Das periodische System

Buch von Primo Levi
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Das periodische System (Originaltitel: Il Sistema Periodico) ist eine Sammlung von Kurzgeschichten des italienischen Autors und Chemikers Primo Levi, die bis auf wenige Ausnahmen einen direkten autobiographischen Bezug haben. Es ist nach dem Periodensystem der Elemente benannt. Das italienische Original erschien 1975, die deutsche Übersetzung von Edith Plackmeyer erschien 1979 im Aufbau-Verlag (Hanser 1987; dtv 1991). Im Oktober 2006 wählte die Royal Institution of Great Britain das Buch zum „besten populären Wissenschaftsbuch aller Zeiten“.[1] Kurzbiographien von Primo Levi[2][3]

Das Periodische System ist nach Se questo è un uomo (dt. Ist das ein Mensch?, das seine Zeit in Auschwitz beschreibt) und La Tregua (dt. Die Atempause), in dem er von seiner Irrfahrt durch Osteuropa nach der Befreiung aus dem KZ berichtet, das letzte Werk Levis, das eindeutig autobiographisch ist; seine späteren Werke sind mit einiger Sicherheit rein fiktional.

die Elemente, die im Buch vorkommen

Inhalt

In 21 Kapiteln, die jeweils nach einem chemischen Element benannt sind, erzählt Levi teilweise autobiographische, teilweise fiktionale Geschichten. Die Benennung der einzelnen Kapitel nach einem Element hat inhaltliche Bezüge zum Kapitel oder vergleicht die chemischen Eigenschaften dieses Elements mit den jeweiligen Situationen. Die Kapitel gehen von Levis Herkunft als piemontesischer Jude über seine Ausbildung zum Chemiker, seine Erfahrungen als antifaschistischer Partisan, seine Gefangenschaft in Fossoli und im KZ Auschwitz bis zu seinem Leben als Industriechemiker nach dem Krieg.

Kapitel

Fiktionale Kapitel sind – wie auch im Buch – kursiv gesetzt.

Argon

Eine Beschreibung seines jüdisch-piemontesischen Hintergrundes und des dortigen jüdischen Sonderdialektes. Seine Vorfahren werden liebevoll und ohne Wertung mit ihren Besonderheiten und Macken dargestellt. Argon ist ein inertes Edelgas und geht keine chemischen Reaktionen ein. So sind auch die jüdischen Vorfahren Levis zurückgezogen und inert der christlichen Umgebung gegenüber.

Wasserstoff

Levi und ein Freund betreiben als Sechzehnjährige verbotene Experimente im Labor des Bruders des Freundes. Dort führen sie einfache Versuche mit Glasrohren durch, die sie erwärmen und verformen, und stellen durch Elektrolyse Wasserstoff her, den Levi entzündet und der mit einem Knall verbrennt. Es erläutert auch seine genialisch-idealistischen Gedanken als Teenager und vergleicht sie mit denen seines Freundes, der ein völlig anderes, weit rationaleres Weltbild vertritt, auch wenn sie viele Gemeinsamkeiten haben.

Das erste Jahr seines Studiums der Chemie, der erste Versuch im Labor ist die Herstellung von Zinksulfat. In den Laboren knüpft er die ersten zarten Bande der Liebe.

Sein zweites Studienjahr. Mit Sandro Delmastro findet Levi einen verwandten Geist und Freund, mit dem er in den Bergen wandern geht. So stählen sie sich körperlich, aber auch intellektuell für den Kampf gegen den herrschenden Faschismus. Sandro Delmastro wird 1944 als Partisan des antifaschistischen Widerstandes erschossen.

Kalium

Wegen seiner jüdischen Herkunft und den im faschistischen Italien geltenden Rassegesetzen nimmt ihn keiner der Chemieprofessoren als Doktorand an. Er promoviert im physikalischen Institut bei einem griechischstämmigen Assistenten. Dort arbeitet er mit elementarem Kalium, dass durch seine Unachtsamkeit einen Brand auslöst.

Nickel

Levi wird von einem Leutnant abgeholt und in eine Aktinolithmine gebracht, wo er aus dem Abraum Nickel extrahieren soll, das durch den Kriegseinsatz teuer geworden ist. Mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln ist eine wirtschaftliche Gewinnung aber nicht möglich. Levi wird erst spät klar, dass er mit dieser Arbeit das herrschende System und den Krieg unterstützen würde, und kommt so mit dem Misserfolg seiner Arbeit sehr gut zurecht.

