden reflektiert. Je nach Sektor (relativ zur Sendeantenne) ist der auf die Trägerwelle modulierte Ton hoch oder tief.
  3. das reflektierte Signal wird von einer Freya-Station empfangen. Der Techniker hört auf seinen Kopfhörern z.B. links ein lautes, rechts ein leises Signal gleicher Frequenz und lässt somit seine Antenne ein wenig weiter nach links ausrichten. Die einzelnen Flügel seiner Antenne hatten nämlich eigene Verstärker und waren auf die kopfhörerseiten geschaltet.
  4. am Richtwinkel der Freya-Anlagen kann er nun ablesen, aus welcher Richtung das Signal kommt.
  5. nun schaltet er Vergleichstöne auf seine Kopfhörer und kann so durch die entstehenden Akkorde und die Schwebungen (oder den Gleichklang) ermessen, in welchem Sektor sich sein Überwachungsobjekt relativ zur Würzburg-Station befindet. Daraus ist trigonometrisch die Position zu errechnen.
  6. der Funkmessleiter meldet die Position an die Luftraumüberwachung und diese lässt die Signale auf ihrer taktischen Tafel markieren.
  7. nun sollte der Luftraumüberfachung auffallen, wenn mehrere Freya-Anlagen das gleiche Signal verfolgen oder wenn ein Signal dabei ist, aus dem Überwachungssektor der einen Anlage heraus, in den Sektor einer anderen Anlage zu wechseln. Sie entscheidet welche Anlage dann welches Ziel verfolgt und befiehlt den übrigen Anlagen die Überwachung der frei gewordenen Sektoren.
  8. alsdann versetzt sie die Abfangjäger der Lokalitäten in Alarmbereitschaft die als Angriffsziel in Frage kommen (Piloten sitzen startbereit im Flugzeug und die Ölwanne wird passiv vorgeheizt etc) Dabei handelt es sich um klassische Jagdflugzeuge mit Signalbemalung.
  9. zeitgleich werden Verfolgungsjäger gestartet. Diese sind größtenteils voll-Nachtgetarnte Me 110 (umgepinselte Variante "C", ab Mai 1942 fast nur noch die G4 in ihren verschiedenen Ausführungen) und haben ab Februar 1942 ein Passiv- ("Lichtensteingerät", "Rostenthal-halbe" etc) später auch Aktiv-Radars ("Lichtenstein SN" und "SN2", "Neptunanlage" und "Flensburgsystem")und jagen den Bombern hinterher. Dabei muss man bedenken, dass die Jäger selbst kein GPS oder andere moderne Navigationseinrichtungen haben. Sie können sich höchstens an Flüssen oder anderen Nacht-sichtbaren Landmarken orientieren.

Hier kam eine zweite Freya-Station ins Spiel, die den Jäger verfolgte und ihn per Funk bis ans Ziel heranführte. Dabei wurde, wenn möglich, der Jäger gegen das Mondlicht an die Bomber herangeführt, so daß er die dunkle Silhouette vor den Wolken ausmachen konnte. Dabei war darauf zu achten, dass nur ein Jäger auch einen Bomber/Staffel verfolgte, und nicht ein Jäger auf einen anderen Jäger stieß. Nicht nur aus Gründen der Ökonomie!

  1. ließ sich in etwa abschätzen, welche Städte als Ziel in Frage kamen, so wurden die Nachtjäger dahingehend instruiert (was die Navigation erleichterte), alsdann wurden die Flakgürtel in Alarmbereitschaft versetzt. Diese riefen für die Stadt eine niedrige Alarmstufe aus (Beleuchtungsverbot etc) meist mit einer genauen Zeitangabe, wann mit dem Eintreffen der Bomber zu rechnen sei. War das Ziel klar ausgemacht, erging eine Fliegeralarmwarnung an die betroffene Stadt, Flak wurde bemannt und Suchscheinwerfer in Position gebracht. Die Abfangjäger starteten und begaben sich auf die von den Freya-Stationen gepeilten Höhen.
  2. Wenn die Bomber gefährlich nah an die Flakgürtel der Industriegebiete/Hafenanlagen gelangt waren, drehten die zweimotorigen Nachtjäger ab. Sie waren zu oft das Opfer der eigenen Flak gewesen, trotz Signalleuchtkugeln und eindeutiger typisierung. Die Flak schoss einfach auf jedes mehrmotorige Flugzeug. Die Jäger kehrten zu ihren Standorten zurück, wurden aufgetankt und aufmunitioniert, oft starteten sie auch für einen zweiten Angriff gegen die rückkehrenden Bomber. (diese hatten allerdings aufgrund ihrere geringeren Ladung eine höhere Geschwindigkeit und eine größere Flughöhe, außerdem eine geringere Priorität-da sie ihr mörderisches Handwerk schon vollbracht hatten)
  3. den Luftkampf übernahmen nun die einmotorigen Tag-Dämmerungsjäger. Diese waren schnell und wendig genug um in anfliegenden Bomberstaffeln zu maneuvrieren, gleichzeitig waren sie mit ihrer Silhouette leichter von den Bombern zu unterscheiden.

Resumé

Diese Verteidigungstaktik war überaus effektiv. Wenn eine Staffel mit 4 Bombern abends gen Deutschland startete, kehrten selten mehr als 3 Flugzeuge zurück. Die Verluste beim british bomber command betrugen zum Teil 30% pro Nacht (nicht heimgekehrte und essenziell beschädigte Flugzeuge). Es wird beschrieben, dass die Strecke Dortmund-Groningen bei Sonnenaufgang mit hunderten größerer und kleinerer Flugzeugtrümmer übersät gewesen sei. Das änderte sich phasenweise mit der Einführung von Heckwarnradars auf Bombern (dazu gibt es sicher hier einen eigenen Artikel), mit schwerstbewaffneten Heck-Waffentürmen (bis zu 6xMaschinenkanonen), mit Moskito-Bombern (die eine sehr sehr geringe Radarsilhouette boten, da ihr Tragwerk vollständig aus Holz gebaut war) die als Pfadfinder die Bomberstaffeln effektiv ins Ziel leiteten und vor allem mit der Erfindung der Düppel: Auf die Frequenz des deutschen Radars zugeschnittene Staniolstreifen zerstreuten erstmalig am 28. Juli 1943 das Radarsignal und produzierten falsch-richtige Bombermeldungen. Dagegen entwickelte man zwar ein neues Bordradar welches Multifrequenzfähig ("Lichtenstein SN2" und "Neptun")war, jedoch die Freya/Würzburgsysteme konnten nicht unter vertretbarem Aufwand/Zeitrahmen umgerüstet werden. Sie verkamen somit zum Frühwarnsystem. Außerdem war es kein Problem, die Düppelstreifen in verschiedenster Form zu produzieren, um so alle denkbaren Radars auszutricksen. Hier kamen wiederum die Moskito-Bomber ins Spiel: ein Angriffsbomber kann ja nur den Raum hinter sich mit Düppeln verschatten, er selbst fliegt vor seiner Wolke und schützt sich so nur gegen Verfolger. Der Pfadfinder (Moskito) flog den Bombern voraus, verdüppelte die Luft und kehrte meist aufgrund seiner hohen Geschwindigkeit und der geringen Radarabstrahlung ohne einen Feind zu Gesicht bekommen zu haben, nach England zurück. Man darf sich wundern, wieso Kammhuber 1941 die immensen Mittel einwerben konnte, um eine richtungweisende Anlage wie das Himmelbettsystem aufbauen zu können. Es bleibt anzunehmen, dass es die Angst vor der inneren Propagandaschlappe eines Bombenangriffes auf die eigenen Städte war, man wollte auch der R.A.F. nicht die Propagandaleistung zubilligen, ungehindert nachts deutsche Städte bombardieren zu können. Wohl gemerkt: 1941 war England von 1000-Bomber-Raids noch 3 Jahre entfernt, und niemand ging davon aus, dass es jemals dazu kommen würde. Man wollte durch die Kammhuber Linie Macht, Stärke und Überlegenheit demonstrieren, was ja auch zeitweise gelang.