Blei

Ein sich als Rodmund vorstellender Mann berichtet von seinen Wanderungen und Erlebnissen, die ihn jahrelang durch Europa führen. Er stammt aus einer Familie, die seit Generationen Bleivorkommen suchen und ausbeuten und deren Mitglieder die Fähigkeit haben, ohne formale Bildung Mineralien zu erkennen, die Blei anzeigen. Seine Herkunft wird nicht explizit genannt und auch nicht die Identität seines Ziels, die Insel Icnusa (antiker Name Sardiniens).

Quecksilber

Die Episode spielt kurz nach dem Tod Napoleons auf einer entlegenen Insel im Südatlantik, wahrscheinlich spielte Levi auf Tristan da Cunha an. Korporal Abrahams lebt dort allein mit seiner Frau und wird nur einmal im Jahr von einem Walfänger besucht, der Nachrichten und Nachschub bringt. Eines Tages bringt dieser zwei Holländer mit, denen in ihrer Heimat die Todesstrafe droht; wenig später rettet Abrahams zwei Italiener von einer Nachbarinsel. Die Konstellation von fünf Männern und nur einer Frau ist sehr angespannt, so daß sie beim nächsten Besuch des Walfängers vier Frauen „bestellen“, die mit Quecksilber bezahlt werden, das nach einem Vulkanausbruch in einer Höhle gefunden wird.

Phosphor

Levi wird von einem Schweizer Unternehmer aus der Mine abgeworben, um in Mailand ein Mittel auf Basis von Phosphor, genauer gesagt Phosphaten, gegen Diabetes zu entwickeln. Dort trifft er eine Studienkollegin, die ihn empfohlen hat. Zwischen den beiden entwickelt sich eine gewisse erotische Spannung, aber Giulia ist verlobt und lässt die Beziehung nicht tiefer werden.

Gold

In Mailand lebt Levi trotz der bedrückenden Umstände relativ unbeschwert in einem Freundeskreis, schließt sich aber antifaschistischen Partisanen an und wird im Dezember 1943 gefangen genommen. In der Haft trifft er auf einen Mitgefangenen, der ihm von einer Schwemmstelle für Gold erzählt, die seit vielen Generationen von seiner Familie genutzt wird. Dort werden immer nur kleine Mengen Gold angeschwemmt, gerade genug um davon zu leben, aber stetig. Dies nimmt Levi als Metapher für die Stetigkeit der Natur und ein Ideal der Genügsamkeit, als Gegensatz zu den hektischen, chaotischen Verhältnissen der damaligen Zeit.

Um den Hunger in Auschwitz zu überleben, stiehlt Levi im Labor, in dem er arbeitet, Cereisen, das als Feuerstein genutzt werden kann. Dieses Cereisen können er und sein Mitgefangener Alberto gegen Brot tauschen. Alberto ist Levi durch seine Art eine Stütze, die ihn immer wieder aufrichtet, wenn er verzweifelt. Tragischerweise stirbt Alberto später auf einem der Hungermärsche, während Levi in der Krankenstation liegend überlebt[4].

Einige Zeit nach dem Krieg sitzen Freunde von Levi beisammen und erzählen sich Geschichten. Einer dieser Freunde hat eine Zeit lang in einer Fabrik gearbeitet, in der Levi ein Jahrzehnt früher auch gearbeitet hat, und bringt vor, dass in einer Rezeptur eine völlig unsinnige Komponente, nämlich Ammoniumchlorid, enthalten sei, was keiner erklären könne. Levi erinnert sich daraufhin an seine Zeit und wie er damals Fehlchargen eines chromathaltigen Rostschutzmittels durch die Zugabe dieser Verbindung wieder wirksam gemacht hatte und diese als Bestandteil in die Rezeptur aufgenommen wurde. Nach dem Krieg waren die Rohstoffe wieder von besserer Qualität und das Ammoniumchlorid war nicht mehr nötig, wurde aber der Rezeptur folgend auch nach vielen Jahre immer noch zugegeben. In diesem Kapitel erzählt er auch, wie er seine spätere Frau kennenlernt.

Schwefel

In diesem kurzen Kapitel wird erzählt, wie ein einsamer Arbeiter nachts an einem Produktionskessel eine schwefelhaltige Zubereitung herstellt. Ein direkter Bezug zu Levis Leben lässt sich nicht erkennen.

Dieses kürzeste Kapitel des Buches trägt eine Widmung: Für Felice Fantino und auch der Maler, der mit Titanweiß (Titandioxid, TiO2) die Möbel einer Wohnung weiß streicht, heißt Felice. Er treibt Späße mit einem Kind, während er streicht. Auch dieses Kapitel hat keinen erkennbaren Bezug auf das Leben Levis.