Chronik der Luftschlacht um Deutschland

Die Taktik der RAF war 1941-1943 eher eine des Nacht-Terrors: Eine Stadt wurde mit wenigen, oft in sehr lockerem Verband fliegenden Nachtbombern angegriffen, vertrauend darauf, dass es sehr unwahrscheinlich sei, dass ein Jäger in der Nacht auf einen Bomber trifft. Die abgeworfene Bombenmasse betrug dabei vielleicht 50 t Sprengladungen unterschiedlichster Zusammenstellungen. Dabei muss man bedenken, dass Sprengbomben gegen Häuser nicht sehr effizient sind und sehr viel Stahl benötigen (Masse Stahl/TNT-Verhältnis 3/1, Volumenverhältnis 1/1) Luftminen waren wesentlich dünnwandiger, daher auch leichter. Brandbomben wiederum hatten eine Papphülse in die die Phosphormischung luftdicht eingegossen war. Das Ziel hierbei war zuerst weniger, eine Stadt zu zerbomben (wozu man technisch weder in der Lage war, noch das irgendwie gewollt haben konnte), oder tausende Menschen zu töten, sondern der Zivilbevölkerung zu zeigen, dass die Propaganda log, wenn sie behauptete, dass die RAF am Boden sei und keine deutschen Städte bombardieren könne. Die Regierung sollte einsehen, dass es unmöglich war, ein Land zur Festung umzugestalten. Diese Maßnahme konnte aber nicht greifen: die deutsche Propaganda bezeichnete die englischen Nachtangriffe als "undeutsch" war aber ab 1943 aufgrund hoher Tagesverluste gezwungen, ebenso auf Nachtangriffe zu wechseln. Der größte Erfolg dieser Nachtangriffe war jedoch, dass zigtausende Deutsche aus dem Bett in die Keller und Schutzräume fliehen mussten, obwohl nur ihre Nachbarstadt angegriffen wurde, zudem auch noch mit lächerlich geringen Mengen an Bomben. Größer wäre jedoch die Propagandaschlappe gewesen, wenn eine Stadt angegriffen worden wäre, ohne dass die Bevölkerung gewarnt wurde. Kurzum: die Nachtbombentaktik schürte nur den Hass auf den Feind und trug nicht dazu bei, den Krieg zu verkürzen oder humander zu machen. Der Bombenkrieg war jedoch das einzige, was die RAF und die USAF zu tun vermochten, folglich wurden die Bomberstaffeln vergrößert, die Bombenzuladungen optimiert und in Wuppertal gelang es so erstmalig einen Feuersturm zu entfachen, in dem ganze Stadtbezirke zu einer Feuerfalle wurden. Der Bombenkrieg hatte sich verselbstständigt. Zurück blieben ausgebombte Menschen mit gebrochenem Kampfeswillen, die nicht einmal mehr im Stande waren, gegen die Nazis zu opponieren, im Gegenteil sogar akut hilfsbedürftig waren. Durch die Bombenangriffe der Vorjahre war das Schwert der Nachtangriffe stumpf geworden. Dies war aber das Ende einer zweifelhaften Entwicklung, keinesfalls ihr Anfang. Unter anderem war es eine Lehre aus der Tatsache, dass alleinfliegende Bomber nichts ausrichten können und ein sehr leichtes Ziel für Abfangjäger bieten, wohingegen Bomberschwärme von über 1000 Bombern weder aufzuhalten sind, noch einen einzigen Grashalm stehen lassen, wo sie zuschlagen.