Arsen

Levi betrieb zusammen mit einer Person namens Emilio ein privates Chemielabor in dem eines Tages ein älterer Mann erschien, der ihm eine Tüte mit Zucker zur Analyse brachte. Was er suchen sollte wollte oder konnte der Mann nicht sagen, nur dass Levi genau schauen solle. Levi findet schließlich Arsen und erfährt von seinem Auftraggeber, dass dieser den Zucker von einem Konkurrenten geschenkt gekriegt habe. Kaum erstaunt und nicht böse nimmt der Mann den Zucker und geht.

Stickstoff

Ein Lippenstifthersteller möchte von Levi wissen, warum seine Ware schlechter sei als die der Konkurrenz und lässt ihn beide untersuchen. Zur Verbesserung seiner Lippenstifte möchte er Alloxan verwenden, eine stickstoffreiche Verbindung und beauftragt Levi, ihm welches zu besorgen. Levi findet heraus, dass Hühnerkot große Mengen Harnsäure enthält, aus der Alloxan hergestellt werden kann, schafft es aber nicht, eine erfolgreiche Synthese durchführen.

Bei der Synthese von Zinn(II)-chlorid für einen Spiegelmacher wird Levi und seinem Kompagnon Emilio klar, dass das gemeinsame Labor nicht mehr tragfähig ist, zumal Levi, frisch verheiratet, nun ein geregeltes Einkommen benötigt. Bei der Auflösung des Labors, das immer ein Provisorium war, stürzt eine große Abzugshaube aus dem vierten Stock und verfehlt beide nur knapp.

Uran

Als Außendienstmitarbeiter besucht Levi einen Kunden, der ihm eine lange verworrene Geschichte erzählt, die ihm angeblich passiert sei und dass er von einem fliehenden deutschen Soldaten ein Stück Uran geschenkt gekriegt habe. Er schickt Levi eine Probe, damit er sich davon überzeugen könne. Er stellt aber fest, dass das vermeintliche Uran Cadmium ist.

Levi wird von einem zunächst nicht erkannten Studienkollegen eingeladen, zum 25-jährigen Jubiläum des Studienabschlusses an einem Abendessen teilzunehmen. Trotz Widerwillen nimmt er teil und trifft einen Kollegen, dem er eine Geschichte aus seinem Lebens abfordert. Er erzählt, wie bei der Herstellung der Silberbromidemulsionen für Röntgenfilme Probleme auftauchen und er durch detektivische Kleinarbeit die unwahrscheinliche Lösung herausbekommt.

Bei der Produktion eines Lackes gibt es Probleme, und Levi reklamiert bei der deutschen Herstellerfirma, dass ein Rohstoff dieses Produzenten fehlerhaft sein müsse. Zuerst wird abgewiegelt, doch dann schreibt ein Dr. Müller, dass durch Zugabe kleiner Mengen Vanadiumnaptenat (sic!) der Mangel zu beheben sei. Dieser Schreibfehler (es muss Naphthenat heißen) erinnert Levi an seinen Aufenthalt in Auschwitz, wo er in einem Labor auch einen Dr. Müller kennenlernte, der α-Naptylamin statt α-Naphthylamin schrieb. Darauf angesprochen, ob er besagter Herr sei, stellt sich heraus, dass er es tatsächlich ist und er schlägt ein Treffen vor, vor dem Levi erst zurückschreckt, dann aber doch zustimmt. Kurz vor dem Treffen verstirbt Dr. Müller aber, so dass es schließlich zu keinem Treffen kommt. In diesem Kapitel wird klar, dass Levi, auch über 20 Jahre nach seiner Gefangenschaft in Auschwitz diese Zeit noch nicht verarbeitet hatte und er noch immer davon gequält wurde.

Kohlenstoff

Die Geschichte eines Kohlenstoffatoms im Verlauf der Erdgeschichte, als Metapher für die Ewigkeit und die Vergänglichkeit. Ein Kohlenstoffatom ist Jahrmillionen in Kalkstein gebunden und wird 1840 freigesetzt. Anschließend wird es mehrfach durch Photosynthese in organischen Moleküle gebunden und durch andere Organismen wieder freigesetzt. Die Pointe besteht darin, dass es am Ende der Geschichte gerade im Hirn des Autors ankommt, als dieser den letzten Punkt der Geschichte setzt.

Nachwort

Für die Ausgabe des Hanser-Verlages schrieb Natalia Ginzburg ein Nachwort, das wie die Anmerkungen von Barbara Kleiner übersetzt wurde, die auch andere Werke Levis übertragen hat. Trotz des gleichen Nachnamens (der Geburtsname von Natalia Ginzburg ist Levi) sind sie nicht direkt miteinander verwandt. Es verbindet sie aber ein ähnlicher gesellschaftlich-kultureller Hintergrund als italienische Juden und Erfahrungen während der faschistischen Zeit und des Zweiten Weltkrieges. Ginzburg legt auch einen starken Aspekt auf diesen gemeinsamen Hintergrund, etwa die Hälfte des Nachwortes geht auf das erste Kapitel Argon ein. Auch die Erläuterungen der restlichen Kapitel haben weniger eine naturwissenschaftliche Deutung, als vielmehr eine kulturell-persönliche.

Eine ausführlichere Inhaltsbeschreibung des Buchs von Dieter Wunderlich[5]

Sonderstellung der Kapitel Blei, Quecksilber, Schwefel, Titan und Kohlenstoff

Die Kapitel Blei und Quecksilber sind im Gegensatz zu den anderen Kapiteln fiktional und wurden schon in der Zeit geschrieben, als Levi in der Aktinolithmine arbeitete. Im Buch (und auch hier in der Kapitelübersicht) sind diese beiden Kapitel kursiv gesetzt, um auch äußerlich auf diesen Umstand hinzuweisen. Levi beschreibt im Kapitel Nickel ihre Entstehung, auch, dass diese Texte für ihn jahrelang verloren schienen und erst beim Sichten alter Unterlagen überraschend wieder auftauchten.

Schwefel und Titan sind kurze Kapitel, in denen Levi nicht direkt vorkommt. Inwiefern sie einen Bezug zu seiner Biographie haben, wird nicht klar.

Das Kapitel Kohlenstoff hat deutliche Parallelen zu Hermann Römpps „Lebensgeschichte eines Kohlenstoffatoms“ wie Jens Soentgen festgestellt hat.[6] Dieses Werk von Römpp, das 1946 in einem Band der Kosmos-Reihe erschien, ist das einzige seiner Werke, das nicht unter seinem Namen erschien, sondern unter dem Namen Dr. Helmut Schmid.

Kohlenstoff wurde wie im Kapitel Gold erwähnt wird, bereits Anfang der 40er Jahre geplant und schon 1970 geschrieben, aber erst mit dem periodischen System veröffentlicht. Es unterscheidet sich vom Erzählstil merklich von den anderen Kapiteln, unter anderem indem es die Geschichte aus der Sicht eines einzelnen Atoms erzählt und nicht aus der Sicht eines Menschen. Eine textkritische Analyse Soentgens legt nahe, dass Levi die Geschichte von Römpp/Schmid zumindest teilweise als Vorlage nutzte, es gibt viele auffällige Parallelen, und auch die Pointe ist vergleichbar. Auch beherrschte Levi die deutsche Sprache gut genug, um die Arbeit Römpps im Original lesen zu können. Bei Römpp/Schmid endet das Kohlenstoffatom in der Druckerschwärze des vorliegenden Kosmos-Bändchens, bei Levi endet es im Gehirn des Schreibers im Moment der Niederschrift der Geschichte.

Ausgaben

  • Il sistema periodico. Turin : Einaudi, 1975 ISBN 88-06-05373-6
  • Das periodische System. Übersetzt von Edith Plackmeyer. Aufbau-Verlag, Berlin ; Weimar, 1979
  • Das periodische System. Mit einem Nachwort von Natalia Ginzburg. Übersetzt von Edith Plackmeyer, Hanser Verlag, München, 1987, ISBN 3-446-14551-6

Einzelnachweise

  1. James Randerson: Levi's memoir beats Darwin to win science book title, in: The Guardian, 21. Oktober 2006
  2. Franz Haas: Mutmassungen über Primo Levis Leben und Sterben, in: Neue Zürcher Zeitung, 27. März 2002. abgerufen am 22. Oktober 2016
  3. Ansgar Bach: Primo Levi - Eine Erinnerung zum 25. Todestag. Abgerufen am 4. Oktober 2016
  4. Ist das ein Mensch?/Die Atempause. Übersetzt von Robert Picht, Barbara Picht, Heinz Riedt, Hanser, München 2011, ISBN 978-3-446-23744-5
  5. Dieter Wunderlich: Primo Levi: Das periodische System – eine Inhaltsangabe. Abgerufen am 4. Oktober 2016
  6. Jens Soentgen: Atome und Bücher, in: Arbeitsblätter für die Sachbuchforschung #21, Mainz, Mai 2014. Abgerufen am 22. Oktober 2